Gelungen: Tagesschau/Tagesthemen-Redesign


Gestern war Stapellauf bei den ARD-Nachrichten-Flaggschiffen. Nach 8 Jahren in unveränderter Anmutung gingen Tagesschau, Tagesthemen und Nachtmagazin mit einem frisch überarbeiteten Design an den Start. Neben der bereits angekündigten Moderation im Stehen waren neue Möbel, eine reduziertere Grafik und eine klarere Typografie zu bewundern.


Man muss schon genauer hinsehen und hinhören, wenn die ARD ihre Nachrichtensendungen aufpoliert. Eigentlich soll der Zuschauer nichts merken. Wahr genommene und nicht für angemessen empfundene Veränderung bringen eine prädominante Einrichtung in die Gefahr, ihre führende Rolle infolge Konsumentenabwanderung zu verlieren.
Susanne Holst fiel am Nachmittag die Aufgabe zu, die erste Tagesschau im neuen Gewand zu moderieren. Eva Herman folgte mit der Hauptausgabe um 20:00 Uhr, Anne Will mit den Tagesthemen. Bei der Tagesschau fielen die Neuerungen weniger ins Auge als bei den Tagesthemen.
Im streng begrenzten Bildausschnitt sah man, wie bisher auch, nur die Oberkörper der Sprecherinnen, ein Stück Tischplatte und zwei dünne Mikrofone. Die Berliner Zeitung zur Körpersprache: »Weder traten die Damen von einem Bein aufs andere, noch schwankten sie zur Seite, noch wurden sie anderweitig unruhig. Profis wackeln nicht. Hilfestellung beim Stillstehen soll eine Art Hocker geben, an den sich die Sprecherinnen anlehnen können. Ob sie es taten oder nicht, war leider nicht zu sehen.«



Weniger Wolken im Hintergrund, etwas mehr Oberkörper: Eva Herman im neuen Tagesschau-Design

Das bisherige Erscheinungsbild der ARD-Fernsehnachrichten ist seit Jahresbeginn 1997 fast unverändert auf Sendung. »Auch wenn andere ihre Formate nahezu im Jahrestakt relaunchen, ist die Auffrischung des Designs für uns kein Selbstzweck«, meint NDR-Programmdirektor Volker Herres. »In Zukunft wird es im Studio eine Reihe von Elementen geben, die der Redaktion erweiterte Spielräume in der Präsentation der Sendungen schaffen. Trotz aller Neuerungen hat jedoch die Verlässlichkeit – also auch die Wiedererkennbarkeit – unserer Nachrichten-Flaggschiffe höchsten Stellenwert.«



Nach 50 Jahren Sitzmoderation: die stehenden Anne Will und Jens Riewa in den Tagesthemen von gestern

Die sichtbarste Veränderung für regelmäßige Tagesschau/Tagesthemen-Gucker ist sicherlich die Moderation im Stehen ... angeblich eine Idee von Anne Will. Seit über 50 Jahren sind wir von der ARD gewohnt, dass Nachrichten im Sitzen vorgelesen werden. Ralf Zippert in der Welt: »Bisher dachten wir außerdem, daß es sich bei Tagesschau-Sprechern um eine besondere Züchtung handelt, Menschen ohne Unterleib, ausgestattet mit der besonderen Fähigkeit, ganze Sätze vom Blatt abzulesen. Warum können die auf einmal stehen? ... müssen wir die Tagesschau jetzt auch im Stehen sehen? Oder von einem erhöhten Sessel aus?«



Die Visuals der Tagesthemen – hier zum Thema Walfangverordnung – sind jetzt symbolischer und grafischer

Weitere sichtbare Veränderung: der neue geschreinerte Nachrichtentisch. Er ist höher als früher und wartet mit einer hellen, leuchtenden Front auf. Das Möbel hat die Form eines geschwungenen U bekommen, das sich zum Betrachter hin öffnet und für Tiefe sorgt. Der große Flachbildschirm ist ebenfalls neu. Dazu Dr. Bernhard Wabnitz, erster Chefredakteur bei ARD-aktuell: »Die Moderatoren können dort anhand eingeblendeter Grafiken oder Karten Zusammenhänge erläutern oder Interviews mit Experten führen.«



Interview per Flachbildschirm und Überleger: mehr Dreidimensionalität, mehr Dynamik

Auf einer Seite des Nachrichtenstudios in Hamburg Lokstedt wird auf die sonst übliche Blue-screen-Technik für Einblendungen und Hintergrund verzichtet: Das Studio bekommt hier eine Realdekoration. Vor ihr wird werktäglich das Nachtmagazin moderiert. Aus der realen Studioecke können bei außergewöhnlichen Nachrichtenlagen auch längere aktuelle Sendungen moderiert werden.
Regina Tamm (Design und Präsentation Das Erste) hat die grafische Überarbeitung koordiniert. Das unter ihrer Federführung mit der Agentur DMC Hamburg entwickelte Gestaltungskonzept ergibt sich nach ARD-Angaben aus den Basiselementen des jetzigen Designs, der Weiterentwicklungen im Rahmen der ARD-Markenfamilie und des erweiterten inhaltlichen Konzeptes.



Gegliederte Typografie: Bildunterschrift in TheAntiqua, Subline in TheSans, Logo aus TheSans Regular und Bold

Die Gratwanderung zwischen Bewährtem und Neuem beschreibt Regina Tamm so: »Es kam darauf an, die richtige Balance zu finden zwischen den von der Redaktion gewünschten neuen Möglichkeiten im ARD-aktuell-Studio und dem bewährten Auftritt der Premium-Marken Tagesschau, Tagesthemen und Nachtmagazin. Wenn die Zuschauer die Veränderungen nicht als fremd empfinden, sondern als gelungene Weiterentwicklung des Vertrauten, haben wir unseren Job gut gemacht.« Der Job wurde gut gemacht, denn tatsächlich stellen sich die Neuerungen als harmonische Weiterentwicklung dar und nicht als Bruch.



Klare Schrift auf transparentem Überleger: TheAntiqua spielt nun die Hauptrolle in der Nachrichten-Typografie

Auch in Sachen Typografie gibt es Veränderungen. Die bereits seit längerem von der ARD eingesetzte Schrift TheAntiqua, eine Erweiterung der Großfamilie Thesis von Lucas de Groot, hat jetzt auch bei den Nachrichten Einzug gehalten. Sie spielt nun die Hauptrolle in der Tagesschau/Tagesthemen-Typografie, steht in der Hierarchie über der seit Jahren dominierenden TheSans.



Vorzüglicher Tabellensatz: TheAntiqua-Beschriftung gemischt mit »monospaced« TheSans-Ziffern

Das Riesenangebot an Ziffern ist eine der Stärken der Thesis-Familie. Die Nachrichten der ARD, aber auch die Sportschau, gehen ausgezeichnet mit den Ziffern um. Wenn Mediävalziffern angesagt sind, kommen sie zum Einsatz (siehe Tagesschau-Screen-Shot ganz oben). In Tabellen findet man einen gelungenen Mix aus fetten und normalen TheSans-Zahlen, hier natürlich mit gleicher Breite (mono-space).

Fazit: Die ARD-Nachrichten sind gestalterisch führend in der deutschen Fernsehlandschaft; ihre Typografie ist vorbildlich und setzt Maßstäbe

Herausgegeben: Mo - Juni 20, 2005 at 11:29 nachm.         |


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