Fontblog Artikel im März 2007

Kompliment, Horizont​.net …

Vor kurzem habe ich hier geläs­tert: »Die Horizont-Webseite … ist wie ein redak­tio­neller Rotlicht-Bezirk aufge­baut, mit dem Straßenstrich in der Seitenleiste… ›Weitere Highlight‹ werden im unteren Dritten der Homepage als Peepshow insze­niert, mit grauer Gardine davor. Ja die bringen es sogar fertig, das Abonnieren nur für Abonnenten zu erlauben, denn auf die Bestellseiten für das kosten­pflich­tige E-paper, die SMS-News und das Archiv kommt man nur … als Horizont-Abonnent – ein geschäfts­schä­di­gender Zirkelschluss.«

Eben lese ich bei off the record, ehrlich und unver­blümt: »Horizont​.net ist wieder full free. Warum? Wie andere Webangebote hat sich auch Horizont​.net seiner­zeit von Paid Content viel erhofft. Zuviel, wie wir – aber auch viele andere inzwi­schen fest­stellen konnten.« Meine Gratulation für diese kluge Entscheidung.


Deutsche Schrift könnte einfacher werden (3)

[Letzter und dritter Teil meiner einlei­tenden Gedanken für eine Schrift-Innovation, die FontShop bereits morgen bekannt und zum Download frei­geben geben wird.]

Die Idee für ein neuar­tiges Schreib- und Typografie-Tool entstand bei den Treffen des Arbeitskreises, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Institut für Deutsche Sprache vor 13 Monaten ins Leben gerufen wurde (mehr dazu in Teil 1 und in Teil 2 dieses Reports). Es geht um zwei Dinge:

1) eine Ergänzung zur Rechtschreibreform, damit diese schneller der gespro­chenen Sprache folgen kann (z. B. Szene- und Migranten-Deutsch) und geschrie­bene Sonderformen nicht ausge­grenzt werden (z. B. Chat-Jargon, Marketing-Deutsch, …)
2) eine typo­gra­fi­sche Innovation, basie­rend auf Font-Technik

Punkt 1 über­lassen wir Bundesbildungsministerin Annette Schavan (Ihr Motto: »Ideen zünden!«), die auf der ange­kün­digten Pressekonferenz am Montag die Ergebnisse des Arbeitskreises erst­mals vorstellen wird (Presseseite des Ministeriums). So viel vorweg: Der Staat möchte sich verstärkt der Pflege der deut­schen Sprache annehmen, ähnlich wie es in Frankreich der Fall ist. Ein erneutes Desaster wie bei der Einführung der neuen Rechtschreibung soll es bei zukünf­tigen Reformen nicht mehr geben. Nach Auffassung der Experten konnte dies nur passieren, weil sich seit dem 2. Weltkrieg keine amtliche Aufsichtsbehörde um die Pflege der Sprache geküm­mert hatte. Dieses Vakuum rief nach Ankündigung einer Reform Heerscharen von »selbst­er­nannten Experten und Interessenvertreter« (O-Ton BMBF) auf den Plan, die jeden Reformansatz zerre­deten, bis am Ende ein »lauwarm gequirlter Kompromiss« (ebd.) heraus kam, mit dem wir heute in Schulen, Verlagen und Behörden leben müssen.

Punkt 2 ist der für uns Schriftenfreunde wirk­lich span­nende Teil. Es geht – verein­facht gespro­chen (Details kommen morgen oder heute Nacht) – um einen »intel­li­genten« Font im OpenType-Format, der mit der geschrie­benen Sprache inter­agiert … zum Beispiel auf Tippfehler. Ich möchte noch nicht behaupten, dass es die »Schrift mit einge­bauter Rechtschreibkorrektur« ist, dafür stehen wir noch zu weit am Anfang: Aber ein sich selbst korri­gie­render Font ist machbar. Unser Test-Font wird einen Eindruck dieser Funktionalität über­zeu­gend vermitteln.

Vielleicht erin­nert sich noch jemand an die Random-Schrift Beowolf aus dem Jahr 1990? Erik van Blokland und Just van Rossum haben damals eine Zufallsfunktion der Druckersprache PostScript genutzt, um die Buchstabenformen einer Schrift mit jedem Druck zu verän­dern. Man nannte sie auch die »lebende Schrift«. Mit ähnli­chem Forscherdrang ist es Andreas »Eigi« Eigendorf bei FSI FontShop International gelungen, »versteckte« Funktionen von OpenType zu entde­cken bzw. bekannte Funktionen (zum Beispiel der kontext­sen­si­tive Zeichenaustausch) zweck­zu­ent­fremden (Au weiha, schreibt man das so? Na ja, ab morgen korri­giert sich das auto­ma­tisch). Insider kennen Eigi als Entwickler des Font-Produktions-Tools FontQA.

Eigi dachte sich: Wenn ein OT-Zeichensatz 64.000 Buchstaben enthalten kann, die latei­ni­sche Schrift aber nur einen Bruchteil dieser »Schubladen« benö­tigt (rund 300) … da müssten sich doch ein Dutzend Zeichensatzregeln, ein Wörterbuch und ein paar Grammatik-Algorithmen unter­bringen lassen. Auf einer Linguistikkonferenz traf er am Stand des Duden-Verlags einen Mitarbeiter des Institut für Deutsche Sprache, Abteilung Pragmatik, der an einer ähnli­chen Idee arbei­tete. Mit vereintem Know-how entstand in den letzten Wochen ein Test-Font, der die Sprachtechnologie von Duden mit der Font-Technologie von FontShop International vereint … freut Euch auf die Beta-Version dieser OpenType-Schrift (deren Zeichen von Erik Spiekermann entworfen wurden).


Eilmeldung: Linotype FontExplorer für PC ist da

Wenigstens in einer Beta-Version für Windows XP. Mehr dazu auf der Download-Seite bei Linotype …


Deutsche Schrift könnte einfacher werden (2)

Von links: Plakat des Broadway-Musicals Brooklyn, Cover des US-Bestsellers »Faster« von James Gleick, das Motorola-Handy »Motorazr«, Reebok-Logo

Den größten Einfluss auf die aktu­elle Sprache hat die Beschleunigung der Information. TYPO-2003-Besucher erin­nern sich viel­leicht noch an den Auftritt des Zeitforschers Karheinz Geißler, Autor der Bestseller »Wart’ mal schnell« und »Alles Espresso. Kleine Helden der Alltagsbeschleunigung«. Er stellte damals klar: »Die Zeit bleibt immer gleich, unsere treue Begleiterin bis zum Tode. Was sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte geän­dert hat, ist ihre Reglementierung.« Mit netten Anekdoten und Bildern wies er nach, wie wichtig die Erfindung der Uhr für die Industrialisierung war, und warum wir sie heute kaum noch nutzen. »Unpünktlichkeit ist unser zweit­größtes Problem und komme gleich hinter ›keine Zeit haben‹. Wir haben ständig ein schlechtes Gewissen, weil wir trotz der vielen Uhren überall und immer zu spät kommen. Deshalb stellt das Handy die Bedeutung der Uhr in den Schatten, weil wir damit jetzt unsere pünkt­liche Verspätung ankün­digen können.« (Geißler auf der TYPO 2003)

Jeder weiß: ein kurzer Anruf geht schneller, als eine SMS (Short Message Service) verfassen und versenden. Trotzdem bevor­zugen viele das Simsen, weil ihnen ein Gespräch zu persön­lich, zu laut, zu wichtig ist … weil sie unsi­cher sind und den Kommunikationspartner auf Distanz halten wollen. Die zeit­li­chen Mehraufwand fürs Schreiben versu­chen die Simser durch eine Versimplifizierung der geschrie­benen Sprache aufzu­fangen: Wnt2go (I want to go), cul (See you later) oder HiWrIsYrCar? (Hi, where is your car?); man achte beim letzten Beispiel auf die plötz­liche Bedeutung der Versalien im Englischen. Die Technik nimmt also nicht nur Einfluss auf die soziale Interaktion, sondern auch auf die geschrie­bene Sprache.

Interessanterweise ist die abkür­zende Schreibweise in den englisch­spra­chigen Ländern viel weiter entwi­ckelt als hier­zu­lande, was sicher mehr mit der Sprache als mit Bequemlichkeit zu tun hat. Trotzdem findet man im Migrantendeutsch vergleichs­weise ökono­mi­sche Ansätze: weisstu (Weißt Du?), hastu problem (Hast Du ein Problem?), siehssu dem tuss? (Siehst du die junge Frau dort?).

Es gibt auch tech­ni­sche Versuche, SMS-Nachrichten zu verkürzen. Unter dem Motto »Aus drei mach eins« stellen Wissenschaftler der däni­schen Aalborg Universität und der TU Berlin jüngst ein Programm zur Komprimierung von Kurznachrichten namens smsZipper vor. Die Java-Anwendung verspricht, kurze Texte auf bis zu ein Drittel ihrer ursprüng­li­chen Länge zu kompri­mieren, so dass man anstelle von 3 Standard-SMS mit maximal 480 Zeichen ledig­lich 1 SMS über­tragen und bezahlen muss. Nachteil der Lösung: die Anwendung muss auf Sender- und Empfänger-Handy instal­liert sein. Die von mit gestern ange­kün­digte, Font-basierte Lösung von FontShop wird keine derar­tige Beschränkung mit sich bringen … einzige Voraussetzung ist ein gesunde Menschenverstand beim Empfänger.

Doch nicht nur Jugend und Technik formen die Sprache, auch Werbung und Marketing. In den letzten Monaten haben sie ihre Vorliebe für vokal­freie Markennamen entdeckt. Von Motorolas SLVR über Levi’s DLX-Jeans bis hin zur Broadway-Shows Brklyn … wir haben es eilig, wofür brau­chen wir Vokale. Das meint auch James Gleick, Autor des Buches »Faster: The Acceleration of Just About Everything«, doch er kennt noch eine andere Ursache: »Neben dem cool-Factor gibt es einen ganz prak­ti­schen Grund für das Entfernen von Buchstaben: Es wird immer schwie­riger Markennamen zu finden, die noch nicht besetzt sind, entweder im Internet oder im rich­tigen leben.« Gleiches gilt für Domain-Namen: flickr​.com, zooomr​.com, rbloc​.com, …

Während man hier im Land mit den Methoden der 90er Jahre nach blumigen Markennamen sucht (jüngstes Beispiel Arcandor), gehen die Amis den Less-is-more-Weg. Und der Arbeitskreis mit FontShop gestalten mit … bald mehr (auch am Wochenende).

Zu Folge (1) dieses Beitrags …


Monotype wird weltweites BSA-Mitglied

Wie ich eben einer Pressemitteilung von Monotype Imaging entnehme, ist das US-Schriftenhaus Mitte März 2007 Mitglied der Software-Schutz-Organisation BSA (Busines Software Alliance) geworden. Bislang war Adobe das einzige BSA-Mitglied, das auch den Schutz von Schriften-Software rekla­mierte. Mit dem Beitritt von Monotype, die unter anderem die weit verbrei­teten Bibliotheken von Linotype, ITC, Letraset, Agfa und ihre eigene vertreten, bekommen die Fonts im Rahmen des welt­weiten Kampfes gegen Raubkopien in Unternehmen einen völlig neuen Stellenwert.

»Jeden Tag ermög­li­chen welt­weit Millionen Fonts die geschrieben Kommunikation: auf Computern, in Handys und in Druckereien.« wird Monotypes Vizepräsident David DeWitt in der Pressemitteilung zitiert. »Wir erbli­cken Schriften, wo immer wir auch hinschauen, nur werden sie in der EDV-Verwaltung vieler Unternehmen häufig nicht als Software wahr­ge­nommen, die offi­ziell lizen­ziert und sauber verwaltet sein will.«

Aus eigener Erfahrung kann ich bestä­tigen, dass manche Verlage und Designbüros gefähr­lich nach­lässig mit ihren Font-Installationen umgehen. Seit Oktober letzten Jahres hat FontShop die etablierte Font-Inventur-Software FontWise im Programm, entwi­ckelt vom genau dem Unternehmen Monotype Imaging, das jetzt BSA-Vollmitglied geworden ist. Mit ihr lässt sich relativ komfor­tabel – inner­halb eines Netzwerkes – ein gemischter Font-Bestand analy­sieren, was nicht trivial ist, denn Fonts werden aus allen Ecken auf die Clients instal­liert: OS, MS-Office, grafi­sche Applikationen, Mitarbeiter, … Fontwise löst ein kniff­liges Problem, das – nach unseren Erfahrungen in der Beratung – viele Unternehmen nicht als solches sehen.

Monotype schätzt aus den eigenen Fontwise-Erfahrungen, das entnehme ich eben­falls der Pressemitteilung, dass im Durchschnitt 300 unli­zen­zierte Schriften auf Unternehmens-Rechnern instal­liert sind. Ob diese wirk­lich für die Erledigung der Jobs notwendig sind, ist eine andere Frage: Fontwise regis­triert erst mal nur den Bestand. Welche der gefun­denen Schriften legal sind, welche gelöscht werden können und welche nach­li­zen­ziert werden müssen, diese Entscheidung trifft alleine das Unternehmen.

Da FontShop selbst keine Schriften heraus­gibt – wir sind ein Handelshaus –, sind uns die Schlüsse, die aus einer Font-Inventur gezogen werden, relativ egal. Die Verantwortung trägt alleine das Unternehmen, das mit Fonts arbeitet. Und um keine falschen Fantasien zu schüren: FontShop recher­chiert nicht, stellt keine bohrenden Fragen, verpfeift niemanden und zeigt auch nicht an. FontShop ist keine Rechteinhaber und kann somit auch keine Rechtsverstöße verfolgen … was wiederum nicht heißt, dass wir sie nicht entschieden verurteilen.


Gute Werbung … es gibt sie noch

Eben bei Spiegel Online gesehen: Eine Plakat-Kampagne der Michael-Stich-Stiftung, gemeinsam mit der Werbeagentur Jung von Matt entwi­ckelt. »Zwischen Leben und Tod liegen nur 0,003 mm Latex«, lautet der Claim eines Motiv, auf dem eine Frau vor einem nackten Mann in eindeu­tiger Pose kniet … doch in ihrem Mund steckt der Lauf einer Pistole.

Ziel der Kampagne ist, das Thema Aids verstärkt in das öffent­liche Interesse zu rücken. Das oben abge­bil­deten Konterfei eines Babys ist unter­schrieben mit: »Das Kinn von Opa. Die Augen von Papa. HIV von Mama.«

Alle Motive bei Spiegel Online im Dia-Betrachter … 


100 Beste Edition: 8 Schriften mehr!

Vier Bände der 100 Besten Schriften Edition wurden um je zwei OT-Fonts erwei­tert und bieten nun mehr typo­gra­fi­schen Spielraum bei unver­än­dert güns­tigem Preis (178,– € im Abo):

CD 4: Bauer Bodoni OT
neu: Bauer BodoniTM Black Italic
neu: Bauer BodoniTM Black Condensed
CD 7: Gill Sans OT
neu: Gill SansTM Pro Ultra Bold
neu: Gill SansTM Pro Ultra Bold Cond
CD 9: Optima OT
neu: OptimaTM Black
neu: OptimaTM Black Italic
CD 18: Swift OT
neu: SwiftTM Heavy
neu: SwiftTM Heavy Italic

Ein über­ar­bei­tete Info-PDF mit allen Schriftmustern liegt hier: 100 Beste Edition Faltblatt (PDF, 4 S, 1,1 MB) … 


Ein Elefant namens Arcandor

Nachdem sich die Versandmarke KarstadtQuelle jüngst in Primondo umge­tauft hatte (Fontblog berich­tete), will sich der KarstadtQuelle-Konzern jetzt den Namen »Arcandor« geben. Und wieder signa­li­siert ein neuer (Kunst-)Name, jeden­falls in den Augen des Konzernchefs Thomas Middelhoff, »Verlässlichkeit, Treue und Mut«. Bei mir will sich diese Assoziation partout nicht einstellen … meine Gedanken kommen über die Verknüpfung ›Zirkuselefant‹ nicht hinaus. Ich freue mich schon auf das Arcandor-Logo. Mich wundert bei solchen Blindflügen immer, mit welcher Geduld die Aktionäre ihren Vorständen dabei zusehen können, wie sie deren Einlagen durch den Kamin feuern.

Spiegel Online meint »Der Name klingt zwar nicht schön, aber wenigs­tens bedeutet er nichts. Und das scheint zu genügen für die Qimondas, Syngentas, Celesios und Kontrons der Welt« und zieht eine Überraschung aus der Schublade: das Markengenerator-Spiel. Ich habe ihn gleich mal ange­worfen und einen Prima Namen für einen Chip-Hersteller erfunden: Nanatron. Er steht für Neugier, Innovation und Verantwortung. Wer ihn haben möchte … hier, nimm! Kost’ nix.