Design-Trugbild: Teekessel mit Bart

Am Sonntag wurde das Foto zum ersten Mal über Reddit ins Netz gestellt, mit der amüsanten Erkenntnis: »Dieser Kessel sieht wie Hitler aus!« Als der briti­sche Schauspieler und Autor Stephen Fry kurz darauf das Bild zitierte und an seine 5,8 Millionen Follower twit­terte, gab es keinen Halt mehr. Seitdem reden alle über den Kessel, der wie eine Karikatur des deut­schen Diktators aussieht.


Angeboten wird das Küchengerät von der US-ameri­ka­ni­schen Einzelhandelskette J. C. Penney, die den Kessel auch online vertreibt. Er ist Teil einer gerade lancierten Exclusive Michael Graves Design Collection, die aus rund 300 Produkten besteht.

Der Architekt Michael Graves, geboren 1934 in Indianapolis, wurde zunächst für seine Entwürfe pracht­voller Privathäuser bekannt. Ende der 1980er Jahre vollzog Graves einen radi­kalen Stilwandel, indem er sich von der strengen und klaren Struktur seiner Gebäude verab­schie­dete und Tiergestalten als Gestaltungselemente einsetze. Auf ähnliche Weise entwarf er eine große Zahl von Alltagsgegenständen wie Gewürzmühlen, Geschirr, aber auch Sessel und Stühle, die weithin bekannt sind. Der italie­ni­sche Küchenausstatter Alessi machte den 1985 von Michael Graves entwor­fenen Kessel 9093 zum Designklassiker. Auffälligstes Merkmal ist eine Vogel-Figur am Ausguss, die bei kochendem Wasser den Pfeifton erzeugt. So was fand man witzig in den 1990er Jahren.

Der nun für J. C. Penney vom der Michael Graves Design Group entwor­fene »Bells and Whistles Stainless Steel Tea Kettle« (dt: rost­freier Schnickschnack-Teekessel) greift den Klassiker auf, um nicht zu sagen: er kopiert ihn … eine Eigenkopie, mit kleinen Änderungen. Nur blöd, wenn man, berauscht vom jahr­zehn­te­langen Erfolg, nicht mehr so genau hinsieht. Die über­ge­stülpten Änderungen verstoßen nicht nur gegen das Design-Grundprinzip »Form follows func­tion« (das wäre nicht weiter schäd­lich), sondern auch gegen den Grundsatz »Less is more«. Dummerweise ergab das Mehr in diesem Fall eine unglück­liche Assoziation, über die sich nun die ganze Welt lustig macht. Allen voran die briti­sche Boulevardpresse: Weltkriegsgebräu …

J. C. Penney kämpft seit längerem mit wirt­schaft­li­chen Problemen. Die Kunden lassen sich nicht mehr mit den ewig glei­chen Rabatt-Angeboten in die Filialen locken. Eine neue Strategie, zu der auch die Designprodukte von Michael Graves gehören, verprellte die Altkunden und sorgte für 25 % Umsatzeinbußen und Entlassungen. Der Rummel um den miss­ver­ständ­li­chen Kessel wird daran nicht viel ändern. Neue Kunden mit entspre­chender Weltanschauung wird er auch nicht bringen, denn für die echten Irren gibt es schon seit langem eine Teekanne im Steingut-Design …

 

 


11 Kommentare

  1. Simon Wehr

    In allem und jedem den Hitler zu sehen ist auch so briti­scher Sport, oder?

  2. Gerald

    @ Simon Wehr | Ja, Vorurteile stecken ja ganz tief drin, in den Briten.

  3. Daniel

    Ich finde nicht, dass man sich beson­ders anstrengen muss, um das zu sehen. Und das obwohl ich kein Brite bin.

    Und witzig finde ich es auch.

  4. Mick

    Ist schon ziem­lich deut­lich, wenn der Beobachter sein Bild von Hitler auf die Form projiziert. 

    Diese „Hitler-Design“ Vorlage könnte ein findiger Comic Zeichner ja für einen deftigen Comic verwenden …

  5. Flow

    Das Vorurteil, daß bei den Briten viele Vorurteile über die Deutschen stecken, scheint bei den Deutschen weit verbreitet zu sein … oder ist das jetzt ein Vorurteil? 

    Don’t mention the war!

  6. Fabian

    »form follows func­tion« und »less is more« sind zwei sprüche die verboten gehören, zumal sie meist auch falsch inter­pre­tiert werden um dann als totschlag-argu­mente miss­braucht zu werde (unab­hängig von hitler).

  7. Gerrit

    @ Fabian: Danke!

  8. Christopher

    Nun ja, ich weiß nicht ob mir die Ähnlichkeit aufge­fallen wäre, wenn man mich nicht darauf hinge­wiesen hätte. J. C. Penney wird es wahr­schein­lich freuen, dass das Produkt eine solche Aufmerksamkeit auf sich zieht :)

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