Augmented Print

Am 17. August 2010 gab die Royal Mail 6 Briefmarken heraus, die sich briti­schen Lokomotiven widmen. Anlass war der 50 Geburtstag der letzten engli­schen Dampflock »Evening Star«. Das ist, außer­halb phil­ate­lis­ti­scher Kreise, keine bemer­kens­werte Nachricht. Doch am vergan­genen Freitag passierte mit diesen Briefmarken etwas beson­deres, sie wurden zu “intel­li­gent stamps”. Betrachtet man die Motive durch die Linse eines iPhones oder eines Android-Smartphones, wird man auto­ma­tisch mit einer Internetseite verbunden, auf der ein Film startet, in dem Bernard Cribbins das Gedicht “The Night Mail” von W. H. Auden liest. (Dies ist auch mit der oben abge­bil­deten Reproduktion der Marke hier am Bildschirm möglich; unten ist beschrieben wie es geht.)

Das Procedere ist nicht neu, wir kennen es aus diversen Anzeigen und Printmedien, zum Beispiel der Tageszeitung Welt Kompakt, die täglich einige Beiträge mit YouTube-Filmen verlinkt. Zu diesem Zweck reichert die Redaktion eine gedruckte Meldung mit einem quadra­ti­schen QR Code an, der eine Internetadresse maschi­nen­lesbar macht. Handy und Barcode-Reader-App führen Leser dann auto­ma­tisch über den Internet-Browser zur Zieladresse. Fontblog berich­tete erst­mals im Oktober 2005 über diese Technik: Barcoding in Japan.

Neu ist, dass es in Zukunft für das Einspielen virtu­eller Inhalte keines Barcodes mehr bedarf. Das Süddeutsche Magazin hat mit dem Heft 33 vor zwei Wochen vorge­führt, wie so etwas funk­tio­niert. Das Zauberwort heißt Augmented Reality (zu Deutsch: »Erweiterte Wirklichkeit«). Dahinter steckt der einfache Wunsch, ein biss­chen mehr zu sehen als die Realität uns zeigt. Besagtes SZ-Magazin über­raschte die Leser mit digital servierten Texten, Filmen und Animationen.

Die Redaktion versteckte auf fünf Seiten Inhalte, die man nur mit dem Auge eines Smartphones betrachten kann. So entfernt zum Beispiel das Titelmodel plötz­lich seine Hände vorm Gesicht und gab sich als Sandra Maischberger zu erkennen (Abb. rechts; funk­ti­ons­fähig auch hier am Bildschirm). Im »Sagen Sie jetzt nichts«-Fotointerview mit Lena Meyer-Landrut servieren die Redakteure Lenas geheime Gedanken in Sprechblasen, die erst durch die Linse des Handys sichtbar werden (Abb. unten, eben­falls funk­ti­ons­fähig). Auf die gleiche Art konnten sich digi­tale ausge­stat­tete Rätselfreunde die Lösung des Kreuzworträtsels einblenden lassen.

Neu an der ganzen Sache ist, dass es zum Abrufen der Zusatzinformationen keiner Barcodes mehr bedarf …ein hinter­legtes Foto reicht völlig aus. Das Tor zu den versteckten Informationen ist ein Augmented-Reality-Browser, im Falle von Süddeutsche und Royal Mail die kosten­lose Software Junaio (App-Store-Link). Dieser Browser kann sowohl stand­ort­be­zo­gene Informationen auf das Handy-Display zaubern (zum Beispiel die Restaurants in Standortnähe), als auch Inhalte aus Kanälen für Kultur, Spiele, Shopping, Reisen sowie selbst gene­rierten Kanälen, wie sie zum Beispiel von der Süddeutschen Zeitung und der Royal Mail einge­richtet wurden.

Till Krause und Marc Baumann vom SZ-Magazin erläu­tern in diesem Video, wie Junaio funk­tio­niert (im Anschluss daran eine Schritt-für-Schritt Anleitung zum Nachlesen):

Was denkt Lena? So geht’s:

1. Den kosten­losen Augmented-Reality-Browser im App-Store oder im Android Market aufs Phone laden
2. Das Programm öffnen und rechts oben auf die Schaltfläche »Channels« (beim iPhone) oder »Browse« (bei Android) klicken.
3. Der Kanal »Süddeutsche Zeitung Magazin« findet sich in der Rubrik »Neu«, der Kanal »Royal Mail« unter »Featured«: einen der beiden Kanäle wählen, um die Bilder dieses Beitrags zu betrachten
4. Das Handy mit zirka 20 Zentimeter Abstand auf die Briefmarke (Kanal »Royal Mail«) oder das SZ-Cover oder das Lena-Foto (Kanal »Süddeutsche Zeitung Magazin«) halten und sehen, was passiert.
5. Als regis­trierter Junaio-User lassen sich die genutzten Kanäle spei­chern (abon­nieren).


5 Kommentare

  1. Plamen Tanovski

    Nur dass ich beim Anblick der Briefmarke zuerst an einer Folge mit Spencer von Thomas the Tank Engine denke, und dann an die blöde Glyphenbennenung in OpenType-Schriften von Monotype. The Score: mensch­liche Assoziationen, 10 points; augmented whatever, my a..

  2. adam

    Bei mir ging leider nichts von Beidem.

  3. Crissov

    Erst wenn sich das auf den 4. Schritt beschränkt, ist das ganze marktreif.

  4. ganzunten

    Technisch ist das ja wirk­lich ganz nett. Auch Google Goggles auf den Android-Geräten nutzt ja ähnliche Technologien (Bilderkennung) und das erschre­ckend gut. Doch so richtig kann ich den Nutzen im Zusammenhang mit Print nicht erkennen. Unterwegs im Street-View-Land macht Augmented Reality mehr Sinn, denn da gibts ja auch eine »Reality« ;)

  5. Simon Wehr

    Och, ich finde, da ließen sich inter­es­sante Dinge draus entwi­ckeln. Wie wärs mit Errata für Fachbücher oder Hinweise zu neueren Erkenntnissen / Diskussionen? Für die Werbung ist das ja sowieso toll. Und die Idee mit dem Kreuzworträtsel find ich auch gelungen. Für Museumsführer kann das auch span­nend sein undso­weiter. Das Problem ist eher, dass es sich noch auf so einen kleinen Anwenderkreis beschränkt.

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