Satz-Klassiker (5): Majoor entwickelt das Scala System
iner, der die Buchschrift-Tradition in die Welt der digitalisierten Schriften führte, war der Holländer Martin Majoor. Seit Mitte der 80er Jahre eröffneten digitale Werkzeuge für den Entwurf von Schriften und die Gestaltung mit ihnen unendlich neue Möglichkeiten.
Neville Brody entwickelte in London das grafische Serienexperiment FUSE. Er stieß damit die Tür auf zu völlig neuen, bis dahin undenkbaren Dimensionen der Typografie.
Poster aus FUSE 1 ‘State’, Neville Brody (Hrsg.), 1991, zur FUSE-Anthologie … →
Schriften wurden dynamisch und abstrakt eingesetzt. Sie schufen eine Atmosphäre jenseits von Text. Lesbarkeit? Untergeordnet.
1988 revolutionierte Brodys Buch »The Grafic Language of Neville Brody« die Welt der Gestaltung. 1990: Gerade hatten Erik Spiekermann und Neville Brody ein neues Schriftenhaus gegründet. Sie wollten typografische Grenzen ausloten und biegen, um eine moderne, digitale Schriften-Bibliothek aufzubauen: Schriften verschiedenster Stile und für unterschiedlichste Zwecke – zeitgenössisch, experimentell, unorthodox und radikal.
Die FontFont-Bibliothek entstand. Und Martin Major stieß hinzu. Dem FontFont-Schriftenzauber er eine Buchschrift entgegen, die sich an der 500-jährigen Tradition der Renaissance Antiqua orientierte und sie ins digitale Zeitalter führte.
Scala Schriftmuster: elegante Lettern mit hoher Wiedererkennbarkeit und belastbarer Satz kennzeichnen Martin Majoors Leseschrift FF Scala, Schriftmuster: Wikipedia
Benannt nach der Mailänder Scala aus dem späten 18. Jahrhundert wurde FF Scala ursprünglich für das Corporate Design des Vredenburg-Konzertgebäudes in Utrecht entworfen. Auch gestalterisch reichen die Scala-Wurzeln zurück zu den frühen vertikal-betonten Schriften des französischen Typografen Pierre Simon Fournier, der 1737 den Punkt als Einheit für die Schriftgröße eingeführt hatte, und der sich an der humanistischen Form von Bembo orientierte.
Scala bedeutet auch »Spektrum«, ein weiteres Merkmal der FF Scala, die als eine der ersten Sippen dem Serif-Stamm eine Sans-Familie mit identischen Laufeigenschaften hinzufügt. Von Light bis Black, der förmlichen bis zur dekorativen Typografie, bauen alle FF Scala-Schnitte auf dem gleichen Formprinzip auf. Aus der Serif-Version entstand durch das Abtrennen der Endstriche und aufwändiges Anpassen des Kontrasts die Form der Sans-Variante. Die »Knochengerüste« beider Schriften sind absolut identisch, so dass sie sich wunderbar kombiniert einsetzen lassen.
Entwicklung der FF Scala aus der Renaissance-Bembo über die Form von Fournier aus dem 18. Jahrhundert bis zur FF Scala von 1990
Martin Majoor erinnert sich: »Dank der Möglichkeiten der neuen digitalen Design-Technologien genoss ich bei der Gestaltung von Scala große Freiheit und konnte ein verbindendes Konzept für Serif- und Sans-Version entwickeln. Viele der allgemein akzeptierten Ideen erscheinen mir nicht logisch. Als unabhängiger Designer war ich zum Glück nicht verpflichtet, ihnen zu folgen.« Obwohl sichtbar durch Elemente ihrer Antiqua-Vorgänger beeinflusst, ist es FF Scala gelungen, ihren unverwechselbaren Stil zu finden.
← Zierliche Zeichen können in schwieriger Druckumgebung oder am Bildschirm »zerfallen«, robuste Scala – zarte Bembo (Version von Adobe, 1990), aus fontsinuse.com
Die ausgerprägten Serifen wurden ursprünglich für den zackenfreien 300 dpi Laser-Ausdruck entwickelt. Auch kräftigen Konturen und geringer Kontrast verhindern das Aufbrechen dünner Teile und verleihen der Scala Robustheit für schwierige Druckumgebungen wie dem frühen Laserdruck oder dem Buchdruck auf minderwertigem Papier (die meisten der frühen PostScript-Schriften sind zu dünn). Aus dem gleichen Grund hat auch der Kursiv-Schnitt starke Serifen, die der Scala Italic einen eigenen »Klang« verleihen.
nnnn gggg pppp
Die Buchstabenformen der Scala-Grundschnitte sind so aufeinander abgestimmt, dass Text-Auszeichnungen nie den Textfluss unterbrechen. Normal-, Kursiv und Boldschnitte besitzen dieselbe Buchstabenbreite, so dass der Wechsel von Normal zu Bold nicht die die Gesamtbreite des Textes beeinflusst.
Der ausgefeilten Konstruktion der Zeichen fügte Martin Majoor einen enormen Zeichenvorrat hinzu, der großen Zeichenumfang des OpenType-Formats vorweg nahm. So verfügt FF Scala über vier Ziffernarten: Versalziffern für Tabellen, proportionale Versalziffern, Mediävalziffern für Tabellen und proportionale Mediävalziffern. Ziffern, Ligaturen, bedingte Ligaturen, Ordinalzeichen und Hochstellungen lassen sich heute komfortabel über das OpenType-Menü steuern.
Eine traditionelle Antiqua und die perfekt harmonierende Sans-Variante: Die Scala-Familie ergänzte die FontFont-Bibliothek um einen Buchsatz-Klassiker
Weitere Zeichen – die die Scala zu einer zeitgemäßen Schrift für alle gestalterischen Lebenslagen machen – sind Sterne, Rahmenelemente und geometrische Formen, mit denen man Formulare bauen kann oder die in einer Präsentation als Aufzählpunkt (Bullet) dienen. Eine Kuriosität sind rund 40 Zeigehände, die zu PostScript-Zeiten als separater Font angeboten wurden. Seit der OpenType-Ära gehören sie zum Schnitt FF Sala Sans Regular. Zum Auswählen bzw. Aufrufen einer bestimmten Zeigehand leistet in Adobes InDesign das »Glyphen«-Fenster im Schriftmenü beste Dienste.
Die FF Scala-Familie bei FontShop: Alle sechzehn Schriftschnitte der Scala-Familie finden sich bei FontShop im FF Scala OT Complete Suite Paket oder mit erweitertem Zeichenvorrat mit Fremdsprachen-Unterstützung in der FF Scala Pro Complete Suite. Weitere Pakete mit Grundschnitten oder Webfonts zeigt die FF Scala-Übersichtsseite.
Eine ausführliche Übersicht bietet die FF Scala FontFont Focus Broschüre (5,1 MB, 50 Seiten).
Die FF Scala-Familie gehört heute zu den beliebtesten Schriften aus der FontFont-Bibliothek. Ihre Lesbarkeit, ihr Konstruktionsprinzip und ihr Zeichenumfang machen sie zu einer belibten Satzschrift für Bücher und Zeitschriften, mühelos gelingen ihr Corporate-Aufgaben und sie ist sogar als Leitsystem (für die Metro in Los Angeles) im Einsatz. Im Schriftenranking der 100 besten Schriften aller Zeiten belegt FF Scala Platz 34.
1994 begann Majoor die Arbeit am holländischen Telefonbuch, zuständig für die typografische Gestaltung. Er entwarf eigens eine neue Schrift: Telefont. 2000 folgten FF Seria und FF Seria Sans, 2004 FF Nexus in den Versionen Sans, Serif, Mix und Typewriter.
Quellen:
• Fontblog: FF Scala Serif und Sans
• Buchsatz-Klassiker (1): Bembo, Pionier der Lesbarkeit
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