Mein »Tagesspiegel« ist heute ein Unikat
Die Düsseldorfer Künstlerin Leni Hoffmann erhält heute den mit 20.000 € dotierten Gabriele-Münter-Preis (GMP). Aus diesem Anlass hat sie der Berliner Tagesspiegel zu einer Kunstaktion eingeladen: Die Malerin versah jede Ausgabe der heutigen Auflage mit einem individuellen Farbstreifen. Hierzu arbeitete die Künstlerin am »offenen Herzen« der Zeitung, direkt in der Druckmaschine. Gute sechs Stunden stand sie in der Nacht an der Rotationspresse, um mit Schlauch und Pinsel die Farben auf einer reservierten seitenhohen Fläche in der Dienstagsausgabe aufzutragen. »Pizzicato. 114 ist 441« nennt Hoffmann das Kunstprojekt, ein Zusammenspiel zwischen Künstlerin und Druckmaschine und eine »Anspielung auf das Motto der vier Musketiere: Einer für alle und alle für einen.« Der Tagesspiegel-Bericht zur Aktion … (Foto: FontShop)
Typografischer Zauberwürfel
Manuel Kiem, ein Fons-Hickmann-Schüler, entwickelt gerade eine Art typografischen Würfelstempel. Ich erfuhr über einen Fontblog-Kommentar zu diesem Beitrag von seinem Projekt. Seiner Seite konnte ich nicht entnehmen, ob es ihm bereits gelungen ist, ein komplettes Alphabet zu schreiben.
Ich kann mir vorstellen, dass man mit einer dreigeteilten Rubik’s-Cube-Architektur das Hundertfache von Zeichenvarianten erreicht … leider mit der Gefahr, die Reproduzierbarkeit zu verlieren. Ein begleitendes Büchlein könnte Aufgaben und Lösungen darstellen. Mir fällt eigentlich nur ein Verlag ein, der daraus ein wunderbares Produkt entwickeln kann …
Neulich, bei Schmidt-Friderichs’ (Gastreportage)
Diebe, die diesen Artikel geklaut haben, klauten auch …
Mittwoch früh: Unser Lagerleiter konfrontiert mich mit über 100 verschwundenen Exemplaren eines 100-Euro-Fachbuchs. Ich raunze, er solle sein Lager in Ordnung halten und die Augen offen. Aber suchen hilft nicht, der Dieb hat sogar ordentlich eine Palette umgeparkt, eine aus dem Weg geräumt und ein paar einzelne Bücher umgestapelt
Ich weiß um die Lust und Last, Bücher an den Mann und an die Frau zu bringen und denke laut: ›Wer Detailtypo klaut, klaut auch Lesetypo …‹ Der Lagerist zählt: Hier fehlen 150 Stück. Nun kenne ich meine Hitliste … Nach einer Stunde gebe ich schon Schätzwerte zu den Stückzahlen ab, gegen Mittag erstatten wir Anzeige: Über 1000 verschwundene Bücher im Wert von über 75.000,– Euro.
Was macht jemand, der auf drei Paletten Büchern hockt? Solche Mengen verkauft man nicht en passant. Bei Amazon finden wir einen Shop, nur Schmidt-Titel, alle ›neu‹, alle ca. 20 % billiger. Die Bewertungen des Verkäufers laufen schon einige Zeit – plötzlich erscheinen die ›Inventurdifferenzen‹ in einem anderen Licht …
Die Kripo arbeitet auf Hochtouren und mustergültig. Nach wenigen Tagen wird der Dieb überführt, ein Teil der Ware wird eine Woche später sichergestellt. Zusammen mit einigen ›Inventurdifferenzen‹.
Hinter uns liegt eine schlaflose Woche, die auch anders hätte enden können. Ein solcher Deal kann das Ende sein. Ein kleiner Verlag, von Idealisten geführt, die höchste Qualität sauber kalkulieren und deren Handeln weniger auf Gewinn als auf die Schönheit der Bücher zielt, hat keine großen Reserven. Zumal die Aktion ja doppelt trifft, denn wer die vermeintlichen Schnäppchen bestellt, kauft ja nicht mehr im Handel oder beim Verlag …
Glück im Unglück also, aber auch Anlass zu Fragen:
Müssen wir als Branche – aber auch Amazon im Speziellen – die Ladenpreisbindung besser, intensiver und konsequenter kommunizieren? Damit sich beispielsweise die 360 Kunden unseres Diebes bewusst werden, dass neue Bücher zu günstigeren Preisen vielleicht Hehlerware sind, an denen sie gar kein Eigentum erwerben können?
Hinter wie vielen Preisbindungsverstößen steht daneben noch ein Diebstahl, der bis dato als Inventurdifferenz toleriert wurde?
Wie viele Presseexemplare verstecken sich in der schönen Rubrik ›neu & gebraucht‹?
Was macht man als Verlag mit Kunden eines Diebes, die leichtgläubig bestellt haben – deren Kreditkarten belastet sind, die aber nun ihre Ware nie bekommen? Oder noch schlimmer: Mit denen, die gegen vermeintlich billiges Geld Bücher ›getauscht‹ haben, die ihnen juristisch nicht gehören …
Wo virtuelle Marktplätze für Schnäppchen wie Pilze aus dem Boden schießen, wird es zunehmend leichter, Diebesgut zu verkaufen. Umso heftiger müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Verlage uns mit einkalkuliertem MA und dem derzeitigen aktiven Ausloten der preisbindungsrechtlichen Grenzen wirklich einen Gefallen tun. Wir können von unseren Käufern nur so viel Preis-Gefühl erwarten, wie wir ihnen ›anerziehen‹ …
Wir hatten das Glück einer äußerst engagierten Polizeidienststelle, der Kooperation von Yahoo und Unterstützung von allen Seiten. Und wir haben gelernt, dass sich ›Konkurrenzbeobachtung‹ heute nicht mehr auf Verlage mit ähnlichem Programm beschränkt, sondern andere Anbieter derselben Bücher durchaus mit einschließt.
Karin und Bertram Schmidt-Friderichs, Mainz, 29. Januar 2007
Warum die arte-Werbung ein Rohrkrepierer ist
(Gerrit van Aaken gewidmet, dessen Urteil ich sehr schätze; Abbildung links: Peter Thede, rechts: ich)
Die arte-Werbung kennt jeder, doch ich behaupte mal, die Botschaft dahinter haben nur die wenigsten empfangen. Dabei ist sie verblüffend einfach: Wir sollen arte auf Position 8 unserer Fernbedienung speichern … acht=arte. Ich weiß nicht, warum die verantwortliche Agentur keinen Weg gefunden hat, diesen simplen und einprägsamen Appell leichtverständlich mitzuteilen. Ob auch hier wieder zu viele Leute mitgeredet haben?
Dass die Anzeige nicht funktioniert, hat auch mit Typografie zu tun. Und mit dem doppeldeutigen Claim »ICH HABE ARTE UMGELEGT«, den manche Empfänger mit Sex, andere mit »12 Uhr Mittags« in Verbindung bringen … aber garantiert nicht mit der Botschaft: Bitte programmiere mal deine Fernbedienung um! Eine Ich-Botschaft ist schon gar nicht mit dem Portrait in Einklang zu bringen, das keinen Zapper zeigt, sondern ein arte-Programm-Thema darstellt.
Die Typografie. Es gibt zwei Textblöcke: das Kleingedruckte und der ins Foto integrierte Claim. Dieser ist auf einer Industrie-Beschriftungstafel angebracht, wie man sie in den Hotels der 70er Jahre angetroffen hat und in den Jahrzehnten danach in Büros oder Behörden (Update: Tatsächlich sollen die Tafeln von Steckbrief-Portraits imitiert werden). Ich glaube, dass fotografierte Claims keine Claims sind, sondern Bestandteil eines Fotos. So auch hier. Da wird den aufwendig in Szene gesetzten (teuer!) Arte-Identifikationsfiguren eine Selbstbezichtigung um den Hals gehängt, die auch unmittelbar ins Leere läuft. Was habe ich als Betrachter hier zu tun? Was ist meine Rolle? Multiple Botschaften. Man blättert weiter. Das Kleingedruckte … liest sowieso keiner.
Kein Witz … erst gestern, nach vier Jahren, habe ich mich erstmals dazu gezwungen, eine arte-Anzeige (im Süddeutschen Magazin) zu verstehen, wozu ich sie von oben bis unten durchgearbeitet habe. Die Kopflastigkeit dieser Kampagne, die seit 4 Jahren in Top-Medien geschaltet werden (für einen 7-stelligen Betrag, wie stern shortnews 2003 berichtete; Update: im SPIEGEL von morgen steht die rechte Anzeige auf Seite 9), spottet jeder Beschreibung.
Milka-Retro-Tafeln mit typografischen Anmachern
Eben im Supermarkt entdeckt: Die neuen 4 Retro-Schokoladentafeln von Milka im Stil der 50er-, 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Der Hersteller schreibt dazu: »Vier typische Spezialitäten dieser Jahrzehnte entführen Genießer auf eine Reise in die Vergangenheit … Die Retro-Tafeln bieten den Geschmack vergangener Jahrzehnte im Tafelformat: Als süßer Hit der Wirtschaftswunderzeit steht die Milka 100 Gramm Tafel ›à la Vanille Pudding‹ für die 50er Jahre. … Die Tafel ›à la Heiße Liebe‹ präsentiert die Flower-Power-Zeit. … Für die schrillen 70er steht die Milka 100 Gramm Tafel ›à la Nussecke‹: Zartherbe Schokolade mit einer Nougatcrèmefüllung und Keksstückchen erinnern an Schlager und Schlaghosen. Bleiben noch die 80er Jahre: … die Tafel ›à la Kalter Hund‹ – zarte Milch Alpenmilch Schokolade mit knackigen Butterkeksen und feinherber Schokoladencrème – macht Lust auf Retro-Genuss.«
Die limitierten Editionen sind nur für kurze Zeit erhältlich, solange der Vorrat reicht. (Alle Abbildungen: Kraft Foods)
Welches ist die 101. beste Schrift?
Wolfgang von MetaDesign weiß es, denn er hat diese Fragen eben in einem Kommentar auf www.100besteschriften.de gestellt, und ich habe sie ihm sofort beantwortet: direkt unter seinem Kommentar. Ihr könntet jetzt 100 Schriftgeschichten durchklicken (nicht zu empfehlen), oder einfach den RSS-Feed http://feeds.feedburner.com/100besteschriften abonnieren (sehr zu empfehlen).
100 Beste … das goldene Magazin bestellen
Wer es bis morgen nicht im Briefkasten hat, darf das »100 beste Schriften«-Magazin dann am Montag auf der FontShop-Webseite bestellen. Wir versenden jedoch erst ab Dienstag, denn eines können wir nicht finanzieren: dass alle 30.000 Empfänger 2 Exemplare bekommen. Darum meine dringende Bitte: Wer bis Montag ein Exemplar hat, möchte bitte denjenigen Vorrang gewähren, die mit leeren Händen da stehen. Wir haben Anfragen von Schulklassen, Studierenden, Hochschul-AGs und vielen privaten Schriftfreunden, die nie in den Genuss des goldenen Hefts kommen werden, wenn hier hunderte Doppelbestellungen eingehen.
Besucherandrang bei www.100besteschriften.de
Das Interesse an der Webseite zu FontShops »100 beste Schriften« übertrifft alle … ›Erwartungen‹ kann ich nicht sagen, weil ich mir zuvor gar keine gemacht habe … übertrifft alle unsere Erfahrungen mit den eigenen Webseiten.
Gestern verbuchten wir auf www.100besteschriften.de 8600 Besucher, die 63.800 Seiten betrachteten. Rund 35 % waren aus Deutschland, 24 % aus den USA, 5 % Großbritannien, Polen 4 %, Kanada 4 % und der große Rest aus aller Welt. Das PDF unserer Gold-Broschüre wurde rund 4300 mal heruntergeladen.
Enttäuschend ist noch die Abonnentenzahl des RSS-Kommentar-Feeds: rund 68. Um eine lebendige Diskussion am Leben zu erhalten, brauchen wir hier eine kritische Masse von mindestens 300 Schriftfreundinnen und -freunde, wofür ich in den kommenden Tagen werben werde. Wer nicht abonniert wird nie erfahren, dass ich auf der Quay-Sans-Seite eine Abbildung und einen Text eingefügt habe, der die Frage von Sharif beantwortet, warum seine Lieblingsschrift von Kritikern als ›zu geschlossen‹ bewertet wird.