Die schönste Zeitung kommt aus Deutschland

Alljährlich prämiert die Society for News Design (SND) Mitte Februar die am besten gestal­teten Tages- und Wochenzeitungen welt­weit. Vergangenes Jahr war nicht einfach für die Branche, was auch die Jury spürte. Fast überall kämpfen die Zeitungen mit schwin­denden Auflagen und sinkenden Anzeigenerlösen. In den USA scheint die Situation drama­ti­scher als außer­halb, wo die Printmedien nach Auffassung der SND-Berater einen »gesün­deren« Eindruck machten.

Doch gerade der Wettbewerb mit den digi­talen Nachrichtenquellen sei eine große Herausforderung für die Gestaltung. Die Rolle es Designers habe sich gewan­delt, die visu­elle Inszenierung sei wich­tiger als je zuvor. »This is the age for the thoughtful desi­gner. Your efforts must be as considered as they are crea­tive.« resü­mieren die Experten bei SND.

Dieses Mal betei­ligten sich 240 Zeitungen am Design-Wettbewerb der SND. Sie reichten das nach ihrer Ansicht beste Exemplare des vergan­genen Jahres ein – drei einge­bet­tete Flickr-Diashows im nach­fol­genden Beitrag (mit Full-Screen-Funktion) zeigen diese einge­reichten und prämierten Ausgaben.

Am 8. Februar entschied sich die Jury für drei Sieger, von denen zwei aus Deutschland kommen, was das gefühlte hohe Niveau des deut­schen Zeitungsdesigns bestätigt:

1. der Freitag (Wochenzeitung, Berlin)
2. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Wochenzeitung, Frankfurt am Main)
3. The New York Times (Tageszeitung, New York, USA)

Die Zeitungen wurden gewählt, weil ihre Gestaltung beweist, dass die Redaktionen ihre Leser genau kennen und gut bedienen möchten. Das Aussehen der Siegerblätter ist in jedem einzelnen Fall das Ergebnis einer sorg­fäl­tigen Planung plus einer redak­tio­nellen Strategie, die sich von der ersten bis zur letzten Seite durch das Gedruckte zieht. Die Jury: »They each have a strong DNA — an iden­tity that goes beyond format. A partial inside page is as iden­ti­fiable to the publi­ca­tion as its’ page one.«

Der Freitag, Berlin, wöchent­lich, Auflage 12.400 Exemplare

Wie die Berliner Wochenzeitung gestern in ihrem Redaktionsblog mitteilt, habe die Freitag-Redaktion nach Erreichen der Nachricht aus Orlando, Florida, erst mal die Arbeit für ein paar Minuten einge­stellt: »Die Freude ist riesen­groß«. Verantwortlich für die vorbild­liche Gestaltung des Blattes sind Matthias Last und Alexander Seeberg-Elverfeldt, das interne Art-Department (Janine Sack, die Leiterin, Andine Müller, Corinna Koch, Jana Schnell und Stefan Stalder) sowie Anja Horn und ihr Team beim Berliner Designbüro Einhorn Solutions. Johannes Erler (factor­de­sign) stand beim Redesign bera­tend zur Seite. Und nicht zuletzt gebührt dem Schriftentwerfer Luc(as) de Groot ein Lob, der für dieses Projekt eine weiter­ent­wi­ckelte Version von TheAntiqua produzierte.

Hier die ausführ­liche Begründung der Jury, über­setzt von Christine Käppele bei Freitag: »Auffällig und doch so schlicht. Seite für Seite wartet diese Zeitung jede Woche mit visu­ellen Überraschungen auf; diszi­pli­niert und elegant, anstatt laut und chao­tisch. Wie gelingt dem Freitag diese schwie­rige Balance? Das strenge Grundlayout – eine solide Typographie, eine intui­tive Navigation – wird durch eine präzise Auswahl und Präsentation der visu­ellen Inhalte ergänzt. Die Zeitung, die 2009 radikal neu gestaltet wurde, hat von der Titelseite an keine Angst davor, auffäl­lige, origi­nelle Illustrationen zu zeigen. Ein Frosch, der in allen Regenbogenfarben schil­lert, sticht dort hervor, als wolle er den Leser dazu auffor­dern, in die Zeitung einzu­tau­chen. In der Mitte einer Doppelseite illus­triert das wunder­volle Foto eines einsamen Iglus in der gefro­renen Tundra eine Leseprobe auf eindring­liche Art. Farbe wird zur Navigation des Lesers sparsam und stra­te­gisch einge­setzt. Woche für Woche ist die Struktur einheit­lich, ohne dass die Zeitung dadurch vorher­sehbar wird. Ähnlich redu­ziert ist die Typographie. Verwendet wird nur eine Schrift, was jedoch durch den Einsatz verschie­dener Schriftschnitte nie eindi­men­sional wirkt. Es gibt keine Unordnung oder unnö­tige Bilder, die den Blick ablenken. Der Freitag scheut sich nicht davor, seine Leser einfach lesen zu lassen. Um es kurz zu machen: Die Zeitung ist ein Genuss«.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, wöchent­lich, Frankfurt, Auflage 347.000 Exemplare

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) ist die Sonntagsausgabe der FAZ, ursprüng­lich nur als Regionalzeitung in der Region Rhein-Main vertrieben, und seit dem 30. September 2001 bundes­weit erhält­lich. Trotz der gemein­samen Nutzung redak­tio­neller Ressourcen (die FAS hat aber zusätz­lich 50 eigene Redakteure) tritt die Sonntagszeitung eigen­ständig auf. Ihr Erscheinungsbild unter­scheidet sich deut­lich vom Muttermedium in der Satzgestaltung, der durch­gän­gigen Vierfarbigkeit und einer eigenen Brotschrift, der Janson. Außerdem ist ihr Ton leichter und unter­halt­samer als jener der seriösen FAZ. Ein Erkennungsmerkmal sind die oft einge­setzten Illustrationen am Artikelanfang (Vignetten), die unter anderem von dem Illustrator Bengt Fosshag stammen.

Die Jury: »Ein bemer­kens­werter Mix visu­eller Elemente entfaltet sich auf den Doppelseiten dieser Wochenzeitung im Nordischen Format. Anstatt Geschichten in unver­än­der­bare Layouts zu quet­schen, erzählen die Designer des Sonntagsblatts – hand­werk­lich gekonnt –  Geschichten, passend zum Thema des Beitrags. Auf einer Seite ließ sich eine Geschichte am besten mit 24 Screenshots vom iPhone illus­trieren. Wenige Seiten später erlaubt die riesige Abbildung eines Renaissance-Gemäldes dem Leser, sich in male­ri­schen Details zu verlieren, was die beglei­tende Geschichte zusätz­lich kraft­voll unter­stützt. Der sinn­volle Gebrauch weißer Flächen und des Rasters, verbunden mit dem umsich­tigen Einsatz von Farbe tragen zur allge­meinen Klarheit bei. Das Ergebnis: eine Zeitung, welche die Zeit, den Verstand und die Neugier stand­haft respektiert«.

The New York Times, täglich, New York City (USA), Auflage 930.000 Exemplare

Die New York Times (NYT), gegründet 1851, ist eine einfluss­reiche über­re­gio­nale US-Tageszeitung, die von der New York Times Company geführt wird. Sie wird auch »The Gray Lady« genannt. Ende 2004 betrug die verteilte Druckauflage wochen­tags 1.124.700 Exemplare, heute liegt sie bei 930.000. Die Wirtschaftskrise ab 2008 traf die New York Times mit Einbrüchen bei den Anzeigeneinnahmen. Am 19. Januar 2009 teilte die New York Times Company mit, dass sich der mexi­ka­ni­sche Milliardär Carlos Slim mit weiteren 250 Millionen Dollar am Verlag betei­ligt. Die Redaktion wurde von 1330 auf 1100 Mitarbeiter redu­ziert. Wie schon andere Druckpublikationen auch verlegt die NYT den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten zuneh­mend in den Online-Bereich, der zunächst als Ableger und Ergänzung der Druckausgabe behan­delt wurde. Zuletzt machten die New Yorker mit inno­va­tiven Apps und Webseitenkonzepten auf sich aufmerksam.

Die Jury: »A large-circu­la­tion general-inte­rest news­paper is a tough beast to visually tame. Every Sunday, the local edition of The New York Times has a dozen or more sections, cove­ring the world from Bali to the Bronx, and topics ranging from nuclear bombs to nose jobs. A DNA of visual disci­pline binds sections with distinct accents toge­ther into a paper that speaks with one voice. A design archi­tec­ture of time­less elegance provides a solid foun­da­tion upon which to build inno­va­tive visual storytel­ling that weaves through the paper. In the Metropolitan section, the extra­or­di­nary lives of ordi­nary people unfold in a feature that raises the bar for photo columns. When it comes to presen­ting long-form written jour­na­lism, Times desi­gners realize their job is to enhance the plea­sure of reading narra­tive text, not dimi­nish it with distrac­tions. From its iconic front page to cutting-edge fashion photos in its maga­zine, the Times serves a national audi­ence with a sprinkle of New York flavor.«

Die Jury:
J. Bruce Baumann, Evansville Courier & Press
Dennis Brack, The Washington Post
Miguel Gomez, Al Nisr Publishing Group (Dubai)
Lily Lu, Berater und Bründer von SND China
Margaret O’Connor, The New York Times


17 Kommentare

  1. Jan Middendorp

    Die Neugestaltung des Freitags war umso mutiger, weil das vorhe­rige, klas­sisch typo­gra­fierte Design schon ganz gut aussah. Vielleicht sollten wir die Schriftfamilie noch kurz erwähnen: eine von Luc(as) de Groot für dieses Projekt weiter­ent­wi­ckelte Version von TheAntiqua.

  2. Jürgen Siebert

    Danke, Jan, für die Zusatzinformation, die ich dem Beitrag hinzu­ge­fügt habe.

  3. Julius

    Wow, da macht es doch wieder Spaß, eine richtig gedruckte Zeitung in den Händen zu halten.

    Ich denke auch, dass ein gutes Design und exel­lente Typografie einen großen Anreiz schaffen, die Informationen eben nicht am Bildschirm zu lesen, sondern orga­nisch auf Papier, frisch aus der Druckerpresse, nach Lösemitteln und Farbe riechend…

  4. Balthier9999

    Ich kann der Entscheidung der Jury voll­kommen zustimmen: Der Freitag ist eine exzel­lent gestal­tete Zeitung. Sehr ansehn­liche Typo, schlichtes aber logi­sches Raster und einen Hauch Internet-Optik – wie es zum ambi­tio­nierten Projekt passt.

    Es ist eben doch noch was anderes, sowas schönes in der Hand zu halten.

  5. Rax

    Auf mich wirkt die FAS immer wie eine Bild-Zeitung für Studierte. Da über­zeugt mich das zurück­hal­tende, elegante Auftreten der FAZ doch wesent­lich mehr.

  6. robertmichael

    ich hatte noch nie eine freitag in der hand, gibt es in der zeitung auch anzeigen? eine zeitung ohne anzeigen sieht natür­lich immer toll aus, ist aber eigent­lich kaum zu produ­zieren. so sieht sie schon sehr designt aus, was toll ist — aber funk­tio­niert es auch mit anzeigen im textteil?

  7. Julia

    @5 Rax: Als Student bin ich wohl mitten in der Zielgruppe der FAS ;)
    Auch wenn ich die Illustrationen und Fotografien sehr schätze, machen für mich die inter­es­santen Artikel den Wert der Zeitung aus. Ich hatte bis jetzt noch keine Zeitung, bei der ich so viele Artikel gelesen habe.

  8. BAR M Grafikdesign

    »Der Freitag« über­zeugt doch vor allem mit seinem chicen Design, weil er auch redak­tio­nell neue Formen zu bieten hat. Hier also nicht einfach Redesign gewaltet hat, sondern Konzeptarbeit geleistet wurde.

    Dem wahren Leben abge­guckt sind jede Menge blog­ar­tige Kolumnen und kommen­tar­hafte Artikel. Diese speisen sich aus dem nicht papie­renen Ableger und der außer­re­dak­tio­nellen Autorenschaft des Periodikums.

    Dazu kommt eine bril­li­ante und für das Genre ›seriöse Zeitung‹ revo­lu­tio­näre Bildpolitik – die oben abge­bil­dete Oktoberausgabe zeigt keine Ausnahme, der illus­tra­tive Umgang mit Bildern ist gang und gäbe – wohl aufgrund seiner zeit­öko­no­misch umsetz­baren Form: mono­chrome und Duplexumsetzungen, Schraffuren, Collagen.

    Ganz herz­li­chen Glückwunsch – beson­ders auch an Kollegen Köster von Einhorn Solutions.

    Ein biss­chen wehmütig trauern wir aller­dings dem alten Freitag hinterher. Denn mit der chicen und auch uns ganz und gar einwi­ckelnden Form ist leider der etwas schrullig-skur­ille Charakter und inhalt­liche Stil der Wochenzeitung verloren gegangen. Inhaltlich scheinen die Beiträge weniger tief, dafür einfa­cher konsu­mierbar. Und, mit Verlaub, a bisserl austauschbar. In dieser Hinsicht ganz ange­kommen im Hier und Jetzt.

  9. Herb G

    @6. Hab mir gerade die aktu­elle Ausgabe besorgt: Da sind insge­samt nur 6 Anzeigen drin (!), davon sind 4 auch noch Eigenanzeigen des FREITAG, die sich natür­lich wunderbar ins Layout einfügen … Kann man – auch als Wochenzeitung – davon leben? Hoffentlich stirbt der FREITAG nicht irgend­wann in Schönheit, wär’ schade drum.

  10. robertmichael

    das heißt also nur ganze 2 fremd­an­zeigen? unvor­stellbar! wenn das die zeitung durch­hält, glückwunsch!

    notiz an mich:
    beim nächsten berlin­be­such unbe­dingt den freitag kaufen.

    wink mit dem zaunpfahl:
    der freitag passt bestimmt auch gut in die neue typo-berlin-tasche.
    ;)

  11. Torsten

    ich finds toll, dass es noch mutige zeitungen gibt, die sich trauen anders zu sein – und erfolg­reich damit sind. ich wünsche dem freitag auf jeden fall viel erfolg!

    @robertmichael: hab gestern ne reklame in der taz gesehen und mir mal die nächsten 6 ausgaben für zusammen 5 € bestellt. hier der link: freitag​.de/​e​x​k​l​u​s​i​v​abo

  12. Jürgen Siebert

    Noch ein Tipp für Nicht-Berliner und Nicht-Freitag-Empfänger. Auf dieser Seite gibt es alle Ausgaben als PDF, außer den 4 aktuellsten:

    http://​www​.freitag​.de/​a​r​c​hiv

  13. peter

    Seit der Neugestaltung des Freitags habe ich keine Ausgabe verpasst. Ich kann beson­ders Ausgabe 42 empfehlen im Archiv kurz runter­zu­laden. In Kooperation mit der Illustrative ist die Zeitung komplett durch­il­lus­triert. Ein Augenschmaus!

    Eine Wochenzeitung die man konti­nu­ier­lich zu 70% durch­liest, und dann dennoch das Online-Angebot checkt will erst einmal gefunden sein.

    Sehr zu empfehlen!

  14. robertmichael

    danke für den tipp jürgen. es ist wirk­lich nicht viel los mit anzeigen, erstaun­lich. das kann man mit den zeitungen die hier bei uns aussliegen gar nicht verglei­chen. da erschlägt dich auf jeder seite eine schlecht gestal­tete anzeige nach der anderen.

  15. Leon Kaisers

    Da muss ich Robertmichael recht geben. Mittlerweile übschlagt sich der ganze Zirkus wirk­lich nur noch. Schlimmer als casino betrug. Ich bin ja gespannt, wo uns das alles noch hinführen wird.

  16. soso

    Der Freitag ist ein biss­chen zu Links für ein gutes Anzeigengeschäft.

  17. nicht-nur-freitags

    Zum Einen gibt es den Freitag nicht nur in Berlin, sondern an so ziem­lich jedem Bahnhofskkiosk in Deutschland (außer in Bayern).
    Zum Andern erschlagen ja weniger die Anzeigen in den anderen Zeitungen, sondern viel­mehr die Zeitungen selber. Die einge­schneite FAS ist da ja noch sehr zurück­hal­tend. Eine einzige Seite mit 14 (vier­zehn!) verschie­denen Linien wie manchen tags die Berliner Zeitung, da rennt man doch weg. Und man findet vor lauter Bildern ohne Sinn den Artikel gar nicht mehr.

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