FontBook 4: Wo sind die Vermissten?


Gestern war der qualvollste Korrekturtag. Wegen eines Klassentreffens hat es mich in die hessische Provinz verschlagen. In meiner dortigen Bleibe gibt es weder Telefon noch Internet, die Voraussetzung für das Recherchieren on the road. Darum habe ich mich im »Taunushotel« eingenistet, das über einen T-Com-Hotspot verfügt (17,– € pro 24 Stunden). Hier bin ich um 10:00 Uhr zum Frühstück eingelaufen, um 17:30 Uhr verließ ich das Esszimmer mit 300 korrigierten FontBook-Seiten, geistig ausgepumpt und körperlich vollgepumpt mit Kaffe. Weiterlesen ...


Wenn man seine Präsenzbibliothek nicht im Rücken hat, ist das Internet die brauchbare Arbeitshilfe: Schriftentwerfer recherchieren, den Inhalt der Schriftfamilien kontrollieren, das Entwurfsjahr herausfinden, ähnliche Schriften finden ... es geht meist sogar schneller als in Büchern zu blättern. Allerdings muss man teuflisch darauf achten, keinen gepfuschten Datenbanken auf den Leim zu gehen: nirgendwo wird schneller voneinander abgeschrieben als im Web.

Ich hatte das Kapitel »Display«-Schriften mit ins Wochenende genommen. Genauer: »nur« die Hälfte der 650 Seiten. Die andere Hälfte ist bei Erik Spiekermann in Berlin geblieben. Wir müssen parallel arbeiten, sonst sind alle Terminpläne Makulatur. Doch die Arbeitsteilung hat Tücken. Wie soll ich unter den Schriften von M bis Z eine Alternative ... sagen wir mal zur »Motter Femina« finden ... wenn ich keinen Zugriff auf die Schriften von A bis N habe? Zum Glück stehen mir die fehlenden Seiten als PDF am Bildschirm zur Verfügung, aber das Navigieren am Monitor, auch wenn er jetzt 17" Bildschirmdiagonale hat (wegen dem da), ist zeitraubender als das Blättern in Papierseiten. Aber es geht ...



Die 2. Hälfte des Display-Kapitel auf dem Frühstückstisch des Hotels »Taunus Residence«

Was an den Nerven zehrt sind die Verweise zu ähnlichen Schriften. Gerade in der Sektion Display gibt es inzwischen eine ungeheure Formverwandtschaft. Fast jeder Schrifthersteller hat eine schmutzige Schreibmaschinentype wie Trixie im Programm, oder gepunktete Nadeldrucker-Alphabete, genauso DIN-artiges, Serpentine-Varianten, Brody-Adaptionen oder Kaputtschriften à la David Carson. Man verstehe mich nicht falsch: alle diese Varianten haben ihre Berechtigung, denn in den brauchbaren Alternativen steckt immer eine eigene Idee (und nur die kommen ins FontBook).
Doch es ist zum Beispiel unmöglich, all die schrulligen Schriften im Stil einer LCD-Anzeige untereinander zu verknüpfen: dann nehmen die Querverweise mehr Raum ein als die Darstellung der Schrift selbst. Die Lösung kann nur lauten: Spuren legen! Wir müssen die Benutzer des FontBooks zum hermeneutischen Abschweifen einladen. Im zitierten Beispiel heißt das: gehe von Quartz Bold, zu LCD, dann zu Watch Outline, eventuell noch mal zu Computer, Orbit-B und Countdown. Doch es gibt keine Verweise zurück zum Startpunkt ... entdecke das Andere!



In seinem Schreiben vom Freitag stellt Erik Spiekermann den FontBook-Zeitplan in Frage

Ein Brief von Erik trübt meinen Optimismus bezüglich des Zeitplans. Er schreibt: »Ich mache mir wirklich Sorgen, dass sehr viele Schriften fehlen. Einige habe ich aufgelistet, aber was fehlt ist schwierig nur aus der Erinnerung zu kontrollieren. ... Mir ist Vollständigkeit wichtiger als eine Abrechnung zum 31. 12. Und: Kundennutzen steht vor Datenbankbedenken.«
Ich glaube, das jeder Verarbeiter von Informationsmassen irgendwann zu diesem Punkt: Es fehlen Daten. Manchmal ist diese Befürchtung gerechtfertigt, viel häufiger löst Sie sich in Wohlgefallen auf. Die von Erik vermisste FF Oxid von Christian Schwarz haben wir – zu Recht – nicht im Kapitel Sans untergebracht, sondern ich hatte Sie auf meinen Display-Seiten mit auf die Reise genommen. Entwarnung.
Mir ging es dann ähnlich, als ich den Querverweis von FTN Sauerkrauto (eine erweiterte Adaption der deutschen KFZ-Kennzeichen-Schrift) zur FE Mittelschrift setzen wollte: die war nicht mehr zu finden. Mit einer kurzen Mail ließ sich klären, dass sie aus technischen Gründen außen vor war und natürlich wieder ins FontBook 4 hineinkommt. Der Verbleib von Unica und Bliss wird sich auch noch klären lassen. Mehr »Vermisste« habe ich eigentlich nicht zu vermelden.

Herausgegeben: So - Oktober 9, 2005 at 02:21 vorm.         |


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