Rettet den Chromschriftzug … Online-Museum
Beim vergangenen Creative Morning Berlin stellte der Autor und Typograf Stephen Coles sein neuestes Projekt Chromeography vor, ein Online-Archiv glänzender Schriftzüge, wie man sie auf Automobilen und Elektrogeräten findet. Seiner Ansicht nach genießen diese typografischen Preziosen viel zu wenig Aufmerksamkeit. Im Laufe der Jahrzehnte verschwinden sie von der Bildfläche, meist mit ihren Trägern, manche gehen schon vor der Verschrottung verloren oder kaputt. Fans dieser Embleme haben ihnen auf chromeography.com ein Denkmal gesetzt. Sie katalogisieren, beschriften, steuern historische Informationen bei und erwecken sie zu neuem Leben.
Hier der 20-minütige Vortrag, der mit einem Quiz beginnt:
Neu: Novel Sans Rounded Pro. Einführungspreis!
Die Atlas Font Foundry (vormals Büro Dunst) hat soeben eine neue Stil-Familie innerhalb des erfolgreichen und stark ausgebauten Schriftsystems Novel herausgegeben. Novel Sans Rounded ist eine leicht gerundete Version des Grundschnittes, die der ursprünglich für Editorial und Corporate Design entwickelten Familie neue Einsatzbereiche Erschließt, zum Beispiel Packaging, Leit- und Informationssysteme.
Christoph Dunsts Debut, die Novel Pro war der Startschuss für die seitdem ständig erweiterte Superfamilie (siehe auch Fontblog: Novel, von Christoph Dunst). Nach den ersten Auszeichnungen vom Type Directors Club of New York und der Nominierung für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland stieg das Interesse an der Schriftfamilie, was den Ausbau der Sippe eine neue Dynamik verlieh.
Und so entwickelte sich Novel im Verlauf der letzten Jahre zu einer der größten Superfamilien. Sie umfasst – neben der neuen Novel Sans Rounded – die Antiqua Novel, die Grotesk Novel Sans, die schmallaufende und kompakte Grotesk Novel Sans Condensed und die Dicktengleiche Novel Mono. Neben den beeindruckend präzise gezeichneten Kurven und den klassischen Proportionen war sicherlich auch der starke niederländische Einschlag ausschlaggebend für die Aufmerksamkeit, die die Schrift auf sich zog.
Weitere Qualitätsmerkmale aller Schriften innerhalb der Novel Familie sind die fast aufrechten Kursiven, ungezählte Ligaturen und raffinierte OT-Features, wie das flexible f, das wächst, wenn es zur Ligature wird und schrumpft, wenn es mit Akzenten zu kollidieren droht (Abbildung oben).
Da die Rounded etwas weicher und damit emotionaler wirkt, dürfte sie im Packaging Design und in der Headline-Typografie großen Anklang finden. Da sich das Design im Grauwert und im Rythmus nicht wesentlich von Novel Sans unterscheidet, können die neuen Schnitte auch problemlos für Lesetexte eingesetzt werden.
Der Zeichensatz umfasst 1020 Glyphen/Font und unterstützt die Sprachen Afrikaans, Albanian, Basque, Bosnian, Breton, Catalan, Chichewa, Croatian, Czech, Danish, Dutch, English, Esperanto, Estonian, Faroese, Finnish, French, Frisian, Gaelic (Scots), Galician, German, Greenlandic, Hungarian, Icelandic, Indonesian, Irish, Italian, Kashubian, Kurdish, Latvian, Lithuanian, Luxembourgian, Maltese, Maori, Norwegian, Occitan, Polish, Portuguese, (Rhaeto-)Romance, Romanian, Sami, Serbian (Latin), Slovak, Slovenian, Sorbian, Spanish, Swahili, Swedish Tswana, Turkmen, Turkish, Walloon, Wolof, Yapese.
Zur Einführung gibt es für kurze Zeit die komplette Novel Sans Rounded Pro zum Preis von 75,– €, anstatt später 159,– € (alle Preise zzgl MwSt).
Dortmund: Typografie Symposium 33pt.
Zum dritten mal, nach 2006 und 2009, öffnet die Fachhochschule Dortmund (Fachbereich Design) am 28. Juni 2012 ihre Türen und läd zum Typografie-Symposium 33pt. Erneut werden erfolgreiche Vertreter aus Typografie und Grafikdesign zu Gast sein, ihre Arbeiten vorstellen und Workshops veranstalten. Die diesjährigen Referenten sind das Schweizer Grafikdesign Büro moiré, welche mit ihrer Gestaltung auch über die Grenzen des Alpenstaates bekannt sind, aber auch Vertreter der renommierten Londoner Kreativ-Agentur The Church of London haben ihr Kommen zugesagt und werden unter anderem die hauseigenen Magazine Little White Lies und Huck vorstellen. In die internationale Riege der Referenten reihen sich natürlich auch nationale Gestalter wie der Berliner Illustrator Frank Höhne, Schriftgestalter Yanone und Corporate-Urgestein Hubert Jocham ein, welche ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Arbeiten zum Besten geben.
Die kostenlosen, limitierten Tickets für das Symposium können ab Montag, 04. Juni 2012, auf www.33pt.de reserviert werden. Auch spontane Besucher ohne Ticket haben die Möglichkeit die Vorträge via Liveübertragung in einem zweiten Raum zu verfolgen und können so trotzdem am Event teilnehmen.
Linotype-Filmpremiere beim Typogravieh, Weimar
Die Veranstalter von TypograVieh Lebt! Symposiums schreiben mir gerade: Wir freuen uns die Deutschlandpremiere von »Linotype: The Film« ankündigen zu können. »In der 75-minütigen Dokumentation von Doug Wilson dreht sich alles um die legendäre Linotype-Setzmaschine. Als ›Achtes Weltwunder‹ (Thomas Edison) revolutionierte sie Druck, Kommunikation und Gesellschaft. Der Film erzählt einfühlsam die Geschichte von Menschen, die mit der Linotype in Verbindung standen und von dem Einfluss der Maschine auf die gesamte Welt.« 75min, Sprache: Englisch, Regie: Doug Wilson USA, 2012
Der Film wird am Freitag, den 1. Juni 2012 um 21.15 Uhr im Lichthaus-Kino Weimar (Saal 1) gezeigt. Der Eintritt ist frei.
So war’s beim 10. Creative Morning
Heute morgen fand der 10. Creative Morning Berlin statt. Rund 100 Besucher folgten dem Aufruf zur Frühstücksvorlesung mit Stephen Coles (Autor, Blogger, Schriftexperte und FontFont-Typeboard-Mitglied), der sich seit längerem mit den Chrom-Zierschriften von Autos und Elektrogeräten beschäftigt. Das Ergebnis ist die von ihm gegründete Social-Foto-Website chromeography.com, auf der Gleichgesinnte bereits mehrere hundert Fundstücke hinterlegt und diskutiert haben. Zeit für eine erste Zwischenbilanz des zusammengetragenen Wissens.
Wir sind stolz auf einen neuen Kaffee-Sponsor, der wie kein anderer zu einer schnellen, temporären Frühstücksvorlesung passt: die mobile Electric-Espresso-Bar …
Electric Espresso ist ein Start-up von Michael und Erik Spiekermann, die 4 Vespa Ape Kleintransporter zu rollenden Espressomaschinen umbauten, ausgestattet mit Elektroantrieb, also umweltfreundlich und in Gebäuden einsetzbar … an sonnigen Tagen wir heute selbstverständlich auf dem Kopfsteinpflaster des Ernst-Reuter-Platz
Creative-Morning-Referent Stephen Coles und seine Partnerin Laura Serra (vgl. Foto unten) wärmten das Publikum zunächst mit einem Automarken-Logo-Ratespiel auf, bevor es in die Tiefen eines sehr speziellen typografischen Disziplin ging …
… den (zumeist historischen) Chrom-Schriftzügen an Fahrzeugen und Elektrogeräten. Sie werden überwiegend von Ingenieuren mitentwickelt, wodurch sich spannende typografische Innovationen ergeben, denn »je geringer der Freiheitsgrad, um so einfallsreicher die Work-arounds« (Jürgen Siebert, Foto: Jens Tenhaeff)
Mindestens genauso wichtig wie der Vortrag beim Creative Morning sind die Gespräche davor und danach … hier sind Axel Nagel und Laura Serra bei einem solchen festgehalten
Ein Novum für die Besucher des Berliner Creative Mornings: Professioneller Espresso, Latte oder Cappuccino aus der italienischen Maschine … mancher griff instinktiv zur Geldbörse … aber nicht doch: Free for registered Creative Morning guests (Foto: Jens Tenhaeff)
Creative-Mornung-Besucher und -Sponsor Erik Spiekermann im Gespräch mit den Schriftentwerfern und -technikern Tim Ahrens und seiner Frau Shoko Mugikura, Gründer des Type-Labels Just Another Foundry in Berlin
Weiter Fotos in dieser Flickr-Dia-Show von Jens Tenhaeff:
bukowskigutentag 17/12 – Frau Zwinker & Herr Grins
Streitschrift zur Wiederherstellung der Ehre der Emoticons
Selbstverständlich reden wir hier nicht von der Unzahl an plastischen Emoticons (siehe Abbildung des Grauens). Diese teilweise sogar animierten Niederquerschnittsreifen unter den Bildmissbildungen bleiben selbstverständlich den Vodka-Gummibärchenwasser trinkenden Techno-Fans aus Schnuftihausen bei Pfrimelbach, also den sowieso emoticontional herausgeforderten Leutchen vorbehalten und das möchte bitte auch so bleiben. Danke. Gerne.
Stattdessen packen wir jetzt einen bekannten Kaventsmann von intellektuell dickst möglicher Hose aus unserer Asservatenkammer und hauen uns den und vor allem den hier Gemeinten mal zünftig um die Öhrchen. Die Rede ist von folgender, viel zitierter Statusmeldung: Leute, die Emoticons benutzen, signalisieren damit, dass sie den Empfänger für geistig zu tiefergelegt halten, als dass der die Ironie oder den Witz der Wortmeldung verstehen könnte.
Ui! Haben Sie’s gemerkt? Das hat gesessen!
Ach nee, doch nicht. Und zwar aus folgendem Grund: Nicht nur ich, sondern auch viele mir bekannte und meiner Meinung nach keineswegs durch den cerebralen Festplattenfehler 404 auffällige Zeitgenossen setzen in ihrer täglichen, digitalen Kurz-Korrespondenz auf die Dienste von Frau Smiley :-) und Herr Grins ;-) – wahlweise auch in zeichensparender ;) Kurzform :)
Haben wir es hier mit einem klassischen Anfall von Schwarmdemenz zu tun? Ist der Untergang des Abendlandes mit neuer, noch mal verbesserter Diesmal-aber-wirklich-Wirkformel eingeleitet, weil beim Gebrauch von Zwinker und Grins irgendwo im Moment bei der Lektüre dieses Textes hier ein Deutschlehrer an Finalverbitterung gestorben ist?
Nö.
Digitale Wortmeldungen in Emails, SMSen, Chats, Foren und sonstwo haben sich als hochwirksame Quellen für Missverständnisse und ungewollte Peinlichkeiten ergeben. Ohne Smileys, meine Damen und Herren, gingen mehr Ehen und Karrieren den Bach runter, als dies Ehen und Karrieren möglich machen könnten. Ich möchte sogar behaupten, dass Smileys mehr für den Weltfrieden getan haben als Miss Universum ’93. Denn offensichtlich reichen diese meist schnell aus der Hüfte geschossenen, kurzen Texte nicht aus, um einen bei längeren Formaten gegebenen Zweitkanal zwischen den Zeilen zu transportieren.
Meint jemand ernsthaft, Sportskamerad Goethe oder Onkel Nietzsche hätten, wenn zu ihrer Zeit zum Beispiel Twitter vorrätig gewesen wäre, vorbildlich ohne jedes Emoticon getextet? Meinen Sie etwa, good old Karl Kraus hätte es sich nehmen lassen, seinen Ausspruch »36 Hühner treten auf, gackern und treten wieder ab« in einer WhatsApp-Message zum Beispiel in ein zünftiges )-:< zu fassen oder so? (Ich weiß gerade nicht, ob das das richtige Zeichen für diesen Satz ist. Bei allem, was über :) und ;) hinausgeht, brauche ich noch Nachhilfe, wofür ich mich gerade bei der Volkshochschule um die Ecke im Kiez angemeldet habe.)
Aber selbst wenn es sich hier um ein »Millionen Deppen, eine Meinung«-Phänomen handeln sollte: Da mach ich mit! Und lassen Sie sich bitte auch kein schlechtes Gewissen einreden. Emoticons – in moderater Dosierung versteht sich – sind völlig legitim. (Wenn ich ehrlich sein darf, habe ich sogar neulich herzlich gelacht über so einen gelben Quietsche-Smiley, der animiert war und mir mit einem Bier zuprostete. Grins! Zwinker! Gacker!)
P.S.: Hier noch abschließend meine Gebrauchsanweisung für einen guten Tweet; selbstverständlich mit Smiley. Funzt!
Subjekt Kommafehler Nebensatz Objekt Orthographie-Fail Kommafehler Fav-Wunsch Prädikat Emoticon.
— Michael Bukowski (@mbukowski) Mai 1, 2012
Aufmacherabbildung: freeiconsdownload.com
Bilderbogen: TYPO Berlin 2012
Vor einer Woche begann im Berliner Haus der Kulturen der Welt die 17. TYPO Berlin Konferenz. Unter dem Motto ›Sustain‹ widmete sich die Veranstaltung dieses Mal dem wertvollsten Rohstoff der Kreativbranche: der Idee. Sie ist eine unerschöpfliche Ressource, »die sich sogar vermehrt, wenn man sie teilt«. Doch eine Idee ist kein absolutes Gut. Je nach Wetterlage (meist von den wirtschaftlichen Umständen anhängig) kann eine Idee in unterschiedliche Richtungen wandern. Dies war für viele TYPO-Besucher eine neue Erkenntnis, wie wir aus Gesprächen erfuhren. Der Fotograf und vielfache TYPO-Teilnehmer Jens Tenhaeff formulierte es so: »Ich habe auf der TYPO Sustain gelernt, dass ich die Wertmaßstäbe in meiner Arbeit neu justieren muss.« Oder Markus Hanzer: »Die Kontraste der Positionen sind für mich inzwischen die eigentliche Botschaft.«
Nachfolgend zwei Dutzend Fotos von der TYPO 2012 (© Gerhard Kassner und Alex Blumhoff) mit ausführlicheren Bildunterschriften.
Die Dekoration von Bühne und Konferenzgebäude griff das Thema Sustain auf: natürlich Farben, Jute-Konferenztasche, zertifizierte Drucksachen. Der Journalist Henry Steinhau schreibt dazu in seinem Blog: »(Der) … stets auf Sorgfalt und Glaubwürdigkeit achtende TYPO-Veranstalter FontShop setzte sichtbare Impulse, etwa mit Sitzkissen, die aus Bannern und Planen vorheriger Konferenzen genäht sind; mit Programmheften und Taschen aus der Ökodruckerei; mit wiederverwendbaren Kaffeetassen und Wasserflaschen, Stichwort Müllvermeidung. Dies alles wirklich schön gestaltet, insofern attraktiv UND ökologisch korrekt; da nicken also gleich zwei Zeitgeister auf einmal, der gute Geschmack und das gute Gewissen.«
Drei Tage lang nahmen über 50 Kreativgrößen aus Design, Kunst und Medien und rund 1400 Besucher aus aller Welt in Vorträgen, Ausstellungen und Workshops das derzeitige Zauberwort der Branche unter die Lupe und fragen kritisch nach: Schlägt sich sich das Streben nach Nachhaltigkeit in konkreten Designlösungen nieder? Oder ist diese nur ein Schlagwort der Agenturen und Unternehmen, das der Sehnsucht nach Werten Rechnung trägt? Auch die Frage aller Fragen wurde gestellt: Muss dieser Job eigentlich wirklich realisiert werden? (Nat Hunter)
Eröffnungsredner ist Bernd Kolb. Die Zukunft erkennen, neue Herausforderungen meistern, Krisen bewältigen – in diesem Spannungsfeld wirkt Kolb seit mehreren Jahren. Einst als »Unternehmer des Jahres« gefeiert, verließ der damalige Vorstand für Innovation bei der Deutschen Telekom 2007 den Konzern, um sich als Innovationsmanager und »Change Agent« den wahren Herausforderungen unserer Zeit zu widmen. In dem von ihm gegründeten Club of Marrakesh versammelt er internationale Denker, Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer, um mit ganzheitlichem Denken Innovationen zu entwickeln, die einflussreiche Partner umsetzen.
Morag Myerscough hielt einen erfrischenden und farbenfrohen Vortrag und gab einen Einblick in die Vielzahl ihrer abwechslungsreichen und authentischen Arbeiten. Christiana Teufel, Slanted: »Ihre Gestaltung geht oft über die zweite Dimension hinaus, wie z. B. bei “the deptford project”, wo sie keine Mühen scheute Gleise verlegen zu lassen um einen alten Zug zu transportieren und ihn in ein Café umzugestalten. Ihr liegt es, aus alten Dingen Neues zu schaffen. Zum diesjährigen Thema “Sustain” passt ihre Herangehensweise sehr gut, wie sie an vielen Beispielen vorgeführt hat. Es ist ihr wichtig vorhandene Materialien zu nutzen, die Umgebung mit einzubeziehen und keine Angst vor Farben zu haben.«
Andreas Uebele zeigte in hohem Tempo viele schöne Arbeiten und jede Menge Bilder. Dazu erzählt er herrliche Geschichten, im Publikum ein ständiges Gekicher. »In dieser Leichtigkeit kann man seine Projekte also auch präsentieren, toll!« (Slanted)
Immer in der ersten Reihe: Die TYPO Berlin bringt internationale Designer und Designexperten nach Berlin. Neben den Vorträgen erweisen sich die Gespräche dazwischen als die eigentliche Energiequelle für den eigenen Kopf und die eigene Arbeit.
Ein TYPO-Aktivist der ersten Stunde: Seit über 20 Jahren begleitet Yves Peters die europäische Schriftenszene … als Autor, FontShopper, Blogger und seit einigen Jahren als gern gebuchter Redner.
Shoko Mugikura war – neben Susanne Zippel und Nadine Chahine – eine von drei Referentinnen des Non-Latin-Blocks am Samstag in der TYPO Show. Binnen 3 Stunden erfuhren die Besucher wie die japanische, die chinesische und die arabische Schrift funktionieren.
Er ist ein Designsammler, Designvermarkter und Designphilosoph: Jan Teunen. Er lebt seit über 30 Jahren mit seiner Frau Mieke und einer umfangreichen Kunstsammlung auf Schloss Johannisberg. Er versteht sich als Berater in kulturellen und gestalterischen Fragen und bezeichnet sich als Cultural Capital Producer. Seinen Vortrag untermalt er mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Kunstobjekten und Arrangements.
Neben dem Rednerpult hat Teunen eine Louis-Vuitton-Tasche abgestellt. „Fear is energy“ steht darauf geschrieben, aus der Tasche lugt ein Plastikschweinchen. Nach 10 Minuten schlägt der Redner die Brücke zu dem Spielzeug und unternimmet mit dem Publikum einen kleinen Exkurs in die Welt der Schweine. Es geht um die fragwürdige Praxis, nach der jungen Ferkeln in der Massentierhaltung das Ringelschwänzchen abgeschnitten wird, um zu vermeiden, dass die frustrierten Tiere sich gegenseitig aus Langeweile die Schwänze abbeißen. Eine Methode, die sich – mutmaßt Teunen – nur Menschen ausgedacht haben können, die in schlecht gestalteten Räumen saßen und allein den ökonomischen Profit im Sinn hatten. Teunen sieht einen Zusammenhang zwischen diesem gestalteten Umfeld und der Art und Weise, wie sich der Mensch darin verhält. Er hoffte, seine kleine Erzählung von der Angst der Schweine möge Gestalter inspirieren: Wer nachdenkt, umdenkt, wer anfängt, sein kulturelles Umfeld zu verändern, der kann dazu beitragen, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Was wäre die Schriftdesignszene ohne die Blokland-Brüder? Sie verbinden seit fast 30 Jahren auf geniale Weise Technik mit typografischer Ästhetik, programmieren, zeichnen, automatisieren und diskutieren. Nebenbei entwerfen sie vorzügliche Schriften und halten motivierende Workshops, in denen sie ihr Wissen gerne weitergeben. Einer der Höhepunkte der TYPO Berlin 2012 war die Type-Cooker-Session von Erik van Blokland und Paul van der Laan.
Am Ende von Nat Hunters Vortrag twitterte Jörg Gudehus: »Sehr viel besser kann ein Vortrag nicht sein. Nat Hunter ist auf den Punkt, zum Thema, gut vorbereitet, Super Folien (Keynote).« Nach 23 Jahren interessanter Arbeit schloss Hunter in diesem Jahr das von ihr mitbegründete Design Büro Airside. Das hatte verschiedene Gründe: Interessen und Ziele der Partner haben sich verändert, aber vielleicht auch die Gesamtheit der Gestaltungsszene. Ihr Credo: »Have Power to change the world.«
Auf der TYPO Stage dískutierten der FF-DIN-Entwerfer Albert Jan Pool und die Verleger Lupi Asensio und Martin Lorenz (Twopoints.net, Barcelona) über das Buch »I love DIN«. Niemand weiß besser über diese Schrift bescheid als Pool, der jahrelang ihre Wurzeln in Archiven und Museen erforscht hat.
Der Dialog zwischen den Kulturen ist eine Herzensangelegenheit für Nadine Chahine. Die gebürtige Libanesin ist Schriftgestalterin und die Expertin für das Arabische bei Linotype. Slanted schreibt über ihren lebhaften Auftritt in Berlin: »Zuerst räumt sie mit den Klischees auf … wie lustig, dass immer alle nur an Kamele, Wüste und Sand denken, wenn es um den arabischen Raum geht. Dabei ist diese Region so unglaublich vielfältig. In Dubai ist alles im Superlativ, riesige Gebäude usw. Dubai ist Konsum, Shopping, sehr westlich orientiert. Der Jemen ist traditionell, Beirut ist Party. Die arabische Gesellschaft ist wie eine Zwiebel, immer wieder entdeckt man neue Seiten. Die westlichen Medien allerdings haben eine bestimmte Erwartungshaltung an die arabische Gesellschaft und zeigen auch nur das, was diesem Klischeebild entspricht. Das kritisiert Nadine Chahine vehement. Auch in der arabischen Region hat jeder eine Familie und will ein schönes Leben, darin gleichen wir uns alle.«
Kann uns gutes Design aus der ökologischen, finanziellen, emotionalen oder sonstigen Krisen führen? Petz Scholtus aus Barcelona begreift sich als Öko-Designerin und verweist einleitend auf die 10 Design-Prinzipien von Dieter Rams aus den 70ern, um kurz darauf auf die Knappheit unserer Ressourcen zu verweisen und festzustellen: „Good design is complicated“. Was für ein Ritt. Sie sprach schnell und hatte die TYPO Hall ebenso schnell auf ihrer Seite.
Der TYPO-Manager und -Organisator Bernd Rudolf im Gespräch mit Prof. Jay Rutherford von der Bauhaus-Universität Weimar.
Andy Altmann gründete das Designsbüro Why Not Associates gleich nach dem Studium am Royal College of Art mit einigen Mitstudenten. In den 25 Jahren seines Bestehens arbeitete das Unternehmen für namhafte Auftraggeber wie Malcom McLaren, Royal Academy of Arts, Centre Pompidou, BBC, Tate Modern oder die Royal Mail und galt lange Zeit als rebellische Wildcard.
Heute, älter und gemäßigter, sieht er sich mehr als »grafischer Problemlöser, denen immer die größten Problemfälle zugeschoben werden«. Großes Bindeelement aller Arbeiten ist die Liebe für experimentelle Typografie – die Andy Altmann auch in der Zusammenarbeit mit dem Künstler Gordon Young beweist. Mit ihm konzipierte er den Comedy Carpet, ein über 2000 qm großer Platz in Blackpool, der mit 160.000 Granitbuchstaben, eingebettet in Beton, typografisch gestaltet wurde.
1949 gewann Frithjof Bergmann mit einem Aufsatz zur »Welt, in der wir leben wollen« ein Studienjahr in Oregon und blieb in Amerika. Zunächst schlug er sich als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter durch. Später schrieb er Theaterstücke und lebte fast 2 Jahre lang als Selbstversorger auf dem Land bei New Hampshire. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton, promovierte mit einer Arbeit über Hegel und erhielt Lehraufträge in Princeton, Stanford, Chicago und Berkeley.
1984 gründet er das erste Zentrum für Neue Arbeit in der Automobilstadt Flint in Michigan. Seitdem sind einige solcher Zentren in verschiedenen Ländern entstanden. »New Work« ist für Bergmann die Leiter, die wir von der aktuellen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur aufsteigen in ein System der Arbeit und Kultur, das humaner und intelligenter ist, und – oh ja! – mehr Spaß macht. New Work sagt Nein zur absoluten, mit Gewissheit vertretenen Überzeugung, dass es keine Alternative zu mehr Geschäft und zur Ankurbelung der Wirtschaft gibt.
Der Schriftentwerfer und Anwalt Matthew Butterick hat sich in den letzten Monaten zum Sprachrohr der Typedesign-Szene entwickelt. Was ihm Sorge bereitet: Angesichts der zunehmenden beschleunigten Migration von Printmedien zu elektronischen Medien ignorieren viele elektronisch publizierende Autoren die Typografie, womit sie gefährliche Präzedenzfälle schaffen. In seinem Vortrag belegte er, warum die historisch gute Beziehung zwischen Schrift und Technik bröckelt. Er argumentiert, dass Autoren, Gestalter und Leser sich stärker engagieren müssen, damit die Typografie nicht vom Strom sinkender Erwartung weggespült wird. Das Video seines Auftritt ist hier zu sehen …
Adrian Shaughnessy moderierte zusammen mit Simone Wolf die TYPO Hall. Fünfzehn Jahre lang war er Creative Director bei Intro. In dieser Zeit gewann das von ihm und anderen 1998 gegründete Designstudio einen D&AD Silver Award und zahlreiche andere Preise. 2004 verließ er Intro, um sich als freier Consultant dem Schreiben und kreativen Projekten zu widmen. Heute leitet er Shaughnessy Works, eine Consulting Firma für Design und Editorial-Projekte. Überdies ist er Mitgründer und Verlagschef von Unit Editions. Shaughnessy ist Autor und Art Director zahlreicher Bücher über Design.
Viel Andrang an der (frei zugänglichen) TYPO Stage, wo Erik van Blokland und Paul van der Laan ihre typografischen Kochkurs veranstalteten.
Alex Branczyk organisierte mit 16 Studierenden der FH Dortmund Sustain-Installationen im und um das Haus der Kulturen der Welt.
Der Vortrag von Martin Grothmaak lieferte unterhaltsame Einblick in aktuelle Projekte seines Stuttgarter Designbüros. Er lieferte lehrreiche Hintergrundinformationen über seine Arbeitsweise und Haltung. Grothmaak diskutierte Wertvorstellungen über den Umgang mit Projektpartnern und die Beständigkeit im Bearbeiten, die Herangehensweise an Projekte und gleichzeitig das Erhalten von persönlichen Eigenschaften, wie Hunger und Feuer. Es ging um wichtige, dauerhafte Werte, wie Vertrauen und Partnerschaft, Commitment, das gegenseitige Herausfordern, den Anspruch für höchste Qualität in Inhalt und Ästhetik und den Grenzgang zwischen Design, Kunst und Poesie.
Oliver Reichenstein (Information Architects) sprang kurzfristig als Sprecher ein, weil ein Redner kurzfristig erkrankte. Am Ende wurde sein Auftritt als der beste bewertet. Reichenstein stellte die noch nicht veröffentlichte neue Website seines Büros vor, mit der er eine neue typografische Qualität ins Netz bringen will, die er Responsive Typography nennt. So werden beim Betrachter der Website am iPad im Querformat andere Fonts ausgeliefert als beim Betrachten im Hochformat, damit der Text 100 % identisch wiedergegeben wird – nicht zu fett, nicht zu mager, einfach nur identisch.
Der krönende und auch der schnellste Abschluss der TYPO Berlin 2012: Das Präsentationsnaturtalent Jessica Hische stellte sich einfach auf die Bühne der TYPO Hall und tänzelte den Besuchern eine Dauerfeuer ihres noch recht kurzen Berufslebens vor. Kommentar danach von Peter Rudolph auf Twitter:
Everything feels like super slow-motion after @jessicahische’s talk ;) #typo12
— Peter Rudolph (@ungemeinfein) Mai 19, 2012
Bleibende Eindrücke
Am 19. Mai endete in Berlin TYPO 2012, die 17. FontShop-Konferenz. Unter dem Motto »sustain« trafen sich im Haus der Kulturen über 1000 Zuschauer um gemeinsam mit den Referenten das Dauerhafte, das Beständige im Design zu ergründen.
Wer mehr über die Konferenz und den Rückblick darauf erfahren möchte, kann sich im TYPO 2012 Blog informieren.