Fontblog Artikel im Mai 2012

Rettet den Chromschriftzug … Online-Museum

Beim vergan­genen Creative Morning Berlin stellte der Autor und Typograf Stephen Coles sein neuestes Projekt Chromeography vor, ein Online-Archiv glän­zender Schriftzüge, wie man sie auf Automobilen und Elektrogeräten findet. Seiner Ansicht nach genießen diese typo­gra­fi­schen Preziosen viel zu wenig Aufmerksamkeit. Im Laufe der Jahrzehnte verschwinden sie von der Bildfläche, meist mit ihren Trägern, manche gehen schon vor der Verschrottung verloren oder kaputt. Fans dieser Embleme haben ihnen auf chro​meography​.com ein Denkmal gesetzt. Sie kata­lo­gi­sieren, beschriften, steuern histo­ri­sche Informationen bei und erwe­cken sie zu neuem Leben.

Hier der 20-minü­tige Vortrag, der mit einem Quiz beginnt:


Neu: Novel Sans Rounded Pro. Einführungspreis!

Die Atlas Font Foundry (vormals Büro Dunst) hat soeben eine neue Stil-Familie inner­halb des erfolg­rei­chen und stark ausge­bauten Schriftsystems Novel heraus­ge­geben. Novel Sans Rounded ist eine leicht gerun­dete Version des Grundschnittes, die der  ursprüng­lich für Editorial und Corporate Design entwi­ckelten Familie neue Einsatzbereiche Erschließt, zum Beispiel Packaging, Leit- und Informationssysteme.

Christoph Dunsts Debut, die Novel Pro war der Startschuss für die seitdem ständig erwei­terte Superfamilie (siehe auch Fontblog: Novel, von Christoph Dunst). Nach den ersten Auszeichnungen vom Type Directors Club of New York und der Nominierung für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland stieg das Interesse an der Schriftfamilie, was den Ausbau der Sippe eine neue Dynamik verlieh.

Und so entwi­ckelte sich Novel im Verlauf der letzten Jahre zu einer der größten Superfamilien. Sie umfasst – neben der neuen Novel Sans Rounded – die Antiqua Novel, die Grotesk Novel Sans, die schmal­lau­fende und kompakte Grotesk Novel Sans Condensed und die Dicktengleiche Novel Mono. Neben den beein­dru­ckend präzise gezeich­neten Kurven und den klas­si­schen Proportionen war sicher­lich auch der starke nieder­län­di­sche Einschlag ausschlag­ge­bend für die Aufmerksamkeit, die die Schrift auf sich zog.

Weitere Qualitätsmerkmale aller Schriften inner­halb der Novel Familie sind die fast aufrechten Kursiven, unge­zählte Ligaturen und raffi­nierte OT-Features, wie das flexible f, das wächst, wenn es zur Ligature wird und schrumpft, wenn es mit Akzenten zu kolli­dieren droht (Abbildung oben).

Da die Rounded etwas weicher und damit emotio­naler wirkt, dürfte sie im Packaging Design und in der Headline-Typografie großen Anklang finden. Da sich das Design im Grauwert und im Rythmus nicht wesent­lich von Novel Sans unter­scheidet, können die neuen Schnitte auch problemlos für Lesetexte einge­setzt werden.

Der Zeichensatz umfasst 1020 Glyphen/Font und unter­stützt die Sprachen Afrikaans, Albanian, Basque, Bosnian, Breton, Catalan, Chichewa, Croatian, Czech, Danish, Dutch, English, Esperanto, Estonian, Faroese, Finnish, French, Frisian, Gaelic (Scots), Galician, German, Greenlandic, Hungarian, Icelandic, Indonesian, Irish, Italian, Kashubian, Kurdish, Latvian, Lithuanian, Luxembourgian, Maltese, Maori, Norwegian, Occitan, Polish, Portuguese, (Rhaeto-)Romance, Romanian, Sami, Serbian (Latin), Slovak, Slovenian, Sorbian, Spanish, Swahili, Swedish Tswana, Turkmen, Turkish, Walloon, Wolof, Yapese.

Zur Einführung gibt es für kurze Zeit die komplette Novel Sans Rounded Pro zum Preis von 75,– €, anstatt später 159,– € (alle Preise zzgl MwSt).


Dortmund: Typografie Symposium 33pt.

Zum dritten mal, nach 2006 und 2009, öffnet die Fachhochschule Dortmund (Fachbereich Design) am 28. Juni 2012 ihre Türen und läd zum Typografie-Symposium 33pt. Erneut werden erfolg­reiche Vertreter aus Typografie und Grafikdesign zu Gast sein, ihre Arbeiten vorstellen und Workshops veran­stalten. Die dies­jäh­rigen Referenten sind das Schweizer Grafikdesign Büro moiré, welche mit ihrer Gestaltung auch über die Grenzen des Alpenstaates bekannt sind, aber auch Vertreter der renom­mierten Londoner Kreativ-Agentur The Church of London haben ihr Kommen zuge­sagt und werden unter anderem die haus­ei­genen Magazine Little White Lies und Huck vorstellen. In die inter­na­tio­nale Riege der Referenten reihen sich natür­lich auch natio­nale Gestalter wie der Berliner Illustrator Frank Höhne, Schriftgestalter Yanone und Corporate-Urgestein Hubert Jocham ein, welche ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Arbeiten zum Besten geben.

Die kosten­losen, limi­tierten Tickets für das Symposium können ab Montag, 04. Juni 2012, auf www​.33pt​.de reser­viert werden. Auch spon­tane Besucher ohne Ticket haben die Möglichkeit die Vorträge via Liveübertragung in einem zweiten Raum zu verfolgen und können so trotzdem am Event teilnehmen.


Linotype-Filmpremiere beim Typogravieh, Weimar

Die Veranstalter von TypograVieh Lebt! Symposiums schreiben mir gerade: Wir freuen uns die Deutschlandpremiere von »Linotype: The Film« ankün­digen zu können. »In der 75-minü­tigen Dokumentation von Doug Wilson dreht sich alles um die legen­däre Linotype-Setzmaschine. Als ›Achtes Weltwunder‹ (Thomas Edison) revo­lu­tio­nierte sie Druck, Kommunikation und Gesellschaft. Der Film erzählt einfühlsam die Geschichte von Menschen, die mit der Linotype in Verbindung standen und von dem Einfluss der Maschine auf die gesamte Welt.« 75min, Sprache: Englisch, Regie: Doug Wilson USA, 2012

Der Film wird am Freitag, den 1. Juni 2012 um 21.15 Uhr im Lichthaus-Kino Weimar (Saal 1) gezeigt. Der Eintritt ist frei.


So war’s beim 10. Creative Morning

Heute morgen fand der 10. Creative Morning Berlin statt. Rund 100 Besucher folgten dem Aufruf zur Frühstücksvorlesung mit Stephen Coles (Autor, Blogger, Schriftexperte und FontFont-Typeboard-Mitglied), der sich seit längerem mit den Chrom-Zierschriften von Autos und Elektrogeräten beschäf­tigt. Das Ergebnis ist die von ihm gegrün­dete Social-Foto-Website chro​meography​.com, auf der Gleichgesinnte bereits mehrere hundert Fundstücke hinter­legt und disku­tiert haben. Zeit für eine erste Zwischenbilanz des zusam­men­ge­tra­genen Wissens.

Wir sind stolz auf einen neuen Kaffee-Sponsor, der wie kein anderer zu einer schnellen, tempo­rären Frühstücksvorlesung passt: die mobile Electric-Espresso-Bar …

Electric Espresso ist ein Start-up von Michael und Erik Spiekermann, die 4 Vespa Ape Kleintransporter zu rollenden Espressomaschinen umbauten, ausge­stattet mit Elektroantrieb, also umwelt­freund­lich und in Gebäuden einsetzbar … an sonnigen Tagen wir heute selbst­ver­ständ­lich auf dem Kopfsteinpflaster des Ernst-Reuter-Platz

Creative-Morning-Referent Stephen Coles und seine Partnerin Laura Serra (vgl. Foto unten) wärmten das Publikum zunächst mit einem Automarken-Logo-Ratespiel auf, bevor es in die Tiefen eines sehr spezi­ellen typo­gra­fi­schen Disziplin ging …

… den (zumeist histo­ri­schen) Chrom-Schriftzügen an Fahrzeugen und Elektrogeräten. Sie werden über­wie­gend von Ingenieuren mitent­wi­ckelt, wodurch sich span­nende typo­gra­fi­sche Innovationen ergeben, denn »je geringer der Freiheitsgrad, um so einfalls­rei­cher die Work-arounds« (Jürgen Siebert, Foto: Jens Tenhaeff)

Mindestens genauso wichtig wie der Vortrag beim Creative Morning sind die Gespräche davor und danach … hier sind Axel Nagel und Laura Serra bei einem solchen festgehalten

Ein Novum für die Besucher des Berliner Creative Mornings: Professioneller Espresso, Latte oder Cappuccino aus der italie­ni­schen Maschine … mancher griff instinktiv zur Geldbörse … aber nicht doch: Free for regis­tered Creative Morning guests (Foto: Jens Tenhaeff)

Creative-Mornung-Besucher und -Sponsor Erik Spiekermann im Gespräch mit den Schriftentwerfern und -tech­ni­kern Tim Ahrens und seiner Frau Shoko Mugikura, Gründer des Type-Labels Just Another Foundry in Berlin

Weiter Fotos in dieser Flickr-Dia-Show von Jens Tenhaeff:


bukowskigutentag 17/12 – Frau Zwinker & Herr Grins

Streitschrift zur Wiederherstellung der Ehre der Emoticons

Selbstverständlich reden wir hier nicht von der Unzahl an plas­ti­schen Emoticons (siehe Abbildung des Grauens). Diese teil­weise sogar animierten Niederquerschnittsreifen unter den Bildmissbildungen bleiben selbst­ver­ständ­lich den Vodka-Gummibärchenwasser trin­kenden Techno-Fans aus Schnuftihausen bei Pfrimelbach, also den sowieso emoti­con­tional heraus­ge­for­derten Leutchen vorbe­halten und das möchte bitte auch so bleiben. Danke. Gerne.

Stattdessen packen wir jetzt einen bekannten Kaventsmann von intel­lek­tuell dickst mögli­cher Hose aus unserer Asservatenkammer und hauen uns den und vor allem den hier Gemeinten mal zünftig um die Öhrchen. Die Rede ist von folgender, viel zitierter Statusmeldung: Leute, die Emoticons benutzen, signa­li­sieren damit, dass sie den Empfänger für geistig zu tiefer­ge­legt halten, als dass der die Ironie oder den Witz der Wortmeldung verstehen könnte.

Ui! Haben Sie’s gemerkt? Das hat gesessen!

Ach nee, doch nicht. Und zwar aus folgendem Grund: Nicht nur ich, sondern auch viele mir bekannte und meiner Meinung nach keines­wegs durch den cere­bralen Festplattenfehler 404 auffäl­lige Zeitgenossen setzen in ihrer tägli­chen, digi­talen Kurz-Korrespondenz auf die Dienste von Frau Smiley :-) und Herr Grins ;-) – wahl­weise auch in zeichen­spa­render ;) Kurzform :)

Haben wir es hier mit einem klas­si­schen Anfall von Schwarmdemenz zu tun? Ist der Untergang des Abendlandes mit neuer, noch mal verbes­serter Diesmal-aber-wirk­lich-Wirkformel einge­leitet, weil beim Gebrauch von Zwinker und Grins irgendwo im Moment bei der Lektüre dieses Textes hier ein Deutschlehrer an Finalverbitterung gestorben ist?

Nö.

Digitale Wortmeldungen in Emails, SMSen, Chats, Foren und sonstwo haben sich als hoch­wirk­same Quellen für Missverständnisse und unge­wollte Peinlichkeiten ergeben. Ohne Smileys, meine Damen und Herren, gingen mehr Ehen und Karrieren den Bach runter, als dies Ehen und Karrieren möglich machen könnten. Ich möchte sogar behaupten, dass Smileys mehr für den Weltfrieden getan haben als Miss Universum ’93. Denn offen­sicht­lich reichen diese meist schnell aus der Hüfte geschos­senen, kurzen Texte nicht aus, um einen bei längeren Formaten gege­benen Zweitkanal zwischen den Zeilen zu transportieren.

Meint jemand ernst­haft, Sportskamerad Goethe oder Onkel Nietzsche hätten, wenn zu ihrer Zeit zum Beispiel Twitter vorrätig gewesen wäre, vorbild­lich ohne jedes Emoticon getextet? Meinen Sie etwa, good old Karl Kraus hätte es sich nehmen lassen, seinen Ausspruch »36 Hühner treten auf, gackern und treten wieder ab« in einer WhatsApp-Message zum Beispiel in ein zünf­tiges )-:< zu fassen oder so? (Ich weiß gerade nicht, ob das das rich­tige Zeichen für diesen Satz ist. Bei allem, was über :) und ;) hinaus­geht, brauche ich noch Nachhilfe, wofür ich mich gerade bei der Volkshochschule um die Ecke im Kiez ange­meldet habe.)

Aber selbst wenn es sich hier um ein »Millionen Deppen, eine Meinung«-Phänomen handeln sollte: Da mach ich mit! Und lassen Sie sich bitte auch kein schlechtes Gewissen einreden. Emoticons – in mode­rater Dosierung versteht sich – sind völlig legitim. (Wenn ich ehrlich sein darf, habe ich sogar neulich herz­lich gelacht über so einen gelben Quietsche-Smiley, der animiert war und mir mit einem Bier zupros­tete. Grins! Zwinker! Gacker!)

Michael Bukowski

P.S.: Hier noch abschlie­ßend meine Gebrauchsanweisung für einen guten Tweet; selbst­ver­ständ­lich mit Smiley. Funzt!

Aufmacherabbildung: freei​con​s​down​load​.com


Bilderbogen: TYPO Berlin 2012

Vor einer Woche begann im Berliner Haus der Kulturen der Welt die 17. TYPO Berlin Konferenz. Unter dem Motto ›Sustain‹ widmete sich die Veranstaltung dieses Mal dem wert­vollsten Rohstoff der Kreativbranche: der Idee. Sie ist eine uner­schöpf­liche Ressource, »die sich sogar vermehrt, wenn man sie teilt«. Doch eine Idee ist kein abso­lutes Gut. Je nach Wetterlage (meist von den wirt­schaft­li­chen Umständen anhängig) kann eine Idee in unter­schied­liche Richtungen wandern. Dies war für viele TYPO-Besucher eine neue Erkenntnis, wie wir aus Gesprächen erfuhren. Der Fotograf und viel­fache TYPO-Teilnehmer Jens Tenhaeff formu­lierte es so: »Ich habe auf der TYPO Sustain gelernt, dass ich die Wertmaßstäbe in meiner Arbeit neu justieren muss.« Oder Markus Hanzer: »Die Kontraste der Positionen sind für mich inzwi­schen die eigent­liche Botschaft.«

Nachfolgend zwei Dutzend Fotos von der TYPO 2012 (© Gerhard Kassner und Alex Blumhoff) mit ausführ­li­cheren Bildunterschriften.

Die Dekoration von Bühne und Konferenzgebäude griff das Thema Sustain auf: natür­lich Farben, Jute-Konferenztasche, zerti­fi­zierte Drucksachen. Der Journalist Henry Steinhau schreibt dazu in seinem Blog: »(Der) … stets auf Sorgfalt und Glaubwürdigkeit achtende TYPO-Veranstalter FontShop setzte sicht­bare Impulse, etwa mit Sitzkissen, die aus Bannern und Planen vorhe­riger Konferenzen genäht sind; mit Programmheften und Taschen aus der Ökodruckerei; mit wieder­ver­wend­baren Kaffeetassen und Wasserflaschen, Stichwort Müllvermeidung. Dies alles wirk­lich schön gestaltet, inso­fern attraktiv UND ökolo­gisch korrekt; da nicken also gleich zwei Zeitgeister auf einmal, der gute Geschmack und das gute Gewissen.«

Drei Tage lang nahmen über 50 Kreativgrößen aus Design, Kunst und Medien und rund 1400 Besucher aus aller Welt in Vorträgen, Ausstellungen und Workshops das derzei­tige Zauberwort der Branche unter die Lupe und fragen kritisch nach: Schlägt sich sich das Streben nach Nachhaltigkeit in konkreten Designlösungen nieder? Oder ist diese nur ein Schlagwort der Agenturen und Unternehmen, das der Sehnsucht nach Werten Rechnung trägt? Auch die Frage aller Fragen wurde gestellt: Muss dieser Job eigent­lich wirk­lich reali­siert werden? (Nat Hunter)

Eröffnungsredner ist Bernd Kolb. Die Zukunft erkennen, neue Herausforderungen meis­tern, Krisen bewäl­tigen – in diesem Spannungsfeld wirkt Kolb seit mehreren Jahren. Einst als »Unternehmer des Jahres« gefeiert, verließ der dama­lige Vorstand für Innovation bei der Deutschen Telekom 2007 den Konzern, um sich als Innovationsmanager und »Change Agent« den wahren Herausforderungen unserer Zeit zu widmen. In dem von ihm gegrün­deten Club of Marrakesh versam­melt er inter­na­tio­nale Denker, Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer, um mit ganz­heit­li­chem Denken Innovationen zu entwi­ckeln, die einfluss­reiche Partner umsetzen.

Morag Myerscough hielt einen erfri­schenden und farben­frohen Vortrag und gab einen Einblick in die Vielzahl ihrer abwechs­lungs­rei­chen und authen­ti­schen Arbeiten. Christiana Teufel, Slanted: »Ihre Gestaltung geht oft über die zweite Dimension hinaus, wie z. B. bei “the dept­ford project”, wo sie keine Mühen scheute Gleise verlegen zu lassen um einen alten Zug zu trans­por­tieren und ihn in ein Café umzu­ge­stalten. Ihr liegt es, aus alten Dingen Neues zu schaffen. Zum dies­jäh­rigen Thema “Sustain” passt ihre Herangehensweise sehr gut, wie sie an vielen Beispielen vorge­führt hat. Es ist ihr wichtig vorhan­dene Materialien zu nutzen, die Umgebung mit einzu­be­ziehen und keine Angst vor Farben zu haben.«

Andreas Uebele zeigte in hohem Tempo viele schöne Arbeiten und jede Menge Bilder. Dazu erzählt er herr­liche Geschichten, im Publikum ein stän­diges Gekicher. »In dieser Leichtigkeit kann man seine Projekte also auch präsen­tieren, toll!« (Slanted)

Immer in der ersten Reihe: Die TYPO Berlin bringt inter­na­tio­nale Designer und Designexperten nach Berlin. Neben den Vorträgen erweisen sich die Gespräche dazwi­schen als die eigent­liche Energiequelle für den eigenen Kopf und die eigene Arbeit.

Ein TYPO-Aktivist der ersten Stunde: Seit über 20 Jahren begleitet Yves Peters die euro­päi­sche Schriftenszene … als Autor, FontShopper, Blogger und seit einigen Jahren als gern gebuchter Redner.

Shoko Mugikura war – neben Susanne Zippel und Nadine Chahine – eine von drei Referentinnen des Non-Latin-Blocks am Samstag in der TYPO Show. Binnen 3 Stunden erfuhren die Besucher wie die japa­ni­sche, die chine­si­sche und die arabi­sche Schrift funktionieren.

Er ist ein Designsammler, Designvermarkter und Designphilosoph: Jan Teunen. Er lebt seit über 30 Jahren mit seiner Frau Mieke und einer umfang­rei­chen Kunstsammlung auf Schloss Johannisberg. Er versteht sich als Berater in kultu­rellen und gestal­te­ri­schen Fragen und bezeichnet sich als Cultural Capital Producer. Seinen Vortrag unter­malt er mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Kunstobjekten und Arrangements.

Neben dem Rednerpult hat Teunen eine Louis-Vuitton-Tasche abge­stellt. „Fear is energy“ steht darauf geschrieben, aus der Tasche lugt ein Plastikschweinchen. Nach 10 Minuten schlägt der Redner die Brücke zu dem Spielzeug und unter­nimmet mit dem Publikum einen kleinen Exkurs in die Welt der Schweine. Es geht um die frag­wür­dige Praxis, nach der jungen Ferkeln in der Massentierhaltung das Ringelschwänzchen abge­schnitten wird, um zu vermeiden, dass die frus­trierten Tiere sich gegen­seitig aus Langeweile die Schwänze abbeißen. Eine Methode, die sich – mutmaßt Teunen – nur Menschen ausge­dacht haben können, die in schlecht gestal­teten Räumen saßen und allein den ökono­mi­schen Profit im Sinn hatten. Teunen sieht einen Zusammenhang zwischen diesem gestal­teten Umfeld und der Art und Weise, wie sich der Mensch darin verhält. Er hoffte, seine kleine Erzählung von der Angst der Schweine möge Gestalter inspi­rieren: Wer nach­denkt, umdenkt, wer anfängt, sein kultu­relles Umfeld zu verän­dern, der kann dazu beitragen, das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Was wäre die Schriftdesignszene ohne die Blokland-Brüder? Sie verbinden seit fast 30 Jahren auf geniale Weise Technik mit typo­gra­fi­scher Ästhetik, program­mieren, zeichnen, auto­ma­ti­sieren und disku­tieren. Nebenbei entwerfen sie vorzüg­liche Schriften und halten moti­vie­rende Workshops, in denen sie ihr Wissen gerne weiter­geben. Einer der Höhepunkte der TYPO Berlin 2012 war die Type-Cooker-Session von Erik van Blokland und Paul van der Laan.

Am Ende von Nat Hunters Vortrag twit­terte Jörg Gudehus: »Sehr viel besser kann ein Vortrag nicht sein. Nat Hunter ist auf den Punkt, zum Thema, gut vorbe­reitet, Super Folien (Keynote).« Nach 23 Jahren inter­es­santer Arbeit schloss Hunter in diesem Jahr das von ihr mitbe­grün­dete Design Büro Airside. Das hatte verschie­dene Gründe: Interessen und Ziele der Partner haben sich verän­dert, aber viel­leicht auch die Gesamtheit der Gestaltungsszene. Ihr Credo: »Have Power to change the world.«

Auf der TYPO Stage dísku­tierten der FF-DIN-Entwerfer Albert Jan Pool und die Verleger Lupi Asensio und Martin Lorenz (Twopoints​.net, Barcelona) über das Buch »I love DIN«. Niemand weiß besser über diese Schrift bescheid als Pool, der jahre­lang ihre Wurzeln in Archiven und Museen erforscht hat.

Der Dialog zwischen den Kulturen ist eine Herzensangelegenheit für Nadine Chahine. Die gebür­tige Libanesin ist Schriftgestalterin und die Expertin für das Arabische bei Linotype. Slanted schreibt über ihren lebhaften Auftritt in Berlin: »Zuerst räumt sie mit den Klischees auf … wie lustig, dass immer alle nur an Kamele, Wüste und Sand denken, wenn es um den arabi­schen Raum geht. Dabei ist diese Region so unglaub­lich viel­fältig. In Dubai ist alles im Superlativ, riesige Gebäude usw. Dubai ist Konsum, Shopping, sehr west­lich orien­tiert. Der Jemen ist tradi­tio­nell, Beirut ist Party. Die arabi­sche Gesellschaft ist wie eine Zwiebel, immer wieder entdeckt man neue Seiten. Die west­li­chen Medien aller­dings haben eine bestimmte Erwartungshaltung an die arabi­sche Gesellschaft und zeigen auch nur das, was diesem Klischeebild entspricht. Das kriti­siert Nadine Chahine vehe­ment. Auch in der arabi­schen Region hat jeder eine Familie und will ein schönes Leben, darin glei­chen wir uns alle.«

Kann uns gutes Design aus der ökolo­gi­schen, finan­zi­ellen, emotio­nalen oder sons­tigen Krisen führen? Petz Scholtus aus Barcelona begreift sich als Öko-Designerin und verweist einlei­tend auf die 10 Design-Prinzipien von Dieter Rams aus den 70ern, um kurz darauf auf die Knappheit unserer Ressourcen zu verweisen und fest­zu­stellen: „Good design is compli­cated“. Was für ein Ritt. Sie sprach schnell und hatte die TYPO Hall ebenso schnell auf ihrer Seite.

Der TYPO-Manager und -Organisator Bernd Rudolf im Gespräch mit Prof. Jay Rutherford von der Bauhaus-Universität Weimar.

Andy Altmann grün­dete das Designsbüro Why Not Associates gleich nach dem Studium am Royal College of Art mit einigen Mitstudenten. In den 25 Jahren seines Bestehens arbei­tete das Unternehmen für namhafte Auftraggeber wie Malcom McLaren, Royal Academy of Arts, Centre Pompidou, BBC, Tate Modern oder die Royal Mail und galt lange Zeit als rebel­li­sche Wildcard.

Heute, älter und gemä­ßigter, sieht er sich mehr als »grafi­scher Problemlöser, denen immer die größten Problemfälle zuge­schoben werden«. Großes Bindeelement aller Arbeiten ist die Liebe für expe­ri­men­telle Typografie – die Andy Altmann auch in der Zusammenarbeit mit dem Künstler Gordon Young beweist. Mit ihm konzi­pierte er den Comedy Carpet, ein über 2000 qm großer Platz in Blackpool, der mit 160.000 Granitbuchstaben, einge­bettet in Beton, typo­gra­fisch gestaltet wurde.

1949 gewann Frithjof Bergmann mit einem Aufsatz zur »Welt, in der wir leben wollen« ein Studienjahr in Oregon und blieb in Amerika. Zunächst schlug er sich als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter durch. Später schrieb er Theaterstücke und lebte fast 2 Jahre lang als Selbstversorger auf dem Land bei New Hampshire. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton, promo­vierte mit einer Arbeit über Hegel und erhielt Lehraufträge in Princeton, Stanford, Chicago und Berkeley.

1984 gründet er das erste Zentrum für Neue Arbeit in der Automobilstadt Flint in Michigan. Seitdem sind einige solcher Zentren in verschie­denen Ländern entstanden. »New Work« ist für Bergmann die Leiter, die wir von der aktu­ellen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur aufsteigen in ein System der Arbeit und Kultur, das humaner und intel­li­genter ist, und – oh ja! – mehr Spaß macht. New Work sagt Nein zur abso­luten, mit Gewissheit vertre­tenen Überzeugung, dass es keine Alternative zu mehr Geschäft und zur Ankurbelung der Wirtschaft gibt.

Der Schriftentwerfer und Anwalt Matthew Butterick hat sich in den letzten Monaten zum Sprachrohr der Typedesign-Szene entwi­ckelt. Was ihm Sorge bereitet: Angesichts der zuneh­menden beschleu­nigten Migration von Printmedien zu elek­tro­ni­schen Medien igno­rieren viele elek­tro­nisch publi­zie­rende Autoren die Typografie, womit sie gefähr­liche Präzedenzfälle schaffen. In seinem Vortrag belegte er, warum die histo­risch gute Beziehung zwischen Schrift und Technik bröckelt. Er argu­men­tiert, dass Autoren, Gestalter und Leser sich stärker enga­gieren müssen, damit die Typografie nicht vom Strom sinkender Erwartung wegge­spült wird. Das Video seines Auftritt ist hier zu sehen …

Adrian Shaughnessy mode­rierte zusammen mit Simone Wolf die TYPO Hall. Fünfzehn Jahre lang war er Creative Director bei Intro. In dieser Zeit gewann das von ihm und anderen 1998 gegrün­dete Designstudio einen D&AD Silver Award und zahl­reiche andere Preise. 2004 verließ er Intro, um sich als freier Consultant dem Schreiben und krea­tiven Projekten zu widmen. Heute leitet er Shaughnessy Works, eine Consulting Firma für Design und Editorial-Projekte. Überdies ist er Mitgründer und Verlagschef von Unit Editions. Shaughnessy ist Autor und Art Director zahl­rei­cher Bücher über Design.

Viel Andrang an der (frei zugäng­li­chen) TYPO Stage, wo Erik van Blokland und Paul van der Laan ihre typo­gra­fi­schen Kochkurs veranstalteten.

Alex Branczyk orga­ni­sierte mit 16 Studierenden der FH Dortmund Sustain-Installationen im und um das Haus der Kulturen der Welt.

Der Vortrag von Martin Grothmaak lieferte unter­halt­same Einblick in aktu­elle Projekte seines Stuttgarter Designbüros. Er lieferte lehr­reiche Hintergrundinformationen über seine Arbeitsweise und Haltung. Grothmaak disku­tierte Wertvorstellungen über den Umgang mit Projektpartnern und die Beständigkeit im Bearbeiten, die Herangehensweise an Projekte und gleich­zeitig das Erhalten von persön­li­chen Eigenschaften, wie Hunger und Feuer. Es ging um wich­tige, dauer­hafte Werte, wie Vertrauen und Partnerschaft, Commitment, das gegen­sei­tige Herausfordern, den Anspruch für höchste Qualität in Inhalt und Ästhetik und den Grenzgang zwischen Design, Kunst und Poesie.

Oliver Reichenstein (Information Architects) sprang kurz­fristig als Sprecher ein, weil ein Redner kurz­fristig erkrankte. Am Ende wurde sein Auftritt als der beste bewertet. Reichenstein stellte die noch nicht veröf­fent­lichte neue Website seines Büros vor, mit der er eine neue typo­gra­fi­sche Qualität ins Netz bringen will, die er Responsive Typography nennt. So werden beim Betrachter der Website am iPad im Querformat andere Fonts ausge­lie­fert als beim Betrachten im Hochformat, damit der Text 100 % iden­tisch wieder­ge­geben wird – nicht zu fett, nicht zu mager, einfach nur identisch.

Der krönende und auch der schnellste Abschluss der TYPO Berlin 2012: Das Präsentationsnaturtalent Jessica Hische stellte sich einfach auf die Bühne der TYPO Hall und tänzelte den Besuchern eine Dauerfeuer ihres noch recht kurzen Berufslebens vor. Kommentar danach von Peter Rudolph auf Twitter:


Bleibende Eindrücke

Am 19. Mai endete in Berlin TYPO 2012, die 17. FontShop-Konferenz. Unter dem Motto »sustain« trafen sich im Haus der Kulturen über 1000 Zuschauer um gemeinsam mit den Referenten das Dauerhafte, das Beständige im Design zu ergründen.

Wer mehr über die Konferenz und den Rückblick darauf erfahren möchte, kann sich im TYPO 2012 Blog infor­mieren.