Flaches Design zwingt zur Präzision

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Am Mittwoch hatte ich Besuch von Craigmod, einem renom­mierten Technik-Denker aus San Francisco/Tokyo, der gerade auf Europareise ist. Ein Glücksfall, dass seine Leidenschaft dem Design, Büchern und Storytelling gilt. Ich legte ihm ein A4-Blatt auf den Tisch, das die Entwicklungsstufen des FontBook-App-Icon zeigte. Er zückte sofort seine Kamera, um es zu foto­gra­fieren und auf Instagram mit seinen Followern zu teilen … Wir spra­chen über den Trend zum flachen Design und seinen Auswirkungen. Die Erkenntnis daraus möchte ich hier im Fontblog kurz notieren.

Tatsächlich hat sich die Nutzerführung unserer FontBook-App seit ihrem Erscheinen vor 2 Jahren nicht geän­dert. Wohl aber das Icon, das unser Denken und unsere Emotionen gegen­über der App wunderbar widerspiegelt.

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Die FontBook-App-Icons Version 1.0, 2.0 und 3.0, entworfen von Jan Rikus Hillmann (1, links) und von Nadine Roßa (2, 3)

Am Anfang waren wir davon über­zeugt, die Brücke zum gedruckten Buch schlagen zu müssen, obwohl sich die App völlig von der Funktion und vom Aufbau eines Buchs eman­zi­piert hatte. In Wirklichkeit fühlt sich die App, vor allem auf dem iPad, wie eine Sammlung von Karten an, die man verschiebt, vergleicht, über­ein­ander legt und wieder in der Schublade verschwinden lässt. Das Symbol eines Kompass schien uns für das Icon der Version 2.0 passender. Die frisch erschie­nenen Retina-Displays verführten uns dazu, dem plas­ti­schen Erscheinungsbild der Kompassnadel mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als der Leitlinie Navigation.

Dann kam Apple mit seinem iOS 7, geprägt von der Abkehr vom Skeuomorphismus (z. B. Lederkalender, Reißwolf, …) und der Hinwendung zum flachen Design. Die ersten refor­mierten Apps zeigen, dass die Idee der Reduktion, bei aller Kritik, positiv aufge­nommen und teils sogar gefeiert wird. Auch ich konnte mich diesem Trend nicht verschließen, und siehe da: Unser Icon Version 3.0 trans­por­tiert die Idee der Navigation in der Welt der Schriften einfa­cher und verständ­li­cher als die beiden Versionen zuvor.

Das neue mobile Betriebssystem iOS 7 ist erst am Mittwoch letzter Woche (18. September 2013) heraus­ge­kommen. Es soll jedoch bereits auf fast 60 Prozent der Apple-Mobilgeräte instal­liert worden sein. Gemessen an der millio­nen­fa­chen Verbreitung sind die Klagen über Schwindel durch Paralaxgrafik, verhun­gerte Typografie und Bonbonfarben prak­tisch vernach­läs­sigbar bzw. abzu­bu­chen unter »Abschied tut weh«. Vielmehr ist zu erwarten, dass Apple einen neuen Designtrend ange­treten hat, dem bald ganze Industrien folgen werden … wie bereits zuvor bei den bunten iMacs (1999), der Farbe weiß in der Unterhaltungselektronik (inspi­riert von den ersten iPods) oder den abge­run­deten Ecken seit dem ersten iPhone (2007).

PS: Das redu­zierte Icon wird in rund 14 Tagen mit der Version 3.1 der FontBook-App erscheinen, die ansonsten keine  neuen Funktionen bieten wird, ledig­lich ein paar Bugfixes und statt für 0,89 € ($0.99) knapp unter Einführungspreis  ange­boten wird: 4,49 € ($4.99).


9 Kommentare

  1. DST

    Ausnahmsweise möchte ich mal nicht auf den eigent­li­chen Inhalt des Posts (das Fontbook Icon) sondern nur auf eine kurze Passage eingehen:

    „… ist zu erwarten, dass Apple einen neuen Designtrend ange­treten hat, dem bald ganze Industrien folgen werden … wie bereits…“

    Wie kommt es das Flat Design jetzt plötz­lich Apple zuge­spro­chen wird? Apple ist hier der Nachzügler die auf den Trendzug aufspringen.

    Die Vorreiter in Sachen Flat Design sind in diesem Fall eher Microsoft (Metro UI) und Google (Google+ Design, Redesign Google Mail etc.). Und Apple hat hier schlicht nachgezogen.

    (Und nein… ich bin kein Apple Hasser, nutze selber Apple Produkte. Aber diese Aussage, Apple als Begründer des Flat Design ist einfach falsch.)

  2. Jürgen Siebert

    Natürlich hat Apple das Flat Design nicht erfunden (und deshalb steht es auch nicht drin, in meinem Beitrag). Apple hat auch nicht den mp3-Player erfunden und auch nicht das Smart Phone und auch nicht das Tablet. Apple erfindet sowieso ziem­lich wenig, sondern macht bestehende Ideen funk­ti­ons­fähig – durch nutzer­zen­trierte Tauglichkeit. Oder anders ausge­drückt: Es macht aus unreifen Ideen ausge­reifte Produkte. Und deshalb werden diese Ideen dann auf einmal Apple zuge­schrieben – durchaus zu recht, weil nur Apple sie zu Ende gedacht hat.
    Microsoft hat doch selbst gar nicht an seine eigene Idee des Flat Design geglaubt. Und deshalb ist man auch schon beim nächsten Release von Windows 8 wieder zurückgerudert.

  3. till1

    … nur hat Apple in ios7 „Flat Design“ eben nicht zu Ende gedacht – das ist in vielen Teilen nicht über­zeu­gend und man hat immer noch alte und neue Kitschelemente.

    Von daher ist Apple in dieser Hinsicht wirk­lich kein Vorreiter mehr.

  4. Norman Posselt

    Ich möchte iOS7 gar nicht als flat bezeichnen. Schließlich greift es noch genug Paradigmen der physi­schen Welt auf: sich über­la­gernde Ebenen, die an Milchglas erin­nern, Schatten an Knöpfen und Schiebereglern, Physikspielereien für dyna­mi­sche Hintergründe u.v.m. erzeugen bei mir eher den Eindruck von Tiefe. Weggelassen wurden nur über­la­dene und plas­ti­sche Schmuckelemente. Im Gegensatz zu Android und Windows Phone, weiß ich nun immer, auf welcher Informationsebene ich mich hier­ar­chisch befinde. Das war mit den Vorgängerversionen von iOS auch nicht immer klar. Die Idee der Layer und Zooms ist meiner Ansicht nach eine sehr gelun­gene Art der Navigation, die nach einigen Monaten des Feinschliffs – aktu­elle Apps erhalten im Moment eher nur einen neuen Anstrich als wirk­lich tief­grei­fende iOS7 Anpassungen – den Standard vorgeben werden, an dem sich Android messen lassen muss. Auch Apple selbst wird noch viel expe­ri­men­tieren müssen um die selbst­ge­setzten HI-Guidelines vernünftig umzu­setzen. Eine App nicht einfach nur zu starten, sondern einzu­tau­chen (in das System) ist eine einfache wie geniale Idee die Nutzungserfahrung zu stei­gern. Farbwahl und Typografie sind gene­rell noch­mals ganz andere Fragen und durchaus streitbar. Die Grundlage, die für die nächsten fünf oder mehr Jahre gelegt wurde, ist aber ein starkes Fundament auf dem aufge­baut werden kann. Persönlich freue ich mich auf Apps, die in 6+ Monaten erscheinen werden und völlig neue Navigationsansätze und Präsentationsformen im Vergleich zu < iOS6 zeigen werden. Der Nutzer darf gespannt sein.

  5. Achim Schaffrinna

    Deine Vorliebe für Apple-Produkte in Ehren, lieber Jürgen, einen Nachahmer als Trendsetter zu bezeichnen, beschreibt die Entwicklung der vergan­genen Monate/Jahre nicht ansatzweise.

    Motor der Flat-Design-Bewegung sind vor allem Google und Microsoft. Microsoft hat zudem nicht nur mal eben so einem Betriebssystem eine neue Oberfläche verpasst – deshalb hinkt auch der Vergleich mit Windows 8 –, sondern sein gesamtes Produktportfolio sowie alle Unternehmens- und Markenauftritte in eine neue, einheit­liche Designsprache über­führt. Es ist dies das wohl größte Redesign der Wirtschaftsgeschichte, dementspre­chend groß dürfte der Einfluss sein, der von Modern UI ausgeht. Dagegen wirken selbst 200 Millionen Downloads von iOS 7 bescheiden. Abgesehen davon käme ich niemals auf die Idee, iOS 7 als „ausge­reiftes Produkt“ zu bezeichnen. Die Bugs sind auch nach 7.02 zahlreich. 

    Dass Apple mit seinen Produkten Trends setzt, steht außer Frage. Jedes Jahr werden Apple viele Hundert Patentanmeldungen bewil­ligt, was dafür spricht, dass Apple sehr wohl so einiges erfindet. Aber das nur am Rande. 

    Ich fürchte, Aussagen wie „dass Apple einen neuen Designtrend ange­treten hat“, (bezogen auf iOS7), sind der Boden für moderne Mythen. Wenn man es oft genug wieder­holt, ohne zu wider­spre­chen, was ich hiermit gerne tue, dann glauben es die Menschen viel­leicht noch.

  6. Jürgen

    Dem allg. Widerspruch bzgl. der Trendsetter Rolle Apples schliesse ich mich hiermit doch gerne an! Zudem möchte ich diesem Satz widersprechen:
    „Unser Icon Version 3.0 trans­por­tiert die Idee der Navigation in der Welt der Schriften einfa­cher und verständ­li­cher als die beiden Versionen zuvor.“
    „Einfacher“ defi­nitiv, ja, aber verständ­li­cher? Ganz Subjektiv muss ich das verneinen! Die extreme Reduktion des 3.0 Icons mag grafisch reiz­voll sein, deut­li­cher und aussa­ge­kräf­tiger ist aber bei weitem die baro­ckere 2.0 Form dieses Icons. Nicht zuletzt weil die Kompass-Assoziation beim neuen Piktogramm verloren geht und die gedank­liche Verbindung zur „Wegweisenden Hilfestellung“ nicht mehr so flüssig vonstatten geht.
    Rein formal ist die 3.0 Version natür­lich sehr sauber, wenn ich mich auch sehr an dem hand­ge­schrie­benen „S“ links oben störe, das bricht mir zu sehr aus der Form – oder ist das genau der Clou?

  7. philipp

    Wie kam es eigent­lich, dass irgend­wann in den Neunzigern plötz­lich alles Grafikdesign drei­di­men­sional anmuten musste? Dass sich kein bis dahin etabliertes Firmenlogo mehr ohne Glanzeffekt, schatten oder Reflexe aus dem Haus traute?

  8. Jürgen

    @Phillipp: Ganz einfach: Weil es plötz­lich möglich war! Wir nutzen aus was irgend geht, im Ergebnis ist das dann nicht immer im besten Sinne der Gestaltung. Meist braucht es einige Zeit bis sich die Gestalter von den tech­ni­schen Möglichkeiten eman­zi­pieren und auch redu­zier­tere Lösungen* wieder gleich­be­rech­tigt betrachten. Zudem sind derlei opti­sche Effekte Augenreize, die bei der Masse der Rezipienten immer Bestand haben werden. Das mag den Liebhabern klarer Grafik nicht immer schme­cken, ist aber so…

    *Stichwort Apple, iOS7 udn extrem schlanke Typo + Linienstärke: Mir scheint dass diese Typo/Linien auch nur gewählt wurden weil es die Displayauflösung hergibt diese sauber aussehen zu lassen. Im besten Sinne einer Usability oder Lesefreundlichkeit sind diese defintiv nicht.

  9. Jürgen Siebert

    @ Achim: Hast in den meisten Punkten recht … und sie entspre­chen auch meiner Auffassung. Habe wohl einige Formulierungen in meinem Beitrag zu unscharf verfasst.

    Widerspruch 1: Ich sehe kaum Parallelen zwischen der vom Microsoft einge­führten, auf Typografie und Farben basierten »Design Language« (früher »Metro«) und dem iOS von Apple. Schön wäre es, wenn Apple der »Wegweisung durch Schrift« nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit widmen würde, wie es Microsoft tut. Tatsächlich ist der Bauplan des iOS weit­ge­hend unver­än­dert zur ersten Version von 2007. Vielleicht taugt die Floskel Flat Design gar nicht, um das zu beschreiben, was ich als Trend bezeichnet habe. Ich glaube diese Tumblr-Site hat es tref­fender formu­liert: Jony Ive Redesigns Things. Mein Beitrag zu dieser Site was die Light-Version der Schweizer Flagge:

    tumblr_mpbphotbw01svn1xeo1_1280

    Widerspruch 2: Patente sind (in den USA) leider nur noch selten ein Beweis für Innovationskraft, sondern juris­ti­sche Waffenarsenal.

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