Frutiger: Inbegriff der Lesbarkeit


Mitte der 60er Jahre begann die Planung für den Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Die Entwicklung des Leitsystems wurde Adrian Frutiger übertragen. »Alle dachten, ich würde zur Univers greifen. Doch sie ist ungeeignet für die schnelle Wahrnehmung.« erinnerte er sich an die Geburtsstunde seiner berühmtesten Schrift. Weiterlesen ...


Frutiger ist ein Designklassiker. Man sieht ihr das Alter nicht an. Offiziell wurde sie 1969 geboren. Wer sich erinnert, welche Designsymptome die Hippie-Zeit prägten – Glockensaum, florale Muster, schrille Farben –, wird bestätigen: zum Glück sieht man Frutiger ihre Herkunft nicht an. Andere Schriften dieser Zeit, wie ITC Avant Garde, Aachen, Revue oder Serpentine, sind klar von einer Seventies-Optik geprägt. Das schränkt Neutralität und damit Einsatzvielfalt ein.



Frutiger auf dem Flughafen Charles De Gaulle im Jahre 2001

Möglicherweise liegt die Ursache für Frutigers Zeitlosigkeit auch darin, dass der Grundstein für die Schriftfamilie bereits 1959 gelegt wurde. Bei der französischen Gießerei Sofratype entwickelte Adrian Frutiger zusammen mit André Gürtler für die Zeilengussmaschine eine Sansserif namens Concorde, nicht zu verwechseln mit der Times-Alternative gleichen Namens, die Günter Gerhard Lange für die H. Berthold AG schuf. Als Linotype Mitte der 60er Jahren die Pariser Sofratype übernahm, wurde Concorde eingestellt, die Urheberrechte gingen an die Entwerfer zurück.



Entwürfe zur Sans-Serif Concorde von Adrian Frutiger und André Gürtler aus dem Jahr 1959 (Abbildung: Linotype)

Mitte der 60er Jahre begannen auch die Planungen für den Pariser Großflughafen Roissy Charles de Gaulle. Der junge Architekt Paul Andreu rief ein Expertenkommission aus Farbpsychologen, Philosophen, Musikern und Designern zusammen, um in Roissy wegweisende Neuerungen einzuführen. Die Entwicklung des Leitsystems wurde dem Büro Adrian Frutigers 
übertragen. »Alle dachten, ich würde zur Univers greifen. Doch mir wurde schnell klar, dass sie zu rund und geschlossen für die schnelle Wahrnehmung von Wegweisern war. Ich nahm mir die Zeichnungen für die Concorde vor und machte ein paar Skizzen.« So erinnerte sich Frutiger an die Geburtsstunde seiner berühmtesten Schrift. (vergl.: Linotype Font-Feature Adrian Frutiger – Traces)



Für die schnelle Wahrnehmung der Wegweiser – auch im Reisestress – entwickelte Adrian Frutiger eine offene Schrift mit unverwechselbaren Zeichenformen

Die Idee einer »Flughafenschrift« begeisterte Paul Andreu und die gesamte Fachwelt. Die Ergebnisse waren überzeugend, im wahrsten Wortsinn wegweisend. Da ist es nur verständlich, dass in den folgenden Jahren die Nachfrage nach der Roissy-Schrift stetig zunahm. Typografen in aller Welt wollten sie nicht nur für Schildersysteme einsetzen, sondern auch für Drucksachen. Denn: eine Schrift, die auf Wegweisern gut lesbar ist, wird die gleiche Eigenschaft auch im Druck entfalten.
1977 brachten die D. Stempel AG und Linotype die Schrift, ausgebaut zu einer kleinen Familie, auf den Markt. Sie wurde rasch zum Bestseller und mehrfach erweitert. Nach wenigen Jahren wurde Frutiger zum Inbegriff für Lesbarkeit. Ihre Konstruktion ist weder streng geometrisch, noch humanistisch. Maßstab für die Gestaltung eines jeden Buchstabens ist seine rasche Erkennbarkeit und die Unterscheidbarkeit von verwandten Lettern. Die Genialität Adrian Frutigers bei der Entwicklung seiner Schrift lag in der Fähigkeit, Wahrnehmungs- und Konstruktionsprinzipien so gegeneinander abzuwägen, dass sich ein Zeichensatz mit maximale Lesbarkeit ergab.



Egal ob Auflicht oder Hinterleuchtung: Die Zeichen der Frutiger bleiben auch bei Überstrahlung stets gut wahrnehmbar

Nachdem die Schrift rund 30 Jahre ihren Dienst auf dem Airport Charles De Gaulle getan hatte, unterzog ihr Schöpfer sie im Jahre 1998 bei einem Besuch in Paris einer kritischen Betrachtung: »Ich glaube, dass die Roissy-Schrift ein wenig zu leicht und zu eng spationiert eingesetzt wird: zu viel Enge um die Buchstaben.«
Auch mit der PostScript-Version war Frutiger nie richtig glücklich. Ihr Ausbau ist durch Brüche gekennzeichnet und die Strichstärke der Regular war ihm stets zu kräftig. Die Überarbeitung seiner 59 Univers-Schnitte im Jahre 1999 gab ihm ausreichend Auftrieb, ein Redesign seiner Frutiger in Angriff zu nehmen.



Einer der größten Schriftentwerfer unserer Zeit: Adrian Frutiger, Interlaken, Schweiz, 2004

Rund zwei Jahren nahmen sich der Urheber und der freie Schriftentwerfer Erik Faulhaber Zeit, die Original-Frutiger komplett zu renovieren. Alle Zeichen wurden neu digitalisiert, wobei die Buchstabenformen kaum angetastet wurden. Lediglich das ß und das et-Zeichens sind völlig neu, das s und das t erfuhren ein dezentes Facelifting. Die Strichstärkenabstimmung erfolgte in 6 statt in 5 Stufen, wobei man nicht mathematisch linear vorging, sondern nach optischen Kriterien. So wurden die fetten Schnitte prägnanter, der Grundschnitt leichter. Hintergründe zum Redesign verriet Faulhaber im Dezember 2004 dem Typeforum.
Bei den Kursiven sprang Frutiger über seinen Schatten – oder wurde er geschubst? Die Fachwelt kennt seine Vorliebe für technisch schräg gestellte Sansserifs, die er auch bei der Überarbeitung der Univers durchgesetzt hatte. Doch bei der Frutiger Next ließ er sich zu einer klassischen Kursiven überreden, mit eigenen Formen für a, g und f. Keine Frage: der Frutiger Next steht dieses Ideal einer Kursiven ausgezeichnet.

Herausgegeben: Mi - August 24, 2005 at 05:22 nachm.         |


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