Buchtipp: Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift

Im April 2018 trat Barbara Lüth in München den Jahreskurs „Typografie intensiv“ an (unter der Leitung von Rudolf Paulus Gorbach und Dagmar Natalie Gorbach). Sie war sofort begeistert von der Welt der Schrift. Nachdem sie begann, sich mit verschiedenen Schriftgestaltern auseinanderzusetzen, stellte sich recht bald die Frage: Wo sind eigentlich die Frauen? Sie begann zu suchen und sie fand sie.
Tatsächlich waren am Anfang des 20. Jahrhunderts nur wenige Frauen im Bereich Schriftgestaltung sichtbar tätig. Über die Jahrzehnte traten sie dann immer mehr in Erscheinung, auch als Gründerinnen und Herausgeberinnen typografischer Publikationen. Und auf einmal lieferte diese Recherche das Thema für Barbara Lüths Abschlussarbeit, die in diesem Monat – in überarbeiteter Form – im August Dreesbach Verlag als Buch erschienen ist.
Die Autorin stellt 20 Frauen vor, die von 1918 bis heute Schriften geschaffen haben und dies zum größten Teil noch immer tun. Im ersten Teil des Buches sind diese Frauen zeitlich und thematisch in drei Gruppen unterteilt:
→ Handwerk und Straßenschilder: Gudrun Zapf von Hesse, Hildegard Korger und Margaret Calvert
→ Office Girls, Letraset und Ikarus: Rosmarie Tissi, Patricia Saunders, Kris Holmes, Freda Sack, Fiona Ross, Cynthia Batty, Susan Kare und Carol Twombly
→ Digital, phänomenal, erfolgreich: Sibylle Hagmann, Zuzana Licko, Laura Meseguer, Veronika Burian, Verena Gerlach, Alice Savoie, Nina Stössinger, Natalie Rauch und Christine Hager
Die Frauen wurden auf 2 Doppelseiten kurz vorgestellt, jeweils mit Kurzbiografie und der etwas ausführlicheren Darstellung einer oder zwei ihrer erfolgreichen Schriften.

Im zweiten Teil des Buches beantworten einige der Gestalterinnen 5 Fragen der Autorin zum Thema Schrift und Gestaltung, zum Beispiel „Was fasziniert Sie an Schrift?“ oder „Welches ist Ihr Lieblingsbuchstabe?“. Andere Schriftentwerferinnen kommen mit Zitaten zu Wort, in denen klar wird, dass viele dieser Frauen eine essenzielle Rolle in der Schriftindustrie gespielt haben, die über die sichtbaren Zeugnisse – also ihre Schriften – weit hinaus geht. Zuzana Licko, Kris Holms, Susan Care, Fiona Ross und auch Sibylle Hagmann haben echte Pionierarbeit geleistet, meistens durch eine kreative, unvoreingenommene Herangehensweise an neue Technologien.
Im Vorwort schreibt Barbara Lüth: „Mit meinem Buch möchte ich einen Einblick in das Leben und die Arbeit dieser 20 Frauen geben und ich hoffe, dass es gelingt, sie dadurch sichtbarer zu machen.“ Tatsächlich füllt diese kompakte Übersicht eine Lücke in der populären typografischen Literatur. Viel der vorgestellten Frauen tauchen immer wieder mal im Rahmen von Projekten oder Technologien auf – zum Beispiel Susan Kare, wenn es um den ersten Mac geht, oder Margaret Calvert in der Geschichte der Verkehrsbeschilderung –, wobei ihnen meist nur eine Rolle als Randfigur zugestanden wird. In Lüths Buch spielen sie jetzt eine Hauptrolle.

Gestalterisch und sprachlich ist „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“ ein Leckerbissen, selbstverständlich gesetzt in der Schrift einer Frau, nämlich der Karina Sans von Veronika Burian. Und was mir besonders gefällt: Barbara Lüth wertet nicht. Sie liefert Fakten und Zusammenhänge aus den Laboren der Schriftentwerferinnen, kompakt und angenehm zu lesen.
Barbara Lüth: „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“, August Dreesbach Verlag, München, Juni 2021; Hardcover, 128 Seiten, 17 × 24 cm, ISBN 978-3-96395-023-0, 24 €