Der Hadopi-Krimi, ungekürzt und in Deutsch

Vor einer Woche sprach ich eine drin­gende Leseempfehlung aus: die Recherche unseres Kollegen Yves Peters im FontFeed über den Einsatz einer geklauten Schrift im Corporate Design der fran­zö­si­schen Anti-Piracy-Organisation Hadopi. Ich bedau­erte, den Beitrag nicht in über­setzter Form hier im Fontblog veröf­fent­li­chen zu können. Unser Leser Alexander Ihle sprang sofort ein und sendete mir wenige Stunden später den deut­schen Text.

Vielen Dank Alexander, dass wir die Geschichte nun alle schnell und verständ­lich lesen können. Als Dankeschön geht noch heute der unbe­zahl­bare Kalender Carte Blanche an dich raus, konzi­piert und mit 10 Druckfarben gestaltet von Wehr & Weissweiler. Den gibt es nirgendwo zu kaufen, er ist inzwi­schen vergriffen … 5 Exemplare aller­dings liegen auf meinem Schreibtisch, ein Geschenk von W&W für verdiente Fontblog-Aktivisten. Danke an Euch beide.

Jürgen Siebert

Es ist eher selten, dass typo­gra­fi­sche Themen in den Abendnachrichten landen. Ein Beispiel ist Peter Verheuls eigens für die nieder­län­di­sche Regierung ange­passte Schriftfamilie Rijksoverheid, die Gegenstand der natio­nalen Fernsehnachrichten war. Keine breite Öffentlichkeit bekamen die heftigen Reaktion der Designerszene auf den Wechsel Ikeas zur Allerweltsschrift Verdana oder die Entrüstung der Typogemeinde über den Einsatz der abge­dro­schenen Papyrus in James Camerons Blockbuster Avatar (mehr darüber in der nächsten Ausgabe von ScreenFonts).

Beide Fälle waren nur Insidern bekannt. Der jüngste Fall eines Font-Fails Mitte Januar verbrei­tete sich jedoch wie ein Lauffeuer im fran­zö­si­schen Internet, wurde von den großen Nachrichtenmedien aufge­griffen und bekommt mitt­ler­weile sogar inter­na­tio­nale Aufmerksamkeit. Warum? Weil sich mit Sicherheit sagen lässt, dass die Geschichte um das Hadopi-Logo in die Kategorie »epic Fail« einzu­ordnen ist – dieser Ausdruck steht im Internet-Slang für die amüsante Kombination aus Versagen aufgrund mangelnder Kompetenz (oder gesundem Menschenverstand) auf der einen Seite und bitter­süßer Ironie auf der anderen. Die viel­fäl­tigen Ebenen des Versagens machen den Hadopi-Fall zu einer beson­ders tragi­sche Geschichte.

Beginnen wir mit ein paar Hintergrundinformationen. Seit dem 1. Januar ist das kontro­verse Download-Gesetz Hadopi in Frankreich in Kraft. Die Abkürzung steht für »Haute Autorité pour la Diffusion des Œuvres et la Protection des Droits sur Internet« … über­setzt bedeutet dies unge­fähr »Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und den Schutz der Rechte im Internet«. Die Initiative folgt den Fußstapfen Großbritannien, dessen »Digital Economy Bill« sehr ähnlich ausge­richtet ist.

Nach einem aufse­hen­er­re­genden und kontro­versen Verfahren und nach langen Debatten wurde das Hadopi-Gesetz letztes Jahr verab­schiedet. In anderen Ländern sind vergleich­bare Gesetze unter dem »Three Strikes«-Modell bekannt. Danach werden Menschen, die urhe­ber­recht­lich geschützte Werke illegal herun­ter­laden zweimal gewarnt, bevor ihre Internet-Anbindung auf unbe­stimmte Zeit abge­schaltet wird. Dabei wird nicht nur der gesamte Haushalt vom Netz genommen, sondern er landet zusätz­lich auf eine Liste mit Adressen, die keinen Internetzugang mehr erhalten dürfen. Um wieder in den Kreis der Surfer aufge­nommen zu werden, muss sich der Rechtsbrecher die Installation von Spyware auf seinem Computer gefallen lassen.

Obwohl das Europäische Parlament und andere Interessensgruppen sich auf Grundrechte berufen um gegen solche Maßnahmen zu protes­tieren, scheint es, als könnten ähnliche Gesetzgebungen welt­weit als Resultat von geheimen Verhandlungen über den Schutz von geis­tigem Eigentum einge­führt werden. Unnötig zu erwähnen, dass die fran­zö­si­sche Hadopi, die für die Umsetzung des neuen Anti-Raubkopier-Programms verant­wort­lich ist, nicht wirk­lich beliebt ist. Die Behörde wird von ihren Gegnern scharf unter die Lupe genommen, die begierig nach jeder Art von Schmutz suchen.


Das ursprüng­liche Logo, wie es am Freitag, den 8. Januar 2010 präsen­tiert wurde

Am frühen Abend des 9. Januars, dem Tag nachdem die Hadopi-Behörde offi­ziell ihre Arbeit aufnahm, stieß ich auf einen Tweet von Jean-Baptiste Levée. Mir war Hadopi zu dem Zeitpunkt gar kein Begriff, aber der Inhalt seines Tweets ließ mich den enthal­tenen Fotolink sofort aufrufen:

  • French copy­right law Hadopi has an unaut­ho­rized use of custom font Bienvenue in its logo http://​tweet​photo​.com/​8​2​9​3​377

J E A N - B A P T I S T E L E V É E | »Ich habe einen Twitter-Alarm für das Wort ›Logo‹ einge­richtet. Ich erin­nere mich nicht mehr, welcher Tweet mich genau auf die Präsentation des Hadopi-Logos aufmerksam machte. Die ursprüng­liche Ankündigung auf der Webseite des ›Ministère de la Culture et de la Communication‹ enthielt einen Link zu einem PDF, dass die Geburt des neuen Logos bekannt gab. Heute braucht man da nicht mehr nach­zu­schauen: Seit dem Ausbruch des Skandals wurde der Link von der Seite entfernt und wenn man versucht die URL mithilfe des Google-Caches zu öffnen, bekommt man nur eine 404-Fehlerseite. Als ich das Dokument öffnete, erkannte ich sofort die Schriftart im Logo als ›Bienvenue‹. Ich arbei­tete bis Frühling 2008 für zwei Jahre mit Jean-François Porchez zusammen, also kenne ich seine Schriftentwürfe ziem­lich gut. ;)

Es war Jean-Baptistes Kommentar auf einen Blog-Eintrag auf Graphism​.fr, das Weblog des Grafikdesigners Geoffrey Dorne, der bestä­tigte, dass die Schriftart im Hadopi-Logo tatsäch­lich Bienvenue war … und das brachte den Stein ins Rollen.

Mancher Leser mag sich nun fragen: Wo ist das Problem? Die Schriftart für ein Logo muss doch nicht indi­vi­duell erstellt werden. Natürlich lassen sich kommer­zi­elle Schriften zur Konstruktion von Logos verwenden, entweder in ihrer ursprüng­li­chen Form oder modi­fi­ziert, um den Ansprüchen der Form oder des Bildes gerecht zu werden. Wenn so etwas durch die EULA (End User Licence Agreement) abge­deckt ist, warum die Aufregung?

Die Schrift Bienvenue (Design: Jean-François Porchez) im Einsatz, an einem France Télécom-Laden

Bienvenue in einem France Télécom-Großflächenplakat

Das ist der Grund für die Aufregung: Bienvenue ist eine exklu­sive Unternehmensschrift. Sie wurde 2000 von Jean-François Porchez für France Télécom, dem fran­zö­si­schen Marktführer im Bereich Telekommunikation gestaltet. Die Schriftfamilie wurde in Zusammenarbeit mit Landor Associates entworfen, die die Corporate Identity neu gestal­teten. Ihr Einsatzgebiet sollte die gesamte Kommunikation und Werbung von France Télécom abde­cken. Die Schrift besteht aus einer Familie mit vier Schnitten, plus einer Corporate-Version, einer semi­se­rifen Titelsatz-Schrift und einem Piktogramm-Font. Bienvenue wurde 2001 für die Trophée d’Or de la Typographie nominiert.

Mit anderen Worten: Bienvenue ist Eigentum der France Télécom und für die exklu­sive Benutzung inner­halb des Unternehmens lizen­ziert und keines­wegs dafür gedacht, den Weg in die Öffentlichkeit zu finden. France Télécom besitzt die welt­weiten Exklusivrechte, zeit­lich unbegrenzt.

Gleichwohl fand die Schrift irgendwie ihren Weg auf die Piraten-Seiten und zu den Schrift-Tauschern und avan­cierte seitdem zu einem ille­galen Favoriten. Tatsächlich hatte ich vor einigen Jahren ernst­hafte Schwierigkeiten, einem fran­zö­si­schen Mode-Giganten klar zu machen, dass Bienvenue, die von ihrer Agentur für eine der Marken ausge­sucht wurde, nicht verwendet werden darf, da es die Exklusivrechte der France Télécom verletzt hätte.

Bienvenue-Schriftmuster, zur Verfügung gestellt von Jean François Porchez


Simulation des Hadopi-Logos von Jean François Porchez mit der Original-Bienvenue

Ende vorletzter Woche verbrei­tete sich die Geschichte wie ein Flächenbrand und am Montag war sie sogar Gegenstand der Nachrichten bei LCI, dem Nachrichtenkanal des privaten fran­zö­si­schen Senders TF1. Sie müssen sich die Ironie der Geschichte mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Behörde, die die neue Anti-Raubkopier-Haltung Frankreichs durch­setzen soll, verwendet einen raub­ko­pierte, geschützte Schriftart im eigenen Logo. Dies demons­trierte schmerz­haft die Stümperhaftigkeit und Ahnungslosigkeit der behörd­li­chen Kommunikationsberater und rückt die verant­wort­liche Agentur Plan Créatif in ein schlechtes Licht. Dss in Paris ansäs­sige und sich selbst als »Militante Agentur« titu­lie­rende Büro entwi­ckelte das Logo als Gewinner eines Wettbewerbs, der vom fran­zö­si­schen Ministerium für Kultur und Kommunikation durch­ge­führt wurde. Um zu beweisen, dass es sich wirk­lich um Bienvenue handelt, erstellte Geoffrey Dorne auf Anfrage seines Bruders Korben das nach­fol­gende animierte GIF, das die um 110% verbrei­terte Demi-Variante der Schrift mit dem Hadopi-Logo überlagert.


Animierter Bienvenue-Überleger auf dem Original-Hadopi-Logo

Inzwischen wanden sich Hadopi und Plan Créatif verzwei­felt, um den Schlamassel zu richten. Am Montag, den 11. Januar, versen­dete Plan Créatif E-Mails, in denen der Fehler zuge­geben und behauptet wurde, dass das vor dem Wochenende präsen­tierte Logo nur ein »Entwurf« sei:

  • Logotype HADOPI: À la suite d’une erreur de mani­pu­la­tion infor­ma­tique, une esquisse de logo­type qui avait été écartée lors des phases tradi­ti­onnelles de véri­fi­ca­tion de simi­li­tude, a été malen­con­treu­se­ment présentée comme solu­tion graphique défi­ni­tive. Cette erreur vient d’être réparée.

In der Übersetzung las sich das so:

  • HADOPI-Logo: Als Folge falscher digi­taler Handhabung wurde eine Entwurfs-Version des Logos, die während der übli­chen Verifikations-Prozeduren ausge­schieden war, unglück­li­cher­weise als finales Design präsen­tiert. Dieser Fehler wurde korrigiert.

Die soge­nannte finale Version des Logos war an die E-Mail angehängt:

In der Tat sieht das Logo etwas anders aus. Die Schriftart ist dieses Mal FS Lola, eine Arbeit von Phil Garnham für FontSmith. Die grund­sätz­li­chen Maße des Logos unter­scheiden sich eben­falls: die neue Version ist schmaler. Nur ein Element blieb unver­än­dert, der in rot gesetzte, volle Name in Jeremy Tankard beliebter Bliss.

Man könnte nun meinen, die Geschichte ende hier. Von wegen, es kam noch schlimmer. Die inter­es­sante Frage stand im Raum, ob dem ursprüng­lich präsen­tierten Logo in der Tat ein Fall von falscher digi­taler Handhabung zugrunde lag oder ob das neue Logo eine Hintertür-Manipulation war, ein Deckmantel, um den Fehler zu vertu­schen. Wie auch andere Blogger kontak­tierte ich sowohl FontSmith als auch Jeremy Tankard. Sie bestä­tigten, dass sowohl FS Lola als auch Bliss am Montagmorgen, den 11. Januar, per Express bestellt wurden, also an genau jenem Tag, an dem das neue Logo vorge­stellt wurde.

Wie man es auch dreht und wendet, das neue Logo verletzte schon wieder mindes­tens zwei Lizenzen. Offensichtlich wurde Bliss, die in beiden Versionen zum Einsatz kommt, sowohl für den ersten Entwurf wie auch zur Erstellung der zweiten Logo-Version nicht von Plan Créatif lizen­ziert … und auch FS Lola nicht.

Das Finale kommt jetzt erst. Eine simple Suche auf der INPI-Webseite, dem »Institut National de la Propriété Industrielle« oder auch Nationales Institut für Geistiges Eigentum, enthüllt, dass das ursprüng­liche Logo welches die Bienvenue verwen­dete vor fast zwei Monaten, am 16. November 2009, regis­triert und an Weihnachten veröf­fent­licht wurde. Dies besei­tigt jegli­chen Zweifel, dass das Bienvenue-Logo als finales Design gedacht war und dass die hastig zusam­men­ge­schus­terte Version von diesem Montag nichts weiter als Augenwischerei ist. Wir können mit Sicherheit folgern, dass dieses wahr­lich epische Versagen die viel geschmähte Hadopi noch für eine ganze Weile verfolgen wird.

Jean François Porchez, foto­gra­fiert von Olivier Roux

Obwohl er Details noch nicht verraten darf, hat Jean-François Porchez verlauten lassen, dass seine Anwaltsbüro KGA Avocats, das diesen Fall betreut, alle Beteiligten mit dem Ziel kontak­tiert, das Problem so bald wie möglich zu lösen. Weitere Informationen wird er veröf­fent­li­chen, wenn eine Lösung in Sicht ist. Verständlicherweise verfolgt die Alliance Française des Designers (Französische Allianz der Designer) diesen Fall genau und unter­stützt die Schritte der Porchez Typofonderie.

Was lehrt uns diese verwor­rene Geschichte? Porchez gab dazu einen kurzen Kommentar im oben erwähnten Beitrag von LCI ab:

J E A N F R A N Ç O I S P O  R C H E Z | »Hier haben wir ein klas­si­sches Beispiel dafür, wie die Institution, die Kreative schützen soll, meine Arbeit klaut. Es bringt mich zum Schmunzeln, aber gleich­zeitig müssen wir die best­mög­liche Lösung für dieses Problem finden.«

Die eigent­liche Lehre aus dieser Sache ist, dass jeder persön­lich für jede einzelne Schriftart verant­wort­lich ist, die er oder sie auf dem Rechner gespei­chert hat. Designer müssen sich bewusst sein, woher ihre Schriften kommen und vorsichtig mit Free- oder Shareware umgehen. Einige sind völlig in Ordnung – für private Zwecke eignen sich sowieso alle –, aber im Job, beim geschäft­li­chen Einsatz haben sie nichts zu suchen.

Diese Geschichte auf BoingBoing.


7 Kommentare

  1. Rudi

    Liest sich wie ein Krimi – finde ich super. Übrigens scheint mir die FS Lola tatsäch­lich die bessere Wahl zu sein.

  2. Bernd

    Ich hätte den Verkauf einfach mal verwei­gert :-D
    Denn dann ständen sie noch dümmer da.
    Mal ganz ehrlich, solche Gesetze sind das Ergebnis von Lobbyisten. Nichts gegen neue Gesetze, aber sie dienen dem Volk nicht in dem Maße, wie sie den großen Firmen dienen. Das Verhältnis ist nicht mehr in Ordnung.
    Außerdem glaube ich nicht, dass solche Gesetze irgend­je­manden abhalten werden.

  3. Dagger

    Das Leben schreibt die besten Geschichten. Ich kann nicht mehr :-DD

  4. Jürgen

    Puh, für so eine Hässlichkeit an Logo (finde ich halt) so viel Troubles…

  5. Ron

    Die Frage ist doch ob die Behörde Hadopi, nun gegen die eigene Agentur vorgeht. Offensichtlich verstösst diese gegen das Gesetzt. Oder haben die schon kein Internet mehr?

  6. Norman

    Ich spüre fast körper­lich die innere Anteilnahmslosigkeit, mit der dieses Logo gestaltet wurde. Wen wundert dann also dieser typo­gra­fi­sche Fehlgriff?

  7. Matthias

    Schöner Beitrag. Ich glaube sowas nennt man einen Treppenwitz der Geschichte.

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