Gut, böse, hässlich: Supermarkt-Typografie
Ein jeder mache den Selbsttest: Was fällt dir zu Lidl ein? Was fällt dir zu Edeka ein? Was fällt dir zu Penny ein? Was fällt dir zu Netto ein? Es gibt Supermarktketten, die habe sich – visuell oder mit bestimmten Produkten – in unserer Erinnerung verankert. Andere lösen partout kein Bild in unserem Gehirn aus. Oder nur Puzzlesteine. Denke ich an Aldi (Nord), assoziiere ich eine Halle mit vielen Paletten, Kartons und Büchsen. Zu Penny fällt mir gar nichts ein. Rewe ist aufgeräumt, dort gibt es alles, neben der billigen Eigenmarke ja! sogar prima Premium-Produkte.
Zwei aktuelle und leseswerte Blogbeiträge (bei Faz.net/Supermarktblog und Fonts in use) beschäftigen sich mit dem Thema Lebensmittelketten und ihre Typografie. Mit dem Autor des Beitrags Netto verpasst seiner Eigenmarke ›BioBio‹ schon wieder ein neues Design, Peer Schader, habe ich kurz gesprochen. Wir haben gemeinsam die Schriften identifiziert, mit denen BioBio damals, zwischenzeitlich und heute wieder in Erscheinung tritt. Meine Vermutungen zur Schriftwahl sind in seinem Beitrag zitiert, aber nicht so scharf, wie ich es hier machen kann und werde:
Schader glaubt, dass der grauenhafte visuelle Auftritt von Netto System habe … man wolle eben billig aussehen. Ich dagegen glaube, dass sich der visuelle Auftritt von Netto (und manch anderer Billigläden) auf purem Unvermögen stützt. Bei der Schriftwahl von BioBio gehe ich von einer Zufallsentscheidung aus: Man hat genommen, was gerade auf dem Grafikrechner geladen war, nämlich die allgegenwärtigen Klassiker der Betriebssysteme bzw. der mit dem Grafikprogramm gelieferten Fonts. Anders kann ich mir die Beliebigkeit der Textgestaltung nicht erklären.
Billig sein ist eine wichtige Markenqualität im Discount-Bereich. Wie alle anderen Markeneigenschaften auch, muss sie professionell kommuniziert werden. Plus hat das einst mit den »kleinen Preisen« vorgemacht, auch MediaMarkt und Easy Jet verstehen es, preisbewusste Kunden gezielt anzusprechen. Darum bin ich verwundert, dass viele Menschen (durchaus auch Designer) die Eigenschaft billig mit minderwertig in der Kommunikation gleich setzen. Leider finden wir viel zu häufig Bestätigungen für die Gleichung billig = schlecht gemacht. Richtig und ökonomisch schmerzhaft ist aber die Gleichung: schlecht gemacht = schlechte Werbung.
Erinnern wir uns noch mal an das heftig diskutierte Schrottschild für die Berliner Fahrschule Edelweiß: Ronald W. ist sauer auf uns Typografen. Es blieben drei überraschende Erkenntnisse, nach 137 Kommentaren:
- der Schöpfer wusste nicht, was er (typografisch) tat
- weniger (Effekte) wäre mehr gewesen und damit:
- gute Typografie ist billiger als schlechte Typografie
Die Autorin des zweiten lesenswerten Beitrags zur Supermarkt-Typografie ist die Hochschullehrerein und TYPO-Moderatorin Indra Kupferschmid. Für das englischsprachige Blog Fonts In Use hat sie sich mit der Schriftwahl der nordhessischen Handelskette Tegut auseinandergesetzt, deren Erfolgsgeschichte in ihrer Heimatstadt Fulda begann und im Handelsmarketing als Vorbild taxiert wird. Ich schätze mich glücklich, just in der letzten Woche zum ersten Mal einen Tegut betreten zu haben, dessen Filialen sich inzwischen bis in meine südhessische Heimat ausgebreitet haben. Das Einkaufen hat richtig Freude gemacht. Ich fühlte mich als Kunde ernst genommen, was viel mehr mit Regalen, Wegen, dem Angebot und Tageslicht aus Fenstern zu tun hatte als mit der – in der Tat vorzüglichen – Typografie. Aber lest selbst: Good groceries deserve good typography.
49 Kommentare
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Indra
Ich kann es leider nicht mehr mit einer Quelle untermauern, aber ich erinnere mich, dass ein Argument für das re-design von Plus vor ein paar Jahren (von ganz chic eigentlich zu der gelbem Impact-Hölle von jetzt) war, dass Kunden aufgrund der gehobenen Gestaltung dachten, auch die Preise seien erhöht worden. Daher denke ich schon, dass die billig aussehende Gestaltung System hat. Auch die ursprüngliche Gestaltung von BioBio. Zusammen mit der ehemals zurückhaltenden restlichen Grafik und viel Weißraum hat die Futura damals wunderbar gepasst und ist bestimmt auch bewusst ausgewählt worden, nicht nur, weil sie gerade im Betriebssystem geladen war.
Bernd
Sorry, aber als Nordhesse muss ich darauf bestehen, dass Fulda (Sitz von tegut) nicht in Nord-, sondern Osthessen liegt. Und die netten Märkte gibt es schon seit einiger Zeit auch in Thüringen, Niedersachsen und Bayern … Sie möchten organisch (wie viele Ihrer Lebensmittel) wachsen und breiten sich deshalb – für viele sicher auch leider – langsam aus.
Vroni
„Was fällt dir zu Lidl ein? Was fällt dir zu Edeka ein? Was fällt dir zu Penny ein?“
Austauschbar.
Ungestützt könnte ich deren DD (Deckenhänger-Destasters) von der Typografie her kaum richtig zuordnen. Muss man vielleicht auch nicht: wenn man drin ist, ist man drin.
Text (neben Design): Die Werbeargumente in der Außenwerbung sind ebenfalls austauschbar und fantasielos. Mir tun die Texter leid. Dann kann es das Design, die Typografie aber auch nicht reißen, wenn das Grundkonzept fast überall „billig süffig“ ist. Das Grundkonzept bestimmt den Auftritt.
Wer mehr macht und sich unterscheidet mit etwas sensiblerer Typografie als der recht technischen Futura, ist in D. fast automatisch gleich „teuerer“.
Ein Kunde-Unternehmen-Ding wie das Henne-Ei-Ding.
Bernd
@Vroni:
Nein. Die Kunden bleiben doch auch den banalen REWE-Läden nicht fern, nur weil die seit einiger Zeit deutlich besser aussehen als vorher (oder z.B. EDEKA) …
erik spiekermann
Tegut hat einen Radius von ca. 150km um sein Logistikzentrum, innerhalb dessen sie frische Ware garantieren können. Darüber hinaus werden sie keine neuen Läden aufmachen. Also keine Hoffnung für Berlin oder Hannover oder Stuttgart.
Übrigens hatte Tegut schon nach unserem ersten Redesign Anfang der 90er Jahre damit zu kämpfen, dass die Kunden die Läden für teurer hielten, als sie sind. Weil die Inhaber aber Prinzipien haben und Geschmack, leben sie damit. Die inhaltlichen und formalen Standards, die sie für die Qualität ihrer Ware haben, gelten auch für den visuellen Auftritt. Für uns die idealen Auftraggeber, fachlich wie menschlich.
unknown
Danke an Erik für die Aufklärung.
Als Osthesse wusste ich gar nicht das es Tegut (wird in unserem Ort auch noch Hawege gennant) nur im 150km Umkreis gibt.
Jetzt weiß ich diesen schönen Laden noch mehr zu schätzen.
In sachen Verpackungsredesing dürfte dm mit seinen Eigenmarken Spitzenreiter sein.
Sascha Geisler
Mir schmerzt jedes Mal mein Herz, wenn ich einen Supermarkt betrete. Meistens kaufe ich bei Kaufland und stelle mir währenddessen immer die Frage: »Muss das so aussehen?«
Bis heute konnte ich mir die Frage nicht endgültig beantworten. Rewe liegt nur halb so weit (ich kaufe immer zu Fuß ein) von meiner Bürowohnung entfernt. Aber alleine durch Rewes weitaus professionelleren Auftritt empfinde ich den Laden teurer – ohne das jemals durch Preisvergleiche überprüft zu haben.
Sehe ich das nun als Typograf differenzierter? Oder empfinden das auch die »normalen« Verbraucher so? Und wenn ja, liegt das nur am dilettantischen Design? Sollte dieses billige Design damit nun ein funktionierendes Mittel für höhere Verkaufzahlen sein?
Natürlich baue ich mir im Kopf Milchpackungen mit schicker Gestaltung zusammen, während ich sie in den Einkaufswagen lege. Aber würde die Grätsche zwischen professionellem Design und Günstiger-Preis-Gefühl dann überhaupt funktionieren?
Ich weiß es alles leider nicht …
Vroni
Bernd,
ich weiß nicht, ob die banalen REWE-Läden jetzt deutlich besser aussehen als vorher. Müsste mir doch aufgefallen sein. :-)
So ein REWE-Farbflächen- und Typomüll wie
http://www.rewe.de/image/web09/startseite/2011/kw23/kw23_angebote_startseite.png
ist zudem schwer auf einen Blick erfassbar.
Er sagt einfach nur: billig.
Der Verbaucher hat seit Jahrzehnten gelernt: geordnet und übersichtlich = teuerer. Unübersichtlich: aber hey, Schnäppchen!
unknown
Es ist die Frage in wieweit der Normalo zwischen Bockwurstdesign und professionellem Design entscheiden kann.
Der Normalo bekommt doch soviel Bockwurstdesign vor die Nase gesetzt, dass er gar nicht mehr weiß was professionelles Design ausmacht.
Bei Preisen weiß der Normalo gelb & rot = billig.
Jürgen Siebert
Darf ich noch mal daran erinnern, dass der sog. Normalo den Unterschied zwischen professionellem und dilettantischem Design weder sehen noch erkennen muss – er nimmt es einfach nur wahr, ohne dass man es abstellen kann.
Auch ich kann als Normalo-Musikkonsument nicht erklären, warum mich der Rhythmus von Gnarls Barkley’s »Crazy« sofort gefangen nimmt. Er tut es … einfach so … ich muss nur hinhören … nur Musiker und Tontechniker werden verstehen, warum das so ist. Das Gleiche gilt bei der Gestaltung bzw. beim Betrachten von gedruckter Kommunikation. Natürlich spürt der Normalo, wenn etwas scheiße aussieht.
Verkauft doch die Konsumenten nicht für dumm! Es reicht, wenn das die Verantwortlichen privater TV-Stationen tun … und auch da kommt die Quittung langsam aber stetig.
Johannes Thielen
Ich würde auch lieber in „schöner“ gestalteten Discount-Märkten einkaufen – bin aber immer noch der Meinung, dass, wer „billig“ kommunizieren will, auch billig aussehen muss. Aldi könnte statt Europaletten genausogut Regale aufstellen, tut dies aber aus gutem Grund eben gerade nicht.
unknown
@jürgen dann erkläre mir bitte den Erfolg von ed hardy…
Jürgen Siebert
@unknown: Die Popularität von Tattoos und die damit zusammenhängende Ästhetik
@Johannes Thielen: Klar muss »billig« auch nach billig aussehen. Wir reden hier aber von beliebig, schlampig und lieblos. Und die Kunden wollen nicht schlecht behandelt werden. Wer sie also sowohl mit niedrigen Preisen und auch mit verständlicher/gut gemachter/zuvorkommender Gestaltung begrüßt, wird sie gewinnen. Was Netto praktiziert, ist pure Verachtung.
Carlos
Aldis Shopkonzept hat oftmals logistische und ökonomische Gründe und nichts mit psychologischen Absichten zu tun. (Quellen finden sich genügend im Internet)
Außerdem sollte nicht unterschätzt werden, dass Supermärkte ihre eigenen Gesetze haben – so kaufen Konsumenten beispielsweise mehr, wenn sie sich länger im Laden aufhalten »müssen«. Es kann also durchaus gut sein, wenn die Gestaltung nicht zu sehr »leitet« und zu schnell Informationen vermittelt.
Jürgen Siebert
Langsam verliere ich die Geduld. Was sind das denn für menschenverachtende Ansichten (oder sind das alle keine Dienstleister, die hier kommentieren): Kunde ist doof, Kunde muss verwirrt werden, Kunde versteht die Welt sowieso nicht. Der Kunden will geliebt werden, und nicht verstoßen. Wenn die These stimmt, dass man mehr kauft je länger man im Markt ist, dann soll man es mir als Kunden gefälligst gemütlich machen und mich nicht wie ein Stück Vieh durch die Gänge schleusen. Kaisers, Tegut und andere haben das durchaus erkannt.
Vroni
Nein Jürgen,
doof sind Kunden nicht.
Die Designer die hier sich äußern, das nehme ich mal positiverweise an (in dubio pro), versuchen lediglich, solche in der Tat menschenfeindliche Techniken nachzuvollziehen. Aber nicht, sie gut zu heißen.
Die üble Supermarkttechnik mancher Märkte, zum Beispiel wichtige tägliche Produkte wie Gemüse schweißtreibenderweise ganz weit hinten im Raum anzubringen und den überflüssigen Ramsch vereinfacht nach vorne, gab es tatsächlich mal.
Sehe ich fast nirgendwo mehr. Schön. Backladen und Gemüse sind jetzt so gut wie immer vorne und gut ereichbar. Denn der Konsument war tatsächlich nicht doof: Er ging einfach in die Märkte, wo es einfach besser gelöst war und wo er sich nicht im Irrgarten befindet.
Typo-Gestaltung:
Ich kann nur etwas über Norma sagen. Da wurde vor Jahren die Gestaltung der Handelsmarken-Verpackungen und des wöchentlichen Prospekts in die Hände einer technischen Reinzeichnungsabteilung gelegt. Aua. Aus meiner Sicht war das dann tatsächlich suboptimale Typo.
Die hätte man besser machen können. Schätze, das Unternehmen hatte aber auch gegenüber allen ausführenden Dienstleistern vorsichtig gesagt eine niedrige Preispolitik. Die Produkttests von Fahrrädern gingen angeblich (habe ich vom Hörensagen, ob es stimmt, weiß ich nicht) so ab:
Die Chefs fuhren mit ihnen ein paar Mal um die Halle, fertig.
Wie es jetzt ist, weiß ich nicht. Hoffentlich hat es sich gebessert.
Indra
Ich glaube, das mit dem 150 km sieht Tegut nicht ganz so eng – zumindest von Fulda nach Jena, wo es sind es noch Märkte gibt sind es mehr als 200 km – sondern eher strategisch. (Infos zu ihren Expansionsplänen, z.B. in Würzburg und Mainz)
Im Unterschied zu den Discountern Aldi, Lidl, Netto etc. sind Tegut, Rewe, Kaisers Tegelmann und Edeka sogenannte Vollsortimenter, d.h. sie führen sowohl verschiedene Markenprodukte als auch diverse Handels- und Eigenmarken in den unterschiedlichsten Preisstufen. Der allgemeine Eindruck, dass Rewe und Tegut teurer seien als Aldi, bestimmt sich anscheinend vor allem durch die Markenwaren, denn alle Vollsortimenter haben ebenfalls Discount-Eigenmarken (z.B. »ja!«), die sich haarklein an den Discounterpreisen orientieren – also genauso billig sind wie Aldi etc. Diese »Einstiegspreise« werden in allen Supermärkten ständig angepasst und auf einander abgestimmt. Erhöht Aldi z.B. den H-Milch-Preis, ziehen alle anderen binnen weniger Tage nach. Die Wahrnehmung, ob ein Supermarkt nun eher teuer oder billig ist, ist also zu weiten Teilen, real/preislich wie gestalterisch, subjektiv.
Es gibt also eigentlich gar keinen Grund, bei Discountern einzukaufen und sich furchtbarer Gestaltung auszusetzen.
Oliver Adam
Der beste Beitrag seit langem mit einem Jürgen in Top-Form. Bitte mehr davon.
Die beste Gestaltung seit langem in Sachen Packungsdesign für einen Supermarkt wurde am Rande erwähnt, aber nicht gezeigt: Rewe Feine Welt. Das Design funktioniert trotz (oder wegen?!) der auch für mich eleganten Futura light und trotz mancher Probleme beim Blocksatz. Dennoch: für mich sehr, sehr schön.
Selbst Aldi-Produkte müssen nicht alle hässlich aussehen: Apfelsaft
unknow
@indra
tegut hat aber keine Discount Eigenmarke oder?
Die Marke »Tegut« würde ich mit der Marke »Rewe« oder sogar »Rewe feine Welt« vergleichen.
Henning
meine Vermutung warum denn »beliebig, schlampig und lieblos«: Man behandelt einen Gestalter genauso wie einen Milchbauern. Der Preis wird gedrückt und gedrückt und gedrückt, wer sich nicht drücken lässt, der wird durch den nächsten Gestalter ersetzt der noch preiswerter seine Leistungen hergibt. Milch = Milch, Gestaltung = Gestaltung. Das kann nur funktionieren wenn man von der Qualität Abstand nimmt, bzw. gewinnt man Abstand zur Qualität wenn mit talentierten Gestaltern genauso verhandelt wird wie mit Milchbauern über den Liter Milch. Es lassen sich dann nur Gestalter auf den Job ein, die bereit sind Abstriche an der Qualität zu machen, denn die braucht Zeit und menschliche Arbeitskraft. Wenn die nicht ausreichend bezahlt wird, dann muss man schneller und weniger gründlich, weniger konzeptionell arbeiten, bzw. die Arbeit landet bei Leuten denen es auch egal ist wie es aussieht und die das Zeug nur schnell rauskloppen wie auch immer.
Gutes Design kostet viel Geld. Und das sind die wenigsten bereit auszugeben. Bzw. es herrscht kein Bewusstsein dafür, dass teures Design auch einen geldwerten Vorteil erwirken kann. Wenn da nicht die richtigen Leute mit eben diesem Verständnis auf den richtigen Posten sitzen, dann wirds so wies ist.
Michael
In diesem Zusammenhang:
Temma ist auch ein schönes positives Beispiel.
Oliver Adam
@Michael
Toll, kannte ich nicht :-)
Indra
Doch, Tegut hat auch Discount Eigenmarken, aber nicht für alles und daher auch andere niedrig-preisige (Handels-) Marken im Programm. Die Idee ist, dass es für alle Hauptprodukte des täglichen Bedarfs ein günstigstes Angebot gibt (eine Milch, eine Butter, eine Sorte Tomatendosen etc.). Dies wird durch eine Superellipse mit »kleinster Preis« im Regal gekennzeichnet. Daneben gibt es noch Zeichen für »Bio«, »Diät« und die anderen Tegut-Eigenmarken (gekennzeichnet durch das orangene Tegut-Logo).
Jürgen Siebert
Nachtrag: Ich bin nicht gegen Futura auf Lebensmittel-Verpackungen (schon gar nicht, wenn sie so vorbildlich eingesetzt wird wie von Peter Schmidt Group für Rewes Feine Welt) … allein für Bio-Verpackungen passt sie meiner Ansicht nach nicht.
Simon Wehr
@ Henning: Danke, ungefähr diesen Kommentar wollte ich auch gerade schreiben.
Discounter SIND menschenverachtend. Das hört man oft in den Medien (Einkauf, Arbeitsbedingungen) und ich erlebe es jedes Mal, wenn ich dann doch mal im netto stehe. Ingenieure, die sich Kassen ohne Auslaufband ausdenken haben alles Mögliche im Sinn. Aber ganz bestimmt nicht den Kunden, der in Ruhe seinen Einkauf verstauen will. Bei Aldi halten die KassiererInnen das abgezählte Wechselgeld in der Hand, noch ehe ich selber weiß, mit welcher Teilung ich zahlen will. Die denken auch eher an den vorgegebenen Durchsatz, als an den zufriedenen Kunden.
Es ist eine abgedroschene und moralistische aber wahre Erkenntnis: Wer das nicht will, muss bei Alternativen Kaufen. Und den Mehrpreis dankend in Kauf nehmen.
Sven Winterstein
@Henning: Du sagst es! Aber den Entscheidern fehlt nicht nur Investitionswille, sondern auch Kultur. Wenn Du in Schweden in einen Lebensmittelmarkt gehst, lacht Dich auch die billige Eigenmarke des Markts attraktiv gestaltet an. »Mein Inhalt ist kein Schrott, darum sieht auch mein Äußeres nicht schrottig aus.« Warum geht das hier nicht?
unknow
Da bin ich heute extra nochmal ins tegut und was steht da, genau so eine Kasse (letzte Woche war noch alles gut).
Weder die Verkäufer noch die Kunden sind davon begeistert.
R::bert
@ Simon Wehr (# 25)
… wie zum Beispiel bei unserem Simmel (Edeka) um die Ecke. Bei denen hat man den Eindruck die lieben nicht nur Lebensmittel, sondern, wie Jürgen so gut formulierte, auch Kunden. Und das tut wirklich gut. Nebenbei bemerkt, würde ich gern, abgesehen vom Logo, auch Edekas Tafel-Kampagnen als positives Gestaltungsbeispiel erwähnen.
Und bei Plus muss ich auch eine Träne verdrücken. Zu schade, dass Netto nicht so klug war, diese Gestaltung fort zu führen. Das hätte dem Discounter nicht mal große Kosten bereitet, aber sicher einen beträchtlichen Imagegewinn verschafft. Aber wenn das Herz nicht stimmt, hilft die Hülle auch nicht weiter.
carlos
Leider ist das einfach falsch. Die Anordnung des Gemüses hat nichts mit Kundenfreundlichkeit zu tun. Der Obst- und Gemüsebereich heißt in der Supermarkt-Planer-Sprache »Dekompressionszone« und soll unter anderem – die bereits erwähnte – Langsamkeit des Kunden fördern, denn ein Kunde hält sich bei Obst und Gemüse – durch auswählen, wiegen etc. – überdurchschnittlich lange aus.
Es gibt – vereinfacht gesagt – keine Kundenfreundlichkeit aus Nettigkeit, es geht IMMER um Profitmaximierung.
carlos
Der Kunde ist »doof«. Jedenfalls handelt er vollkommen irrational. Er kauft mehr, wenn der Supermarkt gegen den Uhrzeigersinn angeordnet ist. Er kauft mehr, wenn der Einkaufswagen größer ist. Er gibt beim Weinhändler mehr Geld aus, wenn Klassik oder französische Chansons als Hintergrundmusik spielt. Er beurteilt den Service eines Baumarktes besser, wenn es dort nach frisch gemähtem Gras rieht.
Diese Liste lässt sich beliebig fortführen – und sie zeigt eindeutig, dass der Kunde eben nicht rational und klug handelt. Wir – denn ich schließe mich natürlich ein – verhalten uns nicht logisch. Wir lassen uns manipulieren. Das ist leider so.
Das ist keine These, das ist durch Studien »bewiesen« – laut Paco Underhill wirkt sich kein anderer Faktor stärker auf die Größe eines Einkaufs aus, als die pure Aufenthaltszeit in einem Laden. (er hat übrigens uns Männer als »Übel« erkannt – ohne männliche Begleitung sind Frauen deutlich langsamer und somit auch deutlich konsumfreudiger)
Vroni
Carlos,
wie gerufen sind Ergänzungen/Korrekturen deiner Erläuterungen hier
„5 Supermarkt-Mythen: Stimmt’s, dass wir immer gegen den Uhrzeigersinn einkaufen?“
zu finden.
carlos
Klingt bei kurzem überfliegen interessant. Ich empfehle:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-75638315.html
(hier findet sich ein paar nette – auch schon von mir zitierte – Beispiele)
und
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/fffc70d1-99f5-4326-912f-dfc7f23cbc48.aspx
(Hier wird Underhill – dessen Bücher übrigens sehr empfehlenswert sind – oft zitiert)
Johannes Thielen
@Carlos und Indra: zwischendurch mal Danke für Eure fachkundigen Beiträge! Ich glaube, uns allen täte ein bisschen mehr fundiertes Hintergrundwissen über dieses Marktsegment und seine Verkaufsstrategien ganz gut.
Egal ob Discounter oder Vollsortimenter – hier geht es nunmal in erster Linie um eines: UMSATZ. Man muss das nicht unbedingt gutheißen, aber diesem Ziel hat sich in diesem Handelssegment nunmal alles unterzuordnen, und wer als Kunde andere Prioritäten setzt als „möglichst viel zu möglichst kleinem Preis“, hat glücklicherweise auch heutzutage eine Reihe von Alternativen. Ich finde es jedenfalls ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, da gleich Begriffe wie „menschenverachtend“ in den Mund zu nehmen.
Wer sich als Kommunikations-Designer nicht bewusst ist, dass es bei diesem Beruf in letzter Konsequenz auch um Manipulation geht, lügt sich in die eigene Tasche.
thomas junold
ich habs hier schon einmal erwähnt, wer wirklich wissen möchte, wie man gutes einkaufen gestalten kann und damit meine ich personellen service, schöne warenpräsentation und hervorragende qualität, hätte vor ein paar jahren mal in die »delhaize«-filian gehen sollen, es gab 2 in aachen und 2 in köln. leider wurden die angebote in deutschland nicht angenommen und der konzern hat sein gastspiel wieder in deutschland beendet. auch wenn dort viele dinge recht teuer waren, was aber eher mit den waren an sich zu tun hatte, ist es in deutschland eher so, dass wir ernährungstechnsich keine qualität zu schätzen wissen, zumindest gewinnt man den eindruck. ich habe hier kaufland und rewe. bei rewe zahle ich schon mehr, aber gehe dort dennoch einfach lieber einkaufen. es ist einfach angenehmer im ganzen.
besagter delhaize hatte auch eine eigenmarke, die sehr simpel gestaltet war, aber dennoch sauber und ordentlich und mit einem durchgehendem system. diese eigenmarke war sogar preiswerter als die billig-linie vom plus.
@33: dann geh mal bitte offenen auges durch eine große kaufland-filiale und verrate mir was da in ordnung ist, weil es nur um den umsatz geht. »es geht nur um den umsatz« ist ein, sorry, hundsdummes totschlagargument, mit dem jede gängelei und jeder quatsch rechtfertigt werden kann. wenn ich die tatsache ausnutze, dass viele leute eben nicht das geld locker sitzen haben und ihnen mit diesem argument die waren im versandkarton und auf paletten vor die nase setze, dann ist das genau diesen menschen gegenüber zynisch und ja letztenendes »menschenverachtend«.
Florian
Schon als Kind bin ich mit meiner Mutter lieber bei Tegut (damals noch HaWeGe/Okay!) einkaufen gegangen als bei einem Discounter, die leider alle näher lagen. Tegut ist aber eben kein Discounter und kann es sich leisten, als leicht höherpreisig wahrgenommen zu werden, denn das wird er wohl überwiegend bis heute.
Das bedeutet nicht, dass Discounter nicht beginnen könnten, visuell zurückhaltender und mit besserer Typografie aufzutreten. Als Kind habe ich nicht auf die Preise geachtet, ich fühlte mich in diesem Laden wohl. Es kann sein, dass jemand mehr einkauft, wenn er sich im Laden gut aufgehoben fühlt, wichtiger finde ich, dass er gerne wiederkommt und den Laden eventuell sogar einem anderen vorzieht, der schneller zu erreichen und ein wenig günstiger ist. Sollte es wirklich so sein, dass tegut
bleibt ja zu hoffen, dass irgendwann Netto & Co dem Beispiel folgen. Ein gutes Marktkonzept mit passendem visuellen Auftreten können einen Mehrwert schaffen, der Kunden langfristig bindet. Ich werde es missen in einem tegut einzukaufen, wenn ich aus Würzburg wegziehe.
Vroni
Johannes Thielen
Das ganze Leben ist Manipulation. Bereits ein Kind manipuliert. Auch meine Katze manipuliert mich. Halte es dennoch für zynisch, eine aggressive Verkaufspolitik und ärgerliches den Kunden zum Narren halten für eine in jedem Fall statthafte Manipulation hinzustellen, die halt mal so ist.
Natürlich darf man sich grade als Designer/Texter nichts vormachen.
Es gibt eine Grenze, die jeder für sich ziehen muss.
Um das Ganze zurück zum Thema zu bringen: Gute Typo wäre das Letzte, was ich als üble Manipulation bezeichnen würde. Schlechte Typo aber ist optische Umweltverschmutzung. Für MediaMarkt würde ich z. B. nicht arbeiten, auch wenn es mir an Aufträgen mangeln würde. Bin a sturer Hund. Tegut wäre schon eher was. (Aber da ich als Junggrafiker mit krachigen Deckenhängern, albernen Promo-Aktionen und – oft durchaus edlen – Displays gequält wurde, ist der Reiz etwas dahin. :-P
Gerd Wippich
Blog-Posts wie diesen lese ich gerne. Mein Dank geht an Jürgen, dass er dieses Thema (nach Ronald W.) noch mal aufgegriffen hat, und für die vielen interessanten Beiträge und Verlinkungen an euch alle hier.
Und @13 bringt Jürgen die Sache m. E. schon auf den Punkt: gutes «billiges» Aussehen erreicht man selten durch beliebiges, schlampiges, liebloses «Gestalten». Ich glaube ebenfalls, dass es eher an Ahnungslosigkeit und Unkenntnis liegt, wie Fahrschulen, Kebab-Stände, Bäckereifilialen, Supermärkte (bitte ergänzen)… und damit manchmal ganze Strassenzüge und Stadtviertel heute aussehen.
Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Perfekt durchgestylt wird die Welt sicher auch keine bessere. Aber wer einen Plotter bedienen kann, ist eben noch kein Gestalter. Wohin sind die guten Schriftenmaler früherer Zeiten verschwunden?
Vroni
Gerd Wippich
Entweder das.
Oder manchmal auch das:
Der Auftraggeber findet es genau supergeil so und lässt sich auch durch Beratung nicht davon abbringen. Weil er findet, dass seine Sachen mit fachgerechter Typo (wahlweise: ehrlicherem Text, seriöserem Text, angemesseneren Bildern) nicht genug auffallen. Und damit langweiliger seien.
Eine solche Haltung, dass das erfolgreicher sei in der Awareness draußen, trifft man öfter. Meist bei sogenannten amateur clients. Ungefähr seit der Zeit, seit die pseudo-authentisch verwackelten griesigen Virals in Mode sind. Auch bei Nicht-Fahrschule-mit-angeschlossener Dönerbude-Auftraggebern.
Jede seriösere Argumentation prallt mit dem Gegenargument: Aber es fällt dann nicht auf!! an ihnen ab.
Das schiebe ich u. a. auf die Tante-Emma-Tipps & Tricks-Ratgeber für Möchtegern-Marketer, die es inflationär im Netz gibt. Bin auch schon von Auftraggebern angebrüllt worden, weil ich mich weigerte. Dann kommt das „Dienstleister“-Argument als Killerapplikation. Neueste Aggro-Variante solch gearteter Auftraggeber: : „Wir sind nicht IHR Dienstleister, sondern Sie unserer!!!“
Bleibt eigentlich nur die Trennung. Oder Verkäufer werden bei Tegut :-)
Ist ein ehrlicherer Job dann.
Indra
Ein gutes Beispiel für billige Produkte mit billig-aussehende Verpackungsgestaltung ist meiner Meinung nach die Euro Shopper Handelsmarke, die es in verschiedenen europäischen Supermärkten gibt, z.B. bei Albert Heijn.
annonuem
Also mal ein Branchenferner Kommentar.
Die Beobachtung das schlechtes Design und schlechte Typographie mit billig in verbindung gebracht wird, lässt sich auch weitab des Supermarktes beobachten.
Viele Gemeindebriefe von Kirchengemeinden stellten in den letzten Jahren von MS-Word + Fotokopierer-Layout auf Internetdruckerei um. Die Typographie bleibt meistens bei dem, was auf dem Windowsrechner drauf ist (Zitat Sekretärin: du hast da so eine komische Schrift genommen [Garamond], ich mach das mal lieber wieder in Times oder ich nehme Arial). Obwohl der Preis der Internetdruckerei meist unter dem des Gemeindekopierers liegt, beschweren sich zunehmend Menschen, das die Kirche dafür so viel Geld ausgebe und das jetzt alles bunt mache.
Also je schicker desto teurer, so ist es eben.
erik spiekermann
Es ist ganz einfach: Die Tegut Leute wollen Lebensmittel anbieten, die so gut sind wie möglich zu Preisen, die sich die Leute leisten können. Und es macht sie nicht teurer, die Läden und die Kommunikation gut zu gestalten. Ein schlecht gestaltetes Preisschild kostet genauso viel wie eines mit ordentlicher Typografie, aber es sagt etwas über den Inhalt. Zum Beispiel: wir legen auf die Gestaltung so wenig Wert wie auf den Inhalt. Das teilt sich auch Nicht-Gestaltern mit. Wer das nicht empfindet, geht eben zu Aldi. Tegut hat sich anders positioniert und hat damit Erfolg. Die Besitzer streben nicht nach Weltherrschaft oder danach, ihre Ferien auf 50m-Yachten zu verbringen, sondern sie sind am Wohlergehen der Mitmenschen interessiert. So etwas gibt es noch und wir schätzen uns sehr glücklich, mit ihnen zu arbeiten. Diese Haltung steckt an und macht uns die Arbeit leicht.
Vroni
Erik, Traumauftraggeber!
Ich hab auch welche, aber es darf ruhig mehr sein.
Anscheinend sind sie dünner gesät als der Rest.
Ist doch auch schlüssig.
Warum ist es so schwierig, Auftraggebern das zu vermitteln? Ich glaub es manchmal kaum. Hatte schon Auftraggeber-Schreierei deswegen am Telefon. Und die kam nicht von mir. Bin ein friedlicher Mensch und glaube, dass ich gut und glaubhaft rüberbringen kann, was gute Gestaltung vermittelt und ausmacht.
Der richtige Weg kann tatsächlich,sein, dass man bei Kundenpositionierungen mitwirken darf. (Zur Zeit bin ich an zweien dran, und es macht Freude.) Dann sieht man auch direkt an der Quelle, ob ein weiterer gemeinsamer Weg der grafischen Umsetzung ein guter Weg wird. Oder nicht.
Indra
(Erik, seit wann schreibst Du eigentlich mit Versalien überall?)
PhilipL
Um noch zwei positive Beispiele zu nennen …
Gestern kam mir dieser Prospekt in die Hände
http://www.temma.de/Handzettel/KW22-11/TEMMA_Juni-2011.pdf TEMMA (Tochterunternehmen der REWE Group) hat zwar nur drei Filialen, behauptet sich auf den ersten Blick aber trotzdem gegen die meisten Unternehmen der Branche.
Außerdem kann sich die EDEKA-Marke GUT & GÜNSTIG seit dem Redesign vom Sommer 2010 sehen lassen (Schriftart siehe Bild). Das alte Design kann man noch auf http://www.gds-gmbh.de/ sehen. Nichts gegen die Gill Sans Bold Italic, aber die Verpackungen waren wirklich schwach.
nora
@ Indra
Das frage ich mich auch … ist das wirklich der „echte“ Erik?
Joshua K.
Die ALDI-Süd-Bio-Produkte sehen meiner Meinung nach um einiges besser aus, als die von Netto/Plus:
Bio-Produkte von Aldi Süd
Die Delhaize-Produkte scheinen ja nochmal um Welten darüber zu liegen, leider habe ich keine ordentlichen Abbildungen im Netz gefunden. Aber was man sieht, läßt einen schon neidisch werden.
Und dieser Hinweis auf den günstigsten Artikel in Tegut-Märkten ist ja wohl phantastisch. Das nenne ich mal wirklich kundenfreundlich.
Danke auch für den Hinweis auf die Euro-Shopper-Gestaltung. Die beweist ja wohl eindrücklich, daß günstig aussehen nicht häßlich aussehen bedeuten muß!
First
Ob schön oder nicht schön das ist ja auch ein bisschen subjektiv. Objektiv kann man nur über die Resultate sein. Das eigentliche Ziel der Texte ist ja verkaufen. Nehmen wir mal an, dass Kunden bei diesen teilweise wrirklich nicht gut aussehenden Beispielen verstärkt einkaufen, ein vergleichbares Schönheitsideal im Kopf existiert.
Was sagt das dann über die Kunden aus?
Vroni
Brauchen wir nicht annehmen, das spart Zeit für Wichtigeres.
Tun sie nicht.
Lenny K.
Ich glaube einfach, die Deutschen haben kein Verhältnis zu Design und Typographie. Ein Blick auf http://www.ica.se/ICAs-egna-varor/ zeigt, dass Schweden da mal wieder wesentlich weiter ist…
Aber in Deutschland werden ja auch Zeitungen im Tabloid-Format abgelehnt, weil es so schön ist, wenn in der U-Bahn die ganze Bank die 3×5 m große FAZ/Süddeutsche/Bleiwüstenkurier mitlesen kann.