Magazin-E-Paper auf dem iPad lesen

In diesem Beitrag: Meine Erfahrungen mit zwei taug­li­chen PDF-Readern für das iPad (GoodReader und Fast PDF), worauf man bei diesen Programmen achten muss, wieso sich der PDF-SPIEGEL besser liest als die SPIEGEL-App und wo es noch klemmt.

Dass die SPIEGEL-App (App-Store-Link) für mich nicht funk­tio­niert, habe ich von zwei Wochen hier im Fontblog ausführ­lich darge­legt: DER SPIEGEL auf dem iPad – grafi­sche Schlachtplatte. Mein Fazit zur Erinnerung: Die doppel­sei­tige Gestaltung der Printausgabe wird zerschlagen und vom Reader auf ein gleich­förmig struk­tu­riertes Einseitenraster herunter gebro­chen. Text und Bild werden zwar befreit (»flüssig«), ihr Zusammenspiels über­nimmt jedoch der Zufall. Multimediale Ergänzungen beschränken sich auf abge­stan­dene Zweitverwertungen (SPIEGEL TV) oder Standbildanimationen in PowerPoint-Ästhetik. Die SPIEGEL-App bestä­tigt, dass E-Reader für Magazine unge­eignet sind. Die weit­ge­hend werbe­freie Digitalausgabe kostet zudem 3,99 € , ist also teurer als das gedruckte Heft (3,80 €).

Plan B für den digi­ta­li­sierten Leser ist das SPIEGEL-E-Paper, das die Hamburger Mitte 2006 einge­führt haben müssen … jeden­falls reicht mein Archiv zurück bis Heft 29/2006. Und da ich Neuerungen immer sofort auspro­bieren muss, könnte es sich um das erste E-Paper des SPIEGEL handeln, das zeit­gleich mit der Printausgabe erschien. Inzwischen wurden auch ältere Jahrgänge in PDFs über­führt und können als Einzelhefte per Download erworben werden.

Seit dem ersten Tag wird das SPIEGEL-E-Paper mit einem A4-Deckblatt gelie­fert, das wegen der Sicherheitseinstellungen nicht vom Heft zu trennen ist. Auch wenn man nur eine Geschichte erwirbt oder eine indi­vi­du­elles Artikel-Konvolut zusam­men­stellt, liegt das büro­kra­ti­sche Begleitschreiben obenauf, inklu­sive Falzmarke, wie damals bei Postvertriebsstücken. Vielleicht betrachten die Herausgeber den Lieferschein als eine Art getarnten Kopierschutz: E-SPIEGEL-Kunden scheuen sich mögli­cher­weise, das Dokument an jemanden weiter zu leiten, wenn auf der ersten Seite der Name des Originalempfängers aufge­druckt ist. Es gibt dezen­tere Signatur-Methoden, die auch vom Leser akzep­tiert werden.

Ich weiß nicht, was ärger­li­cher an diesem Blatt ist: dass es die erste Seite verdeckt oder dass es 4 Jahre über­lebt hat. Darüber hinaus muss die Frage erlaubt sein, wie jüngst beim Reader, ob die Entscheider des Verlagshauses ihre digi­talen Produkte eigent­lich selbst benutzen? Auf der einen Seite ist der SPIEGEL zu recht stolz auf seine Titelseite, schickt sie sogar in Form einer histo­ri­schen Ausstellung auf Wanderschaft (Die Kunst des SPIEGEL). Und dann wird die Visitenkarte des Hefts bei der elek­tro­ni­sche Ausgabe gegen eine Aktennotiz ausge­tauscht. Das Ergebnis dieser Rücksichtslosigkeit ist unten zu sehen: nichts­sa­gende Vorschaubilder füllen nach und nach das digi­tale Zeitschriftenarchiv der Leser. Außerdem sind die Dateibilder (Icons) solcher SPIEGEL-PDFs gesichtslos wie ein Microsoft-Office-Dokument.

Noch schwerer wiegt der gestörte Seitenrhythmus. Weil PDF-Reader davon ausgehen, dass mehr­sei­tige Dokumente mit einer (nicht zwei) Titelseite(n) beginnen, gerät bei SPIEGEL-PDFs die Heftstruktur aus dem Rhythmus: unge­rade Seiten stehen links, gerade Seiten rechts. Nur wenige Leseprogramme erlauben das Einfügen leerer Seiten (zum Beispiel die Vorschau unter Mac OS) oder das Umschalten der Seitenanordnung.

In der Regal-Ansicht von ›Fast PDF‹ (links) sind die einzelnen SPIEGEL-E-Paper-Ausgaben wegen des oben liegenden Lieferscheins nicht zu unter­scheiden; der ›GoodReader‹ (rechts) zeigt zwar die Namen der SPIEGEL-Ausgaben, als Preview kommt das nichts­sa­gende Versandpapier zum Einsatz

Kommen wir zu den PDF-Redaren für das iPad. Zwei von ihnen sind seit vergan­gener Woche in der Lage, das SPIEGEL-E-Paper ordent­lich darzu­stellen, was wir der Intelligenz der Reader verdanken. Beide haben durch Updates wich­tige Funktionen erhalten, die das bequeme Lesen des Nachrichtenmagazins in PDF-Form erst­mals möglich machen.

Fast PDF. Auf der World Wide Developer Konferenz in San Francisco stellte Apple-Chef Steve Jobs vergan­gene Woche eine neue Version seines Buchladens vor, die App iBooks, die künftig auch PDFs verar­beiten kann. Wer schon jetzt PDFs in einer App lesen möchte, die wie iBooks aussieht, kann sich zur Zeit für 2,39 € Fast PDF laden (App-Store-Link). Da es eine univer­selle App ist, muss man sie nur einmal kaufen wenn man Besitzer eines iPad plus iPhone oder iPod Touch ist. Nach dem Programmstart zeigt das Fast-PDF-Regal die Bestandsbibliothek. Einen Shop oder einen PDF-Marktplatz (wie bei iBooks) gibt es auf der Rückseite des Möbels nicht zu entde­cken, aber man kann sich Dokumente direkt aus dem Internet oder über den PC/Mac laden. Diese sind dann so lesen, wie es auch in der iBooks-App möglich sein wird: mit Lesezeichen, Textsuche, Notizfunktion und Doppelseitenansicht  – nur 4 Funktionen, die das SPIEGEL-App nicht beherrscht.

Eine ausführ­liche Dokumentation der Möglichkeiten von Fast PDF liefert die Site des italie­ni­schen Herstellers MobFarm S.r.l.: Fast PDF Entwicklersite. Ich möchte hier nur die entschei­denden neuen Funktionen von Version 1.2 aufzählen, die das Lesen des SPIEGEL-PDF zur Freude machen:

  • regel­bare Bildschirmhelligkeit im Reader
  • Tabellendarstellung, alter­nativ zur Regal-Metapher
  • Doppeltippen für Zoomen (und zurück)
  • auto­ma­ti­scher Wechsel zur Doppelseitendarstellung beim Kippen des iPads
  • Seitennummerierung vertau­schen (linke/rechte Seiten)
  • trans­pa­rente Navigation ein/ausblenden

Eine Doppelseite des aktu­ellen SPIEGEL sieht in Fast PDF so aus, hier mit einge­blen­deter Navigation, die sich mit einem Fingertip verste­cken und wieder hervor­holen lässt:

Doppelseite 54/55 des SPIEGEL, Ausgabe 24/2010, auf dem iPad im Programm Fast PDF, mit einge­blen­deter Navigation (Abbildung in Originalgröße)

Warum ist die Doppelseitendarstellung wichtig. Weil Magazine doppel­seitig gestaltet sind, wie man an diesem Beispiel schön sehen kann, wo sich der Kursverlauf einer Griechenland-Anleihe durch den zwei­sei­tigen Aufmacher eine fünf­sei­tigen Geschichte schlän­gelt. Ein ästhe­ti­scher Grund, also. Praktisch ist die Doppelseite, weil man mit ihr in zwei­fa­cher Geschwindigkeit durch das Heft blät­tern kann. Das geht am iPad jetzt tatsäch­lich schneller als in Papier.

Bleibe ich an einer Doppelseite hängen, weil mich ein Foto oder eine Headline neugierig machen, drehe ich das iPad um 90 Grad (egal in welche Richtung) und es erscheint die linke Seite im Hochformat – in fast glei­cher Größe wie im gedruckten Heft. Die Seite ist jetzt ange­nehm lesbar. Falls nicht, helfen Vergrößerungsgesten wie Doppeltip oder Aufziehen weiter.

Die Abbildung unten zeigt die Einseitendarstellung (die linke Seite der erwähnten Doppelseite), einmal in Fast PDF (links) und einmal in GoodReader (rechts), das zweite Programm, das ich im nächsten Abschnitt bespreche. Ein Klick auf die Abbildungen liefert jeweils einen Original-iPad-Screenshot in 1:1-Größe:

Doppelseite 54 des SPIEGEL, Ausgabe 24/2010, auf dem iPad – links im Programm Fast PDF, rechts im Programm GoodReader (ein Klick auf die jewei­lige Abbildung liefert eine 1:1-Darstellung)

GoodReader weist einen größeren Funktionsumfang auf als Fast PDF. Dateien werden entweder vom Desktop-Rechner (über einen WiFi-Anschlus)s, aus dem Internet oder als E-Mail-Anhänge dem Reader hinzu­ge­fügt. Auch die Verwendung mit der iDisk, box​.net, MyDisk​.se und anderen weit verbrei­teten WebDAV-Servern, sowie mit Tools wie z. B. Google Docs und Dropbox ist völlig problemlos.

Eine Besonderheit ist die PDF-Reflow-Funktion, die Text aus den PDFs filtert und dem Bildschirm ange­passt präsen­tiert. Wer möchte, kann Schriftgröße und Farbigkeit anpassen, das Geschriebene auto­ma­tisch in Lesegeschwindigkeit scrollen lassen oder den Text extrahieren.

PDF-Seiten werden weder von Menüleisten noch Schaltflächen verdeckt und nutzen den gesamten Bildschirm. Einziger Wermutstropfen bei der Doppelseitendarstellung ist der kräf­tige Trennstrich in der Mitte – eine gepunk­tete Linie oder die Option in ganz wegzu­nehmen wäre ideal. Mit der PDF-Hyperlink-Funktion kann man inner­halb des Dokuments schnell nach vorne und zurück springen. Wer genau weiß, was er sucht, verwendet die Volltext.PDF-Suche. GoodReader liest übri­gens nicht nur PDFs, sondern MS-Office-Dokumente (.doc, .ppt, .xls), iWork-08 und -09-Dateien, HTML und Safari-Webarchive, hoch­auf­ge­löste Bilder und sogar Audio- und Videodateien.

Doppelseite 54/55 des SPIEGEL, Ausgabe 24/2010, auf dem iPad im Programm GoodReader, mit einge­blen­deter Navigation (Abbildung in Originalgröße)

Auch hier eine Auflistung der neuen Funktionen von Version 2.8.1 des GoodReader (Appstore-Link, 0,79 €), die das Lesen des SPIEGEL-PDF zur Freude machen:

  • hori­zon­tales statt verti­kales Blättern ist jetzt Standard
  • Pre-caching der PDF-Seiten für schnel­leres Blättern
  • auto­ma­ti­scher Doppel-/Einseitendarstellungswechsel durch Kippen des iPad
  • einstell­bares und spei­cher­bares Beschneiden der Seitenränder
  • Titelseite ein/aus, regelt die Doppelseitendarstellung
  • das gesamte PDF dauer­haft rotieren und speichern

Fazit: In Anlehnung an den Schriftsteller Ferdinand von Schirach, der vor 6 Wochen für den SPIEGEL nieder­schrieb, warum er den Reader nicht mehr missen möchte, lautet meine Quintessenz: Dank iPad und PDF-Reader lese ich das Heft endlich digital lieber als in gedruckter Form. Ich kann Einzel- und Doppelseiten blät­tern, vergrö­ßern, Stichwörter suchen, das Heft liegt nicht mehr herum, ich kann alle früheren Ausgaben mitnehmen – und vor allem: Es sieht nach Zeitschrift aus.


6 Kommentare

  1. stefanx

    wie man es richtig machen kann, auch wenn die usabi­lity teil­weise noch etwas zu wünschen übrig lässt, zeigt meiner meinung nach die ipad-app vom wired magazin. die bläst einem anfangs das hirn weg. und: ist güns­tiger als das heft am kiosk.

  2. Sebastian Nagel

    @1 (stefanx):
    zum wired-mag: die tech­ni­sche Lösung von knapp 500MB (oder über 4000 Stück) png und jpg-Dateien, dafür kein durch­such­barer Text … – das ist zwar schön, aber kann auch nicht die Lösung sein – auch wenn’s einem was wegbläst.
    Ich warte noch auf das Magazin/Buch/… , das mit den tech­ni­schen Möglichkeiten dieser Geräte ein anseh­li­ches und brauch­bares Produkt darstellt, also die selbe visu­elle Qualität wie gewohnt bietet, aber medi­en­ad­äquat umge­setzt ist.
    Es wird wohl letzt­lich auf sowas wie PDF raus­laufen, oder aber die Inhalte-Renderer müssen deut­lich besser/flexibler/ästhetischer werden.

  3. Thomas Hühn

    In PDF kann man doch kodieren, welches „Seite 1“, also welche links und welche rechts ist, meine ich?

    Ist das in dem Spiegel-PDF nun falsch oder können die Reader es nicht?

  4. manfred

    was ich immer noch vermisse ist die möglich­keit pdf dateien vernünftig zu editieren. dabei spreche ich von notizen (zB in form von post-it), skizzen anzu­hängen, simples unterstreichen, …

    das ist viel­leicht bei maga­zinen nicht so wichtig, aber damit würde ich mir sehr viel druck sparen vorallem bei doku­menten die ich für die univer­sität lesen und durch­ar­beiten muss.

  5. epagee

    Die absolut Lösung haben wir auch noch nicht entdeckt, sicher­lich wird es noch einige Monate dauern bis entspre­chende Apps auftauchen.

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