Glanzvolle Slab
Aller guten Dinge sind drei … und da mir heute zum dritten mal innerhalb einer Woche eine neue Schrift in Schablonenoptik über den Weg lief, kann ich das nur als Anstoß verstehen, diesen frischen Trend* kurz zu beleuchten.
Da ist zunächst Groundbeat von Typerepublic (Barcelona), eine 6-schnittige Familie, entworfen von Ricard Garcia and Andreu Balius. Untertitel: „Eine Vorstadt-Stencil, beeinflusst von Trip Hop Südenglands“. Geradezu lyrisch, wie Typerepublic den visuellen Rhythmus der Buchstabenkonturen ins Musikalische übersetzt: „Eine Schrift im Downtempo, die den Leser in Rhythmus bringt, inspiriert von den verlangsamten elektronischen Break-Beats der 90er Jahre. Groundbeat ist gleichermaßen melancholisch wie atmosphärisch, perfekt gegossen für eine musikalische Lesung.“
Anfang dieser Woche stellten Monotype/Fontsmith den Single-Font FS Renaissance vor, entwickelt vom Creative Type Director Pedro Arilla in Zusammenarbeit mit dem Schriftentwerfer Craig Black. Wie Groundbeat ist auch Renaissance weit entfernt vom Konzept traditioneller Stencil-Schriften: keine gleichförmigen Fugen, sondern dynamische Interaktionen, die manuell zwischen die Kurven gesetzt wurden und der Idee einer Schrift als Skulptur folgen. Es gibt nicht viele Antiqua-Stencils, doch Renaissance ist sicherlich die raffinierteste.
Die Stencil-Typen kommen … hier drei Neuerscheinungen: Glance Slab, FS Renaissance und Groundbeat
Heute nun meldete sich Moritz Kleinsorge bei mir, um seine neue Familie Glance Slab vorzustellen. Er schreibt: „Alle guten Dinge (sic!) wurden zufällig entdeckt: Röntgenstrahlen, Penicillin und Wassereis. Und nun ergänzt Glance Slab diese Liste.“ Um seine Font-Library zu vervollständigen, gestaltete Moritz eine Slab Serif, doch er war mit den ersten Entwürfen nicht wirklich zufrieden. Also begann er, mit einigen Lettern zu experimentieren, und zufällig war auf einmal die Schulter des Kleinbuchstaben n nicht mehr mit dem Stamm verbunden. Dieser Effekt gefiel ihm so gut, dass er das Merkmal aufgriff und auf Teile des Alphabets anwendete. Eine echte Stencil ist Glance Slab nicht, weil beispielsweise dem kleinen o mindestens ein Steg fehlt, damit der Innenraum beim Schablonenschneiden nicht herausfällt. Moritz versteht die Lücken auch eher als Ink-Traps.
Glance Slab ist keine reinrassige Stencil … ihre Fugen betonen die Einkerbungen, funktionieren also wie Ink-Traps
Im Ergebnis ist die Glance-Familie eine dynamische, aber gleichzeitig auch organische seifenbetonte Schrift. Ihre extravagante Ästhetik ist vor allem geprägt durch nicht vorhandene bzw. nicht verbundenen Buchstabenelemente, meist wenn eine Kurve auf einen Stamm trifft. Vor allem die Buchstaben a, c, s, C, G, J, S sowie einige Ziffern und Symbole mit schwebenden Serifen erweisen sich als das Erkennungszeichen von Glance Slab.
Mit ihrem starken Charakter eignet sich Glance Slab sowohl fürs Branding, als auch für alle Anwendungen, bei denen typischerweise Schablonenschriften zu Hochform auflaufen: Plakate, Wegeleitung, Kennzeichnung (Bananenkiste), Street-art sowie in und auf Objekten. Glance Slab ist neu, auffällig und authentisch, eine Schrift, an die man sich gerne erinnert und der man vertraut.
In klein gesetzten Texten reduziert sich der extravagante Charakter von Glance Slab: sie wird neutraler und überraschend gut lesbar. Dafür sorgen die unverbundenen Details, die im Textsatz „zulaufen“ und die extravaganten Glyphen neutralisieren.
Glance Slab bietet sieben Strichstärken, von Thin bis Black. Jeder Schnitt ist mit einem Zeichensatz von fast 600 Glyphen ausgestattet, der eingekreiste Ziffern und Pfeile, Ligaturen, eine erweiterte Sprachunterstützung und vieles mehr enthält. Bis zum 19. Juli 2020 ist Glance Slab zum Einführungspreis erhältlich (-70%).
Über den Designer
Moritz Kleinsorge ist Grafikdesigner und Schriftgestalter. Im Jahr 2018 hat er erfolgreich die „Expert class Type design“ des Plantin Institute für Typografie in Antwerpen abgeschlossen. Ebenso hält er einen Masterabschluss in Kommunikationsdesign der Peter Behrens School of Art in Düsseldorf. Seine Masterarbeit „Schrift spricht – Schriftcharakteristik und Corporate Typefaces deutscher Unternehmen“ ist in Auszügen online unter corporate-typeface.com lesbar.
* Einer Instagram-Story der Typemates war jüngst zu entnehmen, das sie ebenfalls an an einem Stencil-Experiment arbeiten (“Time to start a new idea”)