Fontblog Artikel im März 2009

Typography made in Mumbai

Das Cover der April-Ausgabe der briti­schen Fachzeitschrift Creativ Review ziert ein Original Indisches Taxi, dass sich die Blattmacher eigens vom Designteam Grandmother in Mumbai beschriften ließen. Mit welchen Techniken, Folien und Farben die Kreativen das Auto verzierten, schil­dert CD in Wort und Bild im haus­ei­genen Blog: The CR Taxi. (Foto: CR, Aashim Tyagi)


Infografiken aus gefaltetem Papier

Dear Gretchen 2 spreads

Die 22 Jahre alte Designerin Gretchen Nash aus Los Angeles hat einen Koffer voller Briefe ausge­wertet, der sich seit ihrer Kindheit gefüllt hatte. Aus den Daten schuf sie ein wunder­schönes, 530 Seiten starkes Buch mit dem Titel Dear Gretchen. Das Buch reichte sie zum Adobe Design Achievement Award ein, wo es dem Juror und TYPO-2005-Sprecher Armin Vit auffiel. »Ich lasse mich nicht so schnell von privaten Studentenprojekten begeis­tern, aber die Infografiken aus gefal­tetem Papier sind einfach die Härte.« (via Speak up)

Dear Gretchen spread



Bei »Brüssel« stellte ich die Ohren auf Durchzug

Das Team der KircherBurkhardt Infografik präsen­tiert heute »voller Stolz seine neueste Publikation ›Brüssel unter der Lupe‹ – eine inter­ak­tive Besichtigungstour quer durch Europas poli­ti­sche Hauptstadt. Politische Prozesse und Institutionen als bewegte Comic-Bilder – von dieser Seite hat man Brüssel noch nicht gesehen.«

Ich war schon mal in Brüssel, vor 20 Jahren, aber nur um eine Schneekugel mit dem Atomium drin für meine Sammlung zu kaufen. Die Stadt inter­es­siert mich Null. Dabei ist sie fast täglich in den Nachrichten. Vielleicht ist das gerade der Grund für meine Ignoranz. Denn was hört unser­eins denn so aus Brüssel: euro­päi­sche Politiker auf Tauchkurs, blöd­sin­nige Gesetze zu Glühbirnen und Pommes-Frites-Durchmesser, unmensch­liche Bürobauten, eine gesichts­lose Verwaltungsstadt. Das sind meine erbärm­li­chen Vorurteile, deren Ursachen ich nur zu einem kleinen Teil bei mir selbst suche.

Die Bertelsmann-Stiftung scheint das Problem von Brüssel zu kennen. Auf faz​.net hat sie die oben erwähnte Flash-Infografik Brüssel unter der Lupe einge­richtet. Wäre das inter­ak­tive Werk nicht aus dem Hause KircherBurkhardt, hätte ich die Seite gar nicht erst besucht – es sei denn, London, New York oder Paris wäre ihr Gegenstand gewesen. Aber Brüssel …Die Arbeit von KircherBurkhardt dagegen schätze ich sehr.

Ich hab’s dann doch getan, ich habe Brüssel unter die Lupe genommen. Und es war gut. Auch wenn ich die euro­päi­sche Hauptstadt nicht gleich zum Ziel unseres nächsten Familineurlaubs erkoren habe, sie ist mir ein Stück näher gerückt. Die Grafiken sind verspielt, aber nicht kindisch. Die Animationen sind elegant, ohne Selbstzwecke. Die Texte hervor­ra­gend geschrieben und komfor­tabel als PDF zu laden. Es braucht mehr solcher Initiativen. Gut, dass die Politik langsam erkennt, wer ihre »Kunden« sind und dass man sie umwerben muss.


Gerhard Richter, Pet Shop Boys, Farrow

Eben liefert mir die Creative Review die Essenz aus den letzten beiden Fontblog-Beiträgen: Gutes Design verkauft und ist gleich­zeitig umwelt­schäd­lich. Das beweist die limi­tierte Vinyl-Edition des aktu­ellen Pet-Shop-Boys-Album »Yes«: Jeder der 11 Songs wird auf einer sepa­raten schwarzen Scheibe gelie­fert; aus den 11 Hüllen kann man das Covermotiv legen, ein gepi­xeltes Yes-Häkchen im Stil von Gerhard Richters 4900 Colours. Verantwortlich für das PSB-Artwork ist wieder Farrow.

Ich habe mir das Album vor einer Woche auf die ökolo­gischste und gleich­zeitig preis­wer­teste Art zuge­legt: bei Saturn, im Download (MP3, 320 kbits/s) für 4,99 €. Leider 100 % design­frei. Das Album-Angebot wurde inzwi­schen gesperrt (nur noch Einzeltitel für 0,99 €).


Bundesregierung und BDG: Design stärkt den Mittelstand

Im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung hat die iDD Initiative Deutscher Designverbände gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 24. März 2009 die Veranstaltung »Design stärkt den Mittelstand« durch­ge­führt. Vor 200 Teilnehmern zeigten vier Unternehmer verschie­dener Wirtschaftsbereiche anhand von Beispielen, wie Design als ganz­heit­li­cher Teil der Strategie ihre Unternehmensentwicklung voran­treibt. Der BDG zieht in einer Pressemitteilung das folgende Resümee:

»Dagmar G. Wöhrl, MdB und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, betonte in Ihrer Eröffnungsrede: ›Design kann eine wert­volle Investition in die Zukunft sein. Es kann die Wertschöpfung kleiner und mitt­lerer Unternehmen erheb­lich stei­gern.‹ (siehe auch Pressemitteilung des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie)

Podiumsdiskussion mit den Referenten v. l. n. r.: Thomas Trenkamp (Carpet Concept), Tim Wichmann (Dominic Schindler Creations), Reinhold Seitz (Gildemeister ), Erik Spiekermann (edenspie­ker­mann), Götz Esslinger (Stefanie Hering), Cornelia Horsch (IDZ Berlin), Bernd-Wolfgang Wissmann (BMWI), Susanne Lengyel  (Sprecherin iDD, Präsidentin VDID)

Henning Krause unter­strich für die iDD als Präsident des Bundes Deutscher Grafik-Designer und Vizepräsident des Deutschen Designertages in seiner Keynote, dass Design als stra­te­gisch-gestal­te­ri­sches Instrument für Unternehmen erheb­liche Potentiale im Wettbewerb eröffnet.

Gleich der erste Redner, Andreas Dornbracht, Geschäftsführer der Aloys F. Dornbracht GmbH & Co KG, stellte klar, dass Designorientierung eine Managementaufgabe sei und lang­fris­tige Orientierung brauche. Am Beispiel seines Unternehmens konnte er anhand der histo­ri­schen Entwicklung klar die Wirkung von Design als Erfolgsfaktor herausarbeiten.

Auch Thomas Trenkamp, geschäfts­füh­render Gesellschafter der Carpet Concept GmbH, zeigte im Anschluss, wie er mit konse­quenter Designorientierung sein 1993 gegrün­detes Unternehmen zu einem enormen Erfolg geführt hat – über 60 Designpreise spre­chen eine deut­liche Sprache.

Im Anschluss stellten Götz Esslinger, Geschäftsführer von Hering Berlin und Erik Spiekermann von edenspie­ker­mann dar, wie Produkt- und Kommunikationsdesign Hand in Hand bei der schlüs­sigen Positionierung der hoch­wer­tigen Porzellankollektion von Hering Berlin wirken.

Reinhold Seitz von der Gildemeister AG erläu­terte abschlie­ßend, gemeinsam mit Produktdesigner Tim Wichmann, wie Engineering und Design die Gestaltung von Investitionsgütern gleich­be­rech­tigt voran­treiben. Die vorge­stellte neue Produktreihe spanender Werkzeugmaschinen besticht durch sehr hohe Wertstabilität und eine Fülle funk­tio­neller Problemlösungen.

In Ihrer Schlussnote wies Cornelia Horsch vom IDZ Internationales Design Zentrum Berlin auf die Bedeutung des Designmanagements hin und griff die von Henning Krause in seiner Keynote aufge­stellte Forderung nach einer deut­schen Studie zu Designeffizienz auf.

Die Veranstaltung wurde allge­mein als großer Erfolg gewertet. Im anschlie­ßenden Get-toge­ther wurden neue Kontakte geknüpft. Vertreter der deut­schen Industrie zeigten Interesse an einer weiteren Verstetigung des Designdialoges.«


Kann es eine »grüne« Schrift geben?

Hendrik H. hat sich heute mit folgender Frage an FontShop gewendet: »Gibt es Schriften, die unter ›grünen‹ Gesichtspunkten gestaltet worden sind? Meine bishe­rige Recherche hat bloß den schon von Ihnen bespro­chenen ecofont und die EverGreen zum Ergebnis gehabt. Beiden glänzen jedoch eher durch Augenwischerei denn durch einen tatsäch­li­chen ökolo­gi­schen Nutzen. Die übli­chen Ansätze – geringe Laufweite, Hairline, seri­fenlos – sind ja eher gene­reller Natur. Ich denke da mehr an so etwas wie ›glei­cher Schwarzwert trotz gerin­gerem Farbauftrag‹ oder ähnli­chem. Sollten Sie auf meine Frage eine Antwort haben oder sie sogar im Fontblog veröf­fent­li­chen, würde ich mich sehr darüber freuen.«


Frank-Walter Steinmeier tappt in Crowdsourcing-Falle

Dass ich rein gar nichts von Crowdsourcing halte, ist weit­ge­hend bekannt (siehe auch: Die Utopie Design-Crowdsourcing ist tot). Viele Versuche endeten im Mittelmaß, andere schei­terten komplett, zum Beispiel das Redesign des Spreeblick-Logos und der Selbstversuch von shop​be​treiber​.de (Fontblog berich­tete hier und hier).

Leider hat sich diese Erkenntnis nicht bis zur SPD bzw. ihrer Online-Agentur A&B Face2Net herum­ge­spro­chen. Diese suchte nämlich seit Februar über die Crowdsourcing-Plattform Jovoto ein Logo für den anste­henden Bundestags-Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier: »2009 ist Superwahljahr in Deutschland. Die SPD startet einen Contest für ihren Kanzlerkandidaten. Für Frank-Walter Steinmeier. Die Aufgabe ist es, ein Signet für den SPD-Kanzlerkandidaten zu entwerfen.«

Am 24. März meldete Jovoto Vollzug: Die Community hat entschieden, der Frank-Walter-Steinmeier-Contest ist beendet. Knapp 350 Beiträge in über 1100 Versionen wurden von der Jovoto-Community einge­reicht. Über mehrere Wochen wurden die Beitrage von den Mitgliedern mit 2432 Kommentaren disku­tiert und schließ­lich mit 10.000 Bewertungen die Gewinner des Wettbewerbes gewählt. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen entschied sich die Community für das oben abge­bil­dete »Auf. Stufe für Stufe.« vom Jovoto-Mitglied Berkeley. Weitere Crowdsourcing-Ergüsse auf der dieser Seite der Remscheider Jusos.

Wenn es um Qualität geht, ist Masse das Gegenteil von Klasse. Ich prophe­zeie, dass Steinmeier das Runen-Logo garan­tiert nicht verwenden wird. Kommentare im Jovoto-Blog und beim Designtagebuch spre­chen eine deut­liche Sprache. Fazit: 5000 € Preisgeld in den Sand gesetzt, aber wenigs­tens 350 Menschen beschäftigt.