Shinns Neology fordert Leselehre heraus
Uniforme Lettern = Lesbarkeit. Nichts Geringeres als diese Grundformel zum Verhältnis von Buchstabenform zur Dekodierungsgeschwindigkeit stellt Nick Shinn mit der 15-schnittigen Neology-Familie in Frage.
Dabei ist der Name Programm. Shinn argumentiert, dass wissenschaftliche Forschung zur Natur des Lesens bisher ausschließlich auf Standard-Schriftarten aufbaue.
Statt verzerrter Ergebnisse fordert er neutrale Experimente zur Lesbarkeit, die auch Schriften mit Buchstaben-Varianten einbeziehen. Shinns These: Die kontollierte Variation von Buchstaben hat keinen Einfluss auf die Lesbarkeit – im Gegenteil. Aktivitäten, wie das Lesen, die Zeit in Anspruch nehmen, brauchen Unterstützung durch Abwechslung in der Formensprache.
Vielfalt schafft Aufmerksamkeit und hält wach. Gleichform ermüdet.
Neologys OpenType-Voreinstellung mixt die unterschiedlichen und doch fein aufeinander abgestimmten Fonts Neology Deco und Neology Grotesque so miteinander, dass es innerhalb von fünf Zeichen nicht zu Wiederholungen kommt.
Neology besteht aus zwei Grotesk-Familien mit je fünf Schriftschnitten von Light bis Extrabold. Beide Fonts harmonieren in Dickte, Kontrast und vertikaler Proportion. Neology selbst entsteht durch die Mischung von Schriftzeichen des Deco- und des Grostesk- Fonts.
Neology Deco greift die Formensprache der geometrischen Sans Klassiker auf, allen voran Paul Renners Futura. Besonders deutlich zeigt sich dies an den geraden Auf- und Abstrichen von ‘K’, ‘R’ und ‘y’ und an den runden Punkten von ‘i’ und ‘j’.
Auf Renners Futura folgte 20 Jahre später Miedingers Helvetica deren Formensprache Neology Deco aufgreift: Hier rundet Shinn die Auf- und Abstriche von ‘K’, ‘R’ und ‘y’. Die Punkte von ‘i’ und ‘j’ sind eckig.
So funktioniert der Neology-Effekt:
- Die OpenType-Voreinstellung wählt für jedes zweite Zeichen den Alternate-Buchstaben aus der Alternativ-Familie.
- Wird ein zusätzliches Zeichen (hier der Punkt) eingesetzt, so springt die die Buchstabenfolge um.
- Die reine Deco- Variante wird angewählt, indem die Funktion ‘Contextual Alternates’ im OpenType-Menü ausgeschaltet wird
- Reiner Grotesk-Text erscheint durch auswählen des ‘Stylistic Set 1’ im OpenType Menü.
Über die Hälfte der Neology-Deco und -Grotesk- Zeichen teilen sich die Familien. Shinn entwarf Varianten für charakteristische Buchstaben. Nie verlor er die Anmutung aus derKombination beider Familien aus den Augen.
Kontrolliert zufällige Konzepte für alternierende Glyphen prägen die Font-Veröffentlichungen des Kanadiers seit der Einführung der OpenType-Technik.
Duffy Script (2008) und FF Fontesque Pro (2010) folgten bereits Shinns Ziel, Texten mit wechselnden Zeichen Leben einzuhauchen. Voran gingen Sippen, die mit vielformigen Familien gestalterische Spannung erzeugten: Eunoia (2002), Panoptica (2003) und Handsome (2005). Neology schließlich führt die Elemente ‘Zufall’ und ‘Variation’ zusammen. Für Nick Shinn ist sie die bisher vollkommenste Lösung. Die Entwicklungsgeschichte der Familie beschreibt das 31-seitige Neology-PDF-Dokument (englisch, 845 kB). Über Nick Shinn Shinntype wurde 1998 in Toronto gegründet, um die Schrifteentwürfe von Nick Shinn zu veröffentlichen. Die Shinntype-Bibliothek enthält Print- und Webfonts für alle erdenklichen Einsätze: Verpackungen, Anzeigen, Bücher, Zeitschriften und Zeitungen. Shinns Fertigkeiten als Künstler, Autor, Art Director und Grafik-Designer befeuern seine eklektischen Schriftenentwürfe, die den Bogen von der Wiederbelebung der experimentellen Typografie bis zur Erforschung neuer Technologien spannen. Neology bei FontShop
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19 Kommentare
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<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
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Dave
Warum nicht mal mehr zahlen ;)
„Neology Full Family Web | 15 Fonts | jetzt 281 statt 140,50 €”
Sabine Gruppe
Danke Dave, ist korrigiert.
Curd
Programmiertechnisch eine weitere interessante otf-Variante zu all den Glyphenvarianten sowie zweifarbigen Fonts, die noch durch Überlappung erzeugt werden müssen. Mal sehen, was da noch kommt.
Curd
Die Kursiven werden später unvergünstigt (ohne Preisnachlass) nachgereicht?
Sabine Gruppe
Interessanter Punkt, Curd. Ich gehe dem nach …
Sabine Gruppe
@ Curd,
Nick Shinn plant zur Zeit keinen Entwurf von Neology-Kursiven.
Curd
@ Frau Gruppe
Tja, wahrscheinlich wegen des Problems mit dem Mischen. Sonst würde man sich überlegen müssen, wie man, entschiede sich jemand kursive Auszeichnungen zu setzen, die Kursiven nur unter sich mischen lassen könnte, ohne dass sich deren Zeichen auch in die Body Copy mixten und umgekehrt. Aber auch das wäre programmiertechnisch möglich.
Freundlich
Ich
PS: So ganz ohne Auszeichnungsoption ist die Schrift natürlich weniger attraktiv.
PPS: Kursive und/oder Kapitälchen wären da schon hip.
Bastian
Schade das die Neology nicht über Next FontShop aufrufbar ist …
Sabine Gruppe
Bald, Bastian, bald. Wir freuen uns auch drauf.
koni
Ob des konstruierten Charakters eine per se schon recht uniforme Schrift zu kreieren und dieser Uniformität mittels unterschiedlicher Glyphen für das selbe Zeichen enzgegenwirken wollen: ganz schön listig.
“Aktivitäten, wie das Lesen, die Zeit in Anspruch nehmen, brauchen Unterstützung durch Abwechslung in der Formensprache.“
Abgesehn von der inhaltlichen Diskussionswürdigkeit: warum macht er es dann nicht?
Dann auch noch über „Lesbarkeit“ (über den sinnwidrigen Terminus les ich jetzt mal großzügig hinweg) zu philosophieren ist schon mutig.
Kriegt langsam kabaretistische Züge die Fontvermartung.
http://www.myfonts.com/fonts/rodrigotypo/koni-black/
Hat es nicht immer geheißen, dass man Konformität benötigt, um das Lesen nicht schwieriger zu gestalten? Und nun ist alles anders? Man soll für Abwechslung sorgen? Ist ja schon wie die neue Studie von Yale bezüglich der Dinosaurier: Plötzlich sollen alle buntes Gefieder gehabt haben! Der Tyrannosaurus Rex sieht nach den neuesten Erkenntnissen so lustig aus, dass ich persönlich glaube, er sei niemals der Räuber gewesen, den man uns bisher bezüglich seiner eingeredet hat. Wahrscheinlich hat sein Futter vor seinem Antlitz einen herzattackierenden Lachkrampf erlitten, sodass er sich nur noch um das frisch erlegt Futter zu bücken brauchte. Außerdem, so die Forscher von Yale, müsse man seine bisher unterrichtete Art und Weise sich zu bewegen überdenken, da diese wohl ganz anders – dem eines Haushuhnes sehr ähnlich – gewesen seien, da er, und das sollten wir beim Verzehr künftiger Hühner immer im Gedächtnis behalten, der direkte Vorfahr dieses Tieres gewesen sei.
Zum Kapaun noch einmal, macht uns das Marketing (während jeder Einkommensknappheit wissenschaftlicher sowie anderer Institutionen) zunehmend zu Geisteskastraten?
http://shop.fontshop.de/collections/fontsampler/fontfont
Blender
Früher hat es hier eine Korrekturfunktion gegeben, sodass oben stehende Versuche haben vermieden werden können; auch hat es eine Vorschau sowie nur zu kopierende und einzusetzende Tags gegeben. Das alles sollte man auch der neuen Site wieder beifügen! Thx!
Sabine Gruppe
Danke für die Erinnerung, Blender,
die neue Seite soll natürlich ebenso funktionell – wenn nicht funktioneller werden – als die Alte. Verbesserte Editierfunktionen für die Kommentare stehen auf der Liste.
Sabine Gruppe
Hallo Blender,
Kommentarfunktion und Tags sind zurück. :-]
Blender
Wow, thx, das ist gut; und: schnell gegangen. Heißt: Oft ist das Gute doch ziemlich einfach.
Sabine Gruppe
… und das Wichtige schnell erkannt. ;-)
Also,
ich liebe es, wenn ich folgende Zeichen in die Testzeile eingebe: ẞßſ und das zu einem Ergebnis führt, in dem alle diese Zeichen zu sehen sind. Wow! Deutschsprachige sollten keine Fonts, bei denen diese Zeichen fehlen – nein, bei dem zumindest das Majuskel-scharfe-S fehlt, mehr kaufen.
ßẞſs – Hä: ẞ und ſ lassen sich nicht verfetten?
tbk
Bietet sich an, um Schneeeulen und Seeelefanten so zu setzen, dass sich die ersten beiden e vom dritten unterscheiden. Schade, dass es keine verschiedenen n gibt, um Brennnesseln ebenso zu trennen.
@ tbk
Ob dazu diese Schreibweisen gedacht gewesen sind: Schnee-Eulen, See-Elefanten und Brenn-Nesseln?