Fontblog Artikel im März 2011

Nichtlesen (18.1): Post von Grabowski

Liebe Leserinnen und Leser dieser Kolumne,

am letzten Sonntag, dem 20. März, erreichte uns folgende Email von Herrn Grabowski:
___

Hallo Nichtlesen-Redaktion,

Sie müssen leider für den Beitrag am kommenden Freitag auf mich verzichten. Warum? Ich habe die Schnauze voll! Lassen Sie mich das kurz erklären.

Seit ich ein Smartphone besitze, infor­miere ich mich über das Weltgeschehen nicht mehr nur aus der Tageszeitung. Stattdessen bin ich regel­mäßig auch unter­wegs online und lese Nachrichten. Leider wird die Qualität des Weltgeschehens davon nicht besser.

Im Gegenteil: Je mehr ich davon wahr­nehme, desto mehr wächst meine Wut. Es geht doch immer nur um Macht, eigene Interessen und Besitz. Die wollen doch alle nur auf Kosten anderer so viel wie möglich – wenn Sie mir den saloppen Begriff verzeihen – Eier in die eigene Tasche wirt­schaften. Dann verschanzen sie sich hinter haar­sträu­benden Barrikaden und spielen Verstecken mit uns, den Betrogenen.

Es ist immer das gleiche alte Spiel um Gier und Diebstahl; so alt wie die Menschheit. Neu aber ist, dass ich dank solcher modernen Geräte wie dem Smartphone diese Ereignisse nicht nur passiv als Zuschauer wahr­nehme, sondern sie in Echtzeit erlebe und mich ganz aktiv einmi­schen kann.

Und das tue ich jetzt: Ich werde es diesen Schweinen zeigen! Aber richtig. Sollten Sie von mir nichts mehr hören, machen Sie sich bitte Sorgen, aber unter­nehmen Sie nichts. Gewinne ich diesen Krieg, hören Sie bald wieder von mir. Verliere ich ihn, sagen Sie den Leuten in der Agentur und beim Fontblog ein herz­li­ches hdgdl.

Ihr Herr Grabowski

___

Mit dieser Mail sandte uns Herr Grabowski dieses Bild als Anhang. Wir haben leider keine Ahnung, worum es dabei geht.

Seit diesem letzten Sonntag haben wir nur noch ein einziges Mal versucht, Herrn Grabowski zu kontak­tieren. Er meinte aller­dings in unmiss­ver­ständ­li­chem Tonfall, dass er jeden sofort erschießen würde, der es wagen sollte, ihn zu stören.

Wir bitten um Entschuldigung für etwaige Unannehmlichkeiten und hoffen, dass Herr Grabowski bald wieder in alter Frische an dieser Kolumne teil­nimmt. Vorerst werden wir versu­chen, ihn würdig zu vertreten. Siehe dazu den Beitrag »Nichtlesen 18.2« (erscheint um 14:30 Uhr).

MfG,
Michael Bukowski


»Atomkraft? Nein Danke«-Aufkleber vergriffen

Wer heute den Shop von Ausgestrahlt​.de besucht, wird mit der Meldung begrüßt: »Bitte Geduld … Wir erhalten enorm viele Bestellungen, mit denen wir bis vor wenigen Tagen nicht gerechnet haben. Viele Artikel sind ausver­kauft. … Achtung: Material, welches jetzt bestellt wird, kommt nicht mehr vor den Großdemonstrationen am 26. März an.« Die Initiative Ausgestrahlt ist eine jener Organisationen, die Original-Protest-Utensilien vertreiben darf. Die Rechte an dem Logo, das die Dänin Anne Lund 1975 entwi­ckelt hat, liegen bei der däni­schen Stiftung OOA, die das Signet in allen euro­päi­schen Staaten und den USA hat schützen lassen. Sie sorgt dafür, dass das Logo nicht für kommer­zi­elle Zwecke miss­braucht wird und vergibt Lizenzen nur an Anti-Atomkraft-Initiativen.

In den 90er-Jahren verschwand die rote Sonne weit­ge­hend von der Bildfläche, doch jetzt kehrte sie mit Macht zurück. Wie die Hamburger Morgenpost berichtet, würden zu Normalzeiten rund 10 bis 30 Button- oder Aufkleber-Bestellungen eingehen Im Moment seien es jedoch 800 bis 1000, laut Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atomkraft-Bewegung Ausgestrahlt. Für Stay ist der Ansturm auf die Insignien der Atomkraftgegner nur ein weiteres Indiz für den enormen Zulauf, den die Anti-AKW-Bewegung derzeit in Deutschland erlebe. Da passe es durchaus ins Bild, dass in der aktu­ellen Ausgabe der Jugendzeitschrift Bravo – neben den Teenie-Stars-Postern – ein Anti-AKW-Plakat zu finden ist.

Die aktu­elle Nachfrage für das Anti-AKW-Logo beendet auch eine Debatte, die wir hier im Fontblog vor einem halben Jahr ange­stoßen hatten: Braucht »Atomkraft? Nein Danke.« ein Redesign? Nein.


Zwischenspiel: Nat King Cole »Natur Boy«

Erste Fontblog-Leser beklagen sich, dass es etwas ruhig hier geworden ist. Stimmt und ändert sich bald. Meine Fühler stehen inzwi­schen wieder auf Empfang. Und so erfuhr ich heute durch meiner Lieblings-Jazzsängerin Meldoy Gardot über Twitter von diesem Filmschnipsel aus dem Jahr 1951. Nat King Cole inter­pre­tiert mit seinem Samtstimme den Song »Nature Boy«, der ihm 1948 zum Durchbruch verhalf.

»Nature Boy«, heute ein Jazz-Klassiker, ist die einzige bedeu­tende Komposition des seiner­zeit völlig unbe­kannten kali­for­ni­schen Aussteigers Eden Ahbez. Der Titel handelt von einem Jungen, der weit umher­reist, um am Ende fest­zu­stellen, dass »zu lieben und geliebt zu werden« das »größte Geschenk« sei.

Ahbez wollte den Song Nat King Cole persön­lich präsen­tieren, als dieser in Los Angeles mit seinem Trio auftrat. Cole nahm das Manuskript nicht selbst entgegen, da er Amateuren, die im ihre Lieder anboten, aus dem Weg ging. Also über­reichte Ahbez Noten und Text auf zerknülltem Papier einem Saaldiener. Cole sah sich das Werk einige Tage später an und erkannte sein Potenzial. Er war auf der Suche nach einem Song, mit dem er die in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkten pro-jüdi­schen Gefühle anspre­chen konnte. Er probierte den Titel in seinen Konzertprogrammen aus, wo er gut ankam. Auch die Song-Legende Irving Berlin riet dazu, den Titel zu kaufen.

Bei der im August 1947 aufge­nom­menen Interpretation wurde Nat King Cole nicht nur von seinem Trio, sondern einem Studio-Orchester begleitet. Ein halbes Jahr später stand »Nature Boy« acht Wochen auf Rang 1 der natio­nalen Charts. Auch Frank Sinatra nahm »Nature Boy« 1948 ins ein Repertoire auf, konnte aber, behin­dert durch den Recording Ban, keine groß­or­ches­trale Version aufnehmen. Gleichwohl landete seine Interpretation in den US-Charts, wie auch die Fassungen con Sarah Vaughan und Dick Haymes. Auf diese Art domi­nierte der Song 1948 die ameri­ka­ni­sche Populärmusik bis Zeitungen darüber berich­teten, dass die senti­men­tale Melodie und der Text eine derart melan­cho­li­sie­rende Wirkung hätten, dass bereits drei Frauen und vier Männer zum Selbstmord veran­lasst worden seien. (Quelle: Wikipedia)


Als Facebook-User direkt in den FontShop

Benutzern von Facebook öffnen sich die Pforten zum FontShop seit dieser Woche prak­tisch auto­ma­tisch. Die neue Login-mit-Facebook-Funktion auf font​shop​.com erspart das Ausfüllen von Formularfeldern – sowohl beim Einloggen als auch beim erst­ma­ligen Registrieren. Ein Klick genügt, um in die weite Welt der Schriften einzu­tau­chen oder die Vorteile eines regis­trierten Nutzers zu genießen (kosten­lose Downloads, kosten­lose Schriftrecherche und ähnliches).

Wer bereits auf font​shop​.com regis­triert ist, kann seinen FontShop-Account mit dem Facebook-Account verbinden (beide müssen mit der glei­chen E-Mail-Adresse ange­legt sein). Das Einloggen bei FontShop bleibt genauso sicher wie zuvor, man erspart sich aber das Verwalten eines weiteren Passworts. Und: Wer bei Facebook einge­loggt ist, kann nun auch auf font​shop​.com seine Lieblingsfonts mit dem Gefällt-mir-Knopf markieren und dies seinen Facebook-Freunden mitteilen.

Unsere neue FontShop-Kollegin Meghan Arnold mag die Schreibschrift Jackalope von Letter Perfect, was sie mit dem Like-Button auf font​shop​.com beschei­nigt (links) … kurz darauf wissen es ihre Facebook-Freunde (rechts)

Sie nutzen Facebook gar nicht? Auch kein Problem. Selbstverständlich steht die klas­si­sche Anmeldung mittels Formular auch weiterhin zur Verfügung.


Im Wortlaut: Spiekermanns Masterplan

Die Rede von Johannes Erler zur gest­rigen Ausstellungseröffnung »erik spie­ker­mann. schriftgestalten«

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Frau Dr. Jaeggi,
lieber Erik,

vielen Dank für die Einladung, ein paar Worte zur Eröffnung dieser Ausstellung sagen zu dürfen. Ich fühle mich geehrt.

Dieser Abend ist ja so etwas, wie ein Heimspiel für Erik Spiekermann. Wir sind in Berlin, das ist seine Stadt. Wir befinden uns an einem Ort, an dem man den Begriff Design ausnahms­weise einmal nicht grund­le­gend erklären muss. Und wenn ich mich umschaue, dann sehe ich viele bekannte Gesichter. Die meisten unter Ihnen kennen Erik und seine Arbeit, viele von Ihnen haben Ihn über viele Jahre begleitet.

Ich werde Ihnen Erik Spiekermann also nicht in aller Ausführlichkeit vorstellen. Ich werde nicht über den Schriftengestalter und Typografen Erik Spiekermann spre­chen, der gleich mehrere der einfluss­reichsten Schriften der vergan­genen 20 Jahre geschaffen hat, von denen gleich vier vor kurzem in die stän­dige Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufge­nommen wurden.

Ich werde nicht über den Designer und Bürogründer Erik Spiekermann spre­chen, der vor ein paar Wochen erst den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk erhielt und den sicher noch so manch ähnliche Ehrung erwartet.

Ich werde auch nicht über den Unternehmer Erik Spiekermann spre­chen, der mit dem FontShop aus seiner Passion für Schrift ein gutes Geschäft gemacht hat. Immerhin ist der FontShop heute der welt­weit größte Vertrieb digi­taler Schriften.

Und ich werde zuletzt dann auch nicht über den begna­deten Netzwerker Erik Spiekermann spre­chen, der die größte Designkonferenz Europas, die Typo Berlin, begrün­dete und dem mitt­ler­weile welt­weit über 100.000 Menschen auf Twitter folgen (zum Vergleich: ich habe unge­fähr 370 Freunde auf Facebook…).

Über all diese inter­es­santen und erstaun­li­chen Facetten erfahren Sie heute Abend von mir rein gar nichts. Und im Übrigen sollen Sie sich ja auch noch die Ausstellung anschauen.

Nein, mein Thema ist ein anderes. Mir geht es nicht um das WAS, mir geht es um nicht weniger, als das WARUM! Ich werde gleich also das große Geheimnis des Erik Spiekermann enthüllen, das all diese Leistungen über­haupt erst möglich gemacht hat. Er hat es mir selbst erzählt!

Am Anfang meiner Recherchen stand zunächst ein Artikel, den ich vor einigen Monaten für den Rat für Formgebung zu schreiben hatte. Es ging also um die bereits erwähnte Auszeichnung für das Lebenswerk und mit dem hatte ich mich entspre­chend zu beschäftigen.

Wenn man alles, was Erik in den letzten Jahren und Jahrzehnten geschaffen und geleistet hat, zusam­men­trägt, erkennt man zunächst die unge­heure Menge an Leistungen. Ich kann das ganz gut beur­teilen, weil ich ja auch schon ein paar Sachen gemacht habe und aber bereits jetzt, mit Mitte 40, fest­stellen muss, dass ich da, wo Erik heute ist, nicht mehr hinkommen werde. Ich schaffe das einfach nicht mehr, ich habe einfach nicht mehr genug Zeit, zumin­dest wenn ich weiter so arbeite, wie bisher.

Das ist dann natür­lich schon eine erste Erkenntnis: so etwas schafft man nämlich nicht allein. Und wenn man sich Eriks Arbeit anschaut, wird man schnell erkennen, dass er das alles tatsäch­lich selten allein gemacht hat. Er hatte immer Mitstreiter, Kollaborateure, Partner in Crime, die ihn gern unter­stützt haben.Das ist über­haupt nicht selbst­ver­ständ­lich, weil Designer oft auch große Individualisten und Egozentriker sind. Und das ist noch nicht einmal unlo­gisch, weil viele Entscheidungen im Design letzt­lich einsame Entscheidungen sein müssen. Um so erstaun­li­cher und bewun­derns­werter ist es für mich, wenn ich dann sehe, wie Erik diese schein­baren Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzt und es immer wieder schafft, viele Menschen um ein Thema herum zu versam­meln, die zusammen natür­lich viel mehr schaffen können, als ein Einzelner.

Das ist aber immer noch nicht das Geheimnis von dem ich sprach. Schon eher auf die rich­tige Spur kommt, wer im Überblick den Masterplan erkennt, der wohl hinter all dieser Aktivitäten zu stecken scheint (und an dieser Stelle muss man auch noch erwähnen, dass Erik viel schreibt. Bücher und Artikel und Vorträge). Dieser Masterplan heißt: Kommunikation. Um die dreht sich alles. Eriks zentrale Botschaft lautet: ohne Kommunikation geht nichts. Er hält sie für das Brot, das Gesellschaften nährt und zusam­men­hält, und Schrift für das Korn, also die wich­tigste Zutat (was erklärt, warum er diese wich­tige Zutat besser gleich selbst herstellt).

Erik hat ein ehrli­ches Interesse daran, Dinge zu erklären und zu verdeut­li­chen. Für mich ist das DIE zentrale Motivation und die edelste Aufgabe eines Kommunikationsdesigners, der Design nicht als schöne Oberfläche, sonders als Organisationsprinzip jenseits jeder verord­neten Ästhetik betrachtet. Und im Übrigen ist dies zu vermit­teln bis heute das große Problem unserer Branche, die immer noch auf die Oberfläche redu­ziert wird. Wir Designer kommen da einfach nicht aus dem Quark und Erik ist als einer der ganz wenigen schon erheb­lich viel weiter. Man hört ihm zu, man versteht ihn und man glaubt ihm.

Was aber treibt ihn nun dazu an? Ist da eine beson­ders heftige Form von Sendungsbewusstein zu entde­cken? Vielleicht sogar eine Art Weltverbesserungssyndrom? Möchte Erik Spiekermann viel­leicht einmal Bundeskanzler werden oder besser noch UN-Generalsekretär? Oder hat sich Erik Spiekermann nicht weniger vorkommen, als das unge­schrie­bene Gesetz von der Unfähigkeit des Menschen, vernünftig kommu­ni­zieren zu wollen, außer Kraft zu setzen? Denn die meisten können und WOLLEN es ja ganz offen­sicht­lich nicht. Wahrscheinlich , weil wir, archa­isch betrachtet, immer noch niemals und niemandem unsere über­le­bens­wich­tigen Feuerstellen und Jagdgründe preis­geben würden?

Das wären natür­lich alles hohe und hehre Ziele. So ist es aber nicht. Denn als ich neulich mit Erik zusam­mensaß, um Material für ein Buch zu sammeln und schon ganz viel zusam­men­hatte, weil Erik die ganze Zeit am reden war und wie so oft gar nicht aufhören konnte und ich mich fragte, wie ich das alles bloß jemals sortiert bekommen würde, da habe ich dann ganz zum Schluss doch mal sehr gezielt nachgefragt.

Ich fragte also: »Erik, sag mal, WARUM machst du das alles eigentlich?«

Und Erik antwor­tete nach kurzem Nachdenken und gar nicht mal laut, sondern eher nach­denk­lich: »Wahrscheinlich, weil ich so eine Plaudertasche bin …«

Und dann erzählte er mir, wie er als kleiner Junge und gerade erst der Sprache mächtig, ein unstill­bares Interesse an allem, was um ihn herum passierte, entwi­ckelte und diese stän­digen glück­li­chen Entdeckungen und Sensationen aber keines­falls für sich behalten, sondern immer auch alle anderen mitteilen wollte. Und wie er so die Sprache für sich entdeckte und später auch die Schrift. Und wie er nach und nach seine Fähigkeiten zu kommu­ni­zieren so weit verfei­nert hatte, dass er sie sogar beruf­lich nutzen konnte. Und Letzteres hat er mir übri­gens gar nicht mehr erzählt, sondern ich habe es mir zusamm­men­ge­reimt, weil es einfach Sinn macht. Weil es keine bessere Motivation und keine bessere Lehre gibt (was auch erklärt, warum Erik nie Design studiert hat).

Kommunikation also, wie sie tatsäch­lich gemeint ist. Um Informationen zu vermit­teln, um aufzu­klären, um Menschen mitein­ander zu verbinden.

Nicht jene Kommunikation als Selbstzweck, wie man sie z.b. in der verschwur­belten Rethorik deut­scher Außenminister oder japa­ni­scher Regierungssprecher findet. Auch nicht die Kommunikation, die heute fast jede Werbeagentur für sich rekla­miert, die genau so nicht mehr genannt werden will: Werbeagentur. Sondern zukünftig: Kommunikationsagentur. Weil ja Kommunikation die neue Werbung ist. Und schon gar nicht die Kommunikation der so genannten Kommunikationsgesellschaft, die man z. B. in Millionen von Internetforen bewun­dern darf, wo sich Menschen eigent­lich gegen­seitig helfen wollen und am Ende nur noch mehr verwirren, weil schon jeder Satzbau zum Desaster gerät.

Nein, es geht um jene Kommunikation als Mittel zum Zweck der reinen, klaren Informationsübertragung. Und genau die pflegt und vermit­telt Erik Spiekermann schon sein ganzes Leben lang, ganz einfach aus einem inneren Antrieb und aus Neugierde, weil das Leben toll oder zumin­dest hoch­in­ter­es­sant war (und ist). Und weil möglichst viele Menschen davon erfahren sollen.

Das ist ja fast schon eine evolu­tio­näre Weiterentwicklung der Spezies Mensch, wenn man, wie eben erwähnt, eigent­lich davon ausgehen muss, dass der Mensch zum Mauern neigt. Und das hört sich viel­leicht naiv an und ist gleich­zeitig als Motivation doch so klar und eindeutig, wie ein gutes Stück Information selbst.

Wahrscheinlich muss es auch Geheimnisse geben. Aber die Vorstellung einer Welt voller freund­li­cher und opti­mis­ti­scher Plaudertaschen finde ich zwar ziem­lich laut und manchmal ein biss­chen anstren­gend aber auch sehr schön.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Frisch auf dem Büchertisch: »Reporting«

Auch der Schmidt-Verlag bedient sich jetzt der wunder­baren Leseproben-Technik von issuu, die wir auch für FontShop-Publikationen einsetzen. Darum bitte erst mal mit einem kurzen Klick rein­schauen, in das frisch erschie­nene Meisterwerk aus Mainz, bevor ich ein paar Worte über das Buch von Jochen Rädeker und Kirsten Dietz verliere:

Ich weiß zwar nicht, wie groß Ihr Bildschirm ist … doch selbst im Vollbildmodus wird die issuu-Animation nicht an das Original in Atlas-Größe heran­kommen, nämlich 24,5 x 32 cm. Bleiben wir kurz bei den nackten Fakten: 390 Seiten (inkl. 24seitigen Dünndruckteil und 9 Kapitel-Zwischenblättern auf glän­zend mint­grünem Spezialpapier), 1.300 Abbildungen, Festeinband mit Nachtleuchtfarbe und Prägung.

Zum Inhalt: Einmal im Jahr geben Unternehmen Analysten und Aktionären Einblick in ihre Bilanzen, sie veröf­fent­li­chen einen Geschäftsbericht. Aus trockenen Zahlen werden Charts und Diagramme mit dem Ziel, möglichst gut dazu­stehen. Schon lange wird diese Veröffentlichungspflicht als Selbstdarstellungskür verstanden. Zu Zahlen, Daten, Fakten gesellen sich Stellungnahmen über ökolo­gi­sche und soziale Verantwortung.

Die Autoren Kirsten Dietz und Jochen Rädeker wissen wovon sie spre­chen. Nach zwei Auflagen finest facts & figures haben sie erneut die besten Geschäftsberichte aus aller Welt gesichtet, um neue, anre­gende Elemente zu finden und zu erläu­tern. Sie geben Insiderwissen weiter und verraten, wo die Fallstricke warten und was sich im Reporting geän­dert hat.

Reporting liefert konkrete Tipps zur Gestaltung von Charts, zur Darstellung der Unternehmensphilosophie, für den bril­lanten Umgang mit Vorstandsfotos bis hin zum Balkendiagramm. Dabei gehen die Autoren über rein gestal­te­ri­sche Aspekte hinaus und liefern wert­volle Tipps zu Projekt- und Zeitmanagement, zu inno­va­tiven Verarbeitungsideen bis zum Register.

Das Buch ist mehr als eine Sammlung von Anregungen. Es dient der Selbstmotivation und versetzt auch klei­nere Designbüros argu­men­tativ in die Lage, einem Big Boss auf Augenhöhe zu begegnen. FontShop hat (noch) 20 Exemplare von »Reporting« auf Lager, kann schon morgen liefern – versand­kos­ten­frei – … wenn Sie jetzt bestellen. Zur FontShop-Bestellseite …


Der »Christliche Garten« kann wachsen

Vor fast einem Jahr berich­tete ich zum ersten Mal über das Projekt Gärten der Welt im Erholungspark Marzahn: So geht profes­sio­nelles Design …. Der Berliner Designer Alexander Branczyk machte mich darauf aufmerksam, weil einer der Gärten von einer kolos­salen schmie­de­ei­sernen Schriftinstallation beherrscht wird. Vor wenigen Tagen wurde das letzte Teilstück einge­fügt. Nachfolgend einige Aufnahmen die anläss­lich des Richtfests entstanden sind.

Der Erholungspark Marzahn liegt am nörd­li­chen Fuß des Kienbergs und wurde am 9. Mai 1987 anläss­lich der 750-Jahr-Feier von Berlin als »Berliner Gartenschau« und »Geschenk der Gärtner an die Hauptstadt der DDR« (Ost-Berlin) eröffnet. Mit den angren­zenden frei zugäng­li­chen Erholungsflächen des Kienbergs und dem direkt östlich anschlie­ßenden Wuhletal ergibt sich eine Gesamtfläche von über 100 Hektar Grün.

Zwei Jahre nach der Wende wurde die Anlage in Erholungspark Marzahn umbe­nannt. Spiel- und Liegewiesen kamen hinzu, Bäume wurden gepflanzt und Sondergärten einge­richtet. Seit Oktober 2000 ist der Park durch seine Gärten der Welt auch weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. 2005 wurde der Chinesische Garten als dritt­schönste Parkanlage Deutschlands ausge­zeichnet. Inzwischen gehört der junge Erholungspark zu den 365 Orten im Land der Ideen.

Nach dem Chinesische Garten (2000), dem Japanischen und dem Balinesischen (2003), folgte 2005 der mit Unterstützung der Allianz Umweltstiftung errich­tete Islamische Garten. Inzwischen berei­chern noch der Koreanische Garten, ein Irrgarten mit Labyrinth, der Karl-Foerster-Staudengarten und ein Italienischer Renaissancegarten die Gärten der Welt im Erholungspark Marzahn.

Seit 2007 laufen die Vorbereitungen für einen Christlichen Garten, die mit einem Planungs-Wettbewerb begannen. Auch dieses Projekt wird von der Allianz Umweltstiftung geför­dert. Eine hoch­ka­rä­tige Fachjury kürte den Entwurf des Berliner Büros Relais Landschaftsarchitekten zum Gewinner, der im Moment reali­siert wird.

Abgeleitet von der Urform der Christlichen Gärten, dem klös­ter­li­chen Kreuzgang, entsteht in ein »moderner« Klostergarten. Eine quadra­ti­sche Gartenfläche mit einem Wegekreuz aus hellem Kies, Pflanzflächen aus Buchs und weiß blühenden Stauden sowie einem Wasserbecken, als Symbol für das Wasser als Quelle des Lebens.

Hauptattraktion des Christlichen Gartens wird der Wandelgang: Seine Wände bestehen aus gold­la­ckierten Aluminiumflächen, in die Textpassagen aus dem Alten und Neuen Testament einge­ar­beitet sind. Damit wird daran erin­nert, dass das Christentum eine Religion der Bücher und der Schrift ist.

Die typo­gra­fi­sche Gestaltung hat Alexander Branczyk (Abb. oben, mit Mütze und Schallschutz) über­nommen. Die hier einge­streuten Abbildungen haben er und sein Team vor einigen Tagen beim Richtfest aufge­nommen. Branczyk hat es sich natür­lich nicht nehmen lassen, für das Projekt eine wunder­bare exklu­sive Schrift zu entwerfen, deren Aussehen von der Aufgabe und der Herstellungstechnik bestimmt ist.

Die Herstellung der Lettern setzte dem Schriftgestalter einer­seits Grenzen, ande­rer­seits nutzt er die verblei­benden Freiheitsgrade für splee­nige Ausschweifungen. Das Ergebnis zeigt die einzig­ar­tige Qualität von Branczyks Schriftentwürfen, die er sich Anfang der 90er Jahre in Nachtsitzungen für das Technomagazin Frontpage ange­eignet hat: für jede Ausgabe eine neue Headline-Schrift, darunter ging gar nichts. Schnell, zügellos, präzise – aber mit raffi­niert kalku­lierten Störungen … so lässt sich seinen Typostil charakterisieren.

Einfügen des letzten »gußei­sernen« (tatsäch­lich ist es Aluminium) Teilstücks in den Wandelgang des Christlichen Gartens

Fleißige Hände verschrauben schließ­lich das letzte Teilstück mit dem Rest der Metallkonstruktion


Nichtlesen (17): Tonstörung

Offener Brief von Auweier Unhold & Partner an die Redaktionen aller deut­schen TV-Sender

Berlin, den 18. März 2011

Sehr geehrte Damen und Herren in den Redaktionen, werte Medien-Partner,

aus gege­benem Anlass haben wir in der letzten Montagskonferenz bei Auweier Unhold & Partner folgende Sachlage diskutiert:

Sie senden Filme und Bilder der Katastrophe in Japan mit musi­ka­li­scher Untermalung. Das ZDF setzte zum Beispiel im Heute Journal auf Massive Attack als Katastrophen-Soundtrack (siehe Bericht darüber bei spiegel​.de). Andere Sender entschieden sich für span­nungs­stark arran­gierte Klassik-Medleys. Wie wär’s denn bei verwüs­teten Landschaften mit einer Prise gefüh­liger Enya (bewährt seit 9/11)? Und explo­die­rende Industrie-Anlagen oder Atomkraftwerke könnte man doch mit »Hyper, Hyper« von Scooter zu einem kontrast­starken Bild-Ton-Gemetzel aufpusten … Würde uns auch nicht mehr über­ra­schen. Aber kommen wir zur Sache:

Leider müssen wir Ihnen nun mitteilen, dass uns das nicht gefällt. Und zwar gar nicht. Die erschüt­ternden, unfass­baren Bilder und Bewegtbilder von Zerstörung und mensch­li­chem Leid mit musi­ka­li­scher Stimmungmache anzu­rei­chern, halten wir für einen uner­träg­li­chen, jour­na­lis­ti­schen Super-, nein: Mega-, nein: Hyper-GAU.

Insbesondere als Werbeagentur sehen wir uns mora­lisch in der Pflicht, in diesem Fall entschieden einzu­greifen. Wir haben uns zunächst gefragt, wie es eigent­lich zu dieser medialen Tragödie kommen konnte. Wahrscheinlich  folgten Sie nur dem TV-Macher-Reflex, dass Fernsehminuten nicht geräuschlos verstrei­chen dürfen. Wenn Bild und Ton möglich sind, dann sind auch beide nötig. Stille dagegen macht Angst; umso beängs­ti­gender im Angesicht der furcht­baren Bilder aus Japan. Dann lieber schnell mit Mucke weichspülen.

Aber lassen wir die Spekulationen über Ihre Motive. Denn selbst wenn Sie aus nach­voll­zieh­baren Gründen gehan­delt haben sollten, bleibt das Ergebnis nicht weniger inak­zep­tabel – und das wird folgende Konsequezen für Sie haben:

Zwar haben wir als Werbeagentur im Prinzip keinen Einfluss auf Ihr redak­tio­nelles Hoheitsgebiet, aber darauf können wir in Anbetracht der Schwere der Vorfälle leider keine Rücksicht nehmen. Auf gut deutsch gesagt, ist uns das sogar scheißegal.

In Absprache mit unserem Kunden Miezi’s Katzen Content haben wir beschlossen, mit sofor­tiger Wirkung unseren Media-Etat von allen TV-Sendern abzu­ziehen, die sich weiterhin als Katastrophen-DJs hervortun. Sollte Ihnen diese Maßnahme wie Erpressung vorkommen, dann aus gutem Grund: Es ist Erpressung.

Unser Media-Budget von immerhin geschmei­digen 26,5 Mio. Euro für das 2. und 3. Quartal 2011 werden wir wie folgt umver­teilen: Einen kleinen Teil verwenden wir für die Beauftragung von Medien-Wissenschaftlern und Psychologen. Deren Expertise soll aufklären helfen, warum und wie es bei Ihnen in den TV-Redaktionen – wenn Sie mir bitte das Wortspiel verzeihen wollen – zu einer derar­tigen kollek­tiven Hirnschmelze kommen konnte und was dagegen zu unter­nehmen wäre. Den verblei­benden Großteil unseres Etats werden wir in sitt­lich und gesell­schaft­lich akzep­table Werbeumfelder in anderen Medien umleiten.

Lassen Sie es mich ähnlich wie, aber doch anders als unsere Kanzlerin Frau Merkel sagen: Ihre Werbeeinnahmen liegen jetzt ein Stück weit ganz und gar nicht in Gottes Hand.

Hochachtungsvoll, Ihr
Herr Grabowski
Geschäftsführender Gesellschafter
Werbeagentur Auweier Unhold & Partner
_______

P.S.: Liebe Leserinnen und Leser von font​blog​.de, falls Sie sich fragen, wo hier jetzt der Witz sei: Der fällt dieses Mal leider aus. Zwar erscheint die Nichtlesen-Kolumne unter der Rubrik Spaß. Der Spaß ist den Leuten bei Auweier Unhold & Partner aber kurz­fristig vergangen. Wir hoffen auf Ihr Verständnis,

Michael Bukowski

Abbildungen: © Westend61 via ZOOM (1) und © PhotoAlto via ZOOM (2)