Die Gänsehaut-Typografie der O2-World-Kampagne
Gestern Abend eröffnete Berlins größte Veranstaltungshalle ihr Pforten: die O2 World Arena. Bauherr ist die US-amerikanische Anschutz Entertainment Group, die weltweit Veranstaltungsstätten betreibt und eine der führenden Unternehmen in Live Entertainment und Sport ist. Das Gebäude entstand in nur zwei Jahren auf einem ehemaligen Bahngelände in Friedrichshain. Es ist des erste Objekt eines Investorenprojekts namens »Mediaspree«, das Kommunikations- und Medienunternehmen entlang des Spreeufers anzusiedeln versucht und diesen Bereich entsprechend umstrukturieren möchte. Eine Bürgerinitiative (»Mediaspree versenken«) wehrt sich gegen diese Pläne.
Die Anschutz-Arena ist das erste Veranstaltungsgebäude Deutschlands, das konsequent multimedial vermarktet wird – ja sich selbst als Multimedia-Objekt ins Gespräch bringt. Schon seit Monaten machen 3 überdimensionale LED-Bildschirme im Bezirk auf das Programm der Arena aufmerksam, wo auch die beiden Sportvereine ALBA Berlin (Basketball) und Eisbären Berlin (Eishockey) zukünftig ihre Heimspiele austragen werden.
Prägend für das äußere Erscheinungsbild der O2 World ist eine gewölbte Glasfassade rund um den Haupteingangsbereich. In dessen Zentrum befindet sich eine 1500 Quadratmeter große LED-Installation mit 300.000 Lichtpunkten, die bei Einbruch der Dämmerung die Fassade in einen riesigen Widescreen-Bildschirm verwandelt, der mit Texten, Bildern oder Filmen bespielt werden kann.
Wie in Sportarenen dieser Dimension üblich, hängt über der Spielfläche (beziehungsweise dem Konzertraum) in 14 Metern Höhe ein achteckiger LED-Videowürfel. Er ist rund viereinhalb Meter hoch und hat einen Durchmesser von 12,60 Metern. Hier können Bilder aus vier unterschiedlichen Kameraeinstellungen gleichzeitig gezeigt werden. Bei Sportveranstaltungen dient der LED-Würfel zusätzlich als Anzeigetafel.
Die Werbung für die erste »leuchtenden Arena« in der Hauptstadt greift geschickt die LED- und Screen-Ästhetik auf, durch die der Multifunktionsbau auf sich aufmerksam macht. Die Matrix-Schrift in den Headlines von 02-World-Großflächen- und -City-Plakaten passt vorzüglich zum Sujet. Dabei haben es sich die Gestalter nicht leicht gemacht, denn die Kampagnenschrift scheint – nach meinen ersten erfolglosen Recherchen – maßgeschneidert; jedenfalls konnte ich in den Beständen des FontShops keine Punktmatrix-Schrift finden, die auf einem 5 x 12 Pixel-Raster basiert.
Selbst wenn es eine solche Schrift im PostScript- oder OpenType-Format gibt oder gäbe, ist sie für die Kampagne in Photoshop überaus raffiniert mit Verläufen und Überstrahlungen inszeniert. Das nenne ich typografische Spitzenqualität.
Ganz im Gegensatz dazu der typografische Auftritt des O2-Logos, das morgen von zwei führenden deutschen Corporate-Designern im Rahmen unseres Designdiskurses am Freitag auseinander genommen wird.
Abbildungen: O2 world (1), Fontblog (3)
17 Kommentare
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Simon Wehr
Haha, Teasern und Trailern, jetzt auch im Fontblog. Bleiben Sie dran!
Ob es jemals wieder Hallen geben wird, die nicht nach irgendeinem Konzern benannt sind? Kennt noch jemand Waldstadion, Volksparkstadion etc.?
Christoph
Fritz-Walter-Stadion,
the one and only.
Ivo
Pipperlapupp. Euch haben wir den Klose zu verdanken.
Eintracht-Stadion. Sonst nix.
Christoph
Ihr habt halt niemanden, nach dem Ihr es benennen könntet,
ist ja nicht schlimm! ;)
(Obwohl, „Jürgen-Rische-Stadion“ …)
Ivo
Wir haben zu viele Legenden [und eigentlich nur die]. Zum Beispiel Popi …
Christoph
Mein Gott, wie konnte ich Popi vergessen …
saberrider
Hi!
Die Schrift gefällt mir auch. Hab mich gleich mal drangesetzt und die in fontstruct soweit wie möglich zu reproduzieren.
Hier der Link zur Vorschau und Download:
http://fontstruct.fontshop.com/fontstructions/show/98462
martin
ich sach nur ganz in der nähe gibt es auch noch gute solider stadionnamen
Karl-Liebknecht-Stadion Babelsberg
Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark…
Ivo
Stadien nach Politikern zu benennen ist ja noch schlimmer, als die Namen den Sponsoren in den Rachen zu werfen. Dann doch lieber Sauerstoffwelt. [Hat eigentlich mal jemand über diese sinnfreie Bedeutung nachgedacht?]
cassio
Dafür ist die Webseite dieser Arena umso beschissener… Sorry für die Wortwahl, aber dafür dass das ja alles so modern sein soll und medial und bla, ist die ist ja wirklich unter aller sau…
Jürgen
@saberrider: So muss das sein … FontStruct ist genau das richtige Tool dafür. Komoliment für die schnelle Reaktion.
Und jetzt kann jeder mit der o2-World-Schrift gestalten? Sag das mal nicht den Mediaspree-Versenkern, die können doch jetzt gefälschte Flugblätter herstellen ;-)
verena
Die Versenker können noch viel mehr. Das Kapern von Corporate Designs ist bei diesem Thema eine wirklich feine Sache.
http://fraugerlach.de/blog/?page_id=90
Franz der Franzer
Ja klar versenken was sonst, die Website und Mediaspree sowieso.
Aber zur Website: Wenn ich die website der Macher http://www.7dc.de/index.php anschaue, denke ich das die sich selbst übertroffen haben ;-) ;-)
cassio
@13
Um Gottes willen…
fabian
7DC ist eine ganz merkwürdige Agentur. Die machen auch furchtbare Seiten alle möglichen Fußballstars… (Lukas Podolski, Oliver Kahn usw. – fast jeder berühmte deutsche Spieler hat eine Website von 7DC)
Christian Speelmanns
Wenn hier schon die Logos und Schriften auseinander genommen werden, will ich das auch gleich noch mit der Architektur machen: Es ist nämlich mal wieder eine furchtbare Investorenarchitektur! Diese hat nämlich nichts anderes als diesen halbrunden Videoschirm zu bieten (der erinnert mich irgendwie an Startrek). Die restlichen Bauteile der Arena scheinen mir sonst nämlich recht wenig von der Formensprache her durchdacht zu sein. Wie bei Schriften muß es da auch Übergänge geben, und die sind hier garnicht so gut gelungen. Sowohl die seitlichen Teile, als auch die Inszenierung der Eingänge ist irgendwie nicht zufriedenstellend; die steinverkleidete Wand über den Türen passt auch überhapt nicht zu der ziemlich technischen und spacigen Erscheinung mit der Videowand!
HD Schellnack
Die Sorte Bau, die eine riesige LED-Installation braucht, um sich dahinter zu verstecken. Abgesehen davon, dass ich diese hyperkommerzialisierten Bauten an sich hasse – und sie auch als Konzertorte schrecklich finde – ist der Trend, schäbigste Architektur hinter Licht zu verstecken, eine gerade frisch einsetzende Krankheit. Noch jubelt ihr – aber wartet ein paar Jahre, bis der Shit bei Bäcker Müller angekommen ist.
Das hier, sorry, ist nur das dumpfe LED-Laufbahn von anno 1980 – in groß. Beeindruckend? Aber hallo. Groß geht ja immer. Aber architektonisch wertvoll? Beständig? No fucking way. Das Ding ist schon mental abgerissen, bevor es eröffnet ist.