»Perfekt ist nicht gleich schön!«

Fontblog-Gespräch mit dem Schriftdesigner Georg Seifert

Georg Seifert (schrift​ge​stal​tung​.de) ist eine schil­lernde Figur in der inter­na­tio­nalen Type-Design-Szene. Er studierte an der Bauhaus-Universität in Weimar, wo er 2002 mit der Arbeit an seiner ersten Schriftfamilie begann (Graublau Sans), die sechs Jahre später erschien. Seit 2006 entwi­ckelt er unter dem Namen Glyphs eine eigene Schriftgestaltungs-Software, die bereits auf mehreren Typografie-Konferenzen für Aufsehen sorgte. In wenigen Tagen wird die finale Version von Glyphs im Apples Mac-App-Store Premiere feiern.

Georg Seifert arbeitet heute als freier Schriftgestalter und Programmierer in Berlin und wirkte zuletzt an verschie­denen Projekten mit – von der Ausstellungsgestaltung über Corporate-Font-Design bis hin zu Fotografie und Webdesign. Im Fontblog-Interview spricht er über seine neue Schrift Azuro, die gestern bei FontShop erschienen ist (Ideal für das Lesen am Bildschirm) und noch bis zum 31. Mai 2011 zum unver­schämt güns­tigen Einführungspreis auf font​shop​.com ange­boten wird.

Fontblog: Die Schriftfamilie Azuro ist in mehr­fa­cher Hinsicht eine Besonderheit … entworfen mit dem selbst entwi­ckelten Font-Design-Programm Glyphs, opti­miert für den Einsatz auf Bildschirmen und zu diesem Zweck bereits in der Entwicklungsphase uner­bitt­lich getestet. Wann hast Du mit der Arbeit an Azuro begonnen?

Seifert: Vor rund zwei Jahren. Die Schrift entstand aus einer Monospace mit dem Namen Olivegreen, die ich mir einst für meine Korrespondenz gebaut habe und sich auch sehr gut zum Programmieren eignete.

F: Ach … gab es da nichts Brauchbares unter den Betriebssystemschriften? Zum Beispiel Courier, oder Consolas …

S: Eigentlich schon, aber keine dieser Schriften vereinte all das, was ich mir wünschte, um Code schnell und sicher lesen, korri­gieren und kommen­tieren zu können. Die Arbeit mit Olivegreen hat mir dann auch schnell bestä­tigt, dass ich recht hatte.

F: Seit gestern dürfen wir alle in den Genuss der heraus­ra­genden Bildschirmlesbarkeit von Azuro kommen. Du hast sie für den welt­weiten Vertrieb ausgebaut.

S: Richtig. Dazu habe ich die Schrift ent-mono­spaced und so aufbe­reitet, dass nicht nur Code-Zeilen gut aussehen, sondern jede Art Text am Bildschirm bestens lesbar wird.

F: Du hast bereits in der Entwurfsphase jedes Zeichen der Schrift konse­quent auf Bildschirmtauglichkeit getestet. Wie muss man sich das vorstellen?

S: Ich habe ständig Zwischenversionen der Azuro gene­riert und auf meinem Mac, einem Windows-Rechner und auf meinem iPhone instal­liert. An diesen Geräten habe ich die Schrift tagtäg­lich für Mails, zum Lesen von RSS-Nachrichten und fürs Twittern verwendet.

F: Eine eigene Schrift als System-Font auf dem iPhone instal­lieren … wie geht das denn?

S: Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, die Helvetica im iOS los zu werden. Den Font einfach austau­schen und in Helvetica umbe­nennen funk­tio­niert nicht. Du musst schon die System-Helvetica nehmen, vorhan­dene Buchstaben gegen die selbst entwor­fenen austau­schen, den Rest unver­än­dert lassen und dann wieder instal­lieren … das alles funk­tio­niert natür­lich nur mit einem geja­ilb­re­akten iPhone. Dabei habe ich nebenbei fest­ge­stellt, dass verschie­dene Helveticas im iOS werkeln: Die Ziffern der Uhrzeit beim Sperrbildschirm zum Beispiel stammen aus einem anderen Fonts als das Datum darunter.

F: Wann wurde Dir bewusst, dass deine Azuro am Bildschirm tatsäch­lich besser lesbar ist als zum Beispiel Helvetica, Arial, Verdana oder Lucida Grande?

S: Eigentlich immer dann, wenn ich an den Geräten von Freunden wieder auf die Standard-System-Fonts blickte. Dann wurde mir unmit­telbar bewusst, wie schnell meine Augen die gute Lesbarkeit der Azuro ange­nommen hatten.

F: Was macht die gute Lesbarkeit von Azuro aus?

S: Es sind drei Faktoren, die für gute Lesbarkeit sorgen … und ich habe an allen drei gear­beitet. Zum einen ist das die Klarheit und die Robustheit der Buchstabenformen: Azur hat über­trieben kräf­tige Punkte und Satzzeichen, offene Kurven (zum Beispiel in c, C, e, s und S) und große Innenräume. Zweitens habe ich leicht verwech­sel­baren Buchstaben ein Unterscheidungsmerkmal gegeben, zum Beispiel I, i und l oder O und Q. Drittens wurden alle vier Schnitte mit dem 20-jährigen Know-how des FontShop-Technik-Departments für die Bildschirmdarstellung bear­beitet, also gehintet. Das hier gute Arbeit geleistet wird hat sich in der Webfont-Szene bereits hinrei­chend herumgesprochen.

F: Diese Kriterien sind über­wie­gend tech­ni­scher Natur. Man könnte es auch diePflicht des Schriftentwerfens nennen. Kommen wir zur Kür, die dir beson­ders wichtig ist …

S: Genau. Eigentlich waren es ästhe­ti­sche Gründe, die mich damals zum Entwerfen der ersten Azuro veran­lasste. Ich wollte keine tech­ni­sche Schrift, sondern ein klas­si­scheres Design. Es gibt viele perfekte Bildschirmschriften, aber perfekt ist nicht gleich schön.

F: Was ist denn schön an Azuro?

S: Da es keine abso­lute Schönheit gibt, kann ich nur sagen, was ich selbst als schön (oder schöner) empfinde und was mir wichtig ist. Das fängt bei solchen Kleinigkeiten wie dem Doppeldecker-g an und dem kursiven k und reicht bis zur Philosophie der Italic. Ich pflege einen sehr eigen­wil­ligen Kursivstil, der sich eng an der Handschrift orien­tiert. Die beiden Kursivschnitte der Azuro sind sicher­lich das auffäl­ligstes Unterscheidungsmerkmal dieser Familie gegen­über anderen tech­nisch orien­tierten Screenfonts, bei denen Kursiv doch meis­tens Schrägstellen bedeutet.

F: Wie wichtig war es für dich, die Azuro mit dem eigenen Font-Design-Programm zu entwerfen?

S: Hätte ich die Schrift nicht in Glyphs bauen können, wäre sie in zwei Jahren noch nicht fertig. Ganz entschei­dend für das effi­zi­ente Arbeiten sind meine Tastaturkürzel … und gerade hier zeigt sich, was es bedeutet, wenn sich ein Praktiker sein eigenes Werkzeug program­miert. Der schnelle Wechsel zwischen den Mastern Regular und Bold ist für mich unver­zichtbar. Noch wich­tiger, gerade beim Entwerfen der Azuro, ist der Text-Modus. Ich arbeite quali­fi­zierter an einem Buchstaben, wenn dieser von anderen Glyphen der Schrift umgeben ist. Mit dem nume­ri­schen Vermaßungswekzeug in Glyphs habe ich die Differenzen in einem Pfadverlauf so gut im Griff wie mit keinem anderen Vektorprogramm. Ungemein hilf­reich für dir Arbeit an Akzentbuchstaben ist das kontrol­lierte Arbeiten mit Komponenten von Komponenten, das ich nicht mehr missen möchte. Dank dieser Automatik habe ich jüngst in der Rekordzeit von zwei Wochen zu einer Sans-Schrift eine Serif gebaut … dafür hätte ich mit anderer Software drei Monate benötigt.

F: Bald werden wir alle in den Genuss deines Schrift-Programms Glyphs kommen, denn es wird im App-Store für Mac erscheinen …

Richtig, es wurde bereits von Apple geprüft. Wahrscheinlich erscheint es noch im Mai, und zwar in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch.

F: Kostenpunkt?

Unter 300 Euro.

F: Georg, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Azuro und Glyphs.


6 Kommentare

  1. Gerfried Lang

    Wie lange benö­tigt man durch­schnitt­lich für die Entwicklung einer Schriftfamilie?

  2. Heinrich

    es hängt von dem umfang ab. es kann 4 monate aber auch 2 jahre dauern.

  3. Caleb

    So, ich habe mir jetzt 4 Tage lang immer wieder die Azuro auf font​shop​.com ange­schaut… Jetzt wird sie gekauft! Die kursive Variante ist einfach zu schön, um sie im Shop liegen zu lassen. Ganz wunder­bare Arbeit! :-)

  4. Ole Schäfer

    @ Gerfried Lang

    … ich habe schon mehr­mals inner­halb eines Monats eine komplette mittel­große Schriftfamilie für einen Auftraggeber gezeichnet, dann muss man aller­dings von einer 7 Tage Woche mit 12-16 Stundentagen ausgehen – wenn die Planung gut ist, ist der Zeitfaktor kein Problem beim Neuentwurf von Schriften.

  5. Kadir

    Aha, das ist also der nette Herr vom Symposium, jetzt wissen wir, wie er heißt.

    Werde mir mal das Trial holen (wenn ich mir einen Mac hole), sieht schick aus die Software.

    Hatte mal Trials von anderen Anbietern, die waren irgendwie grausig.

  6. Fliewatüüt

    Ich habe Azuro jetzt auch mal einige Wochen für das alltäg­liche Lesen von Texten am Bildschirm auspro­biert, also im Mailclient, RSS-Reader und im Browser (bei Firefox lässt sich das mit dem Add-on „Stylish“ bei vielen Websites mit erträg­li­chem Aufwand die idio­ti­sche Vorgabe einiger Webdesigner revi­dieren, unbe­dingt Arial oder Helvetica anstelle der im Browser einge­stellten Sans-Serif-Schriftart zu verwenden).

    Insgesamt bin ich sehr zufrieden, was die Lesbarkeit am Bildschirm angeht. Es dauerte bei mir eine Weile, bis ich mich an einige Eigenheiten der Schrift gewöhnt hatte (z.B. das kleine p), aber nach einigen Tagen klappte es dann sehr gut. Ich kann also nur empfehlen, nicht gleich nach dem aller­ersten Eindruck zu urteilen, sondern sich wirk­lich mal einige Tage lang einen Praxiseindruck zu verschaffen.

    Bei allem Lob hätte ich aber auch einen Kritikpunkt anzu­bringen: Während bei Azuro z.B. beim Wort „Quelle“ der lange Schwanz am Q gut aufge­hoben ist und auch Buchstabenkombinationen wie „SQL“ immerhin noch lesbar bleiben, so gibt es doch gerade beim großen Q auch einige Kombinationen, die ich für gar nicht gelungen halte. Beispielsweise bei einer Mailadresse wie IQ@example.com laufen die Zeichen in einander und das Ergebnis sieht recht bescheiden aus und ist auch schlecht lesbar. (Natürlich kann man auch zahl­reiche Kombinationen mit Kleinbuchstaben mit Unterlänge bilden, die ähnlich schlecht aussehen, wie etwa Qg oder Qj, aber sowas kommt ja zumin­dest im Deutschen auch einfach nicht vor.)

    Was das angeht, gibt es einige Schriftarten, die dieses Problem mit Mitteln von Opentype deut­lich besser lösen und kontext­ab­hän­gige Zeichenvarianten verwenden, so daß eben bei „Qu“ ein anderes „Q“ steht als beispiels­weise bei „QL“ (die letz­tere Variante mit kürzerem Schwänzchen beim Q). Das würde ich mir für Azuro auch wünschen. Sollte es eine „Version 2.0“ der Schrift geben, wäre es zumin­dest mir eine Freue, wenn dies Berücksichtigung finden könnte.

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