30 Jahre FontShop
Dies ist die Geschichte von FontShop, vor genau 30 Jahren von Joan und Erik Spiekermann in Berlin gegründet … der Laden, in dem ich die längste Zeit meines Berufslebens verbracht habe. FontShop war der erste Hersteller-übergreifende Schriften-Lieferant. Herausgeber von FUSE, dem FontBook und der FontFont-Schriftbibliothek. In diesem Beitrag werfe ich einen kurzen Blick zurück.
Alles begann in der Motzstraße in Schöneberg, mit einem Schreibtisch in Erik Spiekermanns Designbüro MetaDesign und einem Regal voller Disketten im Keller. Jeder war darauf vorbereitet, Anrufe am gelb-schwarzen Telefon entgegenzunehmen: Art Director Alex Branczyk, sein Kollege Thomas Nagel und Erik selbst, wenn seine Frau Joan und die FontShop-Geschäftsführerin Petra Weitz auf dem Weg ins Lager waren. Übrigens waren Erik van Blokland und Just van Rossum, damals Praktikanten bei MetaDesign, ebenfalls stark am Aufbau des frühen FontShops beteiligt.
FontShop ist das Kind zweier Revolutionen: dem Desktop Publishing und dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die politische Revolution erlebte das junge Unternehmen am Ground Zero des Mauerfalls, im damals einzigen Gebäude am Potsdamer Platz, dem Weinhaus Huth, in dessen Erdgeschoss FontShop nach der Motzstraßen-Geburtsstunde Anfang 1990 einzog. Die technische Revolution, also das Erstellen von Druckvorlagen am Personal Computer (DTP) legte den Grundstein für FontShops Business-Modell.
Während zu Bleisatz- und Fotosatz-Zeiten die Schriften mit der Hardware verkauft wurden, entwickelte sich ab 1985 durch Adobes Seitenbeschreibungssprache PostScript plötzlich ein freier Markt für Schriften. »Wann immer ich in die USA reiste, musste ich für Kolleginnen und Kollegen die neuesten digitalen Schriften mitbringen … zum Beispiel von Emigre, Alphabets, Giampa oder The Font Bureau.« Dieser Freundschaftsdienst brachte Spiekermann im Herbst 1989 auf die Idee FontShop zu gründen, den ersten unabhängigen Schriftenversand. Font-shopping ging damals so: anrufen oder eine Faxbestellung senden, und am nächsten Tag ein Päckchen mit Disketten in Empfang nehmen. Web-Shops und Font-Downloads ließen noch 10 Jahre auf sich warten, an Fonts aus der Cloud war erst recht noch nicht zu denken.
Erik Spiekermann als Mauerspecht im Winter 1989: Die Mauer ist gefallen, und schon bald verbreiteten sich Optimismus und Wagemut in Berlin, was auch FontShop ansteckte
Nach dem Fall der Mauer war Berlin erfüllt mit Optimismus, Zuversicht und neuen Ideen. Das beflügelte natürlich auch FontShop. Binnen weniger Monate wuchs das Unternehmen von 2 auf 12 Mitarbeiter. Alle waren Freunde von Freunden, und jeder startete seine Karriere am Versandtisch. Das schnell wachsende Geschäft mit den Schriften lernten die Kolleginnen und Kollegen am Bestelltelefon und am eigenen Mac auf dem Schreibtisch, durch learning by doing. Nicht nur sie waren Anfänger auf dem neuen Feld, auch die Kunden. Das erleichterte die Weiterbildung ungemein.
Joan Spiekermann war von 1989 bis 2000 die Geschäftsführerin von FontShop, und entwickelte das Unternehmen mit Leidenschaft, Tempo und flachen Hierarchien
Während FontShop-Gründer Erik Spiekermann sich ganz dem Wachstum seines Designbüros MetaDesign widmete, skalierte Joan Spiekermann den Schriftenversand, mit FontShop-Filialen in Kanada, Großbritannien, Schweden, Benelux, Italien und den USA. Der erste Schriftkatalog erschien 1990. Es war ein liebevoll gefertigtes Ringbuch, der Umschlag aus exotisch-grauem DDR-Karton, in das die Kunden jedes Vierteljahr ihre Updates alphabetisch einhefteten. Die Registerseiten des Katalogs wurden von internationalen Designstars gestaltet: Hard Werken, M&Co., Studio Dumbar, 8vo, Grapus, Proforma, Eclat. Aus dem Katalog wurde 2 Jahre später das FontBook, das zuletzt 2006 gedruckt erschien, mit 1760 Seiten, 32.000 Schriftmustern von 90 Herstellern … 2 Kilo schwer.
Der erste FontShop-Katalog: ein Ringbuch aus DDR-Pappe, das die vierteljährlichen Font-Updates aufnehmen konnte
Das nachhaltigste FontShop-Projekt, das bis heute relevant ist, war 1990 die Gründung der FontFont-Bibliothek durch Erik Spiekermann und Neville Brody. Die FontFont-Kollektion erwies sich bald als eine treibende Kraft in der typografischen Welt. Schon die ersten FontFonts definierten neue Genres im Typedesign. Von experimentellen Schriften wie FF Beowolf (mit zufallgesteuerten Buchstabenkonturen, eine von LettError entwickelte Technologie), der abgebrühten FF Trixie (eine schmutzige Schreibmaschinentype mit Sound, entworfen von Erik van Blokland) und FF Blur (Neville Brodys stilprägende, weichgespülte Sans) oder zeitgenössischen Antiquas wie FF Scala (Martin Majoor), FF Quadraat (Fred Smeijers) und FF Clifford (Akira Kobayashi); über die raffinierten geometrischen Entwürfen wie FF Minimum (Pierre di Sciullo) oder FF Typeface Six (Neville Brody); bis hin zu den funktionalen Sans-Bestsellern wie FF Meta (Erik Spiekermann), FF DIN (Albert-Jan Pool) und FF Dax (Hans Reichel): Die Menge der FontFonts, die neue Trends in der Schriftkultur gesetzt haben, ist auch heute noch in der Rückschau erstaunlich.
Für die hohe Qualität der FontFonts sorgte seit ihrer Gründung das Typeboard, das sich in den frühen Jahren vierteljährlich traf, später halbjährlich. Joan und Erik Spiekermann sowie die FontFont-Geschäftsführerin Petra Weitz besetzten das Gremium mit wechselnden internationalen Autoritäten, darunter Jonathan Barnbrook, Erik van Blokland, Neville Brody, Stephen Coles, David Crow und Malcolm Garrett … auf Seiten FontShops gehörten Erik Spiekermann, Andreas Frohloff, Ivo Gabrowitsch, Jürgen Siebert und Alexander Roth zum festen Stamm. Und meine Kollegin Ugla Marekowa, die mit Protokollen, Statistiken und Korrespondenzen noch heute alle Fäden zusammenhält.
Das FontFont-Typeboard im Herbst 1994, von rechts nach links: Erik Spiekermann, Erik van Blokland, Beth Russell, Neville Brody und Jürgen Siebert
Die Krönung von FontShops und FontFonts Innovationskraft war sicherlich der 24. Januar 2011, als das New Yorker MoMA den Kauf von 23 digitalen Schriften für ihre permanente Design Collection bekannt gab (Fontblog berichtete). Unter den Exponaten befanden sich neben modernen Klassikern wie Bell Centennial, Verdana, Interstate und Gotham, auch die 4 FontFonts FF Beowolf, FF Meta, FF Blur und FF DIN. Damit war FontFont nicht nur die einzige europäische Foundry in der MoMA-Sammlung, sondern auch die mit den meisten Nominierungen.
Um die Versandhandel-Fernbeziehung mit seinen Kunden aufzubrechen, startete FontShop 1996 die dreitägige Design-Konferenz TYPO Berlin. Während im Foyer des Konferenzgebäudes, dem Berliner Haus der Kulturen der Welt, der Gastgeber und seine Partner die neuesten Schrift-Designs und -Technologien demonstrierten, teilten auf der Bühne des großen Saals die Weltstars der Designszene mit über 1000 Zuschauern ihre Berufsgeheimnisse. Auf der TYPO Berlin 2013 tagte das Typeboard sogar eine Stunde lang vor Publikum, und legte einige seiner Qualitätskriterien für eine gute Schrift offen.
Mit der jährlichen TYPO-Konferenz wurde die Stadt Berlin endgültig zum Brennpunkt der Type-Design-Szene. Laut Recherchen von typeinberlin.com sind heute in der Hauptstadt 25 Foundries und 50 Type-Designer angesiedelt. Ohne Joan und Erik Spiekermann und ihrem FontShop, mit seiner internationalen Strahlkraft, wäre das wahrscheinlich nicht passiert.
Mit verantwortlich für den guten internationalen Ruf von FontShop war das Marketing für die vertriebenen Schriften … und die eigenen FontFonts. Schon kurz nach der Gründung erregte FontShop mit gedruckten Flyern, Broschüren und Postern viel Aufmerksamkeit. Dies setzte sich Anfang der 2000er Jahren im Digitalen fort, sowohl im Online-Shop, als auch in Social Media mit informativen Blogs (FontBlog, FontFeed), Online-Tools (FontStruct, FontShop-Plug-in) und wegweisenden Microsites. Die Microsite für die geometrische Sans FF Mark (Hannes von Döhren, Christoph Koeberlin; 2013) setzte mit technischen und ästhetischen Raffinesse einen internationalen Maßstab für die Inszenierung und das interaktive Testen einer Schriftfamilie im Web. Zuletzt begleitete der Schriftentwerfer und Art Director Alexander Roth die Gestaltung von Drucksachen und digitalen Marketing-Materialien.
Mit einer wegweisenden Micro-Site feierte die neu erschienene FF Mark im September 2013 ihre Premiere
Im Sommer 2014 wurden FontShop und FontFont Teil der Monotype-Familie, die beide Marken weiter entwickelte: FontShop als digitalen Vertriebskanal und FontFont als die größte Bibliothek zeitgenössischer Schriftdesigns. In den letzten Jahren wurden erfolgreiche FontFont-Klassiker um neue Schnitte oder zusätzliche Sprachen erweitert, und es erschienen neue Designs, darunter FF Real (Erik Spiekermann), Bauer Grotesk (Felix Bonge, Thomas Ackermann), FF Hertz (Jens Kutilek) und FF Attribute (Viktor Nübel). Im Sommer 2019 erschienen unter anderem die industrielle humanistische Sans FF Nort (Jörg Hemker) und FF Neuwelt (Jens Gehlhaar).
Informative und optisch ansprechende Werbemittel, wie dieses Poster von Alexander Roth für FF Real von 2015, gehören seit der FontShop Gründung zu dessen Marketing-Begleitmusik
Die Grenzen des Schriftdesigns und -Marketings über 30 Jahre zu verschieben, ist alleine schon eine kleine Revolution. Um dies zu feiern, lädt fontshop.com zu einem Schriftspaziergang ein … entlang der wichtigsten FontFont-Stationen. Fünf kuratierte Font-Listen spiegeln das turbulente Wirken von FontShop wider. Dazu gibt es sogar einen jubiläumsreifen Rabatt: 30 % auf 30 wegweisende Familien aus der FontFont-Library … für 30 Tage (die Aktion endet am 19. Oktober 2019).
Neuerscheinung: »100 Jahre Kommunikationsdesign«
Kommunikationsdesign ist überall, und trotzdem schwer zu definieren. Angesiedelt zwischen angewandter Kunst und Dienstleistung, Handwerk und Beratung, Avantgarde und Mainstream hat sich diese Sparte des Designs erst in den letzten 20 Jahren zu einem stabilen Industriezweig entwickelt, der endlich auch in den Statistiken von Wirtschaftsverbänden und -ministerien Einzug gehalten hat.
Die neue BDG-Publikation »Avantgarde und Mainstream: 100 Jahre Kommunikationsdesign in Deutschland« beleuchtet die große Erfolgsgeschichte der Disziplin von den Anfängen der Gebrauchsgrafik zu Beginn des letzten Jahrhunderts bis zum UX-Design von heute. Zum 100. Geburtstag des BDG, der die Designerinnen und Designer auf diesem Weg begleitet, widmen sich 16 Fachautorinnen und -autoren dem gesellschaftlichen Kontext und den Wechselwirkung zwischen Entwerfen und Nutzbarmachen von Kommunikationsdesign. Darüber hinaus bieten sie auch einen Ausblick auf den Designberuf der Zukunft.
Avantgarde und Mainstream: 100 Jahre Kommunikationsdesign in Deutschland, Hrsg. von Rainer Funke, Marion Godau, Christa Stammnitz, Stuttgart 2019, 240 Seiten, ISBN 9783899863185, 34 €. Mit Beiträgen von: Wolfgang Baum, Matthias Beyrow, Petra Eisele, Sabine Foraita, Rainer Funke, Marion Godau, Michael Hardt, Boris Kochan, Anita Kühnel, Jakob Maser, Julia Meer, Jens Müller, Florentine Nadolni, Oliver Ruf, Erik Spiekermann und Christa Stammnitz.
Reformierte »DIN 16507-2 Schriftgrößen« kann kommentiert werden
Dass sich das Deutsche Institut für Normung mit Schrift und Typografie beschäftig, wissen wir spätestens seit April 2013, als die reformierte DIN 1450 Leserlichkeit erschien, an der erstmals auch Typografen und Schriftentwerfer mitwirkten (die ganze Geschichte: Warum eine Norm zur Leserlichkeit von Schrift sinnvoll ist). Der Nutzen einer Norm für gestalterische Arbeit ist umstritten. Unumstritten ist allerdings auch, dass hierzulande Ingenieure und gewichtige Auftraggeber großen Respekt vor Industrienormen haben. Wenn also weiche Argumente nicht zünden, können Kommunikationsdesigner, Mediengestalter, Werbetechniker und Textverarbeitender zum DIN-Hammer greifen, um ihre Auftraggeber in Sachen Schriftart und Schriftbenutzung zu überzeugen.
Neben der DIN 1450 gibt es weitere Normen, die sich um Schrift drehen, darunter die DIN 16507 aus dem Jahr 1999 zum Thema Schriftgrößen. Es geht um so grundlegende Fragen wie: Welche Größen rund um die Buchstaben gibt es überhaupt? Warum ist der »einfache Zeilenabstand« größer als die Schriftgröße? Wann berühren die Unterlängen die Versalakzente der nächsten Zeile? Welche Schriftgröße muss ich eingeben, um die Leserlichkeit einer Schrift bei einem gegebenen Betrachtungsabstand gewährleisten zu können?
Der Schriftentwerfer Albert-Jan Pool (FF DIN) arbeitet eng mit dem Institut für Normung zusammen und ist inzwischen Obmann des DIN-Ausschuss »Schriften«. Seit Jahren kämpft er für eine Reform der DIN 16507. Nun liegt der Entwurf vor und steht zur Diskussion. Gegenüber Fontblog erläutert Pool die Notwendigkeit dieser Norm: »Unsere Gesellschaft altert und dementsprechend wächst die Zahl der Menschen mit verringerter Sehschärfe. Der Bedarf an leserlich gestalteten Texten nimmt folglich zu und wird in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsen.«
Die überarbeitete DIN 16507-2 Schriften – Schriftgrößen dient der Ermittlung, Bestimmung, Festlegung und Angabe von Schriftgrößen und Zeilenabständen. Hierzu beschreibt sie die wichtigsten Maße einer Schrift in Bezug auf die Schriftgröße. Faustregeln erleichtern die Berechnung einer Schriftgröße in pt bei einer zu gewährleistenden Mittellänge oder Ziffernhöhe in mm. Darüber hinaus werden neue Anforderungen an Typometer gestellt: Sie sollen nun auch die Vermessung der Mittellängen und Ziffernhöhen in Printmedien und an Bildschirmen erleichtern und deren Bezug zur Schriftgröße vermitteln. Schließlich wurde die reformierte Norm an die bereits aktualisierten Fassungen der DIN 1450 Schriften – Leserlichkeit und DIN 1451-1 Schriften — Serifenlose Linear-Antiqua — Teil 1: Allgemeines angepasst.
Der Entwurf der aktualisierten DIN 16507-2 Schriften – Schriftgrößen – Teil 2: Textverarbeitung, Mediengestaltung und verwandte Techniken kann ab sofort über das Norm-Entwurfs-Portal kommentiert werden, die Einspruchsfrist endet am 23. Oktober 2019.