Deutsche Schrift könnte einfacher werden (2)

Von links: Plakat des Broadway-Musicals Brooklyn, Cover des US-Bestsellers »Faster« von James Gleick, das Motorola-Handy »Motorazr«, Reebok-Logo

Den größten Einfluss auf die aktu­elle Sprache hat die Beschleunigung der Information. TYPO-2003-Besucher erin­nern sich viel­leicht noch an den Auftritt des Zeitforschers Karheinz Geißler, Autor der Bestseller »Wart’ mal schnell« und »Alles Espresso. Kleine Helden der Alltagsbeschleunigung«. Er stellte damals klar: »Die Zeit bleibt immer gleich, unsere treue Begleiterin bis zum Tode. Was sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte geän­dert hat, ist ihre Reglementierung.« Mit netten Anekdoten und Bildern wies er nach, wie wichtig die Erfindung der Uhr für die Industrialisierung war, und warum wir sie heute kaum noch nutzen. »Unpünktlichkeit ist unser zweit­größtes Problem und komme gleich hinter ›keine Zeit haben‹. Wir haben ständig ein schlechtes Gewissen, weil wir trotz der vielen Uhren überall und immer zu spät kommen. Deshalb stellt das Handy die Bedeutung der Uhr in den Schatten, weil wir damit jetzt unsere pünkt­liche Verspätung ankün­digen können.« (Geißler auf der TYPO 2003)

Jeder weiß: ein kurzer Anruf geht schneller, als eine SMS (Short Message Service) verfassen und versenden. Trotzdem bevor­zugen viele das Simsen, weil ihnen ein Gespräch zu persön­lich, zu laut, zu wichtig ist … weil sie unsi­cher sind und den Kommunikationspartner auf Distanz halten wollen. Die zeit­li­chen Mehraufwand fürs Schreiben versu­chen die Simser durch eine Versimplifizierung der geschrie­benen Sprache aufzu­fangen: Wnt2go (I want to go), cul (See you later) oder HiWrIsYrCar? (Hi, where is your car?); man achte beim letzten Beispiel auf die plötz­liche Bedeutung der Versalien im Englischen. Die Technik nimmt also nicht nur Einfluss auf die soziale Interaktion, sondern auch auf die geschrie­bene Sprache.

Interessanterweise ist die abkür­zende Schreibweise in den englisch­spra­chigen Ländern viel weiter entwi­ckelt als hier­zu­lande, was sicher mehr mit der Sprache als mit Bequemlichkeit zu tun hat. Trotzdem findet man im Migrantendeutsch vergleichs­weise ökono­mi­sche Ansätze: weisstu (Weißt Du?), hastu problem (Hast Du ein Problem?), siehssu dem tuss? (Siehst du die junge Frau dort?).

Es gibt auch tech­ni­sche Versuche, SMS-Nachrichten zu verkürzen. Unter dem Motto »Aus drei mach eins« stellen Wissenschaftler der däni­schen Aalborg Universität und der TU Berlin jüngst ein Programm zur Komprimierung von Kurznachrichten namens smsZipper vor. Die Java-Anwendung verspricht, kurze Texte auf bis zu ein Drittel ihrer ursprüng­li­chen Länge zu kompri­mieren, so dass man anstelle von 3 Standard-SMS mit maximal 480 Zeichen ledig­lich 1 SMS über­tragen und bezahlen muss. Nachteil der Lösung: die Anwendung muss auf Sender- und Empfänger-Handy instal­liert sein. Die von mit gestern ange­kün­digte, Font-basierte Lösung von FontShop wird keine derar­tige Beschränkung mit sich bringen … einzige Voraussetzung ist ein gesunde Menschenverstand beim Empfänger.

Doch nicht nur Jugend und Technik formen die Sprache, auch Werbung und Marketing. In den letzten Monaten haben sie ihre Vorliebe für vokal­freie Markennamen entdeckt. Von Motorolas SLVR über Levi’s DLX-Jeans bis hin zur Broadway-Shows Brklyn … wir haben es eilig, wofür brau­chen wir Vokale. Das meint auch James Gleick, Autor des Buches »Faster: The Acceleration of Just About Everything«, doch er kennt noch eine andere Ursache: »Neben dem cool-Factor gibt es einen ganz prak­ti­schen Grund für das Entfernen von Buchstaben: Es wird immer schwie­riger Markennamen zu finden, die noch nicht besetzt sind, entweder im Internet oder im rich­tigen leben.« Gleiches gilt für Domain-Namen: flickr​.com, zooomr​.com, rbloc​.com, …

Während man hier im Land mit den Methoden der 90er Jahre nach blumigen Markennamen sucht (jüngstes Beispiel Arcandor), gehen die Amis den Less-is-more-Weg. Und der Arbeitskreis mit FontShop gestalten mit … bald mehr (auch am Wochenende).

Zu Folge (1) dieses Beitrags …


31 Kommentare

  1. Mario Donick

    „Migrantendeutsch“

    in dem kleinen meck­len­bur­gi­schen städt­chen, in dem ich aufge­wachsen bin, gab es fast keine migranten. dafür umso mehr jugend­liche nazis. während ihrer angriffe auf alles, was nach „links“ und „zecke“ aussah, beflei­ßigten sie sich oft folgendem ausdruck:

    „wisstu auf maul?“

    man beachte die ähnlich­keit zwischen „wisstu“ und den von dir genannten beispielen „weisstu“ und „hastu“ (eben­falls oft genutzt). hab das damals in der schü­ler­zei­tung analysiert.

    als dann das buch über „kana­kisch“ rauskam, war ich sehr verwirrt, dass die beiden gruppen doch so ähnlich sprechen.

  2. Sven

    Also ich finde, dass es sich bei den Wortabkürzungen um einen furcht­baren Trend handelt. Auf der Strecke bleibt die sprach­liche Qualität und zudem die Ästhetik der Worte. Was ist das nur für eine Zeit, in der man nicht mal mehr Zeit zum gescheiten Kommunizieren hat?

  3. Andreas Frohloff

    Sven: … Was ist das nur für eine Zeit, in der man nicht mal mehr Zeit zum gescheiten Kommunizieren hat?

    Es gab schon immer Leute die nach dem Motto leben: »Woher soll ich wissen was ich denke, bevor ich höre was ich sage?« ;-)

  4. Arne Bönke

    Eines meiner Lieblings-Statements:

    die Abk. für Abk. ist: Abk.

    Warum nicht auch ökono­misch kommu­ni­zieren, wenn es Sinn und/oder Spaß macht?!

  5. robertmichael

    wir pflegen in unserem büro auch die klein­schrei­bung. für unsere eigene druck­sa­chen. ansonsten hat das internet die sprache schon ziem­lich verkürzt, auch durch den dialekt der in der persön­li­chen schreib­weise gerne gepflegt wird. ‚wasn los?‘ ‚moin‘ usw. in abkür­zungen haben uns die amis schon seit jahren einges voraus. ‚u‘ für ‚you‘ z. b. ich denke das wird sich bei uns in den nächsten jahren noch stark ändern, vor allem weil eine gene­ra­tion heran­wächst die von geburt an ‚glbl‘ aufwächst, mit ‚intrnt‘ und ‚hndy‘.
    solange man noch alles versteht hab ich nix dagegen.

  6. Ralf Herrmann

    Ich verstehe den Zusammenhang zwischen den genannten Beispielen und der Überschrift »Sprache könnte einfa­cher werden nicht«.
    Das Weglassen von Vokalen in Plakaten oder Markennamen hat doch nur den Zweck, durch Andersartigkeit Aufmerksamkeit zu erregen. (Man denke an McDonald’s GRIECHISCHE WΩCHEN)
    Das Abkürzen in Kurznachrichten ist allein der umständ­li­chen Eingabe auf den übli­chen Handys geschuldet.

    Beides sind tempo­räre Erscheinungen. In 30 wird keiner mehr SMS-Nachrichten versenden. Vokalloses Schreiben ist aber schon so alt wie die Schrift selbst. Und es ist eine Vorstufe unseres Schriftsystems, die sich nur in einige kleine Nischen retten konnte (wie das Hebräische). Einen allge­meinen Trend, also einen Rückschritt in dieses System, kann ich wirk­lich nicht erkennen. 

    Ralf

  7. Karl

    @robertmichael

    „wir pflegen in unserem büro auch die klein­schrei­bung“ beschreibt ein Paradoxon. Gemeint ist wohl eher „Wir vernach­läs­sigten die Pflege der Rechtschreibung“.

    Und dass die Amis uns in Sachen Abkürzungen „schon seit jahren einges voraus“ haben, will ich hoffen – und noch mehr hoffen, dass dies so bleibt. Die haben uns schließ­lich auch einiges in Sachen Mickey Maus und Fast Food voraus. Oder sollte man auch hier nicht tref­fender sagen: Sie liegen kultu­rell weit hinter uns zurück?

  8. robertmichael

    die recht­schrei­bung ist eine empfeh­lung kein gesetz. schön das ich in meinem büro schreiben kann wie ich es will.

    dafür haben wir einiges im kriege führen voraus. karl, ich verstehe deine vergleich nicht.

  9. Karl

    @robertmichael
    Dass wir den Amis – auf die heutige Generation bezogen – etwas im Kriegeführen voraus hätten, halte ich für eine Falschinformation, hat aber auch wenig mit eine kultu­rellen Diskussion zu tun.

    Was den Vergleich angeht: Ich wollte darauf hinweisen und anpran­gern, dass kultu­relle Degeneration aus irgend­wel­chen Gründen als „Fortschritt“ gesehen wird, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Immer einfa­cher, immer kürzer, immer schneller, immer schlechter – das ist Rückschritt, nicht Fortschritt.

  10. Mario Donick

    @ Karl

    die Frage zu klären, was »kultu­relle Degeneration« ist, obliegt niemandem hier. über­haupt diesen begriff zu gebrau­chen, halte ich für verwerflich.

    in den 1950/60er jahren gab es mal ein buch »the loom of language« des schweizer lingu­isten frede­rick bodmer. für ihn war englisch wegen des weit­ge­henden verlusts kompli­zierter gram­ma­ti­ka­li­scher erschei­nungen so ziem­lich die fort­schritt­lichste sprache der welt. spra­chen mit kompli­zierten flek­tionen (z. b. spra­chen mit dekli­na­tion … und am besten noch fünf oder mehr fälle … ) wurden von ihm als »primitiv« und rück­ständig bezeichnet. denn sie erschweren es, die sprache zu erlernen.

    sprach­ge­brauch und sprach­wandel sind natür­liche prozesse. die entschei­dung für oder gegen den gebrauch »dege­ne­rierter« sprache ist ebenso natür­lich, weil der gebrauch an sich natür­lich ist. es gibt kein gut oder schlecht. es gibt nur regeln, die für eine weile sinn­voll sind, und die v. a. nicht den sprach­ge­brauch bestimmen, sondern immer wieder diesem ange­passt werden.

    wie auch immer … (oder, um es »dege­ne­riert« auszu­drü­cken: what’ver) …

    diese diskus­sion ist so alt, das geht schon gar nicht mehr. jeder, der latein gelernt hat und stolz ist, latei­ni­sche texte zu verstehen, sollte froh sein, dass er nie mit volks­sprach­li­chen mutter­sprach­lern in kontakt kommen wird.

    um die zu verstehen, müsste er sich nämlich erst ihren »dege­ne­rierten« gebrauch des latei­ni­schen zu eigen machen.

  11. thomas

    karl: dafür machen leute in europa die western­kultur nach und die amis werden sich schlapp lachen ob der drolligkeit. 

    und noch ein stiwchwort: pop-art, jackson pollock usw …, alles »origi­näre« ameri­ka­ni­sche kultur.
    nicht alles, was von »drüben« kommt ist schlecht, nur weil gewisse leute in unserem land »linke« scheu­klappen tragen!

  12. Karl

    Degeneration bezeichnet einen Zerfallsprozess und wenn sich beispiels­weise die Sprache – sei es nun in einer SMS oder auf dem Schulhof – dem Gebrabbel eines Babys nähert anstatt sich weiter auszu­dif­fe­ren­zieren und zu verfei­nern, liegt ein solcher ja nun offen­kundig vor. Die Nutzung des Begriffs dennoch als „verwerf­lich“ zu bezeichnen, halte ich doch für sehr befremdlich.

    Natürlich gab es Gründe für die Einführung der Schreibmaschine (auch, wenn sie jahr­hun­der­te­altes Kalligrafen- und Schriftsetzer-Wissen in wenigen Jahren dahin­ge­rafft hat) und natür­lich gibt es Gründe, sich in einer SMS kurz zu fassen (auch wenn die Sprache auch außer­halb des Displays darunter leidet). Dies aber nicht als Opfer zu sehen, das man für tech­ni­schen „Fortschritt“ in Kauf nehmen muss, sondern per se für gut und erstre­bens­wert zu halten, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

  13. Karl

    @thomas

    Ich glaube, hier haben mich einige miss­ver­standen: Ich habe ja nie behauptet, dass hier der kultu­relle Mittelpunkt der Erde ist. Abgucken und Austauschen ist gut, wenn es einen weiter­bringt, und aus den USA gibt es davon durchaus einiges. Aber zum gekonnten Abgucken gehört auch, dass man wähle­risch ist.

  14. thomas

    das wiederum ist wahr.

  15. Mario Donick

    »Degeneration bezeichnet einen Zerfallsprozess […] Die Nutzung des Begriffs dennoch als ‚verwerf­lich‘ zu bezeichnen, halte ich doch für sehr befremdlich.«

    Das hast du jetzt schön sach­lich erklärt.

    Leider machte dein erstes Posting auf mich den Eindruck, als hättest du den Begriff negativ wertend gebraucht. Und ich bin absolut dagegen, kultu­relle Verfallsprozesse (so denn diese aus objek­tiver Sicht über­haupt nach­weisbar sind) zu bewerten.

    Dadurch stellt man sich nämlich gleichsam als Richter über diese Kultur und dazu hat niemand das Recht.

    Ich verstehe zwar, dass man oft das Bedürfnis dazu hat, aber dann sollte man sich daran erin­nern, dass die Generationen vor uns ähnlich negativ über viele Dinge gedacht haben, die wir heute vor einem befürch­teten Verfall bewahren wollen.

    Dass die verstärkte Nutzung von Abkürzungen im Übrigen mit dem »Gebrabbel eines Babys« vergleichbar ist, vermag sich mir auch nicht zu erschließen. Eine SMS wie »HbDchLb« zu verstehen verlangt IMO mehr kogni­tive Arbeit als Gebrabbel es erfor­dern würde. 

    Die Nutzung von »U« im Englischen anstatt »you« ist eben­falls kein Gebrabbel, sondern die konse­quente Fortsetzung eines Prozesses, der schon mit der Verkürzung von althd. »ic« bzw. »ih« zu »I« begonnen hat. Ähnliches für »C« statt »see«.

  16. Joshua Krämer

    spra­chen mit kompli­zierten flek­tionen (z. b. spra­chen mit dekli­na­tion … und am besten noch fünf oder mehr fälle … ) wurden von ihm als »primitiv« und rück­ständig bezeichnet. denn sie erschweren es, die sprache zu erlernen.

    Fragt sich nur, ob der Sinn der Sprache tatsäch­lich ist, leicht erlernt zu werden. Selbstverständlich nicht! Im inter­es­santen Aufsatz „Die Schrift ist nicht zum Schreiben da“ von Friedrich Roemheld, der beim Bund für Deutsche Schrift und Sprache erhält­lich ist, deckt der Verfasser einen wesent­li­chen Zusammenhang auf: Die Rechtschreibung sollte sich nach dem Leser richten, nicht nach dem Schreiber. Wenn nämlich Schnelligkeit erlangt werden soll, dann für das Erfassen der geschrie­benen Botschaft. Und in diesem Sinne kann man nur fest­stellen: „Rückständig“ sind Sprachen wie das gram­ma­tik­arme Englische oder solche, in denen nur Mitlaute geschrieben werden. Diesem Manko haben wir beispiels­weise zu verdanken, daß heute kein Mensch mehr weiß, wie die alten Ägypter gespro­chen haben.

    Was hier als Fortschritt der Sprache verkauft werden soll, ist das Vorantreiben sprach­li­cher Verarmung. Gegen solchen Unsinn kann sich, wer gesunden Verstandes ist, nur verwahren!

  17. Mario Donick

    Der Sinn der Sprache ist [es selbst­ver­ständ­lich nicht, leicht erlernt zu werden]

    Ja was denn dann? Das Ego des deut­schen Bildungsbürgers zu pushen?

    Es ging Bodmer u. a. darum, für die Schaffung einer auf der ganzen Welt einheit­li­chen (und die Nationalsprachen ergän­zenden, nicht abschaf­fenden) »Welthilfssprache« zu werben, die es allen Kulturkreisen erlauben sollte, mit mini­malem Aufwand in kürzester Zeit best­mög­liche Verständigung zu erzielen (also ein Ziel, das eine Menge künst­li­cher Sprachen, wie Esperanto, verfolgen). Je einfa­cher Syntax, Morphologie und Lexikologie sind, desto leichter ist so ein Ziel zu erreichen.

    Damals (also zur Zeit von Bodmers Buch, 1950/60er) sprach man zwar noch nicht von der (und protes­tierte noch nicht gegen die) »Globalisierung«, aber deren Auswirkungen und Erfordernisse waren durchaus schon spürbar.

    Wie alles andere passt sich auch Sprache diesem Prozess an. Aber nicht die Nutzer der Sprache passen sich der Sprache an, sondern die Nutzer passen die Sprache den neuen Kontexten an, je nach ihren Erfordernissen.

    Zum BfdS und seinem Sprach- und Schriftpurismus (sowie ähnlich gela­gerten Vereinen wie dem VdS und seinem vor seman­ti­schen Fehlern über­quel­lenden »Anglizismen-Index«) sage ich mal ganz bewusst nichts. Ein Unisemester zu dem Thema reicht mir.

    Die simple Einsicht, dass man sich als Produzent, der vom Konsumenten etwas haben will (im Fall Sprache: Verständnis. Sonst meis­tens: Geld), stets nach den Erfordernissen des Konsumenten richten sollte, ist frei­lich trotzdem richtig.

    Abschließend:

    Das Gefühl, Sprachtradition bewahren zu wollen, ist mir nicht fremd. Da ich im Ostteil des Landes aufge­wachsen bin, plädiere ich z. B. ganz stark für Uhrzeitangaben der Form »drei­viertel vier« anstatt »viertel vor vier«. Und werde damit regel­mäßig nicht verstanden, wenn ich mich in den nörd­li­chen Altbundesländern aufhalte.

    Also passe ich mich dem dortigen Sprachgebrauch an. Wenn nun Leute mit starkem Hang zu Abkürzungen oder Lehn- und Fremdwörtern merken, dass man sie auf breiter Front nicht versteht, werden sie ihre Ausdrucksweise eben­falls ändern.

    Also kein Grund zur Panik.

  18. Alex

    Um mal noch eine ganz andere Komponente in die Diskussion zu bringen:

    Mag sein, daß die vokal­losen Wortschöpfungen keine Neuerfindung sind. Dem Unwissenden (wie mir) sind sie noch nicht so oft aufge­fallen. Meine erste bewusste Begegnung mit einem solchen Wort war das Plattencover von
    Primal Scream, bzw. PRML SCRM – XTRMNTR

    Ich bin aber erst 24, daher hab ich sicher einiges über­sehen. Denke nicht, daß (wer hat das Cover eigent­lich gestaltet?) sie die Ersten waren, die das in einen modernen, »gestylten« Kontext gestellt haben.
    Kennt jemand noch ältere Beispiele?

  19. Harki

    „spra­chen mit kompli­zierten flek­tionen (z. b. spra­chen mit dekli­na­tion … und am besten noch fünf oder mehr fälle … ) wurden von ihm als »primitiv« und rück­ständig bezeichnet. denn sie erschweren es, die sprache zu erlernen.“

    Fragt sich nur, ob der Sinn der Sprache tatsäch­lich ist, leicht erlernt zu werden.

    Natürlich. Es ist ein weithin bekanntes Phänomen, daß sich Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung verein­fa­chen. Bekanntlich hatte das Indogermanische acht Kasus. Das Russische hat noch sechs, das Lateinische fünf, das Deutsche noch drei­ein­halb. Das (nicht­in­do­ger­ma­ni­sche) Tschetschenisch übri­gens hat sechzehn.

    Aber es ist ein ganz blut­leerer Modernismus, ein unkul­ti­vierter Szientizismus hier Maßstäbe wie „höher­wertig“, „minder­wertig“ oder „primitiv“ anzu­legen. Nur nebenbei: Die „fort­ge­schrit­tensten“ Sprachen wären nach diesem Schema Kreolsprachen wie Haitifranzösisch oder Afrikaans. Aber es geht nicht darum, welche Meßlatte ange­legt wird, sondern darum, daß sich semi­nar­ver­miefte Linguisten über­haupt anmaßen, die Sprache oder das Schriftsystem einer Kulturnation ummo­deln zu wollen, und damit auch noch von einigen Leuten ernst genommen werden. Das ist Kulturklempnerei und Volkspädagogik im Stile der Bolschewiken oder der Nazis.

    Die ganze deut­sche Rechtschreibreformistis wurzelt bezeich­nen­der­weise in den Lebensreformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts. Damals wurde so etwas als „artge­rechte“ oder „rassen­ge­rechte“ Schreibung verkauft. Die entpre­chenden Propagandisten haben dann versucht, sich den Nazis anzu­die­nern, die aber erst einmal mit anderem beschäf­tigt waren. In der 68er-BRD hatte man dann mehr Sinn für solche Heilslehren. Die FAZ, die nun Anfang des Jahres auch umge­kippt ist, hat das in den letzten zehn, zwölf Jahren wieder und wieder herausgearbeitet.

    Leute, schaut nach Frankreich. Dort ist die geis­tige Elite der Nation für die Bewahrung und maßvolle Modifikation der Sprache zuständig – und kein Mensch nimmt irgend­welche scharf­be­brillten Sektierer und Reformapostel ernst.

    Die Rechtschreibung sollte sich nach dem Leser richten, nicht nach dem Schreiber.

    Tjo. Jeder schreibt, hat sozu­sagen die mora­li­sche Verpflichtung, sich Mühe zu geben – damit sich sein Leser möglichst wenig Mühe geben muß. Das ist sozu­sagen Handwerkergeist im besten Sinne. Einer, der schreibt, möchte gelesen und möglichst auch verstanden werden. Also muß er sich anstrengen. Kunst kommt von können, und Kunst ist immer mit Mühe verbunden. Die Mühe und die Fertigkeiten, die der Schreiber inves­tiert, muß der Leser nicht mehr inves­tieren. Schreiben muß daher zu einem gewissen Grade schwer sein – auf daß nämlich das Lesen leichter werde.

    Ich empfehle in diesem Zusammenhang übri­gens die Stilfibeln von Wolf Schneider. Man muß nicht in jedem Punkt seiner Meinung sein, aber sein Ansatz ist unbe­dingt richtig.

  20. Joshua Krämer

    „»Der Sinn der Sprache ist [es selbst­ver­ständ­lich nicht, leicht erlernt zu werden]«

    Ja was denn dann? Das Ego des deut­schen Bildungsbürgers zu pushen?“

    Zu dieser quali­fi­zierten Aussage sage ich jetzt mal bewußt nichts.

    „Es ging Bodmer u.a. darum, für die Schaffung einer auf der ganzen Welt einheit­li­chen (und die Nationalsprachen ergän­zenden, nicht abschaf­fenden) »Welthilfssprache« zu werben…“

    Na bitte. Geht es uns hier um die Schaffung einer Weltsprache? Eben. Für eine solche wäre selbst­ver­ständ­lich leichte Erlernbarkeit eine ganz entschei­dende Bedingung. Wir spre­chen jedoch von ganz anderen Zusammenhängen, und hier sind Bodmers Lehren unan­ge­bracht und unpassend.

    „Wie alles andere passt sich auch Sprache diesem Prozess an. Aber nicht die Nutzer der Sprache passen sich der Sprache an, sondern die Nutzer passen die Sprache den neuen Kontexten an, je nach ihren Erfordernissen.

    Zum BfdS und seinem Sprach- und Schriftpurismus (sowie ähnlich gela­gerten Vereinen wie dem VdS und seinem vor seman­ti­schen Fehlern über­quel­lenden »Anglizismen-Index«) sage ich mal ganz bewusst nichts. Ein Unisemester zu dem Thema reicht mir.“

    Hier wird anschei­nend die Bedeutung der Sprachpflege verkannt. Sicherlich erfährt die (gespro­chene) Sprache ständig Veränderungen von den „Nutzern“. Aber können wir wirk­lich wollen, daß in der Hand des Pöbels liegt, was aus unserer Sprache wird? Im Gegenteil halte ich unbe­dingt für notwendig, daß der nämli­chen Entwicklung nach Möglichkeit entge­gen­ge­wirkt wird. Oder will hier irgend­je­mand bald nur noch das „Deppen-Deutsch“ der Gosse sprechen?

  21. Sven

    Eigentlich muss man doch gar nicht so wissen­schaft­lich an die Sache rangehen. Werfen wir doch einen Blick in den Alltag: Wenn ich vor dem Training in der Umkleidekabine unserer Sporthalle den jugend­li­chen Basketball-Nachwuchs beim Kommunizieren belau­sche, dann merke ich, wie wichtig es ist, dem Nachwuchs ein sprach­li­ches Vorbild zu sein. Immerhin werden diese Jugendlichen viel­leicht in ein oder zwei Jahren Vorstellungsgespräche absol­vieren müssen. Die meisten Leser des Fontblogs können vermut­lich gut mit Sprache umgehen und werden zwischen krea­tiven Wortschöpfungen, SMS-Gekürzel und der Sprache des Alltags und der Geschäftswelt diffe­ren­zieren können – vielen Menschen in unserem Land geht es da anders. Es ist im Grunde wie mit dem Fernseher: er macht schlaue Menschen schlauer und dumme Menschen dümmer. Sollten nicht die Medien und auch wir als Designer sprach­liche Vorbilder sein?

  22. Mario Donick

    Meine Ausführungen zu Bodmer dienten nur als Illustration – um zeigen, dass andere Leute andere Dinge als »primitiv« ansehen und das somit alles auf die Perspektive ankommt. Dass Bodmer über­haupt solche Adjektive in Bezug auf Sprachen bzw. damit Kultur benutzt, finde ich genauso schlimm wie folgendes Zitat von dir, Joshua:

    Aber können wir wirk­lich wollen, daß in der Hand des Pöbels liegt, was aus unserer Sprache wird? […] Oder will hier irgend­je­mand bald nur noch das »Deppen-Deutsch« der Gosse sprechen?

    Es ist dieser anma­ßende, herab­las­sende und arro­gante Tonfall, der mich so stört. Aus dem Grund auch meine bewusst provo­zie­rende und bewusst verd­eng­lischte Aussage bzgl. der Egos der Bildungsbürger.

    Niemand wird gezwungen, so zu spre­chen wie die von dir genannten Gruppen es anschei­nend machen. Sollte sich aber irgend­wann das Deutsch des »Pöbels« durch­setzen, steht es niemandem zu, das zu verurteilen. 

    Oder wie Harki wohl­tuend richtig bemerkt:

    es ist […] ein unkul­ti­vierter Szientizismus hier Maßstäbe wie “höher­wertig�?, “minder­wertig�? oder “primitiv�? anzu­legen. […] es geht […] darum, daß sich semi­nar­ver­miefte Linguisten über­haupt anmaßen, die Sprache oder das Schriftsystem einer Kulturnation ummo­deln zu wollen, und damit auch noch von einigen Leuten ernst genommen werden. Das ist Kulturklempnerei und Volkspädagogik im Stile der Bolschewiken oder der Nazis.

    Wobei in den Sprachvereinen die »seminarvermiefte[n] Linguisten« eher gering vertreten sind. Viele der heute tätigen Sprachwissenschaftler stehen den Sprachvereinen nämlich sehr skep­tisch gegenüber.

  23. Joshua Krämer

    es geht […] darum, daß sich semi­nar­ver­miefte Linguisten über­haupt anmaßen, die Sprache oder das Schriftsystem einer Kulturnation ummo­deln zu wollen, und damit auch noch von einigen Leuten ernst genommen werden. Das ist Kulturklempnerei und Volkspädagogik im Stile der Bolschewiken oder der Nazis.

    Wie wahr. Diese „Vereinfachung der Sprache“ erin­nert mich stark an die im III. Reich geplante Rechtschreibreform, die nur aufgrund des Krieges aufge­schoben wurde (und von der die aktu­elle Reform m. E. im übrigen nur einen schlechten Abklatsch darstellt)…

  24. Mario Donick

    Interessant …

    Für mich bezieht sich Harkis Aussage auf die Leute, die in Sprachvereinen sitzen und sich anmaßen, über gut und schlecht einer Sprache bestimmen zu wollen. Die würde ich nämlich noch viel mehr als »Kulturklempner« bezeichnen als die Leute, die das Rechtschreibreförmchen beschlossen haben.

    Für Joshua bezieht sich die gleiche Aussage auf die Leute, die dem Sprachwandel gelassen gegen­über stehen und damit auch »Vereinfachungen« als natür­li­chen Prozess betrachten, in den man nicht eingreifen muss –

    wer war nun gemeint?

  25. Harki

    Wobei in den Sprachvereinen die »seminarvermiefte[n] Linguisten« eher gering vertreten sind. Viele der heute tätigen Sprachwissenschaftler stehen den Sprachvereinen nämlich sehr skep­tisch gegenüber.

    Nur zur Klarstellung: Ich meinte damit in der Tat die „Amtslinguistik“ inklu­sive der Sprachreformer, nicht die Sprachvereine, die sich ja – zumin­dest der VdS – auch aus einer ganz verständ­li­chen Trotzreaktion gegen erstere heraus konsti­tu­iert haben. Ich persön­lich halte die Ziele des VdS für lobens­wert und seine Anliegen für verständ­lich – nur sind seine Publikationen und Vorschläge in der Tat oft (meist…) furchtbar, nun, mokelig.

    Daher beneide ich in dieser Hinsicht, das hatte ich ja gesagt, Frankreich mit seiner Akademie und die fran­zö­si­sche Mentalität, deren Tätigkeit zwar gele­gent­lich ironisch zu kommen­tieren, aber letzt­lich breit mitzu­ziehen. Ich finde es zum Beispiel faszi­nie­rend, wie vor einigen Jahren das Wort „cour­riel“ für E-Mail durch­ge­drückt wurde – „E-Post“, das schreiben in Deutschland nur Leute vom rechten Rand. Und in F käme auch niemand auf die Idee, die fran­zö­si­sche Rechtschreibung umfri­ckeln zu wollen, nur damit in der Schule ein paar verzo­gene Idiotenbälger ein bißchen weniger zu schwitzen haben. Dort weiß man, wie wichtig eine auf allen Gebieten funk­ti­ons­fä­hige und zugleich tradi­ti­ons­ver­bun­dene Kultursprache für eine Nation ist.

  26. Mario Donick

    Danke für die Klarstellung. Dass ich die Ziele des VdS nicht unbe­dingt für lobens­wert halte, habe ich bestimmt schon genü­gend zum Ausdruck gebracht.

    Ich stehe aber allen regelnden Eingriffen in die Sprache skep­tisch gegen­über. Die Sprachvereine mit ihrer langen natio­na­lis­ti­schen Tradition (ich sage nur »Entwelschung« … ) haben Angst um ihre schöne Kultursprache und und würden am liebsten alle Anglizismen verbieten (auch wenn sie das so natür­lich nicht schreiben), während die andere Seite künst­liche Vereinfachungen einer bestehenden Sprache herbei­führen will. Ich finde beides unangebracht.

    Dass in Deutschland vor allem die rechts außen stehenden Menschen Wörter wie »E-Post« oder »Weltnetz« benutzen, mag auch ein Grund dafür sein, dass sich diese Wörter hier nicht in brei­teren Kreisen durchsetzen.

  27. Harki

    Gut, wir stimmen überein, nicht über­ein­zu­stimmen – um einen riesen­fetten, aber nicht unbe­dingt verdam­mungs­wür­digen geis­tigen Anglizismus anzubringen… ^^

    Ja, es stimmt: in Deutschland stehen Unternehmungen wie der VdS gewis­sen­maßen zwangs­läufig in der Tradition patrio­ti­scher Sprachreinigungsgesellschaften der Kaiserzeit, und ihre Bemühungen wirken in der Regel auch ähnlich – hm, bemüht. Ferner haben wir in Deutschland nicht diese „sprach­e­ta­tis­ti­sche“ Tradition wie in Frankreich und auch nicht das kultu­relle Selbstbewußtsein wie die Leute im Heiligen Sechseck. Beides kann man nicht herzau­bern. Eine Lösung weiß ich also auch nicht. Was ich mir aber zum mindesten wünschte, wäre ein gewisses Selbstbewußtsein gegen­über Altachtundsechzigern, die mal so mir nichts Dir nichts über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewach­sene ortho­gra­phi­sche Traditionen über Bord werfen wollen, weil dann ja alles „viel einfa­cher“ wäre, weil dann der ganze alte Plunder in den Bibliotheken endlich auch optisch veraltet wäre – und vor allen Dingen, weil sie sich halt was in den Kopf gesetzt haben und Spaß daran haben, andere Leute zu schikanieren.

    Und das Argument, daß sich die Sprache „eben eh verän­dert“, habe ich schon sooo oft als Rechtfertigung persön­li­cher Schwächen ange­führt bekommen, daß ich es allemal nicht mehr hören mag. So war’s auch Mitte der Neunziger in der ersten Phase der Rechtschreibreform: Die ersten, die mitge­macht haben, waren die Leute, die gemeint haben, daß man nun ihre Fehler nicht mehr bemerken würde.

    Ah gna, was soll’s, weites Feld. Und in einer halben Stunde ist Mitternacht, der 1. April beginnt. Man darf mithin gespannt sein, was sich Sieberts Jürgen als Folge 4 einfallen läßt. Thumbs up. :D

  28. Mario

    Schönes Schlusswort zu dieser leidigen Diskussion :)

  29. adi

    Um die deut­sche Sprache ökono­mi­scher zu gestalten bedarf es nicht migran­ten­deut­scher Satzkonstruktion.
    Unökonomisch ist eh nur Hochdeutsch und das spricht kaum wer bei uns.
    In meinem Wiener Dialekt z.B.
    Weisst du? ist Waastas ?
    Hast du ein Problem ? Hosta probleem ?
    Siehst du die junge Frau dort ? Siigsteetuat ?
    (Beispiele aus obigem Text übersetzt).
    Und in den meisten Dialekten, auch in D-Land und der Schweiz , schauts sicher ähnlich aus.

  30. Hamburger

    Joshua Krämer alias [KPRS]Moltke? ;-)

    Liebe Grüße,
    C.

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