Liquid Identity von Pentagram

Bei der Diskussion um das London-2012-Logo gab es auf der einen Seiten die Verfechter eines varia­blen Identität, auf der anderen Seite die Vertreter eines strin­genten Corporate-Design-Systems. FontShop wurde mit einem »flüs­sigen« Logo groß, weil wir uns als Schriftverkäufer die Freiheit nahmen, mit der Logo-Typografie zu spielen … bei der TYPO-Konferenz haben wir sogar schon die Unternehmensfarbe Gelb durch eine Kampagnenfarbe ersetzt.

Gerade hat Pentagram eine flexi­bles Logo für die US-Filmserie Point of View (POV) vorge­stellt, entworfen von Paula Scher und Julia Hoffmann. Gesetzt aus der Schrift Gotham (Platz 41 unserer 100 Besten Schriften) über­nimmt der Buchstabe O verschie­dene Rollen: Linse, Blende, Skala, … Bei der animierten Fassung des Logos wird der Buchstabe zum Guckloch für Filmtrailer.


17 Kommentare

  1. Simone

    Schön, die Gotham. Bin vor zwei Tagen drauf aufmerksam gemacht worden. Sieht in der Umsetzung noch viel besser aus als auf den Schriftmusterseiten von Hoefler & Frere-Jones auf typo​graphy​.com. Die Rounded der Gotham erin­nert mich sehr an die VAG Rounded, aber das liegt bei meinem Schriften-Marketing-Fachwissen viel­leicht eher an der Assoziation durch den Namen. Typo-Designer haben da sicher ein schär­feres Auge.

  2. Kai

    zumin­dest beim font­shop-logo finde ich die
    varia­bi­lität konzep­tio­nell richtig und durchdacht …
    gera­dezu notwendig. das london 2012-logo finde
    ich rein visuell grau­selig … fernab dessen, daß da
    der desi­gner sich durchaus etwas dabei gedacht
    haben mag. und das logo dieser ominösen
    fern­seh­serie ist einfach einfallslos … rettungsringe,
    kame­ra­blenden, einschuss­lö­cher … sowas haben
    wir alle doch bereits zu schülerzeitungszeiten
    zu Os und nullen gemacht. gähn. aber die gotham:
    die finde ich auch gut ;-)

  3. Herr Geh

    Kai! Erst lesen, dann schreiben. Vielleicht wird dann aus einer „ominösen“ TV Serie eine reno­mierte, seit 20 Jahren bestehende Dokumentar Serie. Und wenn Du Lorbeeren an das Fontshop-Logo verteilst, soll­test Du aus den selben Gründen auch ein paar für das POV-Logo übrig lassen. Denn bei diesem Konzept geht es ebenso um die visu­elle Einbindung, einer Vielheit der Inhalte, in ein Zeichen. Der eine spielt mit Schriften, der andere mit Filmgenres.

    Ach! noch was: kram doch Deine Rettungsringe, Kamerablenden und Einschußlöcher aus der Schulzeit zusammen und bewirb Dich mal bei Pentagram. Die brau­chen Designer, die mitdenken können.

  4. Jörn

    Grundsätzlich finde ich das Konzept der varia­blen Identität span­nend. Die Frage ist nur welcher Kunde damit umgehen kann. Manche brau­chen sicher­lich ein recht festes, klar defi­niertes CD, andere können mit der Variabilität umgehen.

  5. Herr Geh

    Kai! Erst lesen, dann schreiben. Vielleicht wird dann aus einer »ominösen« TV-Serie eine renom­mierte, seit 20 Jahren bestehende
    Dokumentar-Serie. Und wenn Du Lorbeeren an das Fontshop-Logo verteilst, soll­test Du aus den selben Gründen auch ein paar für das POV-Logo übrig lassen. Denn bei diesem Konzept geht es ebenso um die visu­elle Einbindung, einer Vielheit der Inhalte, in ein Zeichen. Der
    eine spielt mit Schriften, der andere mit Filmgenres.

    Ach! noch was: kram doch Deine Rettungsringe, Kamerablenden und Einschußlöcher aus der Schulzeit zusammen und bewerbe Dich mal bei Pentagram. Die brau­chen Designer, die mitdenken können.

  6. Stephan

    Mal eine andere Frage. Weiß jemand wie alt diese Idee des offenen Corporate Branding ist? Vielleicht ein Beispiel aus ganz frühen Zeiten? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Firmen mit einer strengen Hierarchie ebenso ein strenges CD bevor­zugen. Ist das evtl. ein Grund für die Ablehnung. Sicherlich spielt Gewohnheit auch eine Rolle. Gibt es Studien dazu wie prägend solche offenen Corporate Branding sind? Können sich die ange­spro­chenen Menschen mit etwas Offenem iden­ti­fi­zieren? Ich finde offene Corporate Branding inter­es­sant, da sie flexibel auf zukünf­tige, unvor­her­ge­se­hene Anforderungen reagieren können, bin aber von deren Markenprägung nicht ganz überzeugt.

  7. microboy

    @ herr geh

    die idee hinter dem logo gefaellt mir sehr gut – nur die umset­zung hat meiner meinung nach etliche schwae­chen. viele der symbole sind formal zu ähnlich und nicht eindeutig genug. die spirale haette ich beispiels­weise nie mit dem thema „kind“ in verbin­dung gebracht … wofür das unscharfe „O“ steht weiß ich immer noch nicht! gut funk­tio­niert dagegen die füllung des „O“ mit film­stills – diese idee ist aber nicht gerade neu!

    ich schaetze die arbeiten von paula unge­mein – das POV-logo enttaeuscht mich aber etwas.

  8. MiSc

    Google hat auch ein recht offenes CD, mit den saiso­nalen Logo-Variationen, etc. Das Farbspektrum ist ohnehin sehr umfas­send, trotzdem ist es der stren­gere Teil, im Gegensatz zur Typographie.
    Vielleicht eignen sich Liguid Identities v.a. für den Online-Bereich?

    Ich denke, CDs haben sich immer schon zu varia­blen entwi­ckelt, und zwar selbst­ständig. Wenn ein Logo o.ä. über Jahre verwendet wird, fängt man gerne mal an damit zu spielen. Ungewohnt ist da eher der konzep­tio­nelle Ansatz, von Beginn an das Erscheinungsbild variabel zu halten – da wird keine große Einprägung der Marke erwartet usw; jedoch denke ich schon, dass das möglich ist.

  9. microboy

    burton beispiels­weise hatte einige zeit etliche logos die parallel zum einsatz kamen und immer wieder geän­dert wurden. ist zwar kein varia­bles CI im herkömm­li­chen sinn aber trotzdem ein inter­es­santer ansatz …

  10. Herr Geh

    @ microboy

    Ich gebe Dir voll­kommen Recht. Da hat Pentagram kein goldenes Ei gelegt. Ich halte die Arbeit dennoch für solide. Nichts welt­be­we­gendes, bahn­bre­chendes … wie zum Beispiel das Olympia 2012 Logo ;)

    @ Stephan

    Schlaue Fragen. Und viele. Ich denke, dass das flexible Branding eng verbunden ist mit dem Wandel von Mechanisierung hin zur Digitalisierung. Ein Wesenszug der Digitalisierung dürfte wohl die Dynamik sein. Schnelle Anpassung, indi­vi­du­elle Anpassung. Papier ist eben nicht mehr geduldig. Ich empfinde diese Entwicklung als logisch. Rein tech­nisch gesehen ist viel möglich und der Reiz des Neuen, nicht zu leugnen.

    Hier zwei Beispiele für „Liquid Identity“: 

    http://​www​.tate​.org​.uk – Farbe und Form des Logos vari­ieren. (wer hat das noch gleich gemacht?)

    Und *hüstel*, eins von mir:
    http://​www​.city​rama​.de/​p​o​r​t​f​o​l​i​o​.​a​s​p​x​?​r​e​f​I​d​=​1​553 – Stand und Grundform des Logos bleiben unver­än­dert. Der Illustrationsstil passt sich dem Inhalt an.

  11. HD Schellnack

    So sehr ich solche fluiden Identitäten mag – das POV-Logo ist einfach nur sechsmal vorher­sehbar und lang­weilig… sechsmal zweite Liga wird nichtr Champions League (oh Gott, Fußballmetaphorik, argh…)

  12. Martin Jordan

    @Stephan: Herbert W. Kapitzki (1925-2005) veröf­fent­lichte »Programmiertes Gestalten« im Jahr 1980, es gilt als erstes deutsch­spra­chiges Buch zum Thema, wobei sicher bereits auch andere in den Ulmer Zeiten nach diesen Prinzipien und Arbeitsweisen gestal­tetet haben.
    Ausgehend von Deiner Begrifflichkeit ist aber fest­zu­stellen, dass es eine verschwim­mende Grenze von den Ulmer Arbeiten, die eher im Bereich ange­wandte Kunst lagen, zu den heutigen Branding-Projekten, die zur Identifizierung von Institutionen dienen und von z.T. massiven Strategiepapieren initi­iert, geplant und gestützt werden, gibt.

    Also bei Interesse mal jenes Buch und andere von ihm schnappen oder auch »Systemisches Design« von Cyrus D. Khazaeli (2005).

  13. Stephan

    @Herr Geh
    Danke für die Erleuterung. Hatte Letztens sogar bei Wolff Olins bereits dit Tate-Logo in dem Artikel „To brand or not to brand?“ erwähnt gesehen aber gar nich gleich mit offenem Branding asso­zi­iert. *Asche auf mein Haupt* „just“ mag ich. Dit hat was von einem Loch im Zaun, durch welches man kiekt und die dahinter liegende Welt schon sieht. Ich habe auch die Vermutung, dass offenes Branding und Zapping eng verbunden sind. Nicht nur das Papier auch wir werden wohl immer unge­dul­diger (gemacht).

    @Martin Jordan
    Vielen Dank für den Buchtipp. Habe mir gerade einige Arbeiten auf http://​www​.kapitzki​.de ange­sehen und bin wirk­lich begeis­tert. Und jetz ärgere ich mich, dass ich nich schon eher von Kapitzki gehört habe. Man muss och noch Ziele haben :)

  14. Andreas

    Das revo­lu­tio­näre am London2012-Logo ist – abge­sehen von der vorsätz­li­chen Inkaufnahme von Augenkrebs ;) – dass die Veränderung von Außen, durch Dritte passiert. Ansonsten sind variable Logos ja ein alter Hut. Besonders hängen geblieben ist mir das System von der Expo 2000. Fand ich gut gelöst damals, wenn auch ziem­lich nichts­sa­gend. Ich denke, flexible Logos bilden einfach die Schnittstelle zwischen Gestaltungselement und Signet. Mein Lieblings-Supermarkt hat eine Tüte mit Gesicht in der Gestaltung, die immer anders drein schaut (deswegen ist er aber bestimmt nicht mein Favorit!). Ist ein flexi­bles Logo nicht das gleiche, nur abstrakter in der Erscheinung? Und wie bei allem in der Gestaltung kann es passend oder unpas­send sein, gut oder schlecht umge­setzt und immer, wie bei POV, vor Ideenlosigkeit nicht schützen (das aber viel­leicht überdecken).

  15. Julia

    Als sozu­sa­gener insider dieses CD muss ich etwas dazu beitragen:
    Pentagram hat POV mehr als 20 verschie­dene ‚o’s desi­gned die je nach belieben benutzt werden koenen. Die CD ist offen fuer weie­tere o’s in der Zukunft. Das main logo ist hier nicht abge­bildet, welches nur aus Gotham besteht. (Also sechsmal lange­weile ist nicht fair).
    Zu den Film clichees muss ich sagen dass Paula absolut dagegen war, aber der Kunde dafuer kaempfte. da es nur ein paar von 20 verschie­denen ist, machte es aber nicht viel aus.

  16. Erik

    Die Idee des „liquid iden­tity“ ist beim POV-Logo in Ansätzen vorhanden, aber meiner Meinung nach kann man hier noch viel weiter gehen. Bekannte Beispiele aus der Vergangenheit sind z.B. das EXPO-Logo oder Lakeside. Auch das Logo der See-Conference ist ein gut gelun­genes Beispiel dazu (siehe vergan­gene PAGE von ???). Allerdings gehört zu so einem „offenen Erscheinungsbild“ nicht nur die Einbeziehung des Logos, sondern auch des Corporate Design, welches in seiner Gesamtheit u.U. sogar das klas­si­sche Logo über­flüssig machen kann ;-)

  17. Pan Peter

    kennt jemand gute lite­ratur zum thema „liquid iden­tity“? oder links zu weiteren arti­keln darüber?

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