Buchtipp: 100 × Otl Aicher
Der Düsseldorfer Werber Bernd Kreutz (creativeindustrialist.com) ist immer für eine Überraschung gut. Wir erinnern uns an:
• Bernd Kreutz verschenkt sein Yello-Buch (PDF) (Fontblog, Okt 2007)
• Eine Werber-Bilderbuchkarriere (Fontblog, Nov 2011)
• Die Marke, eine hohle Nuss (Fontblog, Dez 2008)
• Satire ist Sauerei (Fontblog, Feb 2007)
Jetzt hat er mir sein neustes Werk auf den Schreibtisch geworfen: „100 × Otl Aicher“. Das Buch ist in jeder Hinsicht praktisch: leicht zu konsumieren, tiefe Einblicke, anregende Zitate und easy zu blättern (Spiralbindung). Es präsentiert erstmals eine Zusammenstellung von charakteristischen Zitaten aus Otl Aichers weniger bekannten Gesamtwerk als Autor und kritischer Kommentator des Zeitgeschehens. Darüber hinaus zeigt es exklusiv eine Auswahl besonderer Augenblicke seiner Arbeit als Fotograf. Bernd Kreutz: „Ähnlichkeiten mit der Kommunikationskultur von Twitter und Instagram sind rein zufällig.“
Aichers Credo „Denken beim Machen“ ist heute aktueller den je.
Das Buch gibt es aktuell nur über Amazon, für 29 €.
Colorfont wird erwachsen
Warum diese digitale Kuli-Schrift ein Wendepunkt ist
Mit der Geburtsstunde einer jeden neuen Technologie beginnt eine mehrjährige Phase verrücktester Experimente. Sei es die Erfindung des Tonfilms, die Entwicklung des Moog Synthesizers oder die Einführung von Variable Fonts: ihre Frühphase ist geprägt vom Spannungsfeld zwischen den Fürsprechern und den Behütern, dem Dialog der Fans und der Feinde einer neuen Technologie, was die Kreativität ungemein beflügelt.
In dieser Entwicklungsperiode entstehen künstlerische Meilensteine, denken wir nur an Charlie Chaplin’s Kauderwelsch-Gesang in „Moderne Zeiten“, Wendy Carlos’ „Switched on Bach“ oder Underware’s OpenType-Experimente, vorgetragen auf den Bühnen der TYPO-Konferenz und bei CreativeMornings Berlin (Videos: Underware bei den TYPO Labs 2017, TYPO Berlin 2018, CreativeMornings 2019). Die meisten dieser Experimente sind singulärer Natur, das heißt: sie funktionieren nur einmal. Sie ebnen keinen gemeingültigen Weg, dienen vor allem dem Erwachsenwerden einer neuen Entwicklung. Technologische Pubertät.
Damit eine neue Technik erwachsen, also zum Standard wird, muss sie alles abbilden können, was die Vorläufertechnik konnte, und darüber hinausgehende Vorteile bieten: zum Beispiel eine bessere oder neue Qualität, leichtere Benutzbarkeit, günstigere Kosten … manchmal auch alles zusammen (z. B. Desktop Publishing, Ende der 1980er Jahre). So konnte die Farbfotografie natürlich auch das monochrome Bild wiedergeben, Stereomusik enthielt die Mono-Technik und für digitale Videokameras sind Standbilder auch kein Problem.
Auch die digitale Font-Technologie erlebt im Durchschnitt alle 10 Jahre einem technologische Neuerung. Als Ende der 1980er Jahre die ersten PostScript-Schriften erschienen, waren es Schriftentwerfer wie Erik van Blokland und Just van Rossum (LettError), die deren Grenzen ausprobierten, zum Beispiel mit der Zufallsschrift FF Beowolf (1989), deren Buchstabenkonturen sich bei jedem Druckvorgang veränderten. Max Kisman und Neville Brody probierten Mitte der 1990er Jahre das digitale Kreuzen von Schriftdesigns (FF Fudoni) und das Weichzeichnen (FF Blur) aus.
Es folgten weitere technische Neuerungen, zum Beispiel Multiple Master, TrueType GX, OpenType, Webfonts, variable Font und Colorfont. Mit allen wurde herumgespielt und experimentiert, manche sind längst Mainstream, andere werden es vielleicht nie sein. Die (leicht zynische) Gretchenfrage beim Experimentieren mit neuen Technologien lautet: Wer braucht das?
Wird diese Frage von Gegnern des Neuen gestellt, ist sie rhetorisch gemeint und bedarf keiner Antwort. Der/die Fragenden hat sich entweder gar nicht mit der Technik und ihrem Potential beschäftig, oder: Sie haben sich damit beschäftigt und stellen sie aus Angst in Frage … Angst vor etwas Neuem, Angst vor Veränderung im Job, vielleicht sogar die Angst vor dem Verlust des Jobs (was nicht passieren muss, wenn man das Neue annimmt).
Wer braucht das? fragen sich aber nicht nur die Verweigerer, sondern auch die Fans einer neuen Technologie. Zum Beispiel die Kreativen und das Marketing. Im Idealfall schlüpfen sie in die Rolle des Benutzers, um zu verstehen, welche Art der Verwendung möglicherweise gebraucht wird (Stichwort: Marktlücke) und wie man die Benutzung der neuen Technik so einfach wie möglich gestaltet, trotz Feature-Reichtum.
Kommen wir endlich zur neuen Schrift LiebeHeide von Ulrike Rausch (LiebeFonts), einer der renommiertesten Script-Designerinnen und Font-Ingenieurinnen, was nicht nur ihre Schriftbibliothek beweist, sondern auch das jüngst mit Chris Campe verfasste Buch Making Fonts!. Ulrike ist eine Expertin auf dem Gebiet der OpenType-Handschrift-Automatiken, durch die ihre digitalen Stift- und Pinselschriften erstaunlich authentisch aussehen. Renommierte Unternehmen wie Adobe, Google und selbst Apple hören auf sie, wenn in ihren Anwendungen oder Browsern eine Ligatur klemmt oder ein Font-Feature streikt.
Mit LiebeHeide bringt Ulrike Rausch ihre ausgeklügelten OpenType-Handschrift-Automatiken auf ein neues Niveau, denn um ein möglichst authentisches Kugelschreiber-Schriftbild zu erzeugen, bedient sie sich der Colorfont-Halbton-Technologie. Die Basis der Buchstaben sind Bitmap-Abbildungen der zugrundeliegenden Handschrift, so dass die Benutzer tatsächlich mit fotorealistischen Bildern tippen. Auf diese Art lassen sich Strukturen und Verläufe weit realistischer darstellen als das bisher mit Vektor-Schriften möglich war. Das Ergebnis ist eine überraschend echt aussehende Handschrift.
Das Maß an Authentizität ist es dann auch, was LiebeFonts’ Neuerscheinung zu einem Wendepunkt in der jungen Geschichte von Colorfont macht: Raus aus der Experimentierphase, hinein in die Standard- oder Nutzenphase.
LiebeHeide liefert gleich mehrere Antworten auf die Frage Wer braucht das? Typische Einsatzgebiete für diesen neuartigen Font sind, neben Packaging und Editorial Design, personalisierte Mailings und das gesamte Spektrum des Below-the-line-Marketings: Ambient Media, Direktmarketing, Gewinnspiele, Handzettel, sowie Event- und Guerilla-Marketing. Im Social-Media-Marketing lenkt die authentische Handschrift das Interesse auf digitale Banner und Memes, gerne auch animiert.
Doch das ist erst der Anfang. Wenn demnächst die ersten Marken und Unternehmen mit LiebeHeide auftreten, wird aus der persönlichen Handschrift eine allgemeine Handschrift. Auch für diesen Moment hat Ulrike Rausch eine Lösung in der Schublade: Sie entwickelt einfach – auf Basis der LiebeHeide-Technologie – eine exklusive digitale Kugelschreiber/Bleistift/Filzstift-Schrift, authentischer und persönlicher, als es jemals zuvor möglich war.