Lichter der Großstadt: die FF Karbid Großfamilie

Wir verdanken die FF Karbid der DDR. Im Ostteil Berlins hatten Fassadenbeschriftungen nicht nur den 2. Weltkrieg über­dauert, sondern auch die 45 Jahre bis zur Wiedervereinigung. Bevor die Quartiere in Mitte und um den Prenzlauer Berg ab 1990 saniert wurden, kata­lo­gi­sierte die Berliner Gestalterin und Schriftenentwerferin Verena Gerlach die typo­gra­fi­schen Relikte des frühen 20. Jarhunderts und rettete sie ins digi­tale Zeitalter.

Fassade-in-Mitte-vor-1990Fassaden in der Berlin Mitte um 1990: Von der Zeit gezeichnet ansonsten aber unver­än­dert hatten die Hauswände in Ost-Berlin Krieg und Teilung überdauert

Verena Gerlach berichtet: „Die zahl­rei­chen Schilder der Kohlenhandlungen, auf die ich immer wieder traf bescherten mir nicht nur eine sehr schöne »Ko« Sammlung, sondern gaben mir zu dem die Idee zum Namen »Karbid«, einer Kohlenstoffverbindung und Hauptbestandteil der extrem hellen Karbid-Lampen und hoch­gradig explosiv. Ich fand das passend.“

Fassade-in-Mitte-vor-nach-1990

Eine Fassade in der Metzer Straße 15 am Prenzlauer Berg vor und nach 1990.

Die markanten Buchstabenformen der stil­bil­denden Berliner Ladenbeschriftung geben der FF Karbid Display ein unver­wech­sel­bares Äußeres. Die ersten drei Gewichte des Display-Fonts entstanden 1999 als gestal­te­ri­sche Interpretation ihrer Fassaden-Vorlagen. Zusätzlich zu den erhöhten und nach unten verla­gerten »Hüften«, die im Redesign ergänzt wurden, greifen die Verlängerungen der Horizontalbalken in den Versalien die Formen des Berliner Art Déco auf. Diese »Rallye-Streifen« sind ein Gestaltungsmittel der 20er Jahre und reflek­tieren die Geschwindigkeit der Großstadt zu dieser Zeit.

FF-Karbid-Display-von-Fassadenschift

Verena Gerlach entwi­ckelte zunächst die Displayvariante der FF Karbid, die viele markante Buchstabenformen bis ins Detail nachempfindet

Ausgehend vom Display-Schnitt entwi­ckelte Verena Gerlach 1999 eine text­taug­liche »entschärfte« Variante in vier Gewichten, 2011 dann eine große Textfamilie. Die Basis-(OT), Display-, Text- und Slab- Versionen der FF Karbid umfassen je fünf Strichstärken: Light, Regular, Medium, Bold und Black. Dazu kommen die passenden Kursivschnitte. Zusätzlichen Zeichenvorrat bieten die Pro-Versionen.

Herleitung-Versalien-und-Minuskeln-FF-Karbid

Die Entwicklung der Versalien und der Minuskeln der FF Karbid Display mit ihren charak­te­ris­ti­schen Eigenheiten aus den authen­ti­schen Reklamelettern

Zugunsten guter Lesbarkeit und eines ruhigen Laufverhaltens verzichtet die Textfamilie auf die ausge­prägten Eigenschaften der Display-Variante und die ausla­denden, geschwun­genen Abschlüsse der Basis (OT)-Variante. Zwischen Text- und Display- Font bildet die Slabfamilie, die Verena Gerlach in diesem Jahr veröf­fent­lichte, eine Brücke. Sie kann sowohl für Auszeichnungsaufgaben einge­setzt werden, als auch für Texte und eignet sich beson­ders für den Einsatz im Editorial-Bereich.

FF Karbid-Text@FontShop

FF Karbid Text mit harmo­ni­scher Anmutung: Die Buchstaben verzichten zugunsten einer ruhigen Laufeigenschaft auf exzen­tri­sche Details und bestechen trotzdem mit  einem tempe­ra­ment­vollen Schriftbild

Alle vier FF Karbidfamilien verfügen über einen üppigen Vorrat an Sonderzeichen. Neben den Versalien mit hoher Hüfte können Alternate-Versalien mit gesenkter Hüfte, kreis­runde C, E, G, O Alternativen und runde As  einge­setzt werden. Auch an Alternate-Zeichen für die charak­te­ris­ti­schen einstö­ckigen Minuskeln „a“ und „g“ ist gedacht. Abgerundet werden die Sonderzeichen durch passende Bullets und Pfeile.
FF_Karbid_Pro_Alternates
Die FF Karbid Familie zeichnet sich auch durch einen großen Vorrat an Alternate-Buchstagen aus: so verfügen viele Versalien über vier Varianten, die je nach Bedarf einge­setzt werden können
FF_Karbid_Pro_Slab_Alternates
Die Alternate-Versalien der FF Karbid Slab bringen mit varia­blen Buchstabenformen  Abwechslung in die Auszeichnungsgestaltung
Die Bögen von „n“ und „m“ der Basis-Variante orien­tieren sich an den Bögen der Bernhard Antiqua von Lucian Bernhard (Berlin Sans, Bernhard Modern, Bernhard Fashion). Bernhard zählt zu den bedeu­tendsten Schriftentwerfer und Grafikdesigner Anfang des letzten Jahrhunderts. Er lebte und wirkte von 1901 bis 1925 in Berlin. Die Display-Variante der FF Karbid  greift mit asym­e­tri­schen Serifen die abblät­ternden Serifenenden ihrer Vorlagen auf. Oft fehlten – als sicht­bares Zeichen der DDR-Mangelwirtschaft – Teile der Originalbuchstaben, die mit dem alten Putz herabfielen.

 

Extrafette-Bernhard-Kursiv

Lucian Bernhard gestal­tete in Berlin Plakate für bedeu­tende Marken wie Stiller, Pelikan, Kaffee Hag, Bosch oder Faber-Castell, seit 1923 als Professor für Reklamekunst am Kunstgewerbemuseum. Seine Entwürfe prägen bis heute die visu­elle Wahrnehmung der Goldenen Berliner 20er.

Die komplett über­ar­bei­tete und erwei­terte FF Karbid-Familie ergänzt die FontFont-Bibliothek um ein neues zeit­ge­mäßes Schriftsystem. Insgesamt 40 Fonts meis­tern die viel­fäl­tigen Satzanforderungen, die moderne Kommunikation an Schriften stellt. Für den Online-Einsatz und die Büro-Kommunikation gibt es die Spezialpakete FF Karbid Web und FF Karbid Office. Beide verfügen über Pro-Versionen, die mit zusätz­li­chen Fremdsprachenzeichen für alle latei­ni­schen euro­päi­schen Fremdsprachen ausge­rüstet sind. Unterstützt werden alle CE-Sprachen, einschließ­lich Türkisch, Rumänisch und die balti­schen Sprachen, nicht jedoch grie­chisch und kyrillisch.

Die güns­tigen Basic-Pakete enthalten Regular- und Bold-Schnitt und dazu die passenden Kursiven. Es gibt sie für den Einstieg in Office- und Web- Anwenung. Sie kosten ab 129 Euro. Einzelschnitte kosten ab 45 Euro und die Teilfamilien ab 298 Euro (alle Preise sind Nettoangaben).

Zu jeder Teilfamilie hält ein ausführ­li­ches PDF-Manual mit 18 Seiten (290 KB) über­sicht­liche Schriftmuster und Satzbroben bereit.

Die vier FF Karbid-Teilfamilien in der Übersicht:

FF_Karbid_Pro_Display_Sample

FF_Karbid_Pro_Text_Sample

Über die Entwerferin: Verena Gerlach wurde in Berlin geboren und studierte Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weißensee. Gleich nach dem Abschluss grün­dete sie ihr eigenes Studio frau­ger­lach  für Grafikdesign, Schriftdesign und Typografie. Sie artdi­ri­gierte verschie­dene Videoclips und arbei­tete an typo­gra­fi­schen Produktionen für zeit­ge­nös­si­sche Künstler. Seit 2003 unter­richtet Verena Gerlach Typografie, Schriftdesign und Grafikdesign an Berliner Hochschulen und gibt Gastvorlesungen und Vorträge überall auf der Welt. Sie gestaltet seit 2006 Kunst- und Architekturbücher für den Hatje Cantz Verlag. FontShop führt 54 ihrer Schriftentwürfe.

© alle Abbildungen: Verena Gerlach


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