Corporate-Font FF Sero: Transparenz und Präzision

Ich habe viel zu selten die Gelegenheit, für die Fontblog-Rubrik Schriftgeschichten einen längeren Beitrag zu verfassen. Die letzten großen Portraits liegen Wochen zurück und widmeten sich FF Suhmo (Meine aktu­elle Lieblingsschrift), FF Amman (Amman: die Stadt, die Schrift, der Film) und der Azuro (Ideal für das Lesen am Bildschirm: die neue Azuro). Heute ist es wieder mal soweit. Ich bin faszi­niert von einer Neuerscheinung, über die ich berichten möchte … ja ich bin gezwungen, hier und jetzt über diese Schrift zu schreiben: Ein Satzfehler im aktu­ellen Fonts-16-Mailing veran­lasst mich dazu, die Story nicht auf die lange Bank zu schieben.

Das ist Fonts 16:

Auf Seite 5 wird die neue FF Sero vorge­stellt, in der gedruckten Ausgabe leider mit einem vertauschten (= falschen) Text. In der oben einge­bet­teten Digitalausgabe ist das inzwi­schen korrigiert.

Kurz nach Erscheinen von Fonts 16 am letzten Montag rief ich Jörg Hemker, den Entwerfer von FF Sero an, um mich für die Panne zu entschul­digen. Dabei verriet er mir, dass er jede Menge Abbildungen und Hintergrundwissen zu Sero in petto habe, woraus man sicher­lich irgend­wann eine etwas ausführ­li­chere Vorstellung der Schrift verfassen könnte um so die fehlenden Informationen nach­zu­lie­fern. »Nicht irgend­wann,« beschloss ich im selben Moment, »das machen wir noch diese Woche«. Und hier ist sie …

Was mich sofort bei FF Sero faszi­niert hat, als ich den Text für Fonts 16 schrieb, der aber nie erschien, war die fili­grane Abstufung bei den leichten Strichstärken: Welche andere Schrift bietet schon Schnitte wie Extra Thin, Thin, Extra Light und Light? Und damit sind bereits 50 % des Strichstärken-Repertoires von Sero aufge­zählt … Es folgen ledig­lich noch Regular, Medium, Bold und Black, ohne Semi, Extra und Ultra. Das ist schon sehr unge­wöhn­lich. Und ich war froh, die Ursache für diese Familienarchitektur direkt vom Entwerfer zu erfahren: »Ein beson­deres Merkmal der Sero ist die gleich­blei­bende x-Höhe über alle Strichstärken. Bei zuneh­mendem Gewicht nehmen die Zeichen in den Binnenräumen an Schwärze zu. Dadurch bleibt die Schriftgröße in allen Fetten durch­ge­hend gleich, und die Zeichen werden in der Black nicht zu breit.«

Mit anderen Worten: Eine fette Sero nimmt kaum mehr Platz ein als eine Sero Light, was in der Strichstärkenübersicht oben recht gut zu erkennen ist. Eine andere Schrift, die ähnlich funk­tio­niert, ist die FF Fago von Ole Schäfer, erschienen 2000.

Die Betonung der leichten Schnitte ist also system­im­ma­nent bei FF Sero, weil die kräf­ti­geren Schnitte nach »innen wachsen«, und dieser Raum ist beschränkt. Jörg Hemker macht aus der Not eine Tugend, siedelt die Hälfte der Familie unter­halb der Regular-Strichstärke an und gibt der gesamten Familie im wahrsten Sinne des Wortes Leichtigkeit. In Rahmen einer Corporate Identity könnte man die Attribute trans­pa­rent, klar, zurück­hal­tend oder präzise in den Raum werfen … und spätes­tens an dieser Stelle werden die ersten Corporate Designer viel­leicht sagen: FF Sero füllt eine Lücke in Bereich der Corporate Typography, wo es im Moment eine große Nachfrage gibt.

Kommen wir zur Ästhetik der Schrift. Als flei­ßiger Benutzer der FontBook-App, die – anders als das gedruckte FontBook – die Klasse der Sans-Schriften in die Untergruppen Dynamisch (Humanist), Geometrisch, Grotesk, Statisch (Anglo Grotesk) und Grotesk einteilt, fragte ich mich des öfteren: Zu welcher Gruppe gehört denn nun Sero? Dass mir die Aufgabe nicht leicht fiel, ist der Antwort von Jörg Hemker zu entnehmen, als ich ihn nach den Wurzeln der Schrift befragte:

»Mein Gedanke hinter der Sero war es, die Eigenschaften einer ameri­ka­ni­schen Grotesk mit denen einer huma­nis­ti­schen Sansserif zu vereinen. Ich unter­suchte, welches sind die posi­tiven, welches die nega­tiven Merkmale, wie gehen beide Dinge zusammen und welche sind die rich­tigen für eine neue Schrift.«

Die Formen ameri­ka­ni­scher Schriften (zum Beispiel Franklin Gothic, Benton Sans, News Gothic …) sind geschlossen, da sie auf ein klas­si­zis­ti­sches Formenprinzip zurück­gehen. Hingegen sind die Zeichen einer huma­nis­ti­schen Schrift (Frutiger, FF Meta, …) offen gehalten, besitzen eher orga­ni­sche als geome­tri­sche Merkmale. Sind die Stärken einer Grotesk ihre Plakativät, wirkt eine Sans-Serif lese­freund­lich in Textgrößen.

»Meine Sero ist der Versuch, diese entschei­denen Charakteristika zu vereinen. Ein geringer Kontrast schafft einen robusten, warmen Charakter, die betonten Oberlängen geben der Schrift span­nungs­volle Stabilität. Wirkte meine FF Zwo noch recht statisch, fällt die Sero wesent­lich dyna­mi­scher aus.« erläu­tert Jörg Hemker

Und weiter: »Anfangs waren die Buchstabenformen recht expressiv gehalten, was sich jedoch während des Entwicklungsprozesses abmil­derte. Mein wich­tigstes Gestaltungskriterium war Sachlichkeit, was bedeu­tete, dass die Buchstaben neutraler wurden … und feiner. Dadurch gewann die Sero am Ende ein hohes Maß an Transparenz – wie die Schweizer sagen. Da die Figuren von modi­schen Elementen befreit sind, wirken sie lang­lebig … stehen somit für Kontinuität. Das Schriftbild wirkt sach­lich, besitzt aber eine indi­vi­du­elle Ausprägung.«

Das Ziffernsystem von FF Sero ist umfang­reich und bietet viel­fäl­tige typo­gra­fi­sche Möglichkeiten, wie sie gerade im Corporate Design gefor­dert sind. Es gibt Ziffern für Auszeichnungen, den Texteinsatz und für Tabellensatz. Während die Versalziffern auf einen plaka­tiven Einsatz zielen, war das Kriterium für die Text- und Tabellenziffern die Differenzierbarkeit der Zeichen. Jede Ziffernart verfügen über jeweils passende Währungszeichen. Besonders wichtig für Tabellen, Formulare, Rechnungen und Geschäftsberichte: In allen Strichstärken haben Tabellenziffern und Währungszeichen gleiche Dikten. Schließlich bietet FF Sero komplette Ziffernsätze für Zähler und Nenner, sowie einen Satz an Kreisziffern.

Die Sero-Schriftfamilie beherrscht – vom ersten Entwurf an – neben den latei­nisch basie­renden Sprachen auch Griechisch und Kyrillisch. »Mir erschien dies sehr wichtig«, erläu­tert Jörg Hemker diese Vorgehensweise, »weil ich so die spezi­fi­schen Eigenarten vermeint­lich gleich wirkender Zeichen bereits im Entwurfsprozess berück­sich­tigen konnte.« Außerdem hatte er von Anfang an den Wunsch, eine Schriftfamilie für inter­na­tio­nale Corporate-Design-Jobs zu entwi­ckeln. Die Vorteile von FF Sero liegen nicht zuletzt in ihrer Vielsprachigkeit. Vergleichbare Sans-Serif-Familien liegen nur bedingt oder gar nicht in nicht-latei­ni­schen Varianten vor.

Zum Abschluss noch etwas Zukunftsmusik. Um die Schrift auch fürs Editorial-Design attraktiv zu mache, arbeitet Jörg Hemker bereits an einer schmal­lau­fende Version. »Darüber hinaus plane ich eine spezi­elle Displayvariante (Abb oben), die durch eine größere x-Höhe und geringe Ober- und Unterlängen einen plaka­tiven Satz ermög­licht und so neue gestal­te­ri­sche Freiräume schafft. Spannend hierbei ist es heraus­zu­finden, wie weit die Schwärze der Zeichen verdichtet werden kann.«

FF Sero ist ab sofort auf www​.font​shop​.com lieferbar, und zwar als OpenType- oder OpenType-Pro-Version (Fremdsprachen), das gleiche für den Office-Bereich (Format TrueType) sowie als Webfonts (Formate .woff und .eot).


2 Kommentare

  1. akkord

    eine sehr gelun­gene form­sprache, verbunden mit der eleganz und der bedeu­tungs­kraft, den rich­tigen pfad zu gehen :-)

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