Gratulation an Würzburg: Provinz auf Weltniveau
Kein Drehbuchautor hätte sich die aktuelle Provinzposse zum Thema »Design als demokratischer Prozess« besser ausdenken können. Dabei ist das Etikett »Provinz« in diesem Fall ausdrücklich gewünscht, sozusagen Bestandteil des Briefings. Es geht um Würzburg, die kreisfreie Stadt im bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken, Verwaltungsmetropole, 134.000 Einwohner und damit nach München, Nürnberg und Augsburg die viertgrößte bayerische Stadt.
Anfang des Jahres beschloss die Würzburg AG, die »erste gemeinnützige Regionalmarketing-Aktiengesellschaft Deutschland«, mit einer Werbekampagne das Ansehen der Stadt zu fördern. Im Mai erfolgte der Startschuss für den »neuen Würzburger Weg im Stadtmarketing«. Gemeinsam mit der Online-Kreativ-Community jovoto (Fontblog berichtete: Frank-Walter Steinmeier tappt in Crowdsourcing-Falle) sollten gute Ideen für eine 360°-Kampagne entwickelt werden, die alle Stärken der Region Würzburg herausarbeitet. Ziel sei die Steigerung der »Attraktivität der Universitätsstadt und ihrer Umgebung für Investoren, Wissenschaftler, Studienanfänger und Gäste gesteigert werden – regional, national und international.« Dabei stehe sogar das aktuelle eingesetzte Reizwort »Provinz auf Weltniveau« zur Disposition. Ausgesprochen bemerkenswert: Die eigentlich geschlossene jovoto-Site öffnete für diesen Wettbwerb »insbesondere Kreativen aus Würzburg den Zugang zu unserer Community«. Seilschaft, ick hör dir trapsen.
Jovoto-Gründer Bastian Unterberg erläutert die Würzburger Wettbwerbsstrategie in einem Sevenload-Video:
Sechs Wochen später lagen rund 400 Entwürfe von 90 Kreativen vor. Ende Juli kam es zu einer Vorauswahl durch eine Findungskommission. Der Slogan »Würzburg, die Provinz auf Weltniveau« wurde als Favorit gefeiert, was unmittelbar Empörung auslöste, nicht zuletzt weil das vorläufige Siegerkonzept von der Agentur Buena la Vista AG stammt, deren Vorstandsmitglied Dieter Schneider auch im Aufsichtsrat des Auftraggebers sitzt. War der jovoto-Wettbewerb eine Scheinveranstaltung?
Am 31. Juli kam es zum Showdown im Würzburger Vogel Convention Center. Rund 60 der 100 eingeladenen Vertreter aus Wirtschaft, Politik und des öffentlichen Lebens lud die Würzburg AG zur Abstimmung über das beste Konzept. Zuerst galt es, unter den über 80 von jovoto mitgebrachten Vorschlägen eine weitere Vorauswahl zu treffen. Die ausgewählten neun Vorschläge mussten dann in einer 2. Runde gegen den »Provinz auf Weltniveau«-Slogan antreten.
Am Ende erhielt der Provinz-Slogan mit 157 die meisten Stimmen. Platz zwei ging an »Würzburg – Überraschend anders« mit 123 Punkten, den dritten Rang holte sich die Idee »WürZ.B.urg« mit noch 118 Punkten. (Die Abstimmung aus der Sicht von jovoto).
27 Kommentare
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thomas junold
1.april? jetzt schon (wieder)? ich meine der federweiser steht auch schon im regal.
HD Schellnack.
WürZ.B. … urg?
Jürgen, du veräppelst uns.
So schön kann die Welt doch gar nicht sein.
Urg.
«Provinz auf Weltniveau» ist auch wirklich GANZ großes Kino. Die Einwohner sind sicher begeistert.
Auch wie das Design an die überraschende Einzigartigkeit BMW und ZDF anschließt und völlig unüberladen daherkommt – Chapeau!
HD Schellnack.
Die Sache ist auch irgendwie einfach: Da ist unter den neun Finalisten kein wirklich namhaftes CD-Büro dabei. Nicht… eins. Büros, bei denen jedes Theater anfragt, das was auf sich hält, sind hier nicht dabei. Ich meine… nicht einer? Ich bin der erste, der glaubt, dass auch kleine Büros exzellente Arbeit machen können. Hier leider nicht.
Jan-Dirk
Mit anderen Worten: Jovoto schickt 90 gutgläubige Kreative ins Rennen, um – mit geänderten Spielregeln – einen Schein-Wettbewerb zu inszenieren, der die Würzburger-Cliquenwirtschaft deckt. Fazit: Crowd-Sourcing wandelt sich vom Lotteriespiel zum schmutzigen Geschäft.
Dirk S.
Ich finde das hat durchaus einen gewissen Charme.
Bastian Unterberg
Zur allgemeinen Information: Ein jovoto-Wettbewerb basiert immer auf zwei Entscheidungsebenen, die grundsätzlich nicht zwingend voneinander abhängig sind.
In erster Instanz entscheidet also immer die Community über die Vergabe der Preisgelder (in diesem Fall 5000€) die vom Auftraggeber gestellt werden, um den Prozess zu initiieren. Das Preisgeld ist allein der Impuls, um den Wettbewerb anzustoßen. Für das Preisgeld kauft der Auftraggeber noch keine Ideen und schon gar nicht alle pauschal, wie auf anderen Plattformen. Will mit einer Idee gearbeitet werden oder eine Kampagne umgesetzt werden, fallen hier erneut Lizenzgebühren für die Nutzung an.
Deshalb fällt die zweite Entscheidung dann auch der Auftraggeber, er kann die Meinung der Community berücksichtigen, muss dies aber nicht (z.B. die Auswahlkommission aus Würzburg). Wir versuchen immer auch kombinierte Verfahren zu platzieren, so dass die Entscheidung des Auftraggebers auf der Entscheidung der Community basiert (z.b. Projekt für Kulturprojekte Berlin). Darüber hinaus gibt es Kunden, die in jedem Fall die Abnahme bestimmter Ideen zusagen (z.B. Hydroponic oder easyJet).
Es sind also eine Vielzahl von Szenarien denkbar, obgleich ein Baustein immer vorhanden sein wird: Das Preisgeld und dessen Vergabe allein durch die Entscheidung der Community.
In so fern ist hier alles transparent und vor Allem im Vorfeld kommuniziert worden.
Sanddorn
Fremdschämen auf hohem Niveau. Wäre da nicht dieser peinliche Slogan könnte man nicht meckern, zumindest nicht beim oberen Bild – das andere mit der Hand ist mir ein Rätsel.
be
schade dass die stadt nicht an die komm.-design-studenten mit dieser aufgabe getreten ist. ich weiss aus erfahrung dass die profs dort mit den studenten etwas gutes, proffesionelles abgeliefert hätten…das hätte ein wunderbares semesterprojekt sein können, welches auch endlich mal in die praxis mündet…nun ja, jetzt haben sie halt so nen kack…langweilige postkarten-bilder und helvetica-font…n paar grimmige rentner zieht das bestimmt an!
tjark
Das zweite Bild ist eine Reminiszenz an einen der Söhne der Stadt, C0nrad Wilhelm Röntgen.
http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6ntgen#Geschichte
//tjark
Katrin
Ohne jetzt alle Kommentare durchzulesen ist die Kampagne irgendwie geklaut siehe: http://www.pressebox.de/pressemeldungen/wirtschaftsfoerderung-raum-heilbronn-gmbh/boxid-186348.html
Oliver Adam
Sorry, ich finde alles Schrott. Punkt.
Claim
Man sollte sich an die wenden, die Claims können. Alle Claims sind beliebig und passen auf alles, »Würzburg – Überraschend anders« ist unüberraschend langweilig, »WürZ.B.urg« Verblödung. Der Siegerclaim hat einen Riesenvorteil: Er ist gar kein Claim, aber das perfekte Briefing für die Profis: »Wir brauchen einen Claim, der ausdrückt, dass Würzburg Provinz auf Weltniveau ist. Bekommt Ihr das hin?«. Klar – dann denken die vielleicht: Wo liegt die Provinz? Antwort: Hinterm Mond. Warum ist dies gerade gut? Antwort: Weil man dann näher an den Sternen ist, nach denen man greift. Dann kommt schon nach 5 Minuten vielleicht so was raus wie:
Wir leben hinterm Mond. Um besser nach den Sternen zu greifen.
Ich möchte nicht wissen, was nach 5 Stunden oder 5 Tagen herauskommt: im besten Falle etwas wie »Wir können alles. Außer Hochdeutsch.« …
Gestaltung
Heute schickte mir Stefan Dzialles (iconwerk) eine nette Karikatur: Eine Designerin vorm Rechner (könnte natürlich auch ein Mann sein ;-) ). Sie denkt:
I dont’t have any ideas for this design so I am just going to use Helvetica, it’s the font I use to make it appear like my creative choices are intentional and hide the fact that I know nothing about design. Everyone will tell me how clean my work is.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Auf jeden Fall ist die Provinz Würzburg, jedenfalls in Bezug auf Design, … eben Provinz. Weltstadt ist anders.
provinzglück
; )
DanU
be (8) hat recht: so etwas sind prima aufgaben für ein CD- oder werbungsseminar (weil kein budget vorhanden). hier reißen sich 90 profis (sind sie doch, oder?) den a**** auf (bzw ihre unterbezahlten juniors). bei der „alten“ lösung hätten die ergebnis sicher nicht schlechter ausgesehen, design-studenten eine gute praxiserfahrung gemacht und diese krebsgeschwüre von jovoto etc hätten keine kundschaft. aber jeder wie er/sie es braucht… ich mag aber die provinz an sich schon.
kai
Der Claim der Kampagne („Genial eigensinnig. Herrlich gegensätzlich. Erfrischend ehrlich.“) kam mir doch irgendwie bekannt vor … zumindest teilweise. Oder stelle ich mich zu sehr an, wenn er mich an die Osnabrücker Kampagne „Herrlich ehrlich“ erinnert? Schon ein paar Tage her … und noch bescheidener als die Würzburger Grauseligkeit:
http://www.osnabrueck.de/26713.asp
Ach was waren das noch Zeiten, als ein Otl Aicher für Isny wirklich Einzigartiges entwickeln durfte.
Miro
Hier zeigt die Helvetica mal wieder ihre Stärken…
till1
aber war es nicht so, dass die aichers illus in isny auch erst 10 jahre später gefallen fanden?
kumi
Moooment, W.C. Röntgen ist definitiv ein Sohn meiner Heimatstadt Lennep (Provinz auf … äh … Provinzniveau, ich lebe aber sehr gern da). In Würzburg hat er aber gewirkt und die Strahlen entdeckt.
herz
Auch das Lokalblättchen Mainpost (Aktionär der Würzburg AG) war stets eilig dabei den Slogan zu loben bzw. sich die Kritik schönzulügen.
Bei einer manipulierten Online-Umfrage haben sie sich allerdings endgültig lächerlich gemacht.
Siehe hierzu auch das unabhängige Würzblog
herz
Leider nimmts die Links nicht sauber, hier per Hand:
http://www.wuerzburg.de/wag/de/partner/aktionaere/index.html
http://www.mainpost.de/lokales/wuerzburg/Wuerzburg-AG-sieht-Diskussion-um-Werbekampagne-als-Erfolg;art735,5250001
http://www.mainpost.de/lokales/wuerzburg/Umfrage-beeinflusst;art735,5253873
http://wuerzblog.de/2009/08/16/glaube-keiner-umfrage/
Gerhard Illig
Oliver Adam hat recht: Die Kampagnen sehen aus wie Briefingpräsentationen. Die kreative Umsetzung fehlt. Nach den Sternen wird nicht gegriffen. Die echten Nuggets wurden nicht gefunden. Ist es ein Verdienst der Stadt, dass Dirk Nowitzki dort geboren wurde? Die Provinz möchte groß wirken, anstatt den Charme und das Potenzial des Kleinen auszuspielen.
Die Österreicher sind bei der Positionierung ihrer Provinznester professioneller. Dort gibt es oft unverstaubt frische und freche Lösungen.
Die Designstudenten hätten sicher das Spektrum der Möglichkeiten tiefer ausgelotet.
Christian
Gutes Beispiel:
Sendenhorst: Stadt, Land und alles Gute.
Oliver Adam
Gefällt!
Oliver Adam
Das wichtigste Argument gegen den Claim »Provinz auf Weltniveau« hat jedoch noch keiner vorgetragen. Denn: Dieser Claim ist in Wirklichkeit eine schlimme Beleidigung für Würzburg:
»Provinz auf Weltniveau« heißt nämlich übersetzt: Würzburg ist so provinziell, so krass provinziell, dass ihr Grad an Provinzialiät es mit den schlimmsten Provinzen/Provinzstädten auf der gesamten Welt aufnehmen kann. Mit anderen Worten: Soll aus den 10 weltweiten schlimmsten Provinzen die schlimmste ausgewählt ausgewählt werden: Würzburg stünde zur Wahl. Denn diese Provinz hat ja zu den schlimmsten sogar der Welt aufgeschlossen, also als Provinz Weltniveau erreicht.
Da fällt fast schon nicht mehr ins Gewicht, dass der Begriff »Provinz« an sich schon negativ besetzt ist und »Niveau« ein blutleeres, unemotionales und unkonkretes Blähwort in einer Riege mit »Ebene« oder »Bereich«: Streichen.
Warum nicht etwas Einzigartiges für sich in Anspruch nehmen? Selbstbewusst sein und trotzdem selbstironisch. Wenn man mit dem Gegensatz Klein/Groß, Provinz/Weltniveau spielt, warum nicht:
Würzburg. Die kleinste Weltstadt.
Hier lässt sich alles ausspielen in den Kommunikationsmitteln: David gegen Goliath. Nähe, Heimat, Provinz auf der einen Seite. Spitzenforschung, -technik, -kultur auf der anderen Seite. Das spannend aufbereitet kann man fast förmlich vor sich sehen …
Mario
@Oliver: Geh mal wieder von der Parkbank runter und ins Innere. Du hast einen Hitzschlag erlitten.
Deine Interpretation des Claims ist weder die einzig mögliche, noch die naheliegende.
Es ist einfach nur billiges Bashen in bester Fontblog-Kommentar-Tradition.
Einmal, nur ein einziges Mal, möchte ich erleben, daß hier in den Kommentaren irgendetwas aus der Design- oder KoWi-Ecke gelobt wird, ohne daß Jürgen im Artikel bereits diesen Ton angeschlagen hat.
Oliver Adam
Wenn das so wäre, wäre es ja auch armselig. Im übrigen hat das auch keiner behauptet.
Da bin ich mir so ganz sicher nicht … Selbst wenn es eine mögliche Interpretation ist, hat der Claim schon verloren.
Was mich angeht, gerne: hier #1, hier #5, hier #18 und noch viele, viele mehr …
Oliver Stirböck
Ich finde den Claim so schlecht nicht. Würzburg liegt nunmal ein wenig abseits und ist doch ein „Leuchtturm“ für die ganze Region und weit darüber hinaus. Mann kann den Begriff „Provinz“ ja durchaus positiv denken. Das versucht der Claim.
Thorsten
Ich find des Ansatz des Spruches gut: „Provinz auf…“!
Aber das mit Weltniveau ist ja wohl maßlos übertrieben. Ich hätte nen besseren Werbeslogan anzubieten: „Lebst Du schon, oder wohnst Du noch in Würzburg“. *löl*
Alles Käse. Würzburg ist und bleibt unwichtig. Das einzig gute ist der Wein, das wars aber auch schon.