Fontblog Artikel im Juni 2021

Buchtipp: Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift

Im April 2018 trat Barbara Lüth in München den Jahreskurs „Typografie intensiv“ an (unter der Leitung von Rudolf Paulus Gorbach und Dagmar Natalie Gorbach). Sie war sofort begeis­tert von der Welt der Schrift. Nachdem sie begann, sich mit verschie­denen Schriftgestaltern ausein­an­der­zu­setzen, stellte sich recht bald die Frage: Wo sind eigent­lich die Frauen? Sie begann zu suchen und sie fand sie. 

Tatsächlich waren am Anfang des 20. Jahrhunderts nur wenige Frauen im Bereich Schriftgestaltung sichtbar tätig. Über die Jahrzehnte traten sie dann immer mehr in Erscheinung, auch als Gründerinnen und Herausgeberinnen typo­gra­fi­scher Publikationen. Und auf einmal lieferte diese Recherche das Thema für Barbara Lüths Abschlussarbeit, die in diesem Monat – in über­ar­bei­teter Form – im August Dreesbach Verlag als Buch erschienen ist.

Die Autorin stellt 20 Frauen vor, die von 1918 bis heute Schriften geschaffen haben und dies zum größten Teil noch immer tun. Im ersten Teil des Buches sind diese Frauen zeit­lich und thema­tisch in drei Gruppen unterteilt: 

Handwerk und Straßenschilder: Gudrun Zapf von Hesse, Hildegard Korger und Margaret Calvert
Office Girls, Letraset und Ikarus: Rosmarie Tissi, Patricia Saunders, Kris Holmes, Freda Sack, Fiona Ross, Cynthia Batty, Susan Kare und Carol Twombly
Digital, phäno­menal, erfolg­reich: Sibylle Hagmann, Zuzana Licko, Laura Meseguer, Veronika Burian, Verena Gerlach, Alice Savoie, Nina Stössinger, Natalie Rauch und Christine Hager

Die Frauen wurden auf 2 Doppelseiten kurz vorge­stellt, jeweils mit Kurzbiografie und der etwas ausführ­li­cheren Darstellung einer oder zwei ihrer erfolg­rei­chen Schriften.

Doppelseite aus dem Buch „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“
Doppelseite über die US-Designerin Susan Kare, die 1984 für Apple die ersten Macintosh-Schriften und -Icons entworfen hat. Die Systemschrift Chicago feierte Jahre später ihr Comeback auf dem Bildschirm des ersten iPod.

Im zweiten Teil des Buches beant­worten einige der Gestalterinnen 5 Fragen der Autorin zum Thema Schrift und Gestaltung, zum Beispiel „Was faszi­niert Sie an Schrift?“ oder „Welches ist Ihr Lieblingsbuchstabe?“. Andere Schriftentwerferinnen kommen mit Zitaten zu Wort, in denen klar wird, dass viele dieser Frauen eine essen­zi­elle Rolle in der Schriftindustrie gespielt haben, die über die sicht­baren Zeugnisse – also ihre Schriften – weit hinaus geht. Zuzana Licko, Kris Holms, Susan Care, Fiona Ross und auch Sibylle Hagmann haben echte Pionierarbeit geleistet, meis­tens durch eine krea­tive, unvor­ein­ge­nom­mene Herangehensweise an neue Technologien.

Im Vorwort schreibt Barbara Lüth: „Mit meinem Buch möchte ich einen Einblick in das Leben und die Arbeit dieser 20 Frauen geben und ich hoffe, dass es gelingt, sie dadurch sicht­barer zu machen.“ Tatsächlich füllt diese kompakte Übersicht eine Lücke in der popu­lären typo­gra­fi­schen Literatur. Viel der vorge­stellten Frauen tauchen immer wieder mal im Rahmen von Projekten oder Technologien auf – zum Beispiel Susan Kare, wenn es um den ersten Mac geht, oder Margaret Calvert in der Geschichte der Verkehrsbeschilderung –, wobei ihnen meist nur eine Rolle als Randfigur zuge­standen wird. In Lüths Buch spielen sie jetzt eine Hauptrolle.

Doppel­seite über die Schrift Transport, in den 1960er Jahren von Margaret Calvert und Jock Kinneir für die briti­schen Autobahnen entworfen und nach inten­siver Feldforschung entwickelt.

Gestalterisch und sprach­lich ist „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“ ein Leckerbissen, selbst­ver­ständ­lich gesetzt in der Schrift einer Frau, nämlich der Karina Sans von Veronika Burian. Und was mir beson­ders gefällt: Barbara Lüth wertet nicht. Sie liefert Fakten und Zusammenhänge aus den Laboren der Schriftentwerferinnen, kompakt und ange­nehm zu lesen.

Barbara Lüth: „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“, August Dreesbach Verlag, München, Juni 2021; Hardcover, 128 Seiten, 17 × 24 cm, ISBN 978-3-96395-023-0, 24 €