Fontblog Artikel im September 2019

30 Jahre FontShop

Dies ist die Geschichte von FontShop, vor genau 30 Jahren von Joan und Erik Spiekermann in Berlin gegründet … der Laden, in dem ich die längste Zeit meines Berufslebens verbracht habe. FontShop war der erste Hersteller-über­grei­fende Schriften-Lieferant. Herausgeber von FUSE, dem FontBook und der FontFont-Schriftbibliothek. In diesem Beitrag werfe ich einen kurzen Blick zurück. 

Alles begann in der Motzstraße in Schöneberg, mit einem Schreibtisch in Erik Spiekermanns Designbüro MetaDesign und einem Regal voller Disketten im Keller. Jeder war darauf vorbe­reitet, Anrufe am gelb-schwarzen Telefon entge­gen­zu­nehmen: Art Director Alex Branczyk, sein Kollege Thomas Nagel und Erik selbst, wenn seine Frau Joan und die FontShop-Geschäftsführerin Petra Weitz auf dem Weg ins Lager waren. Übrigens waren Erik van Blokland und Just van Rossum, damals Praktikanten bei MetaDesign, eben­falls stark am Aufbau des frühen FontShops beteiligt. 

FontShop ist das Kind zweier Revolutionen: dem Desktop Publishing und dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die poli­ti­sche Revolution erlebte das junge Unternehmen am Ground Zero des Mauerfalls, im damals einzigen Gebäude am Potsdamer Platz, dem Weinhaus Huth, in dessen Erdgeschoss FontShop nach der Motzstraßen-Geburtsstunde Anfang 1990 einzog. Die tech­ni­sche Revolution, also das Erstellen von Druckvorlagen am Personal Computer (DTP) legte den Grundstein für FontShops Business-Modell. 

Während zu Bleisatz- und Fotosatz-Zeiten die Schriften mit der Hardware verkauft wurden, entwi­ckelte sich ab 1985 durch Adobes Seitenbeschreibungssprache PostScript plötz­lich ein freier Markt für Schriften. »Wann immer ich in die USA reiste, musste ich für Kolleginnen und Kollegen die neuesten digi­talen Schriften mitbringen … zum Beispiel von Emigre, Alphabets, Giampa oder The Font Bureau.« Dieser Freundschaftsdienst brachte Spiekermann im Herbst 1989 auf die Idee FontShop zu gründen, den ersten unab­hän­gigen Schriftenversand. Font-shop­ping ging damals so: anrufen oder eine Faxbestellung senden, und am nächsten Tag ein Päckchen mit Disketten in Empfang nehmen. Web-Shops und Font-Downloads ließen noch 10 Jahre auf sich warten, an Fonts aus der Cloud war erst recht noch nicht zu denken.

Erik Spiekermann als Mauerspecht im Winter 1989: Die Mauer ist gefallen, und schon bald verbrei­teten sich Optimismus und Wagemut in Berlin, was auch FontShop ansteckte

Nach dem Fall der Mauer war Berlin erfüllt mit Optimismus, Zuversicht und neuen Ideen. Das beflü­gelte natür­lich auch FontShop. Binnen weniger Monate wuchs das Unternehmen von 2 auf 12 Mitarbeiter. Alle waren Freunde von Freunden, und jeder star­tete seine Karriere am Versandtisch. Das schnell wach­sende Geschäft mit den Schriften lernten die Kolleginnen und Kollegen am Bestelltelefon und am eigenen Mac auf dem Schreibtisch, durch lear­ning by doing. Nicht nur sie waren Anfänger auf dem neuen Feld, auch die Kunden. Das erleich­terte die Weiterbildung unge­mein. 

Joan Spiekermann war von 1989 bis 2000 die Geschäftsführerin von FontShop, und entwi­ckelte das Unternehmen mit Leidenschaft, Tempo und flachen Hierarchien

Während FontShop-Gründer Erik Spiekermann sich ganz dem Wachstum seines Designbüros MetaDesign widmete, skalierte Joan Spiekermann den Schriftenversand, mit FontShop-Filialen in Kanada, Großbritannien, Schweden, Benelux, Italien und den USA. Der erste Schriftkatalog erschien 1990. Es war ein liebe­voll gefer­tigtes Ringbuch, der Umschlag aus exotisch-grauem DDR-Karton, in das die Kunden jedes Vierteljahr ihre Updates alpha­be­tisch einhef­teten. Die Registerseiten des Katalogs wurden von inter­na­tio­nalen Designstars gestaltet: Hard Werken, M&Co., Studio Dumbar, 8vo, Grapus, Proforma, Eclat. Aus dem Katalog wurde 2 Jahre später das FontBook, das zuletzt 2006 gedruckt erschien, mit 1760 Seiten, 32.000 Schriftmustern von 90 Herstellern … 2 Kilo schwer.

Der erste FontShop-Katalog: ein Ringbuch aus DDR-Pappe, das die vier­tel­jähr­li­chen Font-Updates aufnehmen konnte

Das nach­hal­tigste FontShop-Projekt, das bis heute rele­vant ist, war 1990 die Gründung der FontFont-Bibliothek durch Erik Spiekermann und Neville Brody. Die FontFont-Kollektion erwies sich bald als eine trei­bende Kraft in der typo­gra­fi­schen Welt. Schon die ersten FontFonts defi­nierten neue Genres im Typedesign. Von expe­ri­men­tellen Schriften wie FF Beowolf (mit zufallge­steu­erten Buchstabenkonturen, eine von LettError entwi­ckelte Technologie), der abge­brühten FF Trixie (eine schmut­zige Schreibmaschinentype mit Sound, entworfen von Erik van Blokland) und FF Blur (Neville Brodys stil­prä­gende, weich­ge­spülte Sans) oder zeit­ge­nös­si­schen Antiquas wie FF Scala (Martin Majoor), FF Quadraat (Fred Smeijers) und FF Clifford (Akira Kobayashi); über die raffi­nierten geome­tri­schen Entwürfen wie FF Minimum (Pierre di Sciullo) oder FF Typeface Six (Neville Brody); bis hin zu den funk­tio­nalen Sans-Bestsellern wie FF Meta (Erik Spiekermann), FF DIN (Albert-Jan Pool) und FF Dax (Hans Reichel): Die Menge der FontFonts, die neue Trends in der Schriftkultur gesetzt haben, ist auch heute noch in der Rückschau erstaunlich.

Für die hohe Qualität der FontFonts sorgte seit ihrer Gründung das Typeboard, das sich in den frühen Jahren vier­tel­jähr­lich traf, später halb­jähr­lich. Joan und Erik Spiekermann sowie die FontFont-Geschäftsführerin Petra Weitz besetzten das Gremium mit wech­selnden inter­na­tio­nalen Autoritäten, darunter Jonathan Barnbrook, Erik van Blokland, Neville Brody, Stephen Coles, David Crow und Malcolm Garrett … auf Seiten FontShops gehörten Erik Spiekermann, Andreas Frohloff, Ivo Gabrowitsch, Jürgen Siebert und Alexander Roth zum festen Stamm. Und meine Kollegin Ugla Marekowa, die mit Protokollen, Statistiken und Korrespondenzen noch heute alle Fäden zusammenhält.

Das FontFont-Typeboard im Herbst 1994, von rechts nach links: Erik Spiekermann, Erik van Blokland, Beth Russell, Neville Brody und Jürgen Siebert

Die Krönung von FontShops und FontFonts Innovationskraft war sicher­lich der 24. Januar 2011, als das New Yorker MoMA den Kauf von 23 digi­talen Schriften für ihre perma­nente Design Collection bekannt gab (Fontblog berich­tete). Unter den Exponaten befanden sich neben modernen Klassikern wie Bell Centennial, Verdana, Interstate und Gotham, auch die 4 FontFonts FF Beowolf, FF Meta, FF Blur und FF DIN. Damit war FontFont nicht nur die einzige euro­päi­sche Foundry in der MoMA-Sammlung, sondern auch die mit den meisten Nominierungen. 

Um die Versandhandel-Fernbeziehung mit seinen Kunden aufzu­bre­chen, star­tete FontShop 1996 die drei­tä­gige Design-Konferenz TYPO Berlin. Während im Foyer des Konferenzgebäudes, dem Berliner Haus der Kulturen der Welt, der Gastgeber und seine Partner die neuesten Schrift-Designs und -Technologien demons­trierten, teilten auf der Bühne des großen Saals die Weltstars der Designszene mit über 1000 Zuschauern ihre Berufsgeheimnisse. Auf der TYPO Berlin 2013 tagte das Typeboard sogar eine Stunde lang vor Publikum, und legte einige seiner Qualitätskriterien für eine gute Schrift offen.

Mit der jähr­li­chen TYPO-Konferenz wurde die Stadt Berlin endgültig zum Brennpunkt der Type-Design-Szene. Laut Recherchen von typein​berlin​.com sind heute in der Hauptstadt 25 Foundries und 50 Type-Designer ange­sie­delt. Ohne Joan und Erik Spiekermann und ihrem FontShop, mit seiner inter­na­tio­nalen Strahlkraft, wäre das wahr­schein­lich nicht passiert.

Mit verant­wort­lich für den guten inter­na­tio­nalen Ruf von FontShop war das Marketing für die vertrie­benen Schriften … und die eigenen FontFonts. Schon kurz nach der Gründung erregte FontShop mit gedruckten Flyern, Broschüren und Postern viel Aufmerksamkeit. Dies setzte sich Anfang der 2000er Jahren im Digitalen fort, sowohl im Online-Shop, als auch in Social Media mit infor­ma­tiven Blogs (FontBlog, FontFeed), Online-Tools (FontStruct, FontShop-Plug-in) und wegwei­senden Microsites. Die Microsite für die geome­tri­sche Sans FF Mark (Hannes von Döhren, Christoph Koeberlin; 2013) setzte mit tech­ni­schen und ästhe­ti­schen Raffinesse einen inter­na­tio­nalen Maßstab für die Inszenierung und das inter­ak­tive Testen einer Schriftfamilie im Web. Zuletzt beglei­tete der Schriftentwerfer und Art Director Alexander Roth die Gestaltung von Drucksachen und digi­talen Marketing-Materialien.

Mit einer wegwei­senden Micro-Site feierte die neu erschie­nene FF Mark im September 2013 ihre Premiere

Im Sommer 2014 wurden FontShop und FontFont Teil der Monotype-Familie, die beide Marken weiter entwi­ckelte: FontShop als digi­talen Vertriebskanal und FontFont als die größte Bibliothek zeit­ge­nös­si­scher Schriftdesigns. In den letzten Jahren wurden erfolg­reiche FontFont-Klassiker um neue Schnitte oder zusätz­liche Sprachen erwei­tert, und es erschienen neue Designs, darunter FF Real (Erik Spiekermann), Bauer Grotesk (Felix Bonge, Thomas Ackermann), FF Hertz (Jens Kutilek) und FF Attribute (Viktor Nübel). Im Sommer 2019 erschienen unter anderem die indus­tri­elle huma­nis­ti­sche Sans FF Nort (Jörg Hemker) und FF Neuwelt (Jens Gehlhaar).

Informative und optisch anspre­chende Werbemittel, wie dieses Poster von Alexander Roth für FF Real von 2015, gehören seit der FontShop Gründung zu dessen Marketing-Begleitmusik

Die Grenzen des Schriftdesigns und -Marketings über 30 Jahre zu verschieben, ist alleine schon eine kleine Revolution. Um dies zu feiern, lädt font​shop​.com zu einem Schriftspaziergang ein … entlang der wich­tigsten FontFont-Stationen. Fünf kura­tierte Font-Listen spie­geln das turbu­lente Wirken von FontShop wider. Dazu gibt es sogar einen jubi­lä­ums­reifen Rabatt: 30 % auf 30 wegwei­sende Familien aus der FontFont-Library … für 30 Tage (die Aktion endet am 19. Oktober 2019).


Neuerscheinung: »100 Jahre Kommunikationsdesign«

Kommunikationsdesign ist überall, und trotzdem schwer zu defi­nieren. Angesiedelt zwischen ange­wandter Kunst und Dienstleistung, Handwerk und Beratung, Avantgarde und Mainstream hat sich diese Sparte des Designs erst in den letzten 20 Jahren zu einem stabilen Industriezweig entwi­ckelt, der endlich auch in den Statistiken von Wirtschaftsverbänden und -minis­te­rien Einzug gehalten hat.

Die neue BDG-Publikation »Avantgarde und Mainstream: 100 Jahre Kommunikationsdesign in Deutschland« beleuchtet die große Erfolgsgeschichte der Disziplin von den Anfängen der Gebrauchsgrafik zu Beginn des letzten Jahrhunderts bis zum UX-Design von heute. Zum 100. Geburtstag des BDG, der die Designerinnen und Designer auf diesem Weg begleitet, widmen sich 16 Fachautorinnen und -autoren dem gesell­schaft­li­chen Kontext und den Wechselwirkung zwischen Entwerfen und Nutzbarmachen von Kommunikationsdesign. Darüber hinaus bieten sie auch einen Ausblick auf den Designberuf der Zukunft.

Avantgarde und Mainstream: 100 Jahre Kommunikationsdesign in Deutschland, Hrsg. von Rainer Funke, Marion Godau, Christa Stammnitz, Stuttgart 2019, 240 Seiten, ISBN 9783899863185, 34 €. Mit Beiträgen von: Wolfgang Baum, Matthias Beyrow, Petra Eisele, Sabine Foraita, Rainer Funke, Marion Godau, Michael Hardt, Boris Kochan, Anita Kühnel, Jakob Maser, Julia Meer, Jens Müller, Florentine Nadolni, Oliver Ruf, Erik Spiekermann und Christa Stammnitz.

Leseprobe auf ISSUU …


Reformierte »DIN 16507-2 Schriftgrößen« kann kommentiert werden

Dass sich das Deutsche Institut für Normung mit Schrift und Typografie beschäftig, wissen wir spätes­tens seit April 2013, als die refor­mierte DIN 1450 Leserlichkeit erschien, an der erst­mals auch Typografen und Schriftentwerfer mitwirkten (die ganze Geschichte: Warum eine Norm zur Leserlichkeit von Schrift sinn­voll ist). Der Nutzen einer Norm für gestal­te­ri­sche Arbeit ist umstritten. Unumstritten ist aller­dings auch, dass hier­zu­lande Ingenieure und gewich­tige Auftraggeber großen Respekt vor Industrienormen haben. Wenn also weiche Argumente nicht zünden, können Kommunikationsdesigner, Mediengestalter, Werbetechniker und Textverarbeitender zum DIN-Hammer greifen, um ihre Auftraggeber in Sachen Schriftart und Schriftbenutzung zu überzeugen.

Neben der DIN 1450 gibt es weitere Normen, die sich um Schrift drehen, darunter die DIN 16507 aus dem Jahr 1999 zum Thema Schriftgrößen. Es geht um so grund­le­gende Fragen wie: Welche Größen rund um die Buchstaben gibt es über­haupt? Warum ist der »einfache Zeilenabstand« größer als die Schriftgröße? Wann berühren die Unterlängen die Versalakzente der nächsten Zeile? Welche Schriftgröße muss ich eingeben, um die Leserlichkeit einer Schrift bei einem gege­benen Betrachtungsabstand gewähr­leisten zu können? 

Der Schriftentwerfer Albert-Jan Pool (FF DIN) arbeitet eng mit dem Institut für Normung zusammen und ist inzwi­schen Obmann des DIN-Ausschuss »Schriften«. Seit Jahren kämpft er für eine Reform der DIN 16507. Nun liegt der Entwurf vor und steht zur Diskussion. Gegenüber Fontblog erläu­tert Pool die Notwendigkeit dieser Norm: »Unsere Gesellschaft altert und dementspre­chend wächst die Zahl der Menschen mit verrin­gerter Sehschärfe. Der Bedarf an leser­lich gestal­teten Texten nimmt folg­lich zu und wird in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsen.«

Die über­ar­bei­tete DIN 16507-2 Schriften – Schrift­größen dient der Ermittlung, Bestimmung, Festlegung und Angabe von Schriftgrößen und Zeilenabständen. Hierzu beschreibt sie die wich­tigsten Maße einer Schrift in Bezug auf die Schriftgröße. Faustregeln erleich­tern die Berechnung einer Schriftgröße in pt bei einer zu gewähr­leis­tenden Mittellänge oder Ziffernhöhe in mm. Darüber hinaus werden neue Anforderungen an Typometer gestellt: Sie sollen nun auch die Vermessung der Mittellängen und Ziffernhöhen in Printmedien und an Bildschirmen erleich­tern und deren Bezug zur Schriftgröße vermit­teln. Schließlich wurde die refor­mierte Norm an die bereits aktua­li­sierten Fassungen der DIN 1450 Schriften – Leserlichkeit und DIN 1451-1 Schriften — Serifenlose Linear-Antiqua — Teil 1: Allgemeines ange­passt.

Der Entwurf der aktua­li­sierten DIN 16507-2 Schriften – Schrift­größen – Teil 2: Textverarbeitung, Mediengestaltung und verwandte Techniken kann ab sofort über das Norm-Entwurfs-Portal kommen­tiert werden, die Einspruchsfrist endet am 23. Oktober 2019.