Nichtlesen (17): Tonstörung

Offener Brief von Auweier Unhold & Partner an die Redaktionen aller deut­schen TV-Sender

Berlin, den 18. März 2011

Sehr geehrte Damen und Herren in den Redaktionen, werte Medien-Partner,

aus gege­benem Anlass haben wir in der letzten Montagskonferenz bei Auweier Unhold & Partner folgende Sachlage diskutiert:

Sie senden Filme und Bilder der Katastrophe in Japan mit musi­ka­li­scher Untermalung. Das ZDF setzte zum Beispiel im Heute Journal auf Massive Attack als Katastrophen-Soundtrack (siehe Bericht darüber bei spiegel​.de). Andere Sender entschieden sich für span­nungs­stark arran­gierte Klassik-Medleys. Wie wär’s denn bei verwüs­teten Landschaften mit einer Prise gefüh­liger Enya (bewährt seit 9/11)? Und explo­die­rende Industrie-Anlagen oder Atomkraftwerke könnte man doch mit »Hyper, Hyper« von Scooter zu einem kontrast­starken Bild-Ton-Gemetzel aufpusten … Würde uns auch nicht mehr über­ra­schen. Aber kommen wir zur Sache:

Leider müssen wir Ihnen nun mitteilen, dass uns das nicht gefällt. Und zwar gar nicht. Die erschüt­ternden, unfass­baren Bilder und Bewegtbilder von Zerstörung und mensch­li­chem Leid mit musi­ka­li­scher Stimmungmache anzu­rei­chern, halten wir für einen uner­träg­li­chen, jour­na­lis­ti­schen Super-, nein: Mega-, nein: Hyper-GAU.

Insbesondere als Werbeagentur sehen wir uns mora­lisch in der Pflicht, in diesem Fall entschieden einzu­greifen. Wir haben uns zunächst gefragt, wie es eigent­lich zu dieser medialen Tragödie kommen konnte. Wahrscheinlich  folgten Sie nur dem TV-Macher-Reflex, dass Fernsehminuten nicht geräuschlos verstrei­chen dürfen. Wenn Bild und Ton möglich sind, dann sind auch beide nötig. Stille dagegen macht Angst; umso beängs­ti­gender im Angesicht der furcht­baren Bilder aus Japan. Dann lieber schnell mit Mucke weichspülen.

Aber lassen wir die Spekulationen über Ihre Motive. Denn selbst wenn Sie aus nach­voll­zieh­baren Gründen gehan­delt haben sollten, bleibt das Ergebnis nicht weniger inak­zep­tabel – und das wird folgende Konsequezen für Sie haben:

Zwar haben wir als Werbeagentur im Prinzip keinen Einfluss auf Ihr redak­tio­nelles Hoheitsgebiet, aber darauf können wir in Anbetracht der Schwere der Vorfälle leider keine Rücksicht nehmen. Auf gut deutsch gesagt, ist uns das sogar scheißegal.

In Absprache mit unserem Kunden Miezi’s Katzen Content haben wir beschlossen, mit sofor­tiger Wirkung unseren Media-Etat von allen TV-Sendern abzu­ziehen, die sich weiterhin als Katastrophen-DJs hervortun. Sollte Ihnen diese Maßnahme wie Erpressung vorkommen, dann aus gutem Grund: Es ist Erpressung.

Unser Media-Budget von immerhin geschmei­digen 26,5 Mio. Euro für das 2. und 3. Quartal 2011 werden wir wie folgt umver­teilen: Einen kleinen Teil verwenden wir für die Beauftragung von Medien-Wissenschaftlern und Psychologen. Deren Expertise soll aufklären helfen, warum und wie es bei Ihnen in den TV-Redaktionen – wenn Sie mir bitte das Wortspiel verzeihen wollen – zu einer derar­tigen kollek­tiven Hirnschmelze kommen konnte und was dagegen zu unter­nehmen wäre. Den verblei­benden Großteil unseres Etats werden wir in sitt­lich und gesell­schaft­lich akzep­table Werbeumfelder in anderen Medien umleiten.

Lassen Sie es mich ähnlich wie, aber doch anders als unsere Kanzlerin Frau Merkel sagen: Ihre Werbeeinnahmen liegen jetzt ein Stück weit ganz und gar nicht in Gottes Hand.

Hochachtungsvoll, Ihr
Herr Grabowski
Geschäftsführender Gesellschafter
Werbeagentur Auweier Unhold & Partner
_______

P.S.: Liebe Leserinnen und Leser von font​blog​.de, falls Sie sich fragen, wo hier jetzt der Witz sei: Der fällt dieses Mal leider aus. Zwar erscheint die Nichtlesen-Kolumne unter der Rubrik Spaß. Der Spaß ist den Leuten bei Auweier Unhold & Partner aber kurz­fristig vergangen. Wir hoffen auf Ihr Verständnis,

Michael Bukowski

Abbildungen: © Westend61 via ZOOM (1) und © PhotoAlto via ZOOM (2)

 

 


13 Kommentare

  1. Nichtleser

    Liebe Leserinnen und Leser von font​blog​.de, falls Sie sich fragen, wo hier jetzt der Witz sei: Der fällt dieses Mal leider aus.

    N☢ PROBLEM! ONLY RIGHT.

  2. Jan

    Vollste Zustimmung!

  3. Wolfgang

    Endlich mal ein Nichtlesen mit Tiefe! Danke!

  4. thomas junold

    ich stimme eben­falls zu.

  5. SvenR

    Was für armse­lige Wichte Ihr seid. Man kann das gerne Scheisse finden, aber Ihr macht euch nur wichtig. Das hat schon fast Lummaneske Züge.

  6. Kurt

    Komisch ist, dass ich immer, egal ob es sich um Blogs im Netz handelt oder aber auch nur um E-Mails an mich geht, die fett­ge­schrie­bene Headline, hier: „Nichtlesen (17): Tonstörung“, über­sehe und erst später darauf aufmerksam werde, wenn ich den Artikel schon genossen habe. Ob es anderen wohl auch so ergeht?

    Was daran stört, ist, im E-Mail-Account noch mehr als in Blogs, die Firlefanz zwischen Head und Body. Zur Japan-Katastrophe habe ich aller­dings nur Folgendes anzumerken:

    Die Sensation – ’ne geile Lust!

    Die Frage, wie schön oder gut ein Leben nach dem Verlassen eines Atombunkers wäre, wird man hoffent­lich noch stellen dürfen. Nun gut: Ich frage nicht!

    Was den Umgang mit den Kraftwerken an sich angeht, muss man erwähnen, dass es immer geheißen hat, dass moderne japa­ni­sche Atomkraftwerke bis zu vier­zigmal sicherer sind, als die anderer Länder. Was dies gegen Naturgewalten bedeutet, sieht man erst, wenn sich solche Kräfte entfalten. Man sieht auch – aber gut, das haben wir auch schon vorher gewusst –, dass sich die Natur nicht bändigen lässt.

    Was den Unterschied zwischen den japa­ni­schen Reaktoren und dem Reaktor in Tschernobyl angeht, ist, dass in Tschernobyl Graphit einge­la­gert gewesen ist, das durch Erhitzung und die durch Erhitzung entstan­dene Thermik in Höhenregionen gelangt ist, in denen der nuklear ange­rei­cherte Grafitstaub durch die dort herr­schenden Winde über weite Flächen hat verteilt werden können. Dieses Problem ist in Japan – ja, dies ist kein Trost! – etwas geringer.

    Folgendes dafür ist tragisch: Und zwar, wie gleich­gültig und zöger­lich sich unsere Regierungen bezogen auf umfang­reiche Japanhilfe verhalten – wodurch wich­tige Zeit verstreicht!

    Und dass das Maulen zur Erreichung der nächsten Wiederwahl und Erhaltung der eigenen Macht einer effek­tiven Hilfeleistung voran­geht – und wich­tige Zeit verstreicht!

    Auch, dass Unterstützung mittelst Geld anstatt der Unterstützung durch Medikamentenlieferungen für die Verletzten und der Nahrungsmittelhilfe gegen die Not durch Hunger, durch das Zustellen weiterer Zelte und anderer Notunterkünfte für die Obdachlosen sowie (ganz wichtig!) durch das Zurverfügungstellen von Schlafsäcken gegen die tiefen Temperaturen von den Wissensmücken und Geisteszwergen in Wirtschaft und Politik bevor­zugt wird – und wich­tige Zeit verstreicht!

    Echter Altruismus kommt nach rezi­prokem Altruismus wenn nicht über­haupt, und das ist leider üblich in unserer Gesellschaft, purer Egoismus über­wiegt – und wich­tige Zeit vergeht!

    – Nicht nur für die Japaner, sondern für die Gesundheit vieler Tausend Menschen und Tiere (auch anderswo!) wie auch für die Wirtschaft der ganzen Welt.

    Ein besorgter
    E. K.

    PS: Wer kümmerte und kümmert sich um das viel ärmere Volk von Haiti? – Ach: das haben wir schon vergessen?
    Die Sensation ist wohl die geilste Lust!

  7. Kurt

    Manchmal kehre ich nach einigen Minuten zu einem abge­sen­deten Text zurück, manchmal mache ich dies Tage später und stelle Fehler fest, die mir miss­fallen – wie gerade eben. Wenn ich dann einer Agentur etwas hinzu­zu­fügen habe, fällt mir doch auf, dass etwas besser werden muss. Es kann auch andere Leute zum Nachdenken bewegen, deshalb halte ich folgendes Schreibgut (hahaha!) für angebracht:

    Deleatur des Wortes „geht“ in der zweiten Zeile.

    Man korri­giere folgenden Satz: „Komisch ist, dass ich immer, egal ob es sich um Blogs im Netz handelt oder aber auch nur um E-Mails an mich geht …“ in diese Form: „Komisch ist, dass ich immer, egal ob es sich um Blogs im Netz handelt oder aber auch nur um E-Mails an mich, die fettge…“ oder in solchen Wortlaut: „Komisch ist, dass ich immer, egal ob es sich um Blogs im Netz handelt oder ob es nur um E-Mails an mich geht, die fettge…“

    Beide Sätze sind besser als der erste und doch kann man sie immer weiter verbes­sern! Ich bin jeden­falls noch nicht ganz zufrieden, wenn ich daran denke, dass ich auf die Copy einer recht renom­mierten Agentur antworte – ähnlich unzu­frieden, wie die Agentur mit der Musikuntermalung manches TV-Senders. Aber einem abitur­losen, dummen Schlosser wird so etwas wohl passieren dürfen – hoffe ich.

    K. E.

  8. Stefan

    Gut Herr Kurt sonst würdest du wissen, dass zw. abiturlos und dumm kein Beistrich zu stehen hat!

  9. Kurt

    Verzeih mir, lieber Herr … Stefan,

    ich entschul­dige mich bei Ihnen für meinen Fauxpas, wahr­schein­lich haben Sie ja, was mir fehlt. Zu meiner Verteidigung aber darf ich, so hoffe ich, Folgendes anmerken:

     Deutsch ist nicht meine Muttersprache
     Ich bin nicht in Deutschland aufgewachsen
     Ich befinde mich auch heute (noch) nicht in Deutschland
     Irgendwann viel­leicht, werde ich deine Sprache ähnlich gut beherr­schen wie du

    Deshalb, lieber Stefan, entschul­dige ich mich gleich noch mal bei Ihnen (dir?) dafür, dass ich mein Komma falsch gesetzt habe – deiner Meinung nach zumin­dest. Ich selbst aber glaube, dass meine Kommata, meis­tens aus einem Bauchgefühl heraus gesetzt, gar nicht so schlecht pla(t)ziert sind, zumal nicht nur reine gram­ma­ti­ka­li­sche Eigenschaften wichtig sind, sondern oft auch der Kontextbezug zählen dürfte.

    So glaube ich, „con una certa distanza “ betrachtet, wie’s bei uns so schön heißt, dass es einen Unterschied zwischen der Setzung einiger Kommata gibt:

     „… abitur­losen, dummen Schlosser …“ bedeutet meiner Meinung nach, dass es auch Schlosser mit Abitur geben dürfte (oder besser: gibt), die dumm sind und viel­leicht auch noch, dass es Schlosser ohne Abitur gibt, die nicht dumm sind, während
     „… abitur­losen dummen Schlosser …“ bedeuten würde: Alle Schlosser sind ohne Abi und auch noch dumm

    So sehe ich das, aber: Ich kann’s zum Glück nicht wissen – und das ist gut so!

    Dein Freund
    K. E.

    PS: Sollte es jemand ganz genau wissen, dann korri­giert mich bitte – ich lerne nämlich gern dazu!

  10. Max Zumthor

    @ 9
    Touché!

  11. Kurt

    Danke – Max!

    K. E.

  12. franc(z)

    kaum zu glauben was man uns viele selbst­er­nannte Journalisten herun­ter­jü­weln – so führt dazu, dass sogar meine Schwiegermutter alles von der Klötze glaubt und sogar vertei­digt! „Ich habe ein Fernseher gesehen!“ – dann wurde man sich nicht wundern wenn bei der nächste Katastrophe dann Requiem ERWARTET wird und dann zu glauben es war doch der lieber Gott, dass es gespielt hat … 

    F.R.

    P.D.: Sorry für mein pseudo-deutsch … ich lerne es immer noch (ich versuche es :-))

  13. Kurt

    Richtig, lieber franc(z), wenn alle diese Einsicht bezogen auf die eigene(n) Unzulänglichkeit(en) hätten, täten wir uns als Gesellschaft leichter, weil wir Talente anderer bewun­derten anstatt ständig zu leugnen. Mir (als Ausländer!) ergeht es da nicht anders – auch ich werde eure Sprache nie beherrschen!

    Ich bestä­tige deine ironi­sche Anspielung mit

    10 | Max Zumthor
    @ 9
    Touché! 

Kommentarfunktion ist deaktiviert.

<em>kursiv</em>   <strong>fett</strong>   <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a>   <img src="http://bildadresse.jpg">