Niiu: Die schönsten Fehler
Seit 2 Wochen erhalte ich die erste individualisierte Zeitung Deutschlands, komponierte aus den Seiten anderer Tageszeitungen und aus Internet-Inhalten. Ausführliches über meine ersten Erfahrungen im Beitrag Niiu, meine eigene Tageszeitung, sowie in Was man bei Niiu beachten muss. Besonders tückisch sind jedoch Verarbeitungsfehler in den individuellen Exemplaren, von denen der Verlag möglicherweise nie erfährt, weil digitale Druckmaschinen nicht sprechen und auch die Leser schweigen. Ich habe hier mal 3 vergnügliche Beispiele dokumentiert:
27. 11. 2009: Weiße Seiten, statt doppelseitiger Anzeige
28. 11. 2009: Doppelseite auf die Breite einer Seite skaliert (rechts)
26. 11. 2009: die Beschnitt-Information im PDF der IBB-Anzeige wurden ignoriert (siehe schwarze Marken), so dass überstehender Motivhintergrund 2 Textspalten links und 4 Textspalten oben verdeckt
Grund zur FFreude im Büro
Es gibt zwei typografische Wüsten in der Welt der schriftlichen Kommunikation: das Büro und das Internet (vgl. Die typografischen Milieus 2010). Aus aktuellem Anlass möchte ich mich heute der ersten widmen. Schriften fürs Office sind eigentlich ein spannendes Gebiet. Gerade dort lauert eine Art Herausforderungen, die Typedesigner seit Jahrzehnten stimulieren, nämlich technische Restriktionen. Das können Eigenarten einer Aufgabe sein, zum Beispiel der beengte Raum in Tabellen (unsere Lösung: Axel), oder fremdsprachliche Herausforderungen (unsere Lösung: Europaschriften), oder die tägliche Praxis der Bürokorrespondenz. Darum geht es heute.
Was für die Nutzer von MS-Office-Programmen beim Einsatz von Schriften Alltag ist, juckt die Anwender von InDesign, XPress, Illustrator oder Photoshop nur wenig:
• Schriftstilwechsel per Tastaturkürzel … existiert dort nicht
• Tabellenziffern … typografisch unkorrekt
• diakritische Zeichen … »Bin ich Dolmetscher?«
• Lesbarkeit kleiner Texte … »Ich arbeite auf 400 %.«
Die Folge dieser über lange Jahre von Schriftenhäusern und Corporate Designern gepflegten Ignoranz sind Rechnungen, die wie 70er-Jahre-EDV aussehen, 0815-Anschreiben aus Times und Arial bis hin zu lieblos generierten Handbüchern mit schwer lesbaren Texten. An dieser Stelle sei noch mal Yello Strom lobend erwähnt, deren Rechnung (gestaltet aus einer von FontShop vor 6 Jahren modifizierten FF DIN) ich vor über 3 Jahren in den Himmel lobte, und die noch heute in dieser Form versendt wird. Was Yello da vormacht, ist eine absolute Ausnahme auf diesem Gebiet.
FSI FontShop International geht nun mit seinen FontFonts einen radikalen Weg: die für das Textverarbeiten im Büro untauglichen Fonts im PostScript-Typ-1- und TrueType-Format wurden heute vom Markt genommen und durch neue Office-Versionen ersetzt (Abkürzung: Offc). Designer arbeiten (weiterhin) mit den OpenType-Versionen dieser Schriften. Mit dem neuen FontFont-Release 50 kommen 271 Offc-Pakete auf den Markt, die frühere Versionen der Familien FF Celeste, FF Celeste Sans, FF Celeste Small Text, FF Cocon, FF Dagny, FF Dax, FF Dax Compact, FF DIN, FF Duper, FF Folk, FF Market, FF Meta, FF Meta Serif, FF Netto, FF Prater, FF Providence, FF Providence Sans, FF Speak, FF Tisa und FF Trixie ablösen; in absoluten Zahlen ersetzen 600 neue Font-Produkte 4300 auslaufende Font-Produkte. Die neuen Schriftentwürfe FF Mach, FF DIN Condensed Italic, FF Masala und FF Masala Script kommen gar nicht mehr in den auslaufenden Formaten heraus, sondern gleich als Offc.
Zurück zur (damals maßgeschneiderten) FF DIN von Yello Strom. Die neue FF DIN Offc (4 Schnitte, 129 € für max. 5 Arbeitsplätze) erfüllt genau jene Ansprüche, die der gelbe Stromanbieter in der damaligen Version vermisste: Stilverlinkung, Tabellenziffern, TrueType-Technik inkl. guter Bildschirm-Darstellung.
Die heute erschienene FF DIN Offc Bold, live vom FontShop-Server gerendert, stilverlinkt und mit Tabellenziffern
Für Interessierte, die sich ganz tief in das Thema einarbeiten möchten, lege ich die aktuelle (interne) Übersicht des FontFont-50-Release als PDF zum Download bereit (Abbildung oben links). Doch Achtung, das sind 34 Seiten, bzw. 5 MB: FontFont 50 downloaden …
(Foto: Edward McCulloch, ƒStop image 742.009, CD Office Romance)
Grafische Bewerbung
Sean McNally ist 22 Jahre alt, Grafiker und Animator, lebt in Brisbane und sucht einen Job. Er möchte bei einer Spielfirma landen. Also hat er sich einen Bewerbung gebaut, die einem Character Sheet aus dem Rollenspiel Dungeons and Dragons ähnlich sieht. Wired (Quelle) lobt den Jungen dafür, denn »Rollenspiel-Regeln definieren die Realität treffender als das Leben selbst«. Und sie haben auch bemerkt, dass er seine Statistik kräftig schön rechnet.
Workshop »Tailored typeface design«
Das Schlesische Schloss für Kunst und Wirtschaft im polnischen Cieszyn veranstaltet vom 8. – 12. Februar 2010, in Zusammenarbeit mit TypeTogether, den Schriftentwurf-Workshop »Tailored typeface design«. Cieszyn (dt. Teschen) liegt im Westen des schlesischen Vorgebirges, eines Teiles der zu den Karpaten gehörenden Beskiden, und ist Grenzstadt zu Tschechien. Die Tutoren sind Veronika Burian, Entwerferin unter anderem der FF Maiola, und José Scaglione, bekannt geworden durch Bree und Ronnie.
Der Workshop (5 x 7 Stunden) wendet sich an Fortgeschrittene und widmet sich dem Aufbereiten von Schriften für Corporate Designs, dem Entwickeln eines Alphabets aus einer Wortmarke, dem Anpassen von Buchstabenformen für spezielle Ausgabetechniken und anderen praxisorientierten Herausforderungen. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt, Studenten und Profis können mitmachen. Workshop-PDF downloaden, Flyer downloaden, Anmeldung downloaden …
Was man bei Niiu beachten muss
Vor einer Woche stellte ich hier im Fontblog Niiu vor, die erste individualisierte Tageszeitung. Nun lese ich sie seit fast zwei Wochen und habe neue Erkenntnisse. Einige betreffen die Leser von Niiu, andere die Macher von Niiu. Ich sortiere und fasse kurz zusammen:
Die Leser einer individualisierten Tageszeitung müssen lernen, dass …
• die Ausgabe eines Nachbarn für sie wertlos ist
• der Satz »Hast Du gelesen …« ins Leere führt, wenn der Gegenüber seine eigene Niiu liest
• die Abbildung einer Zeitungsseite bei weitem kein Äquivalent zum Originaldruck ist
• Solo-Titelseiten frustrieren, weil sie nur Anmacher und unvollständige Beiträge enthalten
• die Lokales/Wirtschaft/Feuilleton mit einer rechten Seite beginnen
• der Seite 2/3 eine ungerade Seitenzahl vorausgehen muss
• 3 vertauschte Sport-Seiten aus BILD trotzdem harmonieren
• verkleinerte Zeitungsseiten langfristig Haltungsprobleme verursachen
Die Macher von Niiu müssen lernen, dass …
• ein »Bild des Tages« wortwörtlich zu nehmen ist
• Internet-Links in gedruckten Texten unsinnig sind
• Bandwurm-Links im Internet und gedruckt noch unsinniger sind
• feedburner.com eine technische aber keine journalistische »Quelle« ist
• die 1. Seite – wenn sie auch nicht verkaufen muss – die Visitenkarte der Zeitung ist
• wenn selbst grauer Text durch schlägt, das Papier zu weiß ist
Es bleibt spannend, allein die Verbesserungsfrequenz bei Niiu scheint um ein Vielfaches niedriger als die ihres Erscheinens.
Periodensystem der Fontelemente [Update]
Während meiner Recherchen zu den typografischen Milieus und den Fontformaten der Zukunft stieß ich auf jede Menge technischer Termini, darunter überwiegend Abkürzungen. Eine Erläuterungsseite meines belgischen Kollegen Yves Peters – The Abbreviated Typographer – brachte mich auf eine Idee: Ist es vielleicht möglich, die Abkürzungen aus der Font-Welt zu gruppieren, zu sortieren und anschaulich auf einer Schautafel darzustellen? Als Blaupause schwebte mir das Periodensystem der chemischen Elemente vor Augen.
Noch im Hotelzimmer in Mainz letzte Woche begann ich zu sortieren. Da gibt es zum einen die bekannten Font-Dateiendungen wie .ttf, .pfb oder .otf. Dann natürlich die Bibliothekskürzel (ITC, FF, FB oder LT) und die Font-Paketzusätze wie Pro, Cyr, CE oder Com. Nicht zu vergessen die Kürzel für besondere Font-Güten (XSF, ESQ) und Ausstattungen (TF, LF, OSF, …). Schließlich bringen die OpenType-Fonts jede Menge typografische Features mit, bei denen man auch gerne mal den Überblick verliert.
Nach dem Sortieren und Gruppieren zeichnet ich das erste Element, dann das zweite, das dritte … vergab Farben und recherchierte fehlende Informationen. So baute ich nach und nach mein Periodensystem der Fontelemente [Update, v. 1.1,PDF, 200 K]. Ob es funktioniert, wird sich nach den ersten Downloads und Tests zeigen. Wenn ja, werden bald v. 1.1 und v 1.2 folgen, denn sicherlich findet ihr nicht nur Fehler, sondern teilt mir auch Ergänzungswünsche mit.
English version: Periodic Table of the Font Elements [Update, v. 1.1, PDF, 200 K]; see also on flickr
Petition gegen Halle-Saale-Logo
Im Sommer schrieb ich über die Panne beim Halle-Saale-Logo. Das geplante hallesaale*-Logo (Abbildung oben) sieht dem einer lokalen Internet-Plattform (HalleForum.de) zum Verwechseln ähnlich, zudem stößt es bei der Bevölkerung aus ästhetischen Gründen auf wenig Gegenliebe. Dies drückt sich nicht zuletzt durch eine E-Mail-Petition aus, die heute an Künstler und Hallenser versendet wurde.
Darin heißt es: »Auch Deine Stimme ist nötig, um nicht in Zukunft zunehmend auf etwas Identitätsstiftendes wie das Hallesche Wahrzeichen mit Sternen und Halbmond (Abbildung links) verzichten zu müssen zugunsten eines grafisch und orthografisch unsinnigen Logos. Und genau dafür sollen am Mittwoch, 25. November 2009, im Stadtrat die Weichen gestellt werden!«
Es bleibt nur wenig Zeit. Wer die Petition unterstützen möchte, muss sie bis morgen, 10 Uhr unterschrieben mailen oder faxen. Kontakt zum Anfordern des Petition-PDFs: steffen.wendt@gmx.de
AOL Brand Identity Sneak Preview
Und hier in HD-Qualität. Bleibt nur zu hoffen, dass es auch in Drucksachen funktioniert. Aber die werden ja sowieso immer unwichtiger. (via: http://twitter.com/visuphil)