Fontblog Artikel im Juni 2015

3. Granshan Konferenz über Non-Latin Schriften

Vom 23. bis 25. Juli findet in Reading die 3. Granshan Konferenz statt. Es spechen: Jo de Baerdemaeker, Piyaluk Benjadol, Edik Ghabuzyan, Frank Grieshammer, Jae-Joon Han, John Hudson, Chang Sik Kim, Bruno Maag, Thomas Milo, Toshi Omagari, Hrant Papazian, Fiona Ross, Victoria Sarapina, Sara Soskolne, Adi Stern, Gerard Unger, Onur Yazicigil, Susanne Zippel und auf viele mehr …  Timothy Donaldson und Kang Byung-in werden Kalligraphie-Performance aufführen.

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Die Veranstalter beschreiben die Zielsetzung: „Die GRANSHAN Konferenz zele­briert die Vielfalt von Schrift als Fundament globaler Kommunikation, Gesellschaften und Identitäten. Einmal im Jahr widmen wir uns der Typografie bekannter und unbe­kannter Schriften, greif­barer und unfass­barer Schriftsprachen. Und gestal­te­ri­schen Herausforderungen, gewach­sene Tradition mit Neuland zu vereinen, in dem Innovation das einzige Fortbewegungsmittel sein kann.“

Gemeinsam mit der  University of Reading orga­ni­siert die GRANSHAN 2015 unter dem Motto »Global design in prac­tice« Konferenz und Festival anläss­lich des 15-jährigen Jubiläums des Masterkurses Type Design. Die Veranstaltung bietet allen Besuchern eine Drehscheibe für Theorie und Praxis globaler Schriftgestaltung.

Anmeldungen und Detailinformationen unter www​.granshan​.com


Fünf Fragen an Johannes Bergerhausen

Nach dem Kommunikationsdesign-Studium 1993 ging er nach Paris, Prof. Johannes Bergerhausen, Jahrgang 1965. Dort arbei­tete er für so unter­schied­liche Projekte wie für das Centre Pompidou, für Arbeitsloseninitiativen und bei den Gründern des Grafikerkollektivs Grapus, Paris-Clavel und Pierre Bernard. 1998 erhielt Johannes Bergerhausen das begehrte Stipendiat des Centre Nationale des Arts Plastiques.

Aus dem geplanten Jahr in Frankreich wurden an Ende sieben. 2002 berief die Hochschule Mainz Bergerhausen als Professor für Typografie und Buchgestaltung. 2004 star­tete er das viel­fach ausge­zeich­nete Projekt deco­de­u­ni­code, geför­dert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

TYPO-Berlin-15-05-22-Gerhard-Kassner-Monotype-0822Er spannte die Entwicklung der  Zeichen von der Keilschrift bis zu den Emojis: Johannes Bergerhausen, bekannt auch als Mr. Unicode, im Mai auf der TYPO Berlin. Foto: Gerhard Kassner/Monotype

Seitdem hält er zahl­reiche Vorträge welt­weit, ist Mitglied im ATypI und erhielt zahl­reiche Auszeichnungen.  Mit Kollegen in Mainz grün­dete er 2004 das Institut Designlabor Gutenberg. 2011 veröf­fent­lichte er gemeinsam mit Siri Poarangan deco­de­u­ni­code — Die Schriftzeichen der Welt, 2012 gab es dafür den Designpreis der Bundesrepublik in Gold. Seine aktu­elle Publikation: Digitale Keilschrift mit Keilschrift-Font.

Fontblog: Was hat Dich bewogen, Dein Augenmerk auf Schriftzeichen zu legen?

Die selt­same Welt der »Sonderzeichen«, also alles was über das übliche A bis Z und 0 bis 9 hinaus­geht. Jeder typo­gra­fi­sche Laie hat heute Zugang zu weit mehr Zeichen als es Gutenberg jemals hatte. Dabei ist vielen nicht klar, welcher Schatz sozu­sagen unter der Tastatur verborgen ist.

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Unicode ist ein inter­na­tio­naler Standard, der für jedes sinn­tra­gende Schriftzeichen oder Textelement aller bekannten Zeichensysteme und Schriftkulturen einen Code festlegt

Wir verwenden täglich Zeichen wie »€« oder das Komma — aber kaum bekannt ist, wer sie »erfunden« hat oder wo sie herkommen. Unicode hat sich dabei im letzten Jahrzehnt zu einer Sammlung der Schriftzeichen der Menschheit entwi­ckelt. Fast jede Schriftkultur ist dort vertreten und damit haben wir einen neuen, globalen und verglei­chenden Blick auf die typo­gra­fi­schen Zeichen.

Fontblog: Mainz gilt als Wiege des Buchdrucks. Wo kann man in Mainz heute auf den Spuren Gutenbergs wandeln?

Natürlich im Gutenberg-Museum. Keine 500 Meter von unserer Hochschule Mainz entfernt finden sich nicht nur zwei Exemplare der Gutenberg-Bibel in einem eigenen Raum mit Panzerschranktüren, sondern auch viele Wiegendrucke oder Originale von Rodtschenko. Die Bibliothek ist sehr gut sortiert und Forscher können dort auf Anfrage auch mal einen Originaldruck von Gutenbergs Mitarbeiter Peter Schöffer begut­achten. Dort laufen auch sehr gute Ausstellungen wie der Call for Type aus denen Publikationen wie die »Texte zur Typografie« oder »Neue Schriften« meiner Kolleginnen Eisele und Naegele hervor­ge­gangen sind. Das Museum betreibt einen eigenen Bereich in dem man Buchdruck-Workshops machen kann. Auch die Mainzer Kinder lernen hier drucken.

Übrigens gibt es kein authen­ti­sches zeit­ge­nöss­si­ches Portrait Gutenbergs, obwohl wir alle das Bild des bärtigen Patriziers im kollek­tiven visu­ellen Gedächtnis haben.

Fontblog:  Du widmest Dich seit vielen Jahren dem Unicode-Projekt, dem inter­na­tio­nalen Standard für Schriftzeichen für alle Sprachen der Welt. Hast Du ein persön­li­ches Lieblingszeichen? 

Unicode ist voll skur­riler, inter­es­santer Zeichen. Der fran­zö­si­sche Gestalter Pierre Bernard sagte einmal: »Alle Farben sind schön.« Nehmen wir diese beiden Zeichen:

¤ U+00A4: CURRENCY SiGN: Als der (ameri­ka­ni­sche) ASCII-Code in den 1960er Jahren inter­na­tional werden sollte, weigerten sich Vertreter der osteu­ro­päi­schen Gremien, den Dollar, das Zeichen des Kapitalismus, darin aufzu­nehmen. Im Kommunismus wirkte es wohl damals wie das Zeichen des Teufels. Also schlug man vor, ein allge­meines Zeichen für »Währung« zu entwerfen. Gesagt, getan: so entstand ¤. Es soll eine Münze darstellen, die im Sonnenlicht glänzt. Jeder Type-Designer muss heute ein Currency Sign entwerfen, dabei wurde es prak­tisch nie verwendet. In Japan soll es Teenager geben, die es jetzt als ein Zeichen für »Kuss« per SMS verwenden.

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Lieblingszeichen: Relikt aus dem kalten Krieg, das block­über­grei­fende Currency Zeichen und das aus einem alten japa­ni­schen Zeichen entlehnte Postal Mark Sign

U+3020 POSTAL MARK FACE, das Maskottchen der japa­ni­schen Post. Es wider­spricht eigent­lich der Unicode-Regel, keine Logos aufzu­nehmen. Da es aber aus einem alten japa­ni­schen Zeichencode stammt wollte man Kompatibilität herstellen, deshalb wurde es doch aufge­nommen. Es trägt im oberen Bereich das Zeichen U+3012 POSTAL MARK, das Logo der japa­ni­schen Post. Und das wiederum geht auf U+30C6 KATAKANA LETTER TE zurück, das Silbenzeichen für /te/, was sich wiederum aus dem japa­ni­schen Wort »teilshin« für »Kommunikation« ableitet.

Fontblog:  Vor einem Jahr enthielt der Unicode-Standard 113.021 Zeichen. Gibt es ein Zeichen, dass dort fehlt? Und eine Sprache, die für Unicode noch erschlossen werden muss?

Unicode codiert keine Sprachen (es gibt unge­fähr 7.000 welt­weit; Tendenz stark fallend), sondern Schriftsysteme (davon gibt es rund 200). Nach nun bald 25 Jahren Arbeit des Unicode Konsortiums fehlen immer noch ein paar Dutzend Schriftsysteme. Dies sind die soge­nannten »Minority Scripts«, die nur von kleinen Schreiber-Gruppen verwendet werden oder gar ausge­storben sind. Peu à peu sollen sie in den nächsten Jahren aufge­nommen werden.

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Minority Scripts Teil 1: Der Font DecodeCuneiform von J. B., Andrea Krause, Stefan Pott, Institut Designlabor Gutenberg, Hochschule Mainz, 2014

Auch die ausge­stor­benen Schriftsysteme müssen in den Unicode, damit diese Texte auch eines Tages digi­ta­li­siert vorliegen können. Wenn wir alle Schriftstücke der Menschheit digi­ta­li­sieren wollen, dann sollten z. B. die Texte der rund 500.000 Tontafeln in Keilschrift nicht fehlen. Deshalb haben wir letztes Jahr im Institut Designlabor Gutenberg (IDG) bei uns an der Hochschule Mainz eine digi­tale Keilschrift entwi­ckelt, ein typo­gra­fi­scher Font für die rund 1.000 Keilschriftzeichen.

Die Script Encoding Initiative (SEI) der Linguistin Dr. Deborah Andersons in Berkeley, USA unter­stützt seit Jahren die Codierung der noch fehlenden Schriftsysteme. Diese Arbeit braucht noch mehr Unterstützung!

Fontblog: Auf Mobilgeräten wird immer häufiger mit Zeichen statt Worten kommu­ni­ziert. Sind Emojis die kommende Schriftsprache?

Logogramme (Wortzeichen) wie die Emojis sind erstaun­liche Wesen. Sie können sowohl als Piktogramm als auch als Ideogramm fungieren. So steht das »« als Piktogramm (Bildzeichen) für das, was man sehen kann: das physi­sche Objekt »Herz«. Aber als Ideogramm (Begriffszeichen) steht das gleiche Zeichen »« für den nicht sicht­baren Begriff »Liebe«. Wie beim unsterb­li­chen Claim I♥NY von Milton Glaser von 1977. Übrigens wurde das 2011 als erstes Pikto in das ehrwür­dige Oxford English Dictionary aufgenommen.

Bergerhausen Unicode4Minority Scripts Teil 2: Zwei Glyphen des Schriftsystems Bamum, es wird in Kamerun von ca. 215.000 Schreibern verwendet. Jetzt auch im Unicode.

Heute haben erst zwei von sieben Milliarden Menschen einen Internetzugang. In den nächsten Jahren soll mindes­tens eine Milliarde aus den soge­nannten Schwellenländern dazu kommen, die meisten über Smartphones. Je mehr Menschen die Emojis entde­cken, desto eher könnte es Zeichen geben, die inter­na­tio­nale Karriere machen, wie die analoge Geste »okay«. Der Daumen nach oben wird heute welt­weit verstanden. Den haben ja schon die römi­schen Kaiser verwendet.

Ich glaube aber nicht, dass die Emojis die Alphabete wie das Lateinische verdrängen werden. Die Emojis sind eben keine komplette Schriftsprache. Es gibt solche Gags wie »Emoji Dick« (Moby Dick als Text aus Emojis), das ist einen Tag lustig, aber das kann ja kein Mensch wirk­lich lesen! Sehr viele Emojis werden nur als Kommentar auf einen geschrie­benen Text verwendet.

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Johannes Bergerhausen veröf­fent­lichte über Schriftzeichen und Zeichensysteme im Verlag Hermann Schmidt Mainz:

Am Freitag kommender Woche (26. Juni) spricht Johannes Bergerhausen auf dem TYPO Day Zürich.


Start-up-Dokusoap »Unlimited Ltd.«, der Pilot

Alles redet von der Berliner Startup-Szene. Doch wie sieht es tatsäch­lich hinter den Kulissen aus? Der Fontblog-Humor-Agent Michael Bukowski hat sich unter die Nerds und IT-Strippenzieher in der Hauptstadt gemischt, um die unter­ka­pi­ta­li­sierte, über­per­for­mante Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Die Pilotfolge seiner gerade gestar­teten Dokutainment-Mockumentary-Reality-Fiction-Cameo-Venture-Capital-Serie »Unlimited Ltd.«, ausge­strahlt auf YouTube, liefert einen erster Eindruck.

Die Redaktion von Unlimited Ltd. lädt euch zum Feedback ein, auch Whistleblower und Product-Placement-Verkäufer sind herz­lich einge­laden mitzu­ma­chen … die im Film genannte e-Mail-Adresse funk­tio­niert wirk­lich und führt direkt in den Newsroom der Redaktion getunlimitedlimitedapphq23@gmail.com.


Hermann Zapf 1918—2015 [Update*]

Hermann Zapf 2011, Foto: Jürgen Röhrscheid

Hermann Zapf, Darmstadt, 2011 (Foto: Jürgen Röhrscheid)

Vorgestern Abend starb in Darmstadt der deut­sche Kalligraf und Schriftentwerfer Hermann Zapf im Alter von 96 Jahren. Er schuf über 200 Schriften, darunter die welt­weit bekannten Palatino, Aldus, Optima, ITC Zapf Chancery, ITC Zapf Dingbats und Zapfino. Als einer der ersten Typedesigner hat sich Zapf früh mit der Verarbeitung von Text am Computer beschäf­tigt. 1972 gestal­tete er mit Marconi Antique einen der ersten Zeichensätze für compu­ter­ge­stützten Mengensatz. Im März 2010 erhielt Hermann Zapf des Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Hermann Zapf wurde am 8. November 1918 in Nürnberg geboren. Er wollte Elektroingenieur werden, doch als Sohn eines aktiven Gewerkschafters machten ihm die NS-Politik eine Strich durch die Rechnung. Daher trat er eine Lehre als Retuscheur an, in der er seine Leidenschaft für die Kalligrafie entdeckt. Zapf begeg­nete dem legen­dären Offenbacher Typograf Rudolf Koch und studierte in seiner Freizeit die Bücher des briti­schen Berufskollegen Edward Johnston. 1938 zog Zapf nach Frankfurt am Main, wo er sich als selbst­stän­diger Schriftkünstler und Kalligraf einrich­tete. Ein halbes Jahr später entwarf er seine erste komplette Schrift, die gebro­chene Gilgengart für den Stempelschneider August Rosenberger, der seit 1927 bei der Schriftgießerei D. Stempel AG arbeitete.

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Originalzeichnungen der Gilgengart Fraktur von Hermann Zapf vom 19. März 1939, mit einer Reihe von Versal-D-Varianten am Fuß der Seite

Im April 1939 wurde Hermann Zapf zum Reichsarbeitsdienst einge­zogen, um mit tausenden Arbeitern den 630 Kilometer langen Westwall (»Siegfriedlinie«) gegen Frankreich zu verstärken. Da er der harten körper­li­chen Arbeit nicht gewachsen war, versetzten die Offiziere Hermann Zapf in den Innendienst, wo er Lagerprotokolle in Kurrentschrift nieder­schrieb. Im September 1939 wurde seine gesamte Arbeitsgruppe zur Wehrmacht einge­zogen, Zapf jedoch wegen Gesundheitsprobleme ausge­mus­tert. Seine Kompanieführung versetzte ihn als Kartenzeichner nach Bordeaux, um dort geheime Karten für den Einzug in Spanien zu erstellen. Kurz vor Kriegsende kam Hermann Zapf in fran­zö­si­sche Gefangenschaft, wo er gut behan­delt wurde und wegen seiner ange­schla­genen Gesundheit bereits vier Wochen nach Kriegsende nach Nürnberg heim­kehren konnte.

Ende 1946 erreichte Hermann Zapf die Nachricht, dass ihm die D. Stempel AG eine Stellung anbot. Also zog er wieder nach Frankfurt am Main, wo er von 1947 bis 1956 künst­le­ri­scher Leiter bei Stempel wurde. Zwischen 1948 und 1950 war er auch neben­amt­lich als Dozent für Typografie an der heutigen Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach tätig. In dieser Zeit entwarf Zapf auch ein Dutzend Briefmarken für die Deutsche Bundespost, unter anderem für die Serie »Helfer der Menschheit«, die ersten Wohlfahrtsmarken der Nachkriegs-Bundesrepublik.

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Vier Marken der 16-teil­igen Briefmarkenserie »Helfer der Menschheit« (1949 – 1953), 1952 entworfen von Hermann Zapf

Hermann Zapfs Schreibkunst wurde schon bald vermehrt nach­ge­fragt. Anfang der 1950er Jahre war er als Buch-Typograf und -Grafiker für Verlagshäuser wie Suhrkamp, Insel (auch Insel-Bücherei), die Büchergilde Gutenberg oder den Carl Hanser Verlag tätig. Auch Werbeagenturen wünschten seine Schriftzüge für Anzeigen und Verpackungen, doch Zapf arbei­tete aus Prinzip nicht für Werbeagenturen und blieb dieser Einstellung bis zu seinem Tod treu.

Zu Goethes 200. Geburtstag erschien 1949 in Frankfurt das Büchlein »Von der drei­fa­chen Ehrfurcht – Gedanken Goethes über Erziehung zu edlem Menschentum«. Schriftenfreunde verehren diese Drucksache, weil sie aus einem Probegrad der von Hermann Zapf neu geschaf­fenen Palatino gesetzt ist. Ein Jahr später erschien die Schrift offi­ziell, sowohl für den Handsatz wie auch den Linotype-Maschinensatz. Der kursive und der halb­fette Schnitt folgten 1951. Das Mainzer Gutenberg-Jahrbuch gehörte zu den ersten Benutzern der Palatino und adelte sie auf diese Art. Der inter­na­tio­nale Durchbruch von Palatino kam, als 1956 die Standard Oil Company ihren Jahresbericht in dieser Schrift setzte.

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Der erste Palatino-Druck in einem Probegrad, 1949 im Büchlein »Von der drei­fa­chen Ehrfurcht, Gedanken Goethes über Erziehung zu edlem Menschentum«, ein Privatdruck der Schriftgießerei D. Stempel AG (Abb: typo​grafie​.info)

Nach Palatino erschien ein weiterer Schrift-Bestseller, die Optima. Ihre kuriose Entstehungsgeschichte liest sich auf der Website Die 100 besten Schriften aller Zeiten wie folgt: »An 3. Oktober 1950 mustert ein Besucher die 276 Grabsteine der Franziskanerkirche Santa-Croce in Florenz mit anderen Augen als die übrigen Touristen. Die großen Namen Michelangelo, Rossini, Galilei oder Machivelli faszi­nieren ihn viel weniger als die in Stein gemei­ßelte Schriftvielfalt. Weil er seinen Notizblock im Hotel vergessen hat, hält Hermann Zapf einige Buchstaben auf einem 1000-Lire-Schein fest.

Wieder zu Hause in Frankfurt sind die Notizen der Durchbruch in einem Schriftprojekt, mit dem Zapf von der Gießerei Stempel beauf­tragt wurde: das Entwerfen einer Gebrauchsschrift zwischen Grotesk und Renaissance-Antiqua. 1952 waren nach sorg­fäl­tigen Lesbarkeitsstudien die Reinzeichnungen fertig­ge­stellt, August Rosenberger schneidet die Schrift, die zwei Jahre später unter dem Namen Optima auf den Markt kommt.

Ihr ebenso fili­granes wie klares Schriftbild war ein Novum und machte sie zum Liebling der Werbegestaltung, vor allem für Düfte und Luxusgüter. 50 Jahre nach ihrer Premiere erfuhr die Schrift eine komplette Überarbeitung unter der Bezeichnung Optima Nova.«

Die Grundidee für seine Optima hielt Hermann Zapf 1950 in Florenz auf einem 1000-Lire-Schein fest

Die Grundidee für seine Optima hielt Hermann Zapf 1950 in Florenz auf einem 1000-Lire-Schein fest (Abb: Monotype)

Seit den frühen 1960er Jahren beschäf­tigte sich Hermann Zapf mit der Kombination von Typografie und Computer-Software. Erste Verdienste bescherten ihm eine Mitgliedschaft beim International Center for the Typographic Arts (ICTA). In Deutschland dagegen wurden seine Ideen zum compu­ter­ge­stützten Satz zu jener Zeit nicht sehr ernst genommen. Nach einer Vorlesung 1964 in den USA war die Universität von Texas in Austin inter­es­siert an Zapf und bot ihm eine Professur an. Er lehnte jedoch ab, da seine Frau Gudrun Zapf-von Hesse nicht in den USA leben wollte.

1972 ging er für einen Lehrauftrag für Typografie an die Technische Universität Darmstadt, den er bis 1981 ausübte. 1976 wurde ihm vom Rochester Institute of Technology die Professur für compu­ter­ge­stützte Typografie ange­boten, die dort als welt­weit erste aufge­baut wurde. Er nahm dieses Angebot an und unter­rich­tete im stän­digen Wechsel zwischen Darmstadt und Rochester von 1977 bis 1987 auch am College of Graphic Arts and Photography.

Ab 1977 baute Hermann Zapf zusammen mit den Gründern der International Typeface Corporation (ITC) Aaron Burns und Herb Lubalin die Firma Design Processing International Inc. in New York auf. Ihr Ziel war die Entwicklung von Programmen für typo­gra­fi­sche Strukturen, die auch von Nichtspezialisten bedienbar sein sollten. Das Unternehmen bestand bis 1986. Nach dem Tode Lubalins grün­dete Zapf 1987 die Firma Zapf, Burns & Company, die bis 1991 existierte.

Eine weitere Kooperation mit Donald E. Knuth, den er 1971 kennen lernte, unter­streicht Hermann Zapfs Faszination für den computer-gestützten Textsatz. Er wirkte an der Entwicklung der Schriften für das von Knuth entwi­ckelte Satzprogramm TeX mit. Aus dieser Zusammenarbeit entstand später die wissen­schaft­liche Schriftenfamilie Euler für die American Mathematical Society. Zusammen mit Knuth gab Zapf 1989 eine Dokumentation dieser Schriften heraus. Sie umfasst neben den latei­ni­schen Buchstaben eine grie­chi­sche Version, eine Fraktur- und eine Schreibschrift. Die Dokumentation erschien unter dem Titel »AMS-Euler – A New Typeface for Mathematics«.

Technisch-wissenschaftlicher Satz mit Palatino und AMS Euler

Probesatz eines wissen­schaft­li­chen Textes aus Palatino in Kombination mit AMS Euler, beide Entworfen von Hermann Zapf

Zurück in Deutschland entwi­ckelte Zapf in Kooperation mit der Hamburger URW Software & Type GmbH die Software »hz-Programm«. Mit dieser war es möglich, die mikro­ty­po­gra­fi­sche Feinheiten eines gesetzten Textes auto­ma­tisch zu verbes­sern, darunter das Kerning und die Spationierung von Textabsätzen. Die zugrunde liegenden Algorithmen wurden später von Adobe für das Programm InDesign lizen­ziert und verbergen sich heute in der Kerning-Einstellung der Zeichenpalette, wenn man »Optisch« wählt und damit die einge­baute Metrik eines Fonts aushebelt.

In den vergan­genen 25 Jahren widmete sich Hermann Zapf, gemeinsam mit seinem Schriftenverlag Linotype in Bad Homburg, dem Erbe seines Schaffens. Er baute die Bestseller Optima und Palatino für das moderne digi­tale Publishing aus, ja er wagte sich sogar an Schriftexperimente wie einer Palatino Sans, die 2006 erschien. Die letzte große Originalveröffentlichung war die Zierschrift Zapfino. Sie entstand Anfang der 1990er Jahre aus der Zusammenarbeit mit dem kali­for­ni­schen Typedesigner David Siegel.

Fast 12 Monate arbei­teten Zapf und Siegel an einer Vorversion der Zapfino, wobei eine Feder-Kalligrafie aus dem Jahr 1944 Pate stand. Siegel hat 1993 an der Stanford-Universität die Idee für ein Chaos-Programm aufge­schnappt, das aus einem großen Vorrat von Alternativen Zeichenformen ein leben­diges, humanes Schriftbild gene­rieren soll. Kurz vor Vollendung des Projektes stieg David Siegel aufgrund persön­li­cher Probleme aus.

1998 Jahre erin­nert sich Hermann Zapf wieder an das Handschrift-Experimente, als er bei Linotype eine Präsentation der Apple-eigenen TrueType-GX-Font-Technologie sah, die Zeichen modu­lieren konnten. Aus GX wurde später AAT (Apple Advanced Typography), ein Komponente des Mac-OS-X-Betriebssystems, das mit neuen Schriften und der Zapfino erschien, um die Raffinesse auto­ma­ti­scher Ligaturen und kontext­sen­si­tive Zeichenersetzungen zu demons­trieren. Heute verrichtet Zapfino ihren Dienst auf vielen Computern – platt­form­über­grei­fend und erwei­tert – dank der OpenType-Technik.

Auch das letzte Schrift-Design-Projekt, an dem Hermann Zapf betei­ligt war, hat mit Zapfino zu tun, nämlich der Übertragung dieses Schreibschriftstils ins Arabische. Die liba­ne­si­sche Schriftentwerferin Nadine Chahine hat sich dieser Herausforderung gestellt und in mona­te­langer Arbeit den Kompromiss zwischen rechts-kursiver Lateinschrift und links-kursiver Arabic gefunden – unter den inter­es­sierten Augen des Originalentwerfers Hermann Zapf. Auf einem Creative Morning in Berlin hat sie jüngst das Projekt vorge­stellt. Hier ist ein ausführ­li­cher Blogbeitrag dazu – The Making of Zapfino Arabic (engl.) –, und hier ihr 20-minü­tige Vortrag als Video: A Question of Slanted Writing (engl.).

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Das letzte Schriftprojekt, an dem Hermann Zapf mitar­bei­tete und eines der letzten Fotos von ihm: die liba­ne­si­sche Schriftentwerferin Nadine Chahine disku­tiert mit Zapf in seinem Darmstädter Arbeitszimmer das Konzept einer Zapfino Arabic (Foto: Monotype)

Hermann Zapf war seit 1951 mit Gudrun Zapf-von Hesse verhei­ratet. Die gelernte Buchbindermeisterin ist selbst eine renom­mierte Schriftdesignerin und heute 97 Jahre alt. Von 1946 bis 1954 unter­rich­tete sie an der Frankfurter Städelschule das Fach Schrift; gleich­zeitig betrieb sie eine eigene Buchbinderwerkstatt in Frankfurt (von 1946 bis 1955). Sie entwarf für die deut­schen Setzereien D. Stempel AG, H. Berthold AG und URW in Hamburg zahl­reiche Schriften, aber auch für Auftraggeber in den USA, zum Beispiel Hallmark in Kansas City oder Bitstream in Cambridge.

Gudrun Zapf-von Hesse ist in den USA bekannter als in Deutschland und wurde 1991 mit dem Frederic W. Goudy Award ausge­zeichnet, der dem deut­schen Gutenberg-Preis vergleichbar ist und als die höchste ameri­ka­ni­sche Auszeichnung auf dem Gebiet der Schrift- und Buchkunst gilt. 2001 wurde ihr und ihrem Mann zu Ehren das Zapffest in San Francisco ausge­richtet und der 2. September von San Franciscos Bürgermeister Willie Brown zum Hermann and Gudrun Zapf Day ausgerufen.

Quellen: Wikipedia, Linotype​.de, 100 Beste Schriften, typo​grafie​.info, Jürgen Röhrscheid, Creative Mornings Berlin.

*Updates:

Kondolenzseite Fam. Zapf: In Memory of Prof. Hermann Zapf

Weitere Nachrufe:

The Hermann Zapf Sketchbook Project: Update, Kickstarter, 5. 6. 2015
Hermann Zapf (8 Nov 1918 – 4 Jun 2015), Typedrawers (Adam Twardoch), 5. 6. 2015
Zum Tod des Schrift-Connaisseurs Hermann Zapf, Deutschlandfunk, 6. 6. 2015
Hermann Zapf R.I.P, Nerdcore, 7. 6. 2015
Typen für die Welt, (Darmstädter) Echo, 7. 6. 2015
Remembering Hermann Zapf, Aespire (Brian Sooy), 7. 6. 2015
Hermann Zapf 1918–2015, InversBlog (Volker Ronneberger), 7. 6. 2015
The font desi­gner behind Palatino and Zapf Dingbats, Quartz, 7. 6. 2015
Meister des Krimskrams, Süddeutsche Zeitung, 8. 6. 2015
Nachruf auf Hermann Zapf, Andreas Weber auf lino​type​.com, 8. 6. 2015
Hermann Zapf 1918-2015, Deutsche Briefmarken Zeitung, 8. 6. 2015
Hermann Zapf ist tot, PAGE online, 8. 6. 2015
Remembering Hermann Zapf, Kris Holmes, 8. 6. 2015
Es gibt keine Entschuldigung für schlechte Typographie, heise​.de, 8. 6. 2015
(This obituary in English) Hermann Zapf 1918—2015, Übersetzung: Yves Peters, 8. 6. 2015
Hermann Zapf, 96, dies …, The New York Times, 9. 6.2015
Hermann Zapf, font legend … is dead at 96, The Week, 9. 6. 2015
In memo­riam Hermann Zapf, 1918–2015, MyFonts​.de (Florian Hardwig), 10. 6. 2015
Why we ❤ Zapf Dingbats, The Guardian, 10. 6. 2015
Type Legend Hermann Zapf Dies, FastCompany, 10. 6. 2015
Hermann Zapf (1918–2015), Artforum, 10. 6. 2015


In wenigen Tagen endet die TDC-Ausstellung

tdc_logoSeit dem 24. Mai 2015 sind die Sieger des TDC-Wettbewerbs im Berliner Aufbau Haus erst­mals in Europa zu sehen. Am kommenden Dienstag endet die Ausstellung. Die Arbeiten aus den Disziplinen Schriftdesign und Kommunikationsdesign wurden Ende Januar von zwei Jurys des Type Directors Club in New York prämiert.

Insgesamt wurden rund 1.800 Arbeiten aus 58 Ländern zum 61. TDC-Wettbewerb einge­reicht. Die Jury lobte die krea­tive Bandbreite der vorge­legten Arbeiten und das ausge­spro­chen hohe Niveau der Studentenarbeiten. Wenig beein­druckt zeigte sie sich vom Trend der »lockigen Schreibschriften«, Kreidetafel-Typografie und Verpackungsdesign im Stil des 19. Jahrhunderts. 

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Zum ersten Mal beginnt die Europa-Wanderausstellung der vom Type Directors Club in New York prämierten typo­gra­fi­schen Gewinner-Arbeiten in Berlin. Noch bis zum 9. Juni sind die arbeiten im Aufbauhaus Berlin ausge­stellt. Foto: Norman Posselt / Monotype.

Preise gingen sowohl an die Rohstoffe der typo­gra­fi­schen Gestaltung, also neu entwor­fene Schriften, als auch deren vorbild­liche Anwendung, zum Beispiel in Büchern, auf Postern, Verpackungen, im Corporate Design sowie im digi­talen Einsatz. Über einen der Sieger freuen wir uns beson­ders: die neue FontShop.com-Website.

Nur noch ein paar Tage gastiert die TDC-Ausstellung im Aufbau Haus am Moritzplatz. Gezeigt werden unter anderem Bücher, Poster, Anzeigen, Logos, Briefschaften und Verpackungen. Eine unver­zicht­bare Inspirationsquelle für Designer, Typografienerds, Schrift-Connaisseure und UX-Entwickler. 

  • Öffnungszeiten: 12:00 – 18:00 Uhr
  • Finissage: Dienstag, den 9. Juni ab 15:00 Uhr
  • Ort: Aufbau Haus, OG 3, Prinzenstraße 84.2, Moritzplatz, 10969 Berlin

Der Eintritt ist frei.