Formen finden und nicht stehlen


Thema Nummer 1 der internationalen Corporate-Design-Szene: Das neue Logo des Software-Herstellers Quark soll eine Kopie sein. Nach einem Schlüsselerlebnis 1995 bin ich vorsichtig geworden mit Plagiatvorwürfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen eine simple, zwingende Form unabhängig voneinander entwickeln ist ziemlich hoch. Weiterlesen ...


Es wird in aller Breite und Tiefe hergezogen über das neue Quark-Firmenzeichen, zum Beispiel bei Macworld UK, bei Antipixel, NewsDesigner.com und bei adland. So sehen die beiden Werke nebeneinander gestellt aus:



Das Logo des Schottischen Kunstverbandes (oben) stellt wahrscheinlich ein kleines a dar, bei Quark handelt es sich um ein Versal-Q. In beiden Fällen wurden die Buchstaben simplifiziert: auf die geometrische Grundformen des Kreises mit weißem Innenraum und einer Quadratecke unten rechts. So was kann vorkommen, behaupte ich, seitdem mir dieses Buch 1995 in einem Antiquariat begegnete:



Anton Stankowski: FormFinden; 190 Seiten, 84 farbige Abbildungen, Gerd Hatje, Stuttgart, 1991 (Foto: Fontblog)

Anton Stankowski (1909 – 1998) war ein deutscher Grafiker, Maler und Fotograf. Berühmt wurde er durch seine Gestaltungslehre, die er Anfang der 30er Jahre in der Schweiz entwickelte. 1951 gründete er in Stuttgart sein eigenes grafisches Atelier, wo er unter anderem die Wortmarken für Iduna und Viessmann entwarf. In den 70er Jahren entwickelte er zusammen mit Karl Duschek die Firmenzeichen für die Deutsche Bank, die Münchener Rück Versicherung, REWE und den Olympischen Kongress Baden-Baden.
Dass Menschen am Ende eines unabhängig voneinander entwickelten Gestaltungsprozesses zu gleichen Formen kommen habe ich nicht in Stankowskis Buch »FormFinden« erfahren, sondern – mit Schrecken – direkt auf dem Schutzumschlag. Ihn ziert die quadratische Form zweier ineinander greifender Fs, eine Versinnbildlichung des Buchtitels »FormFinden«. Dasselbe Zeichen war und ist seit 1991 das Logo der FontFont-Schriften-Bibliothek, für deren Entwicklung ich seit dieser Zeit mit verantwortlich bin. Hier das FontFont-Logo in seiner Originalfassung und der seit 1994 gebräuchlichen Ausführung:



Original FontFont-Logo (1990) und die seit 1994 gültige gelb-schwarze Fassung

Anders als bei den Quark/Scottish-Arts-Council-Logos kann man hier nicht mehr nur von einer sehr großen Ähnlichkeit sprechen: die Stankowski- und die FontFont-Form sind absolut identisch. Sie sind es, weil die Art der Verschmelzung zweier verschiedenfarbiger Fs mit konstanter Strichstärke keine andere Lösung zulässt. Interessant ist, dass sie fast zur gleichen Zeit entstanden sind.
Ich versichere für meinen Teil und die FontFont-Herausgeber: Das FontFont-Zeichen ist ohne Kenntnis des Stankowski-Buch-Titels entstanden. Zu genau erinnere ich mich an den mehrere Tage dauernden Entwicklungsprozess, beginnend mit zwei nebeneinander stehenden Fs, die in vielfältiger Weise zueinander gestellt wurden: Rücken an Rücken, punktsymmetrisch, achsensymmetrisch und zig Zwischenlösungen. Am Ende ergab sich die einzige mögliche Idealform ... so wie sie auf dem Stankowski-Buch zu betrachten ist.
Ich könnte die Gegenfrage stellen: Kannte der Gestalter des Buchumschlags möglicherweise das FontFont-Zeichen? Es würde mich wundern, weil es zu der Zeit frisch war und noch nicht weit verbreitet. Nein, ich stehe zu der These: simple, zwingende Formen können zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten unabhängig voneinander identisch entstehen.

PS: Auch interesseant ... eine Google-Suche förderte eben eine Cover-Variante des Stankowski-Buches hervor, die mir bis dato nicht bekannt war ...

Herausgegeben: Di - September 20, 2005 at 12:39 vorm.         |


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