Gute Typografie, jetzt (5): Du-mich-auch-Typografie
Gestern Abend feierte das Some Magazine seine neueste Ausgabe in der Berliner VUP Lounge (HBC). Die Zeitschrift verortet sich selbst »irgendwo zwischen Design und Kunst« (aus der Einladung). Sie wird von Studenten (Markus Postrach, Markus Lange, Falko Walter) an der Kunthochschule Burg Giebichenstein in Halle bei Professor Sven Voelker produziert. Dieser saß auch gestern als einer von drei Diskutanten auf dem Podium, neben dem Designer, Journalist und Moderator Maximilian Dax und Erik Spiekermann. Das Trio sprach über die Herstellung des Magazins, über Berufszwänge, den Luxus des studentischen Treibenlassens, lebensgefährlich-falsche Beschilderungen an Flughäfen und Typografie. Da wurde es dann spannend für mich.
Es gäbe zu viele Schriften, hieß es einmal. Früher hat Spiekermann dieser These widersprochen, mit dem Konter, es könne nie genug Musik oder Weine geben … jeder solle etwas für seinen Geschmack passendes finden. Gestern schwieg er. Sven Völker brüstet sich des weiteren damit, dass er eigentlich kaum Schriften kenne außer Arial, Helvetica und Akzidenz Grotesk … aber eigentlich Arial die beste sei und für alle Zwecke ausreiche. Auch hier kein Mucks von Spiekermann, der sonst keine Gelegenheit auslässt, über Arial zu lästern. Man kann sie ja durchaus mögen und als selig machend preisen. Ich hoffe nur, dass diese steile These nicht in Halle gelehrt wird.
Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass Voelker viel mehr Künstler als Designer ist. Als Künstler darf ich mit gutem Recht darauf bestehen, Musikstücke zu komponieren, die aus nur einem Ton bestehen, oder Bilder mit nur einer Farbe malen oder ein Magazin herausgeben, das aus Arial gesetzt ist. Allerdings ist Typografie keine Kunst, sondern eine Dienstleistung. Der Unterschied besteht darin, dass ich als Editorial Designer das Lesen meines Magazins so angenehm wie möglich machen möchte. Das ist der Auftrag, den ich von den Autoren meines Magazins bekommen habe, denn sie möchten, dass ihre Texte gelesen werden.
Mehrmals im Monat landen Hefte auf meinem Schreibtisch, oft voluminöse, die ich hier mal als »Kunst-Magazine« bezeichnen möchte. Damit meine ich aber nicht so etwas wie art, aus dem Hause Gruner + Jahr, sondern Zeitschriften, die von Künstlern gemacht werden und nicht von Dienstleistern. Da diese Sorte Zeitschriften kein neues Phänomen sind, habe ich mir schon vor Jahren einen Schnelltest zur ersten Begutachtung angewöhnt, unter Zuhilfenahme aller Sinne. Ich rieche, höre, fühle und schaue auf solche Druckwerke, indem ich sie einmal von vorne und einmal von hinten mit dem Daumen durch scanne. Das dauert rund 5 Sekunden. Bleibe ich hängen, wird es eine Abendlektüre, bleibt nix hängen, landet es im Papierkorb. Früher habe ich statt des Papierkorbes einen Stapel aufgehäuft, der dann nach 2 Jahren im Papierkorb landete. Andere Menschen legen sich solche Magazine auf den Tisch (Coffee-table-Literatur) und warten … oft mehrere Wochen. Nur eines geschieht nicht: Dass sie noch mal reinschauen. Dies kann an den Fotos liegen (nicht meine Disziplin) oder an der Typografie. Diese ist meine Metier. Ich nenne die nicht dem Lesen verpflichtete Textgestaltung auch gerne Du-mich-auch-Typografie.
PS: Um Missverständnissen vorzubeugen. Das Some-Magazin (und viele vergleichbare) sind wunderbare Projekte und ich freue mich, dass Designhochschulen in diesem Land die technischen Möglichkeiten und die Sponsoren haben, auf professionellen Niveau Zeitschriften zu produzieren. Das war vor 20 Jahren undenkbar. Doch die Studierenden sollten wissen, dass sie solche Magazin überwiegend für sich selbst und die eigene Fortbildung erstellen, so wie Maler ihre Skizzen und Architekten ihre Modelle. Nur weil es zum Wesen einer Drucksache gehört, dass sie in mehreren tausend Exemplaren entsteht, heißt das nicht automatisch, dass diese bei jedem Empfänger einen sofortigen Lesereflex auslöst. Das sollte man wissen, als Jungredakteur, um nicht enttäuscht zu sein, wenn die Leserschaft ausbleibt. Besonders freut es mich auch, dass die Einladung zu der Veranstaltung (siehe oben) und auch Some #3 nicht in Arial gesetzt sind.
27 Kommentare
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Gerrit
Amen. Genauso sehe ich das auch, vor allem die Sache mit den „Design/Kunst“-Magazinen, die tatsächlich derart für sich selber stehen, dass außer den Machern kaum jemand Freude daran hat. Wird Zeit, dass auch ich mal wieder meinen Zeitschriftenständer im Büro entsorge.
Kirsten
Ich sehe mich nicht als Dienstleistende.
Ich betreibe ein Handwerk, das ich gelernt habe und in dem ich ständig dazulerne.
Andreas
Sehr treffend – da gibt es nichts anzufügen.
Jürgen Siebert
@ Kirsten: Handwerk und Dienstleistung schließen sich nicht aus, sondern sind vom gleichen Kaliber
Carsten Wolff
War das nicht Kurt Weidemann?
„Der Designer will, was er macht.
Der Künstler macht, was er will.“
Simon Wehr
Aber warum schwieg Spiekermann? Wie konnte das sein?
Jürgen Siebert
Erik schien müde und fühlte sich vielleicht auch fehl am Platz. Das lag nicht zuletzt an der Gesprächsführung von Max Dax, der mindestens dreimal eine unverständliche form-follows-funktion-Frage an Erik stellte, der damit aber nichts anfangen konnte … und ansonsten das Potential seines Gesprächspartners nicht nutzte.
Aber das von ihm herausgegebene Magazin Electronic Beats ist klasse!
Juli Gudehus
»Du-mich-auch-Typografie« – hihi, schön.
StefanB
Sven Völkers fortwährende Huldigung der Arial nimmt langsam aber sicher groteske Züge an. ;)
Severin Wucher
Designer-centered design ist das neue User-centered design. Apropos: Kennt von Euch jemand Karl-Liebknecht Strasse? Karl Liebknecht war mir ein Begriff und Karl-Heinz Lange auch :) …
Vroni
Der in hellgelb gehaltene Titel der SOME (über dem Blumentopf) noch dazu auf tonigem Untergrund
ist
extrem
schlecht
lesbar.
Das zum Thema Lesbarkeit.
Oder ist das nur an meinem Bildschirm so.
[Eine, die auch manchmal gern mit zu hellen, pudrigen Farben sündigt. ]
R::bert
Hab’ selten einen Beitrag gelesen, der persönliche Aversion so positiv formuliert. : )
Hat er auch gesagt warum ausgerechnet die Arial?
Ich denke die vergleichbar mühelose Verwendbarkeit auf allen Kanälen verleitet manchmal dazu, sich die Arial schön reden zu wollen (mir ging es jedenfalls ab und zu mal so). Wenn da nicht das Augen-Aua zur Vernunft rufen würde …
Tee Jay
Ein schönes Stichwort, das sich nicht nur auf Designermagazine anwenden lässt. Ich musste sofort an Kinderfest-Plakate in Comic Sans denken, deren Verfasser ihre längst vergangene Jugend mit einem scheinbar jugendlich-dynamischen Zeichensatz wieder in Erinnerung rufen und glauben, mit „Hey Kid`s“-Sprüchen bei dieser Generation noch landen zu können. Weist man sie auf die grauenhafte Grammatik und peinliche Typografie hin, hört man normalerweise ein trotziges „Also mir gefällt’s“. Schön, damit gibt es dann wenigstens einen.
Matthias
Sven provoziert halt gern! Immerhin hat er mit der Arial eine witzige Identity für die Schillerschule in Aalen realisiert – quasi als ›Gegenbeweis‹, dass diese verunglimpfte Schrift durchaus bestimmte Eignung besitzt. Zugegebenerweise war die Arial dort lediglich Sahnehäubchen und Nebenschauplatz; die Substanz lag an anderer Stelle.
Ist doch schön, dass es Leute gibt, die so frei sind, sich gängigen (Vor-)Urteilen einfach mal zu widersetzen. Wir als Zuschauer dürfen entscheiden, wohin uns solche Opposition bringt. Parallel zum dritten some-Magazin flattert gerade der zweite Verdana-Jahrgang des Ikea-Katalogs in die Häuser. Keine Schreie mehr …
Florian
Bei ihrem grandiosem Auftritt bei der TGA in Raabs haben Marcus Sterz und Rainer Scheichelbauer eindrucksvoll dargelegt, dass manchmal selbst elektronisch schiefgestellte Comic Sans eine bessere Wahl als Arial ist. Ja, das will was heißen.
cameo
lesbarkeit durch bedeutung oder lesbarkeit durch handwerk – ich bin von der funktion beider möglichkeiten überzeugt (eine symbiose mit den jeweiligen bedingungen vorausgesetzt).
wer den pol handwerk nicht verlassen möche, dem fehlt es ganz grundlegend an horizont, was die bedingungen und funktionen des gegenwartsdesigns angeht…
und ebenso verhält es sich natürlich auch mit dem pol der aura (oder bedeutung. den begriff kunst, für du-mich-auch-design halte ich für unpräzise an dieser stelle), in deren extremfall überhaupt nichts mehr ›richtig‹ gemacht werden muss.
die landschaft des designs hat leider wenig ›mischwesen‹ vorzuweisen – gestaltung, die sich ohne probleme zwischen den oben genannten achsen bewegen kann, beides beherrscht und kontextuell anwenden kann.
leider, und das finde ich schade, machen sich allerdings die stimmen des handwerks gerne bemerkbar und beanspruchen alleinige gültigkeit (das ist keineswegs eine, auf diesen beitrag maßgeschneiderte beobachtung)
sebastian nagel
ob man „solche magazine“ von „den anderen“ dadurch unterscheiden kann, dass inhalt, gestaltung und produktion von ein und der selben person/personengruppe stammen (sei es nun aus absicht, oder aus ermangelung an entweder autoren oder gestaltern)?
wenn die inhalte so lange beeinflusst werden können, bis die form (aus der ferne) gut aussieht, produziert man genau die dinger, die bei mir auf dem küchentisch liegen, bis sie mal versehentlich weg kommen – sie haben einen obskuren titel, sagen mir nicht mal kurz und knapp, was mich erwartet wenn ich reinschauen würde, sind „irgendwie anders“ ohne zu wissen wie, und gelesen werden sie praktisch nie.
Tee
Danke cameo für deine Zeilen :)
Jürgen Siebert
Bin ich auch.
Große Zustimmung!
Vroni
Cameo,
so ist es!
Sven Voelker
da schau ich in den fontblog und stolpere direkt über diesen schönen berg an kommentaren.
ich gebe es ja zu: recht habt ihr, auch wenn ich das eine oder andere natürlich ganz und gar anders sehe.
aber gegen eine reparatur der arial habe ich nichts. also: wer der welt eine neue, eine bessere arial schenken möchte, melde sich bei mir. ich mach mit, da geht bestimmt noch etwas. ich gebe auch gerne mein fundiertes anwenderwissen dazu. voraussetzung: sie wird verschenkt, „open“ type quasi und wenigstens ein zwei fehler bleiben ihr erhalten.
erster namensvorschlag: „arialtica“ oder „ariakz“
Jürgen Siebert
Eine nette Initiative, Sven … doch Vorsicht bei Namen mit »kz« (wahrscheinlich meintest Du sowieso »ariazk«)
Ich frage mich allerdings: Wenn die Arial schon (absichtlich und nachweislich) die Kopie der Helvetica ist, warum nicht gleich die Helvetica nehmen, an der nichts zu verbessen wäre, höchstens neu zu interpretieren … und dann landen wir bei der Akzidenz Grotesk. Das Feld ist sehr dich besiedelt …
Sven Voelker
: )
jürgen, da hast du ja recht. aber sag das mal den machern der theinhardt (die ich super finde) oder der neuen haas grotesk (die ich für so überflüssig halte wie eine schachtel harry potter LEGO).
es stellt sich auch diese frage: wem soll man denn das geld eigentlich überweisen, wenn man eine akzidenz grotesk kaufen will und hat sich der miedinger nicht auch die ag ganz genau angeschaut? und wenn es schon bei diesen eineiigen schriften so kompliziert ist, wie soll man sich dann all die feinheiten bei den tausend anderen merken. da habe ich dann also irgendwann kapituliert und den entschluss gefasst mich auch noch mit etwas anderem zu beschäftigen.
und hier noch ein gedanke, der meine liebe zu fetten grotesken (ich nehme selten was anderes) und meine gnade für die arial erklärt. ich habe einmal als student ein buch gesetzt, das hieß „design is a journey“. darin waren interviews mit weidemann, spiekermann und co. alles in der akzidenz. und ein jahr später kommt ein freund und meint zu mir: tolles buch, aber warum habt ihr denn auf dem titel die helvetica genommen und drinnen die ag? die druckerei war schuld und keiner hatte es gemerkt, kein kurt, kein erik und ich schon gar nicht.
R::bert
@ Sven
Die Theinhardt ist hiermit für die nächste Some freigegeben. Ihr dürft auch gern dass Doppeldecker-g und die Eins mit Füßchen – was red’ ich – alle Alternativzeichen verwenden!
; )
R::bert
PS.: Die Roletta der Kollegin wäre ja auch noch ein Plan – so als Aushängeschild der hochschul-eigenen Typokompetenz, quasi …
Bin sicher, damit bekommt Ihr auch Jürgen für ein Abo rum.
; )
StefanB
Die Theinhardt wurde doch bereits für die Some Conference verwendet. Braucht also keine Freigabe mehr …
Die Alternativzeichen sind bei der Theinhardt nur im Light-Schnitt vorhanden, leider.
Markus
Die Theinhardt wurde bei allen 3 Ausgaben des Some Magazine verwendet, nur mal so am Rande. Das Thema der Arial war nur ein kleiner Funke der Diskussion, welche am Abend des Release statt fand.