Buchtipp: Lust auf Lettering
Auf den wachsenden Stapel der Bücher über Handlettering haben Martina Flor und der Hermann Schmidt Verlag soeben ein weiteres Buch gelegt. Die meisten Bücher, die bereits auf dem Stapel lagen, sind entweder Übungsbücher mit zwei Dritteln leerer, linierter Seiten, Activity-Bücher zum Reinmalen oder Bastelbücher mit Anleitungen zum Beschriften von Marmeladengläsern. Und selbst das Buch von Jessica Hische, der anderen Queen of Handlettering, ist in großen Teilen eine detailliert erläuterte Portfolioshow, wenn auch eine äußerst aufschlussreiche und inspirierende.
Nicht so das Buch von Martina Flor. Also, nein, nein, es ist natürlich auch aufschlussreich und inspirierend, aber eben viel mehr als das. Auf die Gefahr, dass ein Lob dieser Größenordnung unglaubwürdig wirkt: workshop-erprobt und charmant illustriert, schön gestaltet und gut gedruckt – Martina Flors „Lust auf Lettering“ ist ein Traum in Buchform. Und man weiß schon jetzt: ein Standardwerk.
Lettering Digital: »Anfangs fühlt sich das Zeichnen in der digitalen Umgebung an, als würden wir auf dem Mond laufen.«
Denn „Lust auf Lettering“ ist endlich ein Buch, das fundiert ins zeitgenössische Handlettering einführt, statt sich in Step-by-Step-Projektanleitungen zu verlieren und das typografische Fachwissen, das man auch fürs Lettering braucht, herunterzuspielen. Hier findet man keine Alphabet-Vorlagen zum Abzeichnen und keine Step-by-Step Dekoprojekte. Stattdessen teilt Martina Flor großzügig ihr Wissen und ihre Techniken aus dem Kontext der Schriftgestaltung und erklärt, welche Rolle diese beim Lettering spielen. Sie vermittelt umfassend und systematisch, wie man kenntnisreich Buchstabenformen entwickelt, die eigenen Entwürfe hinterfragt und verbessert und schließlich als „exquisite Buchstaben-Bilder“ digital vollendet.
Sparsam mit Ankern und trotzdem detailgetreue Digitalisierung der Vorlage: Martina Flor erklärt Schritt für Schritt wie die analogen Buchstabenformen am Computer nachgearbeitet werden
Kapitel eins unterscheidet Lettering von Kalligrafie und Typografie und zeigt dessen viele Verwendungszwecke. Kapitel zwei schult das typografische Auge und lehrt analytisches Sehen anhand von Fassadenschriften. Mit unzähligen Beispielzeichnungen führen Kapitel drei und vier in die typografischen Grundlagen ein und stellen Lettering-Werkzeuge und ihre Anwendung vor. In Kapitel fünf geht es um die Vielfalt gestalterischer Stile, Kapitel sechs beleuchtet, wie man Lettering-Entwürfe komponiert. Den Weg von schnellen Bleistiftskizzen zu perfekten Bézierkurven erklären Kapitel sieben und acht und Kapitel neun zeigt den letzten Schliff mit Farbe und Textur. Abschließend gibt Martina Flor jede Menge Praxistipps für die Arbeit als professioneller Lettering Artist, basierend auf ihrer langjährigen Erfahrung als eine der weltweit bekanntesten Vertreterinnen ihres Fachs.
Auf den 168 Seiten fehlt manchen vielleicht die Überleitung in die Praxis, also konkrete Impulse für den Einstieg ins eigene Tun. Möglicherweise ist die Du-Ansprache im Text einigen zu jovial. Und klar, Martina Flors perfekter, ornamentaler Stil ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber so oder so: dieses Buch sollte bei allen, die sich ernsthaft mit Lettering befassen, ganz oben auf dem Stapel liegen.
Rezension von Chris Campe / All Things Letters, Hamburg, Abbildungen: Verlag Hermann Schmidt Mainz (1 – 3), Chris Campe (4)
– –
Martina Flor: Lust auf Lettering
Ein praxiserprobter Workshop in zehn Schritten, 168 Seiten mit unzähligen Abbildungen, Tipps und Tricks, Format 21 x 24 cm, Halbleinenband mit farbiger Prägung, Verlag Hermann Schmidt, Mainz.