Fontblog Artikel im März 2011

Video: Kurt Weidemann auf der TYPO 2008

»Sei einzig­artig, ohne als Einziger artig zu sein« – so der Titel des von Kurt Weidemann auf der TYPO 2008 gehal­tenen Vortrags. Er befasst sich mit der Imagepflege in Zeiten der Gedankenarmut, Ratlosigkeit und Fettsucht und Gefallsucht. Der Mensch als frag­wür­dige »Krone der Schöpfung« in einer Auflage von sechs­ein­halb Milliarden Einzigartigen verbraucht seine Kraft im Überlebenskampf unter Zwängen, Vorgaben und Notwendigkeiten, bevor er zu einer Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung kommt. Sein Image, sein Bemerkens-Wert ist ein Grenzwert. Der gesamte Vortrag im TYPO Berlin Videoblog …


Kurt Weidemann 1922 – 2011

Wie die Stuttgarter Zeitung eben meldet, ist der stil­prä­gende Grafikdesigner Prof. Kurt Weidemann gestern im elsäs­si­schen Sélestat gestorben. Weidemann war mehr­fach Sprecher auf der TYPO Berlin, wo 2008 auch unser Porträt entstand (Foto: Marc Eckardt).

Als Corporate Designer über­ar­bei­tete oder entwarf Weidemann die Erscheinungsbilder vieler bekannter Unternehmen, darunter co op, Zeiss, Merck, Mercedes-Benz, Daimler-Benz, Deutsche Aerospace, Porsche und Deutsche Bahn. Darüber hinaus gestal­tete er Bücher für die Büchergilde Gutenberg sowie die Verlage Ullstein, Propyläen, Ernst Klett und Thieme. Seine bekann­testen Schriften sind die Corporate ASE und die ITC Weidemann. Er wurde 1995 mit dem Lucky Strike Designer Award der Raymond-Loewy-Stiftung ausge­zeichnet, ein Jahr später mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse.

Kurt Weidemann siedelte im Alter von 4 Jahren von Masuren nach Lübeck über, wo er er seine Schul- und Lehrzeit verbrachte. 1940 zog er als Freiwilliger an die Ostfront, wo er im Schützengraben nur knapp dem Tod entging und zum Kriegsende in russi­sche Gefangenschaft geriet. Über diese Jahre hat er spät in seinem Leben Auskunft gegeben, in den 2002 unter dem Titel »Kaum Ich«“ veröf­fent­lichten Feldtagebüchern (Privatdruck).

Eigentlich wollte Weidemann Grafiker werden, »mit einer Eins im Zeichnen.« Aber es zog ihn zunächst nichts an die Hochschule. Also absol­vierte er von 1950 bis 1952 eine Lehre zum Schriftsetzer in Lübeck, studierte aber anschlie­ßend von 1953 bis 1955 vier Semester Buchgrafik und Typografie an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, wo bereits sein Bruder lebte. Ab 1955 war Weidemann dort als frei­be­ruf­li­cher Grafik-Designer, Werbeberater und Texter tätig. Von 1955 bis 1964 war er Schriftleiter der Fachzeitschrift Der Druckspiegel. Anfang der 1960er Jahre baute Weidemann zusammen mit Aaron Burns das International Center for the Typographic Arts (ICTA) in New York City auf und war von 1966 bis 1972 dessen Präsident. Im Jahr 1965 wurde Weidemann als Professor auf den selbst­ge­wählten Lehrstuhl für Information und Grafische Praxis an der Stuttgarter Akademie berufen und lehrte dort 20 Jahre lang.

Anfang der 1980er Jahren betei­ligte er sich an der Gründung der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar und unter­rich­tete dort ab 1983. Von 1970 bis 1972 war er Präsident des Internationalen Dachverbandes der Grafikerverbände (Icograda); ferner leitete er 7 Jahre lang das Stuttgarter Künstlerhaus. Neben seinem Lehrauftrag an der WHU lehrte er ab 1991 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.

Weidemann war ein streit­barer Designer. Er verbrei­tete sein Wissen in vielen Fachbüchern und in unge­zählten Reden. Legendär sind seine 10 Thesen zur Typografie, 1994 veröf­fent­licht in dem Buch »Wo der Buchstabe das Wort führt. Ansichten über Schrift und Typografie.« Sie münden in dem Appell: »Gott schütze uns vor der vaga­bun­die­renden Kreativität der Typomanen.« Mit der großen Vielfalt an Schriften konnte er sich nie anfreunden. Wörtlich sagte er 2010 in einem Gespräch mit dem Schweizer Mediaforum : »Es gibt zehn, fünf­zehn sehr gute Schriften, mit denen man sich anfreunden kann, mindes­tens. Es gibt 30.000 auf dem Markt, davon kann man 29.990 im Stillen Ozean versenken, ohne Kulturschaden anzurichten.«

Weidemann gönnte sich selbst keine Schonung, aber auch allen anderen nicht, die in seinen Augen schlechte Kommunikation prak­ti­zieren oder lehren. Auch seinem Körper gegen­über war er gnadenlos. In einem Interview drückte er das zuletzt so aus: »Mein Körper hat mir zu gehor­chen, und das tut er, weil er nichts zu sagen hat«. Da war er 87. Nun hat sein Körper uner­wartet den Gehorsam verwei­gert. Weidemann starb am gest­rigen Mittwoch, den 30. März, im elsäs­si­schen Sélestat.


Geschenktipp: Logo – das große Spiel der Marken

Werbejunkies aufge­passt: »Was ist das Besondere an TicTac?« steht auf meiner Quizkarte. An was erin­nern wir uns denn da aus der TV-Werbung … ach ja: Business-Frauen verführen Schlipsträger im Aufzug mit den weißen Kügelchen. Ein netter Versuch, aber leider falsch. Die rich­tige Antwort lautet nämlich: »Ein TicTac hat nur 2 Kalorien.« Gleich zur nächsten Frage: »Welcher dieser Schokoriegel enthält keine Erdnüsse?« Ähem … Mars? Und noch eine: »Welcher TV-Moderator ist in der Werbung von Gutfried zu sehen?« Ist das nicht Ottfried Fischer? Falsch! Wie ich auf diese Fragen komme? Es sind nur 3 von 1600 … die volle Ladung bekommt man für rund 20 € mit der Spielbox: Logo – das große Spiel der Marken (Amazon-Link). Eine eigene Website hat das Spiel auch: www​.logo​-das​-spiel​.de

Das Marketing-Spiel aus dem Jumbo-Verlag scheint es schon seit September 2010 zu geben, mir ist es aber erst heute begegnet. 400 Karten bieten 1600 Fragen rund um Logos, Verpackungen, Produkte und Unternehmen, die uns im Alltag ständig und überall begegnen. Das ideale Geschenk für Werber, die schon alles haben … außer Kinder und deshalb nie einen Spielzeugladen betreten!


Ein Klassiker ist wieder da: »ÜberSicht«

Es ist eines der erfolg­reichsten Schriftmusterbücher, und eines der kurio­sesten. Es kam 1991 heraus, 2 Jahre nachdem FontShop gegründet wurde. Herausgeber war eine Gruppe erst­klas­siger Setzereien, die sich Context nannte, und deren Tage gezählt waren: Seit 5 Jahren gab es Desktop Publishing, wer brauchte da noch eine Setzerei? Aber das Buch wurde geliebt und es war mehrere Jahre ein Bestseller bei FontShop. Nun ist es wieder da … und Puristen werden es lieben.

ÜberSicht enthält zwei legen­däre Schriftbibliotheken, nämlich die von Berthold und die von Georg Salden (GST). Und weil Berthold die Schrifthits anderer Hersteller (Linotype, Monotype, ITC, … ) lizen­ziert hatte, findet man eigent­lich alle großen Klassiker in dem Nachschlagewerk – von Akzidenz Grotesk und Avant Garde über Frutiger, Helvetica und Garamond bis hin zu Gill, OCR und Univers.

Das Besondere an ÜberSicht ist seine Systematik, genau genommen sind es vier Systematiken. Auf den ersten Seiten sind alle Schriften und ihre Familienmitglieder nament­lich aufge­führt, alpha­be­tisch sortiert (Register). Im zweiten Teil (Familien) werden die Schriftfamilien mit allen Mitgliedern auf einen Blick in Lesegröße vorge­stellt. Links und rechts davon stehen gleich­ar­tige Familien, das heißt alles ist nach Ähnlichkeit sortiert. Teil drei (Figuren) zeigt die kompletten Figurenverzeichnisse der einzelnen Schriftschnitte; auch hier ergibt sich die Reihenfolge wieder aus formalen Kriterien und den anwach­senden Strichstärken. Der vierte Buchteil (Typen) dient zur Identifikation von Schriften. Hier stehen Einzelbuchstaben neben­ein­ander (entnommen den fetten Schnitten), sortiert nach Ähnlichkeit.

Doppelseite aus Teil 3 »Figuren« von ÜberSicht

Obwohl viele »neuere« Schriften nicht enthalten sind, ist ÜberSicht unver­zichtbar für die Orientierung in der Welt der Schriftklassiker. Die analy­ti­sche Gegenüberstellungen faszi­niert, sensi­bi­li­siert und ist immer noch so nütz­lich wie damals. Ein Buch, das auch nach Jahren hält, was es verspricht. Und dabei ist das 430-seitige Werk mit 19,80 € ein echtes Schnäppchen. FontShop hat 30 Exemplare auf Lager … hier geht es zur Bestellung auf www​.font​blog​.de …


Magazin-Premiere: »bauhaus« ist wieder da

Als im Dezember 1926 das Bauhausgebäude in Dessau eröffnet wurde, erschien zum ersten Mal die Zeitschrift bauhaus. Sie berich­tete (mit Unterbrechungen) vier­tel­jähr­lich über das Dessauer Geschehen und über wich­tige Tendenzen der Moderne. Gezeichnet waren die Artikel mit Namen wie Walter Gropius, László Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Marcel Breuer. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift kam 1931 auf den Markt.

80 Jahre später gibt die Stiftung Bauhaus Dessau eine neue Zeitschrift unter dem alten Namen heraus. Sie wurde bereits auf der Leipziger Buchmesse vorge­stellt, ist seit heute im Handel und wird halb­jähr­lich erscheinen. Das erste Heft ist dem Künstler am Bauhaus gewidmet und enthält Beiträge über Paul Klee als Lehrer, den künst­le­ri­schen Programmierer Kurt Kranz, den Vorkurs von Josef Albers als Vorbild für das heutige para­me­tri­sche Entwerfen und frühe Formen von Künstlerkuratoren. Zu den Autoren des ersten Heftes gehören u. a. Regina Bittner, Torsten Blume, Kai-Uwe Hemken, Christian Hiller, Andreas Kühnlein, Olaf Nicolai, Werner Möller und Philipp Oswalt.

Seine Berlin-Premiere erlebt die Zeitschrift, die im Leipziger Verlag spector books erscheint, morgen um 20.30 Uhr in der Buchhandlung pro qm (Almstadtstraße 48-50). Herausgeber Philipp Oswalt und die Redakteure Ingolf Kern und Andreas Kühnlein werden das Heft vorstellen.


Nokia schickt Spiekermann-Schrift in Rente [Update]

Wie das offi­zi­elle Nokia-Firmenblog am Wochenende verkün­dete, feilt der finni­sche Handy-Hersteller zur Zeit an einem neuen Markenauftritt. Erstes Opfer ist die 2002 einge­führte exklu­sive Hausschrift, entworfen von Erik Spiekermann (zuvor war Rotis im Einsatz). Mehr über die dama­lige Einführung der Schriftfamilie auf noki​a​port​.de.

Die neue Schrift Nokia Pure wurde von Dalton-Maag entwi­ckelt. Bereits am vergan­genen Freitag sorgte die Begründung für die neue Schrift für Diskussionsstoff in den Netzen. Wörtlich heißt es in der Fallstudie Nokia im Detail: »Nokias bestehende Schriftfamilie domi­nierte deren visu­elle Identität durch ihre starke Persönlichkeit. Deshalb war es schwierig die Schrift im Branding breit einzu­setzen, obwohl durch die enge Laufweite eine gute Zeichenzahl pro Linie erreicht werden konnte, und der hohe Kontrast eine Konvertierung zu Pixel in älteren Geräten verein­fachte. Zudem war man auch der Meinung, dass die Schrift altmo­disch wirkt und sie dem Design-Ethos nicht mehr entspricht.«

Der Studie ist weiterhin zu entnehmen, dass die neue Schriftfamilie tradi­tio­nell finni­sches Design reflek­tieren solle: Einfachheit, Klarheit, Funktionalität und Formschönheit … daher auch der Name Pure.

Spiekermanns Kommentare zu dem Schriftwechsel am Freitag auf Twitter: »Nokia’s exis­ting font family was domi­na­ting its visual iden­tity with its strong perso­na­lity«: other brands would kill for type like this!

Die »alte« Nokia-Schrift in einer Print-Anzeige aus dem Jahr 2009

[Update:] Da vielen Fontblog-Lesern die gesamte Nokia-Schriftfamilie von Erik Spiekermann unbe­kannt sein dürfte, habe ich mir noch mal ein PDF-Dokument besorgt, aus dem das Konzept ausführ­lich hervorgeht.

Es handelt sich um eine frühe, 8-seitige Präsentation aus dem Jahr 2001, erstellt mit einer Vorabversion, noch ohne Hinting und mit fehlenden Zeichen. Kommentare des Entwerfers im PDF weisen auf diese Mängel hin.


Anti-Atom ohne Öko

Arik Hohmeyer und Tim De Gruisbourne, beide Kommunikationsdesign-Studenten an der HTW Berlin, schreiben mir: »Seit drei Tagen ist unsere Webseite nukevader​.com online. Anlässlich der brisanten Geschehnisse in Fukushima versu­chen wir hier­über eine Anti-Atom-Kampagne ins Leben zu rufen. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf der visu­ellen Gestaltung. Unser Ziel ist, der kriti­schen Bevölkerung freies Protestmaterial (Sticker, Flyer, Poster, …) zur Verfügung zu stellen, das dem alther­ge­brachten, klischee­haften Bild vom ›alter­na­tiven Öko‹ entgegen wirken soll. Wir wollen der Buntheit des Atomausstiegs durch anderes Design ein Gesicht geben. Unser Dieses Projekt verfolgt keine kommer­zi­ellen Ziele.«


Nichtlesen (18.2.): Data Wars

anz schön was los dieser Tage in der Weltgeschichte, meinen Sie nicht auch? Allerdings. Aber was Ereignisreichtum anbe­trifft, sollte man die Zukunft mal nicht unter­schätzen. Da passiert nämlich auch so einiges. Wir haben einen kleinen Ausflug in die nahe Zukunft unter­nommen und die Ereignisse chro­no­lo­gisch für Sie aufbereitet.

Januar 2012. Anfang des Jahres zählt Facebook welt­weit über 1,3 Milliarden Mitglieder. Im Herbst des Vorjahres war das Unternehmen an die Börse gegangen. Der Wert von Facebook wird jetzt auf $180 Mrd. taxiert. Erst kürz­lich kaufte das Unternehmen Google; und zwar aus der Portokasse.

Facebook ist im Begriff, nicht nur zum Synonym für das Internet zu werden, sondern das Internet selbst zu ersetzen. Kinder wachsen längst im Glauben auf, dass man eine E-Mail-Adresse nur für die einma­lige Registrierung bei Facebook braucht und danach nie wieder, weil eine Kommunikation außer­halb des Facebook-Kosmos zwar möglich, aber sinnlos ist.

Mit der Größe wächst die Macht, aber auch der Unmut der Nutzer. Denn der ameri­ka­ni­sche Gigant bleibt seinem inzwi­schen nicht mehr nur für Europäer befremd­li­chen Umgang mit seinen Mitgliedern treu. Es geht längst nicht mehr ums reine Sammeln und Auswerten von Daten. Im Vordergrund steht immer mehr das Kanalisieren des Nutzerverhaltens. Dafür entwi­ckelt man einen zuneh­mend offen­siven Umgang. Bereits im letzten Herbst 2011 tauchten die ersten Aggro-Popups auf den Profil- und Startseiten auf. Hier ein Beispiel:

»Hey Nutzer, kürz­lich hatten wir Dir vorge­schlagen, Dich mit Nutzerin Y zu befreunden. Warum hast Du nicht reagiert? :-( Ihr passt doch so gut zuein­ander, laut unserer Analyse. Na was soll’s wir drücken noch mal ein Auge zu. Du hast jetzt 3 Minuten Zeit, Dir die Sache noch mal genau zu über­legen. Wenn Du Dich für die Freundschaft entschei­dest, kannst Du dieses Fenster schließen und weiter Facebook nutzen. Wenn nicht, musst Du Dich bitte gedulden. Eine Option zum vorzei­tigen Schließen haben wir eigens entfernt, damit Du auch wirk­lich ausrei­chend Zeit zum Nachdenken hast.«

Der Killer-Tweet. Aber am 18. Januar 2012 ereignet sich dann etwas anschei­nend völlig Belangloses auf Twitter; dem letzten rele­vanten und noch eigen­stän­digen Player im Netz. Ein Nutzer schreibt folgenden, witzig gemeinten Tweet:

Dieser Text scheint zunächst im Twitter-Getümmel unter­zu­gehen, bis sich wenig später seine immense Sprengkraft herum­spricht: Sascha Lobo retweetet diesen Tweet. Wenige Tage später avan­ciert dieser kleine Witz zur bis dahin meist­be­ach­teten Twittermeldung aller Zeiten (12.725 Retweets inkl. Übersetzungen in 14 Sprachen).

Februar 2012 – Widerstand. In Deutschland zählt Facebook rund 55 Mio. Mitglieder. Das Unternehmen stei­gert nicht nur die Zahlen, sondern auch sein dras­ti­sches Verhalten gegen­über den Mitgliedern. Zum Beispiel sehe ich gerade, dass ich am 22. Februar 2012 folgende E-Mail von Facebook erhalten werde: »Na Du kleiner Nutzer, jetzt pass mal gut auf: Du warst seit über drei Stunden nicht mehr auf Deiner Profil-Seite, geschweige denn, dass Du etwas gepostet oder geliket hättest. So läuft das nicht, Sportsfreund. Denk mal darüber nach.«

Zu dieser Zeit regt sich der Widerstand. Die ersten Offline-Mitglieder-Gruppen treffen sich in verschie­denen deut­schen Städten in Real-Life-Locations wie Kellerclubs oder in privaten Wohnzimmern. Man orga­ni­siert die Bewegung und schmiedet ein scharfes Schwert gegen Facebook.

Das Prinzip dieser Waffe ist simpel: Der Erfolg von Facebook basiert auf den gesam­melten Nutzerdaten und der daraus ableit­baren, ziel­ge­rich­teten Werbung. Dieses Erfolgsrezept von Facebook wird sich jetzt als Achillesferse erweisen, auf die der orga­ni­sierte Widerstand zielt.

1. März 2012. In Deutschland findet der erste »Fake-Data-Day« statt. Hunderttausende Facebook-Mitglieder haben sich via Direct-Message-Ketten bei Twitter abge­stimmt, um an diesem Tag geschlossen in die Irre führende Statusmeldungen, falsche Profil-Angaben und fiktive Events bei Facebook einzu­stellen. Beispielsweise melden sich noch am selben Tag 13.417 Teilnehmer für dieses Fake-Event an.

März 2012. Der erste Fake-Data-Day hat Facebook nicht ernst­haft schaden können. Aber das Unternehmen ist hell­hörig geworden. Und der Widerstand wächst. Da das Fälschen der eigenen Daten simpel ist und die ganze Angelegenheit sogar noch Laune macht, wird aus dem einma­ligen Event schnell ein anhal­tender Breitensport. Über Twitter verbreiten sich zum Beispiel Codierungen, die Facebook unbrauch­baren Datensalat bescheren. Wer »gehe Bier trinken« meint, schreibt ab jetzt zum Beispiel »bin in Vernissage« usw.

April 2012 – Es wird ernst. Werbekunden verzeichnen die ersten, von der Daten-Fake-Bewegung erzeugten Einbrüche. Die Werbewirkung der auf Facebook geschal­teten Anzeigen nimmt spürbar ab. Allein der Kunde Tupperware ist gar nicht amüsiert, dass seine letzte Facebook-Kampagne mit beglei­tender Promotion in der Berliner Waldbühne komplett an der Zielgruppe vorbei­ge­se­gelt ist, die gar nicht anwe­send und auch online über­haupt nicht banner­klick­willig war.

Mai 2012 – Eskalation. Leider kann ich Ihnen jetzt nichts genaues mehr sagen, da die Leistungsfähigkeit meiner Kristallkugel (für 3,99 € bei Rudis Reste-Rampe erworben) etwas limi­tiert ist. Was wir ab nun sehen, ist sehr verschwommen. Ich kann mich also täuschen, es scheint sich aber unge­fähr folgendes zu ereignen:

Facebook wird aggressiv. Das Unternehmen räumt mittels einer eher weniger freund­li­chen Übernahme Twitter aus dem Weg, bzw. inha­liert es mal eben im Vorbeiklicken. Damit ist der letzte unab­hän­gige Internet-Player beseitigt.

Der Widerstand kann sich jetzt nur noch im Real-Life orga­ni­sieren. Im eigenen Facebook-Web greift die CIA als eine Art Daten-Geheimpolizei ein, die die neuer­dings in den AGB verzeich­nete Pflicht zur wahr­heits­ge­mäßen Dateneingabe über­wacht. Unwahrheitsgemäße Postings werden mit dras­ti­schen Geldstrafen geahndet. Immer mehr Facebook-Nutzer verzichten ganz darauf und treffen sich lieber abends beim Bier. Hier werden aber bald Facebook-Agenten vorstellig, die die Nutzer zum Posten zwingen, denn laut aktua­li­sierter AGB gelten auch unter­las­sene Postings bald als Zuwiderhandlung gegen die Unternehmens-Regularien … und wenn ich das richtig sehe, eska­liert die ganze Nummer dann vollends:

Der Konflikt weitet sich vom ursprüng­li­chen Mitglieder-Widerstand zur inter­na­tio­nalen Krise zwischen den Großmächten China und USA aus. Facebook ist neben dem Miliär längst das wich­tigste Instrument der Vereinigten Staaten im Rahmen der globalen Politik und das letzte Feld, auf dem die USA noch einen spür­baren Vorsprung verbu­chen können.

Gen Ende des Jahres 2012 knallt’s final: Der 1. Daten-Weltkrieg bricht aus, der im Internet entflammt und sich dann zum verhee­renden realen Flächenbrand ausweitet, den Roland Emmerich gerne verfilmen würde, wenn es noch ausrei­chend Publikum gäbe, das ihm einen Blockbuster bescheren könnte.

Aber wie gesagt, ist meine Kristallkugel ein Billig-Produkt mit unklarer Herkunft. Gut möglich also, dass das gute Stück komplett daneben liegt mit der Vorhersage. (Trotzdem habe ich mir die Film- und Buchrechte an dieser Story vorsorg­lich gesichert.)

Michael Bukowski