Das Wunder von Mittweida
Du bist Deutschland war eine kontrovers diskutierte, auf ein neues deutsches Nationalgefühl zielende Social-Marketing-Kampagne im Jahr 2005. Sie wurde von 25 Medienunternehmen ins Leben gerufen und von Bertelsmann koordiniert. Im Zentrum stand ein 2-minütiger TV-Spot, der auf fast allen großen TV-Kanälen lief (Musik: Alan Silvestri aus »Forrest Gump«). Die Kritik an der Kampagne reichte vom verunglückten Logo (schwarz-rot-goldener Schei…haufen), über die anbiedernde Duzerei bis hin zur Blutleere der beteiligten Prominenten.
Was die Kampagne nicht hin bekam, leistete ein halbes Jahr später die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Sie war alles andere als blutleer, dafür ehrlich, mitreißend und begeisterte Millionen. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg fand in Deutschland eine freiwillige flächendeckende Nationalbeflaggung statt – in Form von Autowimpeln, unverkrampft und augenzwinkernd.
Ganz und gar nicht unverkrampft geriet so manche Kopie der Du bist Deutschland-Kampagne. Dazu zähle ich sowohl die »Du bist Terrorist«-Aktion aus dem Jahr 2009, als auch das Mitarbeiter-Motivationsvideo »Du bist Audi« und das unfreiwillig komische »Du bist der Rettungsdienst«. Auch die Hochschule Mittweida ließ sich zu einer schlecht gemachten Kopie hinreißen. Dieser Fall ist umso tragischer, weil das Video an der Fakultät Medien entstand, unter Mitwirkung des Rektors Prof. Dr.-Ing. Lothar Otto, der Kanzlerin Dr. Sylvia Bäßler und vieler Angestellter. Ich kann nur hoffen, dass sie das Filmchen nie zur Abnahme vorgelegt bekamen und dass es – inzwischen als privat gekennzeichnet – nur gegen ihren Willen auf YouTube zu finden ist.
Hallo?! Hamburg ist jetzt Designmetropole!
Heute erfuhr ich zum ersten Mal von der Webseite hamburgunddesign, initiiert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg. Warum hat mich keiner meiner langjährigen Hamburger Freunde auf diese Site aufmerksam gemacht? PAGE, zum Beispiel, oder Factor Design, oder Peter Schmidt Group, Einsatz?
Angeblich repräsentiert dieser Internetauftritt 2200 Hamburger Designer und Designbüros. Könnte bitte mal eines dieser 2200 Büros von der Behörde beauftragt werden, die Website gestalterisch auf professionelles Niveau zu bringen! Wenn nicht, erwarte ich wenigstens, dass die Hälfte der 2200 Designer und Designbüros der Hansestadt das Abschalten dieser Site fordert – wegen Rufschädigung.
Als Kommentare wünsche ich mir – zwecks Orientierung für die Behörde – entweder Links zu gut gestalteten Hamburger Sites oder zu Sites designed in Hamburg.
Wie fliegen mehr Spaß machen könnte …
Vorher:
Nachher:
Als der Washingtoner Designer Tyler Thompson im Dezember 2009 seinen Kollegen Dustin Curtis in New York City besuchte und wieder zurück nach Seattle flog, ärgerte er sich dermaßen über die Bordkarte, dass er noch im Flieger Ideen für ein Redesign in seinem Moleskine-Buch festhielt. Daraus entstand im Januar die dazugehörige Website Boarding Pass/Fail, auf der sich inzwischen ausgezeichnete Redesign (inkl. Downloads) und Kommentare angesammelt haben. Eine Entdeckung von Spreeblick.
Wie Europa seine Designer aushungert …
Das European Institute for Gender Equality (EIGE, Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen) sitzt in Vilnius, der Hauptsadt Litauens, und wurde 2007 von der Europäischen Union ins Leben gerufen. Ausgestattet mit einem Etat von 52,5 Mio. € für den Zeitraum von 2007 bis 2013 soll die »Agentur« (!) EU-Einrichtungen und die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, für die Gleichheit von Frau und Mann zu werben und geschlechtliche Diskriminierungen anzuprangern. Das Institut hat also eine ernste Kommunikationsaufgabe.
An seiner Spitze herrscht eine Lenkungsgruppe von 18 Staatsrepräsentanten (plus 18 Vertretern), die alle 3 Jahre neu gewählt wird. Ein weiteres Gremium ist das Expertenforum, dem Delegierte aus 27 Mitgliedsstaaten angehören (plus 27 Vertreter), 2 Abgeordnete der EU (plus 2 Vertreter) und 3 Repräsentanten der Europäischen Kommission (plus 3 Vertreter ); 20 Angestellte schmeißen das Büro – alle Informationen aus Wikipedia und von der EIGE-Seite.
Angesichts der vielen aufmerksamen Augen im hochkarätig besetzten Verwaltungsapparat scheint es verwunderlich, dass der Agentur erst nach dreieinhalb Jahren auffällt ohne Logo zu kommunizieren. Vielleicht will die frisch gewählte Lenkungsgruppe mehr Dynamik in den Apparat bringen. Möglicherweise hat sich auch der Millionenetat bereits wegverwaltet. Jedenfalls ruft EIGE jetzt einen Logo-Wettbewerb aus, bei dem es nicht nur 1000,– (1. Platz), 750,– (2. Platz) oder 500,– € (3. Platz) zu gewinnen gibt, sondern gleich 3 Flüge nach Vilnius, denn die Sieger werden auf 3 offiziellen Zeremonien gefeiert – Ende 2010.
Jeder kann mitmachen, nicht nur Design-Studenten und Design-Profis … nein, jeder Bürger der in einem Mitgliedsland der Europäischen Union lebt, auch Kinder (»… open to all citizens living in any of the Member States of the European Union. … There is no age limit.«). Ja, das EIGE versteht etwas von Gleichberechtigung …und von Geschäftsreisen … Drei Jahre haben wir auf diesen Wettbewerb gewartet. Seid hungrig, Designer Europas!
BR stellt deutsche Flagge zur Disposition
Die Fußball-WM benebelt alle. Ausgerechnet der Bayerische Rundfunk stellt jetzt die Frage »Braucht Deutschland eine neue Fahne?« und lässt darüber abstimmen. Die Deutschlandflagge sei »antiquiert, statisch, unsympathisch«, behauptet der Design-Dozent Johannes Hoyer von der Hochschule Ansbach und kreierte eine neue Fahne. Diese ist nun gewellt und hat oben links ein paar Europa-Sternchen. Die Farben Schwarz-Rot-Gold hat Hoyer beibehalten, aber etwas weicher gemischt, wodurch das Rot nicht mehr ganz so leuchtend ist und das Gelb einen leichten Stich ins Orange bekamen.
Logo-Posse in Marzahn-Hellersdorf?
Es erinnert ein bisschen an Cottbus, Weichen scheinen falsch gestellt, Dinge verselbständigen sich. Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf (250 T Einw., 61,8 km²) sucht ein Logo per Volksabstimmung. Zur Auswahl stehen 8 Schüler-Entwürfe, vorgestellt auf berlin.de, wo Bürger auch abstimmen können, doch alles der Reihe nach …
Die Schüler/innen der Beruflichen Schule Hangelsberg (Bildungsgang Gestaltungstechnischer Assistent, GTA) haben sich ein Jahr lang intensiv mit dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf und seinen Besonderheiten beschäftigt. Sie studierten Analysen, Statistiken und Medienberichte, um anschließend Entwürfe für ein Signet des Bezirkes zu erarbeiteten. Als sie diese Anfang der Woche mit ihren Dozenten Uli Heid (www.design-network.de), Falk Flach und dem Schulleiter Thomas Enkelmann »dem Bezirksamtskollegium, den Führungskräften des Bezirksamtes, sowie in einem Pressegespräch auch den Medien vorstellte, ernteten sie viel Beifall«, so eine Pressemitteilung aus Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf
»Im Mai 2008 erhielt das Oberstufenzentrum Handel II den Namen ›Oskar Tietz‹ und ein Signet, erarbeitet von Studenten der FAW. Wir waren von der Leistung der Schüler so angetan, dass wir umgehend zu der FAW Verbindung aufnahmen«, erinnert sich Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle gegenüber der Presse. Es folgten Gespräche sowie Informations- und Arbeitstreffen in der Pressestelle. Im März 2009 wurde eine »Vereinbarung zur Durchführung eines Projektes zur Entwicklung eines Erscheinungsbildes des Bezirkes« unterzeichnet.
Am 6. Januar 2010 stellten die Schüler dem Bezirksamtskollegium mit großem Erfolg ihre ersten Entwürfe vor. »Dass sie sich in so kurzer Zeit so intensiv, differenziert und kreativ mit unserem Bezirk auseinandersetzen, das hatten wir so nicht erwartet«, fasst die Bezirksbürgermeisterin die große Zustimmung zusammen. Dozent Uli Heid bescheinigte seinen Schützlingen bei der Gestaltung der Signets, der »Königsdisziplin«, große Kreativität, Professionalität und nicht zuletzt einen großen Einsatz auch außerhalb der Schule bewiesen zu haben.
Bevor nun die Jury im Juni die Qual der Wahl hat, können die Bürgerinnen und Bürger von Marzahn-Hellersdorf von heute bis zum 21. Mai 2010 ihr Votum abgeben. Dies geschieht auf der eigens eingerichteten berlin.de-Webseite Signet für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf sowie in vier Bürgerämtern.
Auf diese Geschichte machte mich Kollege Axel Porsch von Blick Berlin aufmerksam. Er schreibt mir dazu: »Wollen wir nur hoffen, dass nicht irgendein Bezirkspolitiker auf den Gedanken kommt, dass man davon etwas verwenden kann. … Ich mich natürlich, ob da nicht eine offizielle Ausschreibung zwingend notwendig gewesen wäre.« Wer bisher dachte, Design by Crowd-Sourcing sei das unterste Niveau, der wird vom Bezirk Marzahn-Hellersdorf eines besseren belehrt: Design by Schüler ist noch einfacher – und billiger.
Bitte Provider-Logo nachbessern, Telekom.de
Vor 2 Tagen bekam ich eine SMS von der Telekom auf mein iPhone: »Lieber Kunde, T-Mobile und T-Home wurden in der Telekom Deutschland GmbH zusammengeführt. Die Anzeige in Ihrem Handydisplay ändert sich nach Neustart des Handys in Kürze auf „Telekom.de“.«
Ich war zwei Tage gespannt, wie das wohl gehen soll, 10 Schriftzeichen auf einer Fläche unterzubringen, die bereits mit 8 Zeichen gut gefüllt ist, wobei i und l in Helvetica nur sehr wenig Platz benötigen. Nun ist das neue Provider-Logo da, es heißt kurz ›Telekom‹ statt ›Telekom.de‹ und trotzdem drängeln sich die Buchstaben auf unschöne Art. Sie scheinen auch größer als zuvor.
Fontnäpfchen (17): Telekom-Preisliste [Neu]
So ist es richtig: Tele Grotesk Normal, die Exklusivschrift der Deutschen Telekom in einem Archiv-PDF
So ist es falsch: Ersatzschrift Adobe Sans mit der Metrik von Tele Grotesk, weil diese nicht ins PDF eingebettet wurde (Stand: April 2010)
Das ist es ganz falsch: Fantasieschrift aufgrund eines eigenmächtigen Austauschs der Macintosh-OS-X-Vorschau (Stand April 2010)
[Neu: Da das Thema ›Schriften richtig in PDFs einbetten‹ nicht unwichtig ist, habe ich diesen Beitrag von gestern Abend nicht gelöscht, sondern umgeschrieben. Er war auch nicht prinzipiell falsch, nur ungenau formuliert. So konnten wir alle aus dem Fehler der Telekom lernen. Vielen Dank für die klugen Kommentare.]
Liebe Telekom,
was ist nur mit der »Preisliste für Mobilfunktarife« (Stand April 2010) passiert (PDF)? Statt in der Exklusivschrift Tele Grotesk erscheint die 60-seitige Broschüre auf unseren Bildschirmen in einer Ersatzschrift. Dies passiert, wenn die Originalschrift nicht richtig ins PDF eingebettet wurde. Manche Reader behelfen sich dann mit der Ersatzschrift Adobe Sans, die Macintosh-Programme Vorschau und Safari kommen zu besonders eigenwilligen Lösungen auf Basis einer verunstalteten Helvetica. Bitte korrigieren.
Wir danken an Benjamin für den Hinweis und freuen uns über eine zügige Korrektur.
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