Der Farbphilosoph Friedrich-Ernst von Garnier
Es gibt einen deutschen Industriedesigner, dessen Werk mich seit rund 30 Jahren verfolgt. Wikipedia bezeichnet ihn als »Künstler und Farbphilosophen«.
Als ich Mitte der 1970er Jahre in Frankfurt am Main mein Studium begann, begegnete ich erstmals seiner Arbeit. Zum Beispiel an der A66 bei Sulzbach, in der Nähe des Main-Taunus-Zentrums, ein Plattenbau entlang der Autobahn, der mit Regenbogenfarben aufgehübscht ist. Die abgestufte Farbigkeit hat Friedrich-Ernst von Garnier entwickelt. In der benachbarten Farbwerke Hoechst AG gestaltete er mehr als 70 Gebäude und Anlagen auf diese Art, alle im für die 70er Jahre typischen abgestuften Streifenlook … wer erinnert sich nicht an das Maskottchen der Olympischen Spiele in München 1972, den Dackel Waldi.
Später bei der PAGE in Hamburg, so um 1988, hatte ich von Garnier mal persönlich am Telefon. Es ging um eine Titelgeschichte über Farbsysteme. Wir wurden uns nicht einig über den Tenor der Story und verloren uns wieder aus den Augen. Ich erinnere mich aber noch gut an den Hinweis Garniers am Ende des Telefonats, dass er Deutscher sei und sich sein Name deshalb nicht französisch ausspreche (Garnijeh), sondern schlicht ›Garnier‹ wie ›Scharnier‹.
Der regelmäßigen Erinnerung dienten die von ihm eingefärbten Betonbauten, denen ich bei meinen Autofahrten durch die Republik immer wieder mal begegnete. Er nennt seine Methode »Organische Farbigkeit« und behauptet, dass seine »Lehre von der Notwendigkeit mehrtöniger Farbigkeiten« den Menschen Wohlbefinden und Gesundheit bringe. Mehr dazu auf der Webseite des Studio von Garnier.
Heute nun macht Swissmiss über Twitter auf eine historische TV-Anekdote aufmerksam, die sie als »one of the funniest things I have seen so far in 09« bezeichnet. Und sie hat recht. Es handelt sich um den Ausschnitt aus einer ZDF-Sportstudio-Sendung, vermutlich um 1973. Moderator war Hans Joachim Friedrichs. Als Gäste begrüßt er Günter Netzer und eben Friedrich-Ernst von Garnier, der die Trikots einiger Bundesligamannschaften farborganisch überarbeitet hat. Sie werden vorgeführt … ach, seht es Euch einfach mal an.
Bemerkenswert der Schlusssatz von Günter Netzer: »Ich bin im Grunde genommen auch der Meinung, dass mehr Farbe in die Stadien rein soll. Das ist ein Service auch an die Zuschauer.« Von Garnier nickt zustimmend.
22 Kommentare
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Christian
Hilfe! Luft! Wie geil ist das denn! Das ist nicht wirklich so gesendet worden! Das glaub ich nicht.
Simon Wehr
* pruust *
max
Friedrich-Ernst von Garnier hat wohl eine neue Internetseite, die sah vor einiger Zeit noch anders aus.
Die Hupfdohlen sind aber schon einen Blick wert!
Gerd Wippich
Das ist ja wirklich zu lustig. Wer hat diesen Menschen bloss gesagt, wie sie sich in den neuen Trikots bewegen sollen? Bei Paul Breitner hätte das sicher cool ausgesehen…
Herb G
Suuuper! Ein weiteres Argument damals Vattern die Anschaffung eines Farbfernsehers schmackhaft zu machen: Fußball in Farbe! Die Farben zusammen mit DER Choreographie sind ja ein echtes Gesamtkunstwerk …
Schade, daß sich das nicht so recht durchgesetzt hat.
Hans v N.
Lieber Jürgen, dieses Video werde ich ein Leben lang nicht mehr vergessen können! Ich weiss aber noch nicht ob ich Dich dafür danken sollte, oder Dir irgendwann die Rechnung für eine Therapie einreichen muss. Schöne Grüße. H.
hooli
zu geil, und wenn sich die Fußballspieler auf dem Platz auch noch so bewegen würden, lol
Martin
Unfassbar geil! Damals hat das Fernsehen sich wenigstens noch was getraut ;)…
Suzu
Wie lustig ist das denn! Unglaublich ist das tatsächlich erst 25 Jahre her?
Da wird es mir in Zukunft ja vor lauter Lachen schwer fallen, mich auf den Verkehr zu konzentrieren, wenn ich an der Sulzbacher Wand vorbeifahre – was ich oft tue…
Zur Olympiade in München hatte ich auch einen Waldi geschenkt bekommen. Allerdings hatte ich als Neunjährige kein bisschen Ehrfurcht vor dem stylischem Design-Objekt und fand nur, dass man überhaupt nicht gut mit ihm spielen konnte: das Tier war bretthart gefüllt und der Stoff rau – ausserdem war er auch kein bisschen „süß“.
Allerdings mochte ich tatsächlich die Farben, und gestehe, dass ich sie sogar heute noch gerne benutze! Und ich kann mich noch gut an das Olympia-CI erinnern, das in der gesamten Stadt präsent war. Das konnte offenbar sogar Neunjährige schon beeindrucken. Später bin ich dann aber aus München weggegangen, weil ich erst mal genug hatte der omnipräsenten „Univers 9/13“, wie sie seit den Olympischen Spielen in München gepflegt wurde, und zum Teil heute noch wird. Es war also doch nicht ganz so schlimm, mit der frühkindlichen Prägung :-)
Ich habe lange nach einem geeigneten Link zum CI der Spiele in München gesucht: dieser lädt etwas länger, aber es lohnt sich:
http://www.ls-aoe.tu-cottbus.de/downloads/iReader/VisuelleKommunikation.pdf
Im vorderen Drittel ist das CI umfangreich dokumentiert. Der Link ist ein Reader zu einem Studenten-Projekt und nennt sich: „Visuelle Kommunikation für Architekten und Planer“, vom Bauhaus über Otl Aicher, Erik Spiekermann und Meta Design (inkl. Skizzen!) bis zu FontShop (inkl. Verweis auf’s Fontbook, die Schriften und Typo-Berlin-Konferenzen) sind auf 269 Seiten wichtige Tendenzen in der Typografie und verschiedene Leitsysteme fast liebevoll zusammengestellt. Vor allem: ihr werdet’s kaum glauben: das gute Teil kommt tatsächlich aus Cottbus!
Matthias Becher
Na ja, 35 Jahre isses dann aber schon her ;-)
Obwohl, hätten auch 15 Jahre sein können. Da hatte der VfL Bochum ein ähnliches regenbogenfarbenes Trikot. Unglaublich hässlich, musste aber wohl sein, weil Sponsor „Faber Lotto“ diese Farben im Logo hatte. Die Trikots in den 90ern waren aber im allgemeinen ziemlich hässlich. Besonders die von Torhütern…
Skeeve
Und dafür haben meine Eltern Gebühren bezahlt! Aber okay. So waren die 70er. Wartet mal 30 Jahre und schaut Euch dann auf den Fotos von heute an.
Christian Speelmanns
@ Suzu
Eine Gesamtdokumentation der Spiele gab es mal im Netz als PDF. Das war der eingescannte offizielle Gesamtbericht des OKs in drei Teilen. Wie auch nicht anders zu erwarten wunderschön gestaltet. In Band 1 (Die Organisation) findet man in Kapitel 18 ein ausführliches Protokoll, schöne Bilder und Grafiken. Der Text ist nachdigitalisiert, leider nicht in der Univers und typografisch auch etwas unschön.
1972s1.pdf hieß das Dokument – in englischer Sprache – aber ich finde es jetzt nicht mehr online. Wenn Du das PDF gerne haben möchtest, dann schreib mir mal…
Herrn Garnier habe ich allerdings in der Auflistung der Mitarbeiter nicht gefunden. Er war aber auch nicht bei Olympia 72 beteiligt. Oder vielleicht doch als Praktikant?
Chris Rehberger
Als Fahrradtrikot-Liebhaber, speziell der 60er und 70er Jahre Farbkombinationen, ob nun horizontal oder vertikal angeordneter Streifen, befremdet einen nur der etwas „under the influence“ wirkende Gebaerdentanz des ZDF-Fernsehballetts welcher damals im Aktuellen Sportstudio der Mode folgend, und Obacht, der Disco-Gott Netzer war im Studio, selbstverstaendlich barfuss dargeboten wurde.
Robert
Official Report of the Organizing Committee for the Games of the XXth
Olympiad Munich 1972 (Volume 1):
http://www.la84foundation.org/6oic/OfficialReports/1972/1972s1pt2.pdf
Christian Speelmanns
@Robert: sehr gut – danke für den Tip! Ich hätte es sonst auch noch auf der Platte gehabt…
Thilo
Ich kenne den Film und finde die Trikots super! Wo gibt es die?
Im Jahre 2001 wurde übrigens eine Brücke abgerissen, die mitten in Wiesbaden stand und keine Funktion mehr hatte. Es gab allgemeine Übereinstimmung unter den Bewohnern, dass niemand diese Brücke brauchte. Meines Wissens stammt das Farbkonzept für die Brücke ebenfalls von Friedrich von Garnier. Ein Melancholiker hat den Abriss der Brücke als Diashow festgehalten:
http://www.youtube.com/watch?v=hPHWJCrRQhU
Suzu
@ Christian und Robert
Super, danke euch beiden! Ich hab‘ mir den Report auch runtergeladen – die Entwürfe sind schon echte Klassiker – und farblich passen sie doch auch wunderbar zu Jürgens Trikots :-)
Jürgen Grabowski
Danke Hajo!
„Das SGE Trikot ist von allen vielleicht noch das Beste!“
Herr Wallert
Wow, dieser Herr prägt unter Anderem den Blick durch Hohenschönhausen, einem ehemaligen Vorzeigeplattenbau-, jetzt vorurteilsbehafteten Wohnbezirk und zukünftigen Szeneviertel Berlins!
Livius
Die Trickots sehen aus wie die U7. Berliner wissen, was ich meine:-)
robertmichael
stellt euch folgendes szenario vor:
die deutsche fussball-nationalmannschaft in DIESEN trikots dem ehemaligen logo von cottbus als sponsor auf den rücken und dann mit diesem ‚ich-kann-meinen-namen-tanzen‘ bewegungen auf das spielfeld einm… äh. eintanzen. wir würden alle mannschaften an die wand spielen weil diese vor lachen nicht mehr könnten ;)
Till Westermayer
Grandios! Stammen die ganzen 70er-Jahre-Farbpaletten aus dieser Schule, oder war das allgemeiner Zeitgeist damals?