Millionär werden durch gute Typografie
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Morgen soll ich beim »Zweiten Forum Verlagsherstellung auf der Frankfurter Buchmesse« etwas zum Thema »Gute Typografie kostet nichts« erzählen. Ich weiß nicht, wer sich diesen – wahrscheinlich provokant gemeinten – Titel ausgedacht hat. Natürlich kostet gute Typografie etwas, vor allem Überwindung. Und sie setzt einen Anspruch voraus. Dies sind für kleinkarierte und hasenfüßige Produktioner bestimmt unbezahlbare Werte. Der Preis für die nötigen Schriftlizenzen dagegen ist, gemessen an den Gesamtkosten einer Print-Produktion, lächerlich. Und so steckt in der provokanten These doch eine Portion Wahrheit.
Mich hat sie zu einem Flugblatt angeregt, dass ich morgen auf den Stühlen auslegen möchte. Eine Spam-Mail war der Auslöser. Darin behauptete der Absender, dass er jeden zum Millionär machen könne, der seine »Strategien zur Suchmaschinen-Optimierung« kaufe. Ich habe dann einfach mal das Wort »Suchmaschinene-Optimierung« durch »gute Typografie« ersetzt, etwas am Text geschraubt, und fertig war das oben abgebildete Pamphlet, hier als PDF zum Download (50 K). Es ist die trivial überhöhte Form der Aussage »Gute Typografie kostet nichts«, nämlich: gute Typografie macht dich zum Millionär!
Die Sprache dieser Spam-Mails ist derart dämlich, dass es mir schwer fiel, den Text zu »unterschreiben«. Das muss aber so sein, denn nur wer doof in den Wald hineinruft erreicht die Doofen, die mit solchen Lockvogel-Mails hereingelegt werden sollen. Gleichwohl habe ich das Niveau der Sprache etwas angehoben, denn morgen will ich keine Dummköpfe ansprechen, sondern neugierige, engagierte Drucker und Produktioner. Auch in punkto Typografie und Rechtschreibung ist mein Papier wahrscheinlich zu ausgefeilt: so ein Flugblatt muss man eigentlich mit Arial und 20 verschiedenen Schriftgrößen fälschen – das habe ich einfach nicht übers Herz gebracht. Die sympathische FF Trixie musste für mein Falsifikat herhalten. Ein Tipp für Trixie-Benutzer: immer den Schnitt Plain verwenden, der detaillierter ist als der Schnitt Text; letzterer wurde einst für große Dokumente geschaffen, zu einer Zeit, als sich die RIPs an der hochaufgelösten Trixie Plain noch tot rechneten.
Bin mal gespannt, ob meine Überraschung morgen gelingt. Ich werde darüber berichten.
21 Kommentare
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thomas | fontbastard
ich könnte ja jetzt böserweise sagen man könnte es herrn kotulla zur »verschönerung« geben, immerhin weiss er ja, was gute typografie ist … aber man soll ja nicht schlecht über die mitbewerber reden, das geziemt sich nicht, insofer hab ich einfach nix gesagt. :-)
robertmichael
jürgen, kannst du das nicht für uns als podcast oder noch besser als videocast aufnehmen?
»gute typografie kostet vor allem überwindung« sehr gut gesagt. den satz werde ich mir mal für die nächste präsentation beim kunden ausleihen.
franz
Ich weiß auch nicht, was los ist – vielleicht im zuge von user-generated content, open source, etc.? – scheinen sich die forderungen, typografische arbeit, fonts, ja überhaupt alles sollten umsonst sein, zu häufen:
http://freefontmanifesto.blogspot.com/
„as a gift to humanity“ … ts, ts – erst wenn die bäcker ihr brot und die verlage ihre bücher verschenken. Bis dahin gib’s ihnen Jürgen, immer feste druff…
P.S. Ja, dein Flyer sieht tatsächlich noch viel zu zivilisiert aus.
thomas | fontbastard
franz, die frage ist, für welches medium freie fonts? für druck wohl eher nicht, denke ich mal. im web (weil das ja so ein freies medum ist)! der gag ist ja, es GIBT freie fonts. sie kommen mit jedem betriebssystem mit. sieht diese seite nicht gut aus? dank georgia und dank lucida. und drucken kann man die auch. mit ein bisschen geschick und gespür ist dagegen nichts einzuwenden.
wer sich einen rechner kauft, bekommt diese beiden schon dazu. ist doch fein.
ich halte diese forderung ebenfalls für etwas haltlos. die open source gemeinde profitiert schon genug von etablierten lösungen. das fängt bei kleinigkeiten wie gui und icons an. da wird »hemmungslos« von bestehenden lösungen partizipiert und als eigene arbeit dargestellt. die programmierer haben sicher die besten absichten, aber diese frage ist meiner meinung nach etwas vernachlässigt.
ich habe dich schon richtig verstanden franz, du bist auch eher skeptisch in bezug auf eine »alles frei für jeden« mentalität. eins ist klar, wer soll, wenn alles frei ist, noch die chance bekommen damit geld zu verdienen?
Jan Middendorp
Als ehemaliger Direkt-Mailing-Texter schätze ich deine Pastiche sehr hoch. Was mir am Besten gefällt was den Form betrifft, ist die Absurdität der herunterrutschenden Endzeilen. Ein Witz für 35+-er: man muss schon mit echten Schreibmaschinen gearbeitet haben um zu wissen wie so was entsteht. Viel Erfolg in Frankfurt!
Jürgen Siebert
Ellen Lupton hat ihr Free Font Manifesto am vergangenen Freitag auf der ATypI in Lissabon vorgestellt. Ich sympathisiere mit der Idee, wenn es um Free Fonts geht, die uns von den »Glorreichen Sieben des Web-Designs« erlösen: Helvetica, Times, Arial, Verdana, Georgia, Trebuchet und Comic Sans.
Im Moment ist nicht abzusehen, dass es für die OS-X-/MS-Vista-Welt ein Sortiment an guten plattformübergreifenden Systemschriften geben wird. Und so arbeite ich auch mit FSI an der Idee einer freien, multilingualen FontFont-Sans-OT-Familie … (gehintet, also bildschirm-optimiert) … weil die Menschheit das braucht und die Betriebssystemhersteller dies nicht leisten wollen oder können.
Ich sehe einen solche Free-Font-Familie überhaupt nicht als Gefahr für den angestammten Design-Markt, ganz im Gegenteil: die gut ausgebaute (und aus technischen Gründen nicht kompatible) Print-Version dieser Free-Font-Familie würde sogar richtig im Interesse steigen … Stellt Euch vor, es gäbe eine gut ausgebaute Verdana Print oder eine Georgia Print.
Der offen Brief an John Warnock ist Blödsinn, weil der Verfasser nicht weiß, wovon er spricht. Adobe kann über Schriften wie Helvetica oder Frutiger gar nicht entscheiden, da das Unternehmen nicht Inhaber der Lizenzen ist. Und wer glaubt denn im Ernst, dass irgend jemand einen Bestseller verschenken wird? Nein, es müssen neue Schriften her, die eine Print-Familie befruchten können … was überhaupt nicht heißt, dass diese schlecht sein werden. Ganz im Gegenteil …
franz
Die sache mit den web-schriften ist klar, darum geht es mir gar nicht. Das uns die glorreichen sieben nicht bis zum ende aller tage glücklich machen und eine einschränkung darstellen, ist auch klar.
Ich finde nur die forderung, jede foundry sollte eine herausragende schrift umsonst, eben als „gift to humanity“, abgeben, etwas vermessen. Frau Lupton hat das ja inzwischen auch etwas relativiert, nachdem sie aus berufenem munde zum teil herbe kritik einstecken mußte.
Eine solche schrift pro foundry (zumindest solcher, die die entsprechenden ressourcen haben, eine schrift „für lau“ zu entwickeln) ist auch gar kein problem. Und ich denke auch mal, herr Carter wird für die Georgia, auch wenn sie „umsonst“ mitgeliefert wird, geld von MS bekommen haben, da ist nicht das problem.
Mir fällt nur auf, dass solche forderungen nach umsonst, open source, etc. jetzt im bereich der schrift laut werden, nachdem man jahrelang darüber diskutiert hat, dass schriften bezahlt werden müssen, jede arbeit ihren preis hat, etc.
Liver
Was wurde eigentlich aus der Idee für gewisse Kunden Schriften
sofort zum freien Download zu Verfügung zustellen und nachher
nach dem RF Prinzip zu verrechnen (Auflage & Verwendung).
Es gibt ja bei z.B. den beiden Stockphoto Riesen ja auch einen
sofort Zugang zu HiRes Bildern ohne das Bild gleich zukaufen
(Präsi mit Pixel Bilder spielt es heutzutage einfach nicht mehr).
Peter Reichard
Die Systemfonts, die mitgeliefert werden sind ja nicht wirklich frei. Microssoft oder Apple zahlen dafür auch Lizenzen an die Lizenzinhaber und letztendlich wird dies mehr oder weniger direkt durch die Kosten der Betriebssysteme an die Kunden auch weitergegeben. Diese Schriften sind schon mit dem Kaufpreis des Betriebssystems oder der entsprechenden Software (z.B. Adobe) bezahlt und somit zurecht auch keine Freefonts.
Harki
„Ein Witz für 35+-er: man muss schon mit echten Schreibmaschinen gearbeitet haben um zu wissen wie so was entsteht.“
ROFL, ja, das war *haargenau* mein erster Gedanke, als ich das Bild gesehen hatte. :D Ich fand die Idee auch erstklassig.
Gut, Arial wäre heute sicher wahrscheinlicher gewesen, aber wirklich zu brutal, vermutlich wie das Original-Deutsch des Spams. Trixie ist dann vielleicht etwas für 70er-Jahre-Nostalgiker, gut so. Zum meiner Uni-Zeit wäre es wohl diese etwas fettere Courier der IBM-Kugelkopfmaschinen gewesen – das war um 1990 wohl die häufigste Schrift für Pamphlete . ;) Trixie erinnert mich eher an die klapprigen Schreibmaschinen, die in der Landesbibliothek zum Ausfüllen der rosa Fernleihscheine rumstanden.
(Um Pardon wegen des seichten Generationen-Nostalgie-Gelabers. ;))
Michael Bundscherer
Zur Free-Font-Thematik fallen mir spontan zweit etwas ältere aber doch passende Zitate ein:
Einer ungeschickten Anordnung helfen selbst die allerschönsten Schriften nichts, aber selbst mit mittelmäßig guten Schriften kann man eine gefällige Anordnung treffen. (Jan Tschichold)
Wer schön schreiben kann, schreibt auch schön mit einem schlechten Pinsel. (Japanische Weisheit)
Martin
Ich glaube nicht, dass der Titel provokativ gemeint war. Man geht davon aus, dass in den Verlagen Menschen arbeiten bzw. Dienstleister haben, die in der Lage sind, auch typografisch gute Bücher herauszubringen. Den Verlagen kostet es in dem Sinne nichts. Die gehen davon aus, dass gute Typografie keine Kosten verursacht.
Also liegt es an Dir zu provozieren, und das machst Du ja auch ganz meisterhaft. Viel Erfolg!
thomas | fontbastard
wieso verursacht gute typografie keine kosten martin? in dem verlag, für den ich arbeite ist die art der typografie noch ein kostenfaktor, weil die zeit, die dabei vergeht, bis es gute typografie ist, auf der rechnung auftaucht. gute typo ist individuelle typo, auf den jeweiligen zweck optimiert. schnelle typo ist gleichförmig mit standardformaten und nach schema f. das werden auch die verlage wissen.
erik spiekermann
Wer sagt denn, dass ein schema schlecht sein muss? Wenn wir gute templates gestalten, dann werden alle bücher einer reihe gut. Nach ein paar titeln hat sich die arbeit am detail amortisiert. Springer Heidelberg arbeitet heute noch mit den templates, die wir für sie 1997 gemacht haben, und buchgestalter kriegen immer noch preise dafür, dass sie lediglich neue texte in unsere stylesheets packen. Ein paar grundregeln muss man beachten und die templates entsprechend formatieren, dann hat man gute typografie ohne weiteren aufwand. Schriftgrößen, zeilenabstände, trennprogramme, laufweiten, satzspiegel sind leicht zu optimieren für ein format und eine schriftfamilie und dann immer wieder anwendbar. Die meisten verlage haben aber keinen sinn dafür und meinen, dass schlechte typografie billiger ist als gute. Dabei wertet gute typografie jedes buch auf und macht es wertvoller. Gute typografie kostet also nicht extra, sondern bringt mehr geld.
thomas | fontbastard
richtig, aber die templates müssen erstmal da sein. ansonsten gebe ich dir recht. mit »schema f« meinte ich eher so sachen wie bei gewissen »demand-verlagen« produziert werden. umschlag und titelei mittelachse (langweilige!), innen times max. eine garamondähnliche und alles auf a5 endformat. das ist schnell und nach schema f. zu »uns« kommen schon eine menge autoren, die ein gutes buch haben wollen, weil sie den eindruck nicht loswerden, dass diese art buch eben nicht gut ist.
Klaus
zu den Kosten von guter Typographie vielleicht noch ein praktischer Hinweis (via slanted) auf
http://www.youarewatchingus.com/creativedrugs/content/produktseiten/fontastich.html
von http://www.creativedrugs.de
… so teuer ist das nun auch wieder nicht …
Ramona
Hallo zusammen,
ich hoffe, dass mir hier jemand helfen kann.
Ich brauche dringend Informationen über FF Trixie, wie sie entstanden ist, warum, weshalb, wieso…
Ich bin Typo-Neuling, google wie wild und jetzt bin ich hier gelandet. Hoffe auf Hilfe, denn ich brauche diese Infos für meine Abschlussarbeit im März.
Danke, beste Grüße
Ramona
Jürgen
Ramona … Du kannst Dich für Deine Recherchen, in deutsch, direkt an den Entwerfer der FF Trixie wenden, Erik van Blockland in Den Haag: erik@letterror.com