bukowskigutentag 9/12: Geile Headline?

Diese Woche weilte ich in Hamburg zu Besuch bei einer Agentur, für die ich ab und an als Junior-Tüte arbeite. Während einer Mittagspause kam es dort in der Innenstadt zu einem schweren Zusammenstoß zwischen einem Plakat und mir, bei dem meine Laune gesunken war; und zwar bis auf den Grund. Bis auf den Abgrund sogar. Hier das Plakat, mit dem meine gute Stimmung völlig unvor­be­reitet im Foyer eines Parkhauses kolli­diert war.

Sehen Sie es? Geile Headline, was? Ja, finde ich auch – nicht! Genau genommen weiß ich nicht einmal, ob das »Für ihr persön­li­ches Bedürfnis« über­haupt eine Headline, ein Slogan, ein Claim oder was auch immer sein soll. Deswegen würde ich hier die Bezeichnung Spruch bevor­zugen. In diesem Fall mit dem Zusatz saublöder Spruch.

Mit der erle­senen Debilität dieses Satzes möchte ich mich gar nicht weiter aufhalten. Viel inter­es­santer als die verun­glückte Sentenz finde ich die Tatsache, dass auf diesem Plakat über­haupt ein Spruch steht. Lassen Sie uns die Unfallursache rekon­stru­ieren. Wir haben hier eine Art werb­liche Ansprache für eine öffent­liche Toilette. Wozu denn bloß? Muss man jemanden, der muss, wirk­lich noch zusätz­lich animieren, eine Toilette aufzu­su­chen? Nein. Kann man jemanden, der nicht muss, mittels witziger Ansprache trotzdem zum Besuch einer Toilette animieren? Wohl kaum. Gibt es hier eine Wettbewerbssituation, in der sich diese Toilette durch diese lustige Ansprache aufmerk­sam­keits­stark von der Konkurrenz absetzt. Nö.

Bleibt also nur eine einzige und leider die denkbar schlimmst­mög­liche Ursache: Auf diesem Plakat steht ein Spruch, weil man es kann. Lassen Sie mich den Auftraggeber zitieren: »Hier, Agentur! Top-Job für Euch. Plakat für Toilette und so bla bla. Da ist noch Platz. Macht da mal was hin. Geile Headline oder so. Weil wir es können. Gigantische Referenz für Euch, daher bitte für lau arbeiten. Danke. Geil!« (Nein, ich war nicht beim Briefing dabei, würde aber wetten, dass es sich genau so zuge­tragen haben muss). Es herrscht hier dasselbe Prinzip wie zum Beispiel bei Atomwaffen: Braucht niemand, sind sogar eher kontra­pro­duktiv, werden aber trotzdem gebaut, weil man es kann.

Leider handelt es sich hier nicht um einen Einzelfall. Eine andere Dienstreise führte mich kürz­lich nach Konstanz, wo ich ab und an bei einer Agentur als Kundenbändiger arbeite. Während einer Mittagspause besuchte ich die Toilette eines Cafés. Dort entdeckte ich am Handwaschbecken einen Spiegel mit darin einge­las­senem Monitor, auf dem irgend­welche Informationen und Werbebotschaften gespielt wurden. Diese Entdeckung nutzte ich gleich mal für ein Spontan-Shooting und präsen­tiere Ihnen hier das Ergebnis:

Offensichtlich ist die Botschaften produ­zie­rende Industrie auf dem besten Weg, noch die letzten unge­nutzten Freiflächen zu erschließen – auf dass man nirgendwo mehr hinsehen und hören kann, ohne werb­lich ange­quatscht zu werden. Ich persön­lich begrüße das nicht, aber alles spricht dafür. Wieder zurück in Berlin sah ich in einem Café eine jungen Hipsterin, die ein knappes, bauch­na­bel­freies Oberteil trug. Auf ihrem Bauch prangte ein Tattoo, das aus folgendem Schriftzug bestand: »Aktion! Zwingli Erdnussflocken jetzt nur 2,99/kg!«

Das alles stimmt mich langsam etwas nach­denk­lich. Zumal sich die Zeichen häufen. Eines anderen Tages zum Beispiel belauschte ich im Vorbeigehen dieses Gespräch eines Pärchens in einem Park:

Sie so: Schau mal da, Schatz, netter Platz mit Parkbank in der Sonne. Lass uns da hin und biss­chen knutschen.

Er so: Joa, aber … keine Headline, kein Slogan, kein Monitor, nicht mal ein Logo … nee, spricht mich irgendwie nicht an.

Leider wächst mit der Zunahme der voll­flä­chigen Verwerblichung aller mögli­chen Räume und Flächen anschei­nend auch die Akzeptanz bei den Leuten. Trotzdem: Ich persön­lich möchte nicht von einer Toilette ange­spro­chen werden. Und ich möchte auch nicht in einer Toilette ange­spro­chen werden; sei es von Monitoren, Urinal-Plakaten oder was auch immer. Ginge das? Danke.

Michael Bukowski


7 Kommentare

  1. neuropol

    Sie werden nicht aufhören, bis unsere Städte aussehen wie in dem Film „Bladerunner“. Immerhin gibt es bisher noch keine Zeppeline mit digi­talen Werbeflächen, die über unsere Köpfe fliegen. Aber das kommt. Sicher.

  2. Will Sagen

    Es ist ja vor allem so, dass durch die Schreibweise mit dem kleinen „i“ in „ihr“ nur weib­liche Personen ange­spro­chen werden. Was ist mit den Kerlen, sollen die zugucken?

  3. Simon Wehr

    Selbst bei meinem Sohn im Kindergarten sind die Papierhandtücher mit Werbung bedruckt. Das amüsiert dann schon eher.
    Es gab in den 1920er Jahren schon Bestimmungen zum Schutze der Landschaft vor unmä­ßiger Werbung. Bereits damals hatten die Unternehmer die lustigsten Ideen, wie und wo man werben könnte. Bei Interesse kann ich dir da gerne was zu raussuchen.

  4. Stefan

    Danke, absolut auf den Punkt gebracht.

  5. Füxin aus Textgründen

    Ja. Und ich hatte auch sofort Bladerunner vor Augen… Als Gegenpol passt (mit Verlaub) wie Arsch auf Eimer, dass in der heutigen Werbewelt Duftspendekraft getestet wird, indem Menschen mit verbun­denen Augen in eine angeb­liche, völlig verratzte öffent­liche Toilette geführt werden und sich quasi im Siff wälzen vor Wohlgeruch… Ist die Existenz öffent­li­cher Toiletten, gar gratis verfüg­baren, über­haupt noch kultu­reller Standard?! Mag sein, dies Parkhaus wirbt für seine Nutzerfreundlichkeit und möchte darum noch etwas Bonus-Nutzungsmöglichkeit anpreisen. In dem Falle fände ich die Motivation legitim, nicht ohne dabei tiefer in Abgründe unserer Gesellschaft zu blicken, als ich unbe­dingt vorhatte… Also erstmal Denkpause einlegen. Durch die heimi­sche Brille gesehen, ist selbst der Blick in die Tiefe vertrauter. Und der Geruch authen­tisch – synthe­ti­sche Slogan-Spender für die Nase kommen mir nicht ins Haus!

  6. Simon

    In dem Moment wo in der Toilette Werbung präsen­tiert wird, gibt es natür­lich auch einen Grund, werb­lich auf die Toilette hinzuweisen… :)

    Viele Grüße,
    Simon

  7. Twix Raider

    Die Wampenwerbung bringt mich auf eine wasch­echte Schnapsidee, eine Nische ist noch unge­nutzt: Warum nicht den Damen des hori­zon­talen Gewerbes Werbung auf den Steiß stechen? Z.B. „Schenk deiner Frau mal wieder Blumen – Fleurop“. Arschgeweih-Advertising ist die Zukunft. Weil sich immer mindes­tens ein Idiot findet, der meine Scherze in die Tat umsetzt… wer’s nicht glaubt, soll mal „Wer den Döner nicht ehrt, ist im Stadtrat verkehrt“ googeln. Die Synergie des Schwachsinns versetzt Berge, die vorher Abgründe waren.

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