Warum FontFont so »independent« wie nie ist
Als gestern der Deal zwischen Monotype und FontFont bekannt gegeben wurde, schrie das Netz auf und beklagte den Verlust der Unabhängigkeit: »FontFont ist nicht mehr die letzte große unabhängige Foundry …«, »It’s never been a better time – and larger argument – for independent type foundries than now.« … und so weiter, zigfach retweetet.
Als Typeboard-Mitglied begleite ich die Geschicke von FontFont seit Release Nº 2 (1991), soeben ist Release Nº 67 erschienen. Ich habe Zeiten erlebt, da fühlten wir uns alles andere als unabhängig. Das rasante Wachstum der Bibliothek und wechselnde Font-Formate fraßen Ende der 1990er Jahre alle Einnahmen auf. Unser Katalog schrumpfte zum CD-Booklet, statt Schriftmuster-Poster konnten wir nur noch Ansichtskarten herausgeben. Die zwischen 1998 und 2001 erschienenen FontFont-Focus-Hefte stemmten der kleine FontShop Benelux und FontSHop Deutschland fast ganz alleine.
Es war eine romantische Zeit. Wir wurden geliebt, die Drucksachen wurden gesammelt. Aber die FontFonts wurde zu wenig gekauft. Wir traten mehrere Jahre auf der Stelle. Viele unserer Schriftentwerfer litten mit uns.
Irgendwann um 2004 sprach sich die technische und die ästhetische Qualität der FontFonts endlich auch in den Marketingabteilungen von Großunternehmen herum. Unsere neuen Kollegen bei FontShop San Francisco sorgten mit einigen fetten Multilizenzen-Verträgen dafür, dass die FontFont-Zentrale in Berlin wieder Luft zum Atmen hatte. Es gab bald wieder einen Marketing-Etat für schöne Drucksachen und eine ordentliche Website. Die internationale Ausweitung des Vertriebs war das Erfolgsgeheimnis und machte sich deutlich bemerkbar.
Ab sofort profitieren die FontFonts von der Vertriebsstärke Monotypes. So wie die Independent Labels (Mute, Stiff, …) ihre Platten von den Majors in die Läden bringen ließen, so wird Monotype die FontFonts an Kundengruppen bringen, die wir in 25 Jahren nie erreicht haben: Gerätehersteller, Software-Entwickler, Betriebssystem-Entwickler. Monotype macht fast 60 % seines Umsatzes in diesem Segment.
Was bedeutet eigentlich »unabhängig« oder »independent« im kreativen Bereich? Doch nichts anderes als »Alle Macht dem Künstler« und so was wie »Vorfahrt für guten Geschmack.« Dafür stehen bei FontFont die fairen Designerverträge (Stichwort: Tantiemen, Urheberrecht) und die Unabhängigkeit des Typeboards. Beides steht nicht zur Debatte. Ja Monotype möchte dem Typeboard und dem FontFont-Marketing-Team unbedingt über die Schulter schauen, um für das Ansehen und die Umsätze anderer Bibliotheken zu lernen.
Fazit: Die FontFonts werden mit fairen Verträgen, einem unveränderten Typeboard, mit dem gleichen Technikteam und dem unverändert hohen Qualitätsanspruch aller Beteiligten so weiter entwickelt, wie wir das seit 25 Jahren tun – erreichen aber dank Monotypes Kontakte mehr Anwender. Wo ist jetzt was verloren gegangen, außer Romantik?
34 Kommentare
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Yanone
Bla
Uschi Ronnenberg
Man wird sehen…
Jürgen Siebert
Nenn’ es »Bla« und übersehe das enthaltene Versprechen.
Ich kann nicht mehr tun als eine – freilich persönliche – Garantie auszustellen. Ich finde, 24 Jahre Einsatz für FontFont verdienen ein bisschen Glaubwürdigkeit.
Jens Tenhaeff
Ich bin sicher, dass Ihr die aus Eurer Sicht richtige Entscheidung getroffen habt und wünsche Euch alles Gute. Aus meiner Sicht jedoch ist die fortschreitende Hegemonialisierung des Schriftenmarktes eher ein Grund zur Besorgnis. Immerhin hatten die Punk Bands der 70er noch die Wahl zwischen EMI, WEA, CBS, Ariola, Polygram, Teldec und deren diversen Unterlabeln. Von solcher Vertriebs-Vielvalt kann die heutige Typo-Szene nur träumen. Ich sehe Monotype ganz klar auf dem Weg Richtung Amazon und finde es schade, dass FontShop ihnen auf diesem Weg behilflich ist.
Bruno Steinert
Das ist ja mal eine schöne Nachricht. Monotype hat Fontshop übernommen damit Fontshop künftig die FontFonts besser vermarkten kann. Herzlichen Glückwunsch!
Marcus Sterz / FaceType
meine erfahrungen – als type designer – mit monotypes vertrieb sind erschreckend.
beispiel:
vor ein paar wochen hat mich ein mitarbeiter kontaktiert, mit der bitte ihm bei der preisgestaltung einer webfont-lizenz für eine meiner fonts für eine website mit angeblich 250 mio pageviews zu helfen.
klingt saftig, dachte ich mir, auch wenn er mich damit im urlaub erwischt.
da den burschen ja auch schon myfonts gehört, hab ich angeraten, sich doch an deren preisen zu orientieren.
fein, hieß es. das machen sie.
am nächsten tag:
email von einer anderen mitarbeiterin: die höhe der pageviews wäre eigtl 250 k (nicht mio) gewesen, aber mittlerweile hätte sich der potentielle kunde selbst auf 50 k runterkorrigiert. aber es geht noch weiter.
während ich also in paris urlaube und den blick vom montmartre genießen will, trudelt das nächste email rein, mit der unglaublichen frage, ob ich mit dem preis von $36 für 100 k pageviews zufrieden bin.
damit bin ich eh zufrieden, aber:
es braucht 7 emails (plus antworten meinserseits) um intern den echten bedarf des kunden festzustellen und man kontakiert den designer wegen $36 mehrmals. das ganze zog sich über eine woche und ist für mich ein erschreckendes beispiel, wie es NICHT ablaufen sollte.
bei myfonts oder fontshop hätte der vorgang inkl neuregistrierung des kunden ca 15 minuten gedauert und ich hätte davon nicht mal was gemerkt, außer den eingang auf mein bankkonto.
in der letzten email kam die dümmliche frage, ob ich das geld gleich überwiesen haben möchte – obwohl ich mit monotype ohnehin einen vertrag habe. ich habe ihnen entnervt geraten, sich das ganze, viele, viele geld zu behalten und meine prozente in ein bier zu investieren.
der vorgang war einfach lächerlich.
und es ist nicht der einzige dieser art.
monotypes art mit designern umzugehen, ist der grund, warum ich seit mehreren jahren keine neuen schriften dort veröffentliche.
mal grundsätzlich:
monopole sind abzulehnen.
Jürgen Siebert
Believe it or not: Solche Art Missstände abzustellen und die Zufriedenheit von Kunden und Designern herzustellen wird eine Aufgabe des FontShop-Vertriebsteams sein. Die Weichen für den Servicewechsel sind bereits gestellt.
erik spiekermann
Wisst ihr, wer demnächst das Monopol auf Fonts haben könnte, wenn er wollte?
Google.
Die könnten aus der Tageskasse alle Foundries einkaufen (einschließlich Monotype) und damit den Markt abschaffen. Ähnlich, wie es Amazon gerade mit dem Buchhandel machen will. Free fonts von Google gibt es längst mehr, als die meisten Foundries im Angebot haben. Zwar gibt es dazu weder technischen Support noch irgendwelche Qualitätsgarantien, aber umsonst ist schlecht zu schlagen.
Wer kann diesem Riesen Paroli bieten? Nicht die vielen Kleinen, die gerne als Beweis für die Großzügigkeit der Datenkrake angeführt werden (weil sie niemandem schaden und wirtschaftlich keine Rolle spielen), sondern allenfalls ein oder zwei andere große Mitspieler. Einem davon haben sich FontShop und FontFont angeschlossen.
robertmichael
hat es meinen kommentar jetzt verschluck? :/
Jürgen Weltin
Ich denke, die Entscheidung von FontShop ist absolut richtig. Die Gefahr droht von Google, wie weiter oben richtig bemerkt wurde, und nicht von Monotype. Es kann daher nur gut sein, wenn das Know-How in allen Bereichen unter einem Dach gebündelt werden.
Kinderkrankheiten wie oben beschrieben, was den Vertriebsservice bei Webfonts angeht, werden auch bald Geschichte sein. Wir hatten in der Vergangenheit auch andere Sachen, die nicht reibungslos verliefen; ich denke da an die Einführung des Euro-Zeichens zum Beispiel.
An all die Möchtegernunabhängigen: schickt nur weiterhin Eure Fonts umsonst an Google, wenn Euch Eure Arbeit nichts wert ist. Wofür eigentlich? Um kurz im Rampenlicht zu stehen?
Und wer weiterhin Sachen bei Amazon einkauft, hat immer noch nichts begriffen. Ich beobachte gerade wieder das Zugrundegehen einer kleinen, feinen Buchhandlung. Aber User-Kommentare im Netz sind für die meisten wohl doch wertvoller als eine persönliche Beratung und Auswahl …
Ralf H.
Das Google-Argument verstehe ich nicht. Wie Erik ja schon sagt, könnte Google den Markt der kommerziellen Schriften so oder so leicht plattmachen – aber dieser Tatsache wirkt der Anschluss von FontShop doch in keiner Weise entgegen. Im Gegenteil: nun müsste nur noch das eine börsennotierte US-Unternehmen übernommen werden und die Sache wäre erledigt. Der Anteil den FontShop mit Know-How und Marktwerk in Monotype einbringt, ändert doch nichts am grundsätzlichen Kräfteverhältnis von Google zu Monotype.
Du beklagst hier die üblichen Folgen einer Monopolbildung – also genau dass, was du ein paar Sätze zuvor als »absolut richtig« bezeichnet hast. Amazons Dominanz des Buchmarktes ist nichts anderes als Monotypes Dominanz des Schriftmarktes. Es sind die gleichen Prozesse mit den gleichen Folgen – für die Kunden, aber auch für Partner.
Amazon sitzt imme am längeren Hebel gegenüber Verlagen und Autoren, so wie Monotype nun überall am längeren Hebel gegenüber Foundrys und Schriftgestaltern sitzt. Vor 10 Jahren konnte die Foundry/der Designer noch frei mit Monotype, Linotype, FontShop und MyFonts verhandeln – weil alle diese Anbieter in Konkurrenz zueinander standen. Heute laufen die Fäden alle bei Monotype zusammen und zu wessen Gunsten das ausgehen wird, dürfte klar sein.
Jürgen Siebert
@robertmichael: leider kein Kommentar von dir in »Unerledigt« oder »Spam«. Irgendwie verloren gegangen.
padam
Wie immer gibt es bei dem Deal ein trauriges und ein lachendes Gesicht.
Für Fontshop und Monotype, oberflächlich gesehen, eine WinWin Situation. Für alle aus dem Kunden- und Typedesigner-Umfeld ist es einfach nur traurig mitanzusehen, wie Ihr da von einem der Bigplayer vom Markt abgegriffen werdet.
Vielleicht wäre es cleverer von Euch gewesen, selbst (evtl. mit vielen zusammengeschlossenen, kleineren Typefoundries) an die NASDAQ zu gehen.
Aber gut, der Spatz in der Hand…
robertmichael
ok, dann nochmal.
Das Google-Argument hinkt auch für mich. Freefonts gab es schon immer und wird es immer geben. Sicher könnte Google diverse Foundries aufkaufen und alles kostenlos anbieten, aber wieso sollten Sie das tun? Letztendlich sitzt der Designer immer am längeren Hebel und wenn er seine Schriften nicht kostenfrei verramschen will, dann sucht er sich halt einen anderen Anbieter oder bietet die Fonts selbst auf dem Markt an. Momentan nutzen es die Designer um Werbung für sich und Ihre restlichen Fonts zu machen, viele von den Google-Webfont-Designer bieten zusätzlich Kaufschriften an.
Eigentlich habt Ihr es Google jetzt auch einfacher gemacht, wie Ralf schon schrieb – es reicht nun nur noch einen Konzern aufzukaufen. Aber ganz ehrlich, ich hätte da mehr Angst vor Adobe. In diesem Bereich fehlen einfach die Alternativen und mit der Creative Cloud wird der User immer mehr an Adobe gebunden. Wenn diese jetzt auch noch eine (!) große Foundry aufkaufen und eventuell nur noch deren Schriften in Ihrer Software zulassen … Gute Nacht. Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Für mich ist das Glas halbvoll.
Ich wünsche Fontshop viel Kraft und hoffe das die Innovationen (die aus meiner Sicht in den letzten Jahren immer von Fontshop ausgingen) auf dem Schriftmarkt nicht ausbleiben. Ich hoffe Euer gutes Team und Eure Designer stehen weiterhin zu Euch und Ihr habt jetzt mehr Kraft um auch größere Dinge zu wuppen.
Wir werden in ein paar Jahren sehen wie sich der Markt entwickelt hat und ob Ihr Eure Versprechen halten konntet.
erik spiekermann
Eben. Gegen solche großen Quasi-Monopole helfen leider nur andere große Anbieter. Und bei etlichen hundert kleineren Foundries (darunter auch mittlere wie Hoefler, Emigre, Fontbureau, OurType, FontSmith, DaltonMaag, TypeTogether et al) kann niemand von einem Monotype Monopol reden. Da ist selbst in den letzten paar Jahren viel geschehen, weil es immer einfacher wird, einen Shop zu bauen.
erik spiekermann
Ralf:
wenn Monotype seinerseits übernommen würde, wären alle FontFont Designer in der Lage, ihre Schriften anderswo anzubieten. Niemand hat deren Rechte für immer erworben. Und auch die Leute bei FontShop sind keine Sklaven, sondern können ihr Wissen und ihre Erfahrung auch woanders hin tragen. Wir sind Menschen, keine Ware.
Yanone
Das machst Du Dir aber ein bisschen einfach. Meine Schriften bei euch sind jedenfalls für die nächsten zehn Jahre fest unter Vertrag. Das ist nur ca. ein Achtel meiner Lebenszeit.
Jürgen Siebert
@Yanone: À propos Lebens(arbeits)zeit: Ich werde in 10 Jahren nicht mehr dabei sein.
Doch so lange ich dabei bin, empfinde ich es als meine Pflicht, gemeinsam mit dem FontFont®-Marketing-Team deinen Vertrag so zu erfüllen, wie du es bei der Unterzeichnung von uns erwartet hast. So gesehen ist der langfristige Vertrag auch eine Garantie. Wir alle wissen, dass die Verträge anderer großer Libraries weniger Tantiemen und eingeschränkte IP-Rechte bieten. Was wir nicht wissen: Ob die FF-Verträge auf ewig so liberal bleiben wie heute.
Marcus Sterz / FaceType
ich hab hier mal eine dumme frage:
was hat monotype in der vergangenheit besser gemacht, dass die sich euch und myfonts leisten konnten?
Yanone
Nichts besser, aber sie haben ca. 100 Jahre Vorsprung.
Jürgen Siebert
Aufgrund ihrer Tradition ist Monotype in einem Schriftenmarkt groß geworden, der nichts mit Design und visueller Gestaltung zu tun hat, sondern Ausgabegeräte bedient. Also: Satzbelichter, Laserdrucker, Plotter, Set-top-Boxen, Unterhaltungselektronik, Mobiltelefone, Software und dergleichen mehr. FontShop und FontFonts zielen seit ihrer Gründung auf den kreativen Anwender, aka Designer. Gemeinsam mit diesen Anwendern und unseren Schriftentwerfern sind neue, zeitgemäße Schriften entstanden, weil dieser Markt heiß ist auf Veränderung. Der angestammte Markt von Monotype ist eher konservativ, braucht weniger Neuheiten. Aber er ist sehr profitabel, weil die Lizenzen anders abgerechnet werden, oft auflagenabhängig und/oder mit periodischen Zahlungen. Fazit: Der Industriemarkt wirft mehr Royalties ab als der Kreativmarkt. Und deshalb ist Monotype wirtschaftlich stark. Und jetzt frage ich mal: Was ist nun schlecht daran, wenn FontFonts demnächst in Geräten, Betriebssystemen oder in E-Book-Readern ihren Dienst leisten … zur Freude der Konsumenten und der FontFont-Designer?
Simon Wehr
Ich denke, gewisse Dinge muss man eingehen, wenn das Ziel nicht nur Ruhm und Ehre ist sondern auch monetärer Gewinn. Und wenn mein Betriebssystem irgendwann statt Helvetica die Axel oder Azuro oder dergleichen als GUI-Font einsetzt, dann komme ich persönlich nach Berlin und bringe euch Kuchen und Kekse. Und Blumen und Sekt.
Und wenn Fontshop zu einem uninspirierten, lizenzhungrigen Monster wird, dann wird eine neue Foundry mit wilden, frechen, innovativen Fonts auftrumpfen.
Ich kann mir aber niemanden vorstellen, der ernsthaft glaubt, dass ihr bei Fontshop das zulassen würdet. – Also das Monster meine ich.
Von daher wünsche ich viel Erfolg und dass eure Vorstellungen zu dem Deal in Erfüllung gehen!
robertmichael
schön gesagt, simon. so sehe ich das auch.
Jürgen Weltin
Na also: positiv denken!
@ 21 | Simon Wehr
Ob’s ein lizenzhungriges Monster werden wird, liegt nicht mehr in deutscher Hand!
Heinrich
schon wieder fast nur gejammer (zum teil jedoch verständlich) ich frage mich was würden einige typedesigner machen wenn jemand kommen würde und sagt, ich zahle dir ne halbe million und du gibst die vermarktungsrechte an deinen fonts für immer ab.
persönlich bin ich auch ein gegner von monopolen, wenn man jedoch sich in den unternehmer versetzt der vielen leuten ein job bietet und von klein auf so weit gebracht hat, wäre es ganz schön bescheuert so ein angebot nicht anzunehmen.
wozu sind eigentlich foundrys da? um hunderte typedesigenr zu ernähren oder um millionen grafikern/entwicklern fonts anzubieten. man sollte immer beide seiten sehen.
ich weiß nicht wie viel typedesigner insgesamt bei FF veröffentlicht haben aber ich würde wenn es machbar ist jedem eine ordentliche prämie zahlen, schließlich sollten sie auch direkt davon profitieren, sie haben die wichtigste arbeit geleistet.
wir werden es sehen was die nächsten jahre bringen, ich wünsche euch viel erfolg!
vielleicht ist es auch eine chance für eine neue platform? heutzutage dank internet ist vieles möglich.
Yanone
Das ist bei vielen ein früher Gedanke. Aber die Schriften sind unter Vertrag, und zwar auf lange Zeit. Die neue Plattform alleine reicht da nicht. Man fängt wieder komplett bei Null an.
Etienne Girardet
Seit Bekanntwerden des Monotype/Fontshop-Deals musste ich erstmal ein wenig Zeit ins Land gehen lassen, bevor ich mich heute doch noch mit ein paar Worten melden mag.
Seit dem Bestehen von FontShop fühle ich mich Euch kollegial verbunden. Ungefähr zeitgleich zur FontShop-Gründung habe ich als Grafiker zu arbeiten begonnen. Wenn ich „Schrift“ dachte, dachte ich meist „FontFont“, mindestens jedoch „FontShop“. Wenn ich Fortbildung und Inspiration suchte, dann erst auf der FUSE, später auf jeder TYPO Berlin. Einmal durfte ich dort sprechen – großer Spaß. Ich vertreibe meine Fotos bei fStop, fühl mich dort bestens betreut und genau am richtigen Ort. Eure Professionalisierung habe ich mit Freude verfolgt, die Ausdehnung der Konferenzen in den letzten Jahren kritisch beäugt, jedes FontFont-Release neugierig studiert, den Fontblog gutiert, …
Eure Art, die Dinge zu tun – und auch: Geschäfte zu machen – hat zu Symphatie und einem großen Vertrauensvorschuß geführt. Ihr seid als Personen erkennbar, Ihr steht für Werte, Ihr seid nicht mehr ganz klein, aber auch noch nicht abstrakt groß, Ihr habt Humor, Ihr kommt aus meinem Kulturkreis, sogar aus meiner Stadt – nur ein paar von vielen guten Gründen, Euch verbunden zu sein.
Und nun werden die Geschicke von FontShop nicht mehr nur aus der Bergmannstraße alleine gesteuert, jetzt mischen die Großen und Unbekannten aus der Ferne mit, jetzt gelten die Interessen von shareholdern etwas. Natürlich irritiert das mein Bild, es stört regelrecht – zumindest emotional. Abschied von einer Zeit, einer Phase, einem Bild vom lokalen Player mit globalem Einfluß, von der Idee, dass »Klein-Sein« kein Hinderungsgrund für weitreichenden Erfolg ist. Aber: Eine neue Phase beginnt und ich bin sicher, dass Ihr vor dieser Entscheidung, die ja für Euch – auch persönlich – viel mehr ändert als für uns, gründlich abgewogen habt und überzeugt seid, dass Ihr den richtigen Weg einschlagt. Als Vertreter des bewußten »Klein-Seins« wäre ich vielleicht zu einem anderen Ergebnis gekommen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Uns »Klein-Gebliebene« will ja auch nie jemand übernehmen ;-).
Ich wünsche Euch und uns sehr, dass sich die Entwicklung von FontShop als Teil von Monotype annähernd so vollzieht, wie Ihr Euch das ausmalt. Ich hoffe, dass die Entscheider bei Monotype den Wert von FontShop wirklich im Kern erkannt haben und ihn mit Euch hegen und pflegen werden. Ich hoffe, meine Skepsis gegenüber börsennotierten Unternehmen wird eines besseren belehrt und Ihr könnt Entscheidungen nach Sachargumenten treffen und werdet nicht von kurzfristigen Interessen der Aktionäre abhängig.
Ich freue mich auf den »creative morning« in fünf Jahren (oder werden es zehn sein?), wenn Ihr von der Anbahnung, den Hintergründen und Erfahrungen des Deals sprechen werdet und wir das Für und Wider offen miteinander diskutieren können.
Eines noch zum Abschluß: Das Argument »für Euch Kunden bleibt ja alles beim Alten, manches wird sogar noch schöner« hat für mich nicht wirklich Schlagkraft. Es ist in den letzten 10 Jahren von aufgekauften Banken, Versicherungen, Software-Firmen, Supermarktketten, Zeitschriften, Verlagen unendlich strapaziert worden – zumeist kurz vor radikalen Veränderungen. Ruft das besser nicht zu laut, es könnte missverstanden werden. Viel überzeugender wirkt die Transparenz Deiner Posts hier im Blog, in denen auch Fragezeichen und Sorge über die Zukunft herauszulesen sind.
Kurz: Ich wünsche Euch das Beste für die kommende Zeit, die spannend wird und wichtige Weichenstellungen bringt. Wie andere werde ich aufmerksam verfolgen, in welche Richtung es gehen wird.
Ein wenig wehmütig dürfen wir aber schon sein! Wohlwollend kritisch ja sowieso.
Ivo
Ich möchte in diesem Zusammenhang gern völlig wertneutral noch mal darauf hinweisen, dass die Belegschaft keinerlei Einfluss auf diese Entwicklung hatte. Dennoch ändert sich in der Tat für uns am meisten.
Wir auch. Wir sind aber – wie immer – optimistisch.
Joe
Antwort für Antwort!
Josh
Hi,
I read all the thread, and i must say that I find this debate fascinating, and I appreciate the fact that mr. Siebert and Spiekermann took the time to answer regarding the concerns. That’s so lovely… good luck!
Sonja Knecht
Doch noch, nachdem es nun ein wenig gesackt ist.
Diese Debatte erinnert in der Tat an die Diskussionen in den späten 80er, frühen 90er Jahren – und damit sei nicht gesagt, dass sie „retro“ ist – über die Unabhängigkeit heißgeliebter Punk-, Grunge- und Indie-Bands (Nomen est Anspruch), die ihre ersten Platten bei unbekannten Mini-Labels oder im Selbstverlag herausbrachten – und dann plötzlich zu einem „Major“ der Musikindustrie wechselten. Es wagten, zu wechseln. Womit sie in den Augen vieler Verehrer den Verlust ihrer künstlerischen Freiheit riskierten, zwangsläufig „Mainstream“ wurden und treue Gefolgschaft nicht mehr verdienten. Es grenzte an Verrat. Nur: von welcher Seite?
Diese Debatte ist eine Unverschämtheit – und deswegen so wichtig.
In dem schlichten „Bla“ von Yanone, in vielen der Äußerungen hier (und in der PAGE), in der Offenheit und Härte und Un-Verschämtheit der Auseinandersetzung kommen so viel Wut, Enttäuschung, berechtigte Sorge um die eigene berufliche und künstlerische Freiheit sowie die von Freunden und Kollegen, um finanzielle Selbstbestimmung, um Handlungs- und Wahlmöglichkeiten zum Ausdruck, dass wir uns – so lange das tunlichst so bleibt – keine Sorgen machen müssen.
Das ist nicht nur romantisch oder lovely, wie Josh oben sagt, sondern (mit Verlaub) sauwichtig: letztlich ungebrochene Anhängerschaft und Austausch auf Augenhöhe: derer, die für die aktuellen Veränderungen verantwortlich und mitbetroffen sind (!) und aller Beteiligten.
Natürlich war es auch damals in der musikalischen Indie-Szene schön, sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft weniger Wissender zu fühlen und nächtelang über den dritten Track auf der B-Seite eines Albums zu debattieren, das als „rarer US-Import“ vom Mitbewohner persönlich aus den Staaten angeschleppt und erst in der übernächsten SPEX so unverständlich besprochen wurde, dass man getrost behaupten konnte, es längst gewusst (und besser formuliert) zu haben.
Aber wehe, sie wechselten „zur Industrie“. Dabei hat es in den meisten Fällen nicht geschadet. Es waren doch die gleichen Leute. Die haben ihre Arbeit gemacht, sich mit ihren Ambitionen herumgeschlagen und irgendwann ein bisschen Geld damit verdient, manche auch sehr viel Geld, und sehr viele Fans gefunden, und es sei ihnen gegönnt.
„Indie“ versus Industrie?
Natürlich war es großartig, dass mitunter eine der unzähligen Bands, die wir mit höchstens 20 Leuten im Club von Freunden sahen, eben nicht wieder in der brotlosen Versenkung verschwanden, sondern zum Beispiel Nirvana waren – bzw. wurden, dank Veröffentlichung ihrer künstlerischen Arbeit in größerem Rahmen.
Auch die Schriften waren Punk. Lieblingsplatten von den Bongos oder Cabaret Voltaire, gestaltet von Neville Brody, haben einen kosmisch-kulturellen Gesamtzusammenhang mitgeformt, der mit jedem neuen Release – einer Fuse-Schrift, einer „7 inch“ aus USA oder eines coolen Mode- und Musikmagazins aus England – bestätigt und befeuert wurde. Die Schriften gehörten so was von dazu. Dass jemand die Typen einer alten Schreibmaschine digitalisierte, ein anderer seine Handschrift, dass ein per Zufall sich selbst verändernder Random-Font auf einem Label, gegründet eigens für Schrift, herausgegeben wurde, das war einfach großartig. Das war genauso „Indie“ wie die Musik.
Die Aufregung um manche Neuentdeckung legte sich, ob in der Musik oder im Grafik-Design. Was ein Neville Brody an der Schnittstelle von Text und Schrift (und Bild) mit The Face manifestierte, war und bleibt stilbildend. Selbstverständlich war er nicht plötzlich doof, weil er nicht mehr nur Indie-Platten-Cover bei Festish Records machte, sondern Art Director bei The Face wurde und mit seiner „grafischen Sprache“ schon Ende der 80er eine Werkausstellung im Victoria and Albert Museum in London hatte. Politisch zeigt er sich bis heute, wie bei seinem Auftritt auf der TYPO Berlin 2013 touch: „Godfather, geerdet“.
Junge wilde Schriftgestalter von einst, die heute eigene Büros, Foundries und Familien haben (nicht nur Schriftfamilien), sind nicht plötzlich „Mainstream“. Genauso wenig sind Jürgen Siebert, Erik Spiekermann oder Joan Spiekermann (bitte vergesst sie nicht) plötzlich zur bösen Industrie übergelaufen oder verraten die Branche. Das ist schlicht Unsinn. Es ist legitim, logisch und lebensecht, wenn Menschen, die jahre- oder jahrzehntelang ihre Energie in eigene und fremde Arbeit gesteckt, die Sache und viele Leute mit nach vorne gebracht haben, sich irgendwann zurückziehen. Sie setzen ihre Prioritäten neu und geben natürlich ihr Lebenswerk – nach aktuellem Wissen und Stand der Dinge – in die besten Hände ab. Und keiner von ihnen zieht sich in absehbarer Zeit auf die Seychellen zurück (soweit ich weiß).
Die sind weiterhin da und dabei, wenn auch im Hintergrund, bei vielleicht weniger Beteiligung im Tagesgeschäft, oder nur noch mit Aufgaben ihrer Wahl. Und das hoffentlich noch lange. Etienne Girardet sagt es so schön:
Ja, natürlich ist da eine Irritation, eine nicht zu ignorierende Veränderung. Doch was sie tatsächlich mit sich bringt, ob und wie sie sich auswirkt, werden wir erst sehen – oder besser: mitgestalten.
Schulterschluss rules
Es geht hier letztlich nicht (nur) um die Pole Unabhängigkeit und künstlerische Feigheit vs. Vereinnahmung durch einen fernen und womöglich fiesen Riesen, der wir passiv ausgesetzt wären. Es geht um den grundsätzlichen Anspruch an uns selbst und an andere, in unserer (künstlerischen und sonstigen) Arbeit und den damit verbundenen Geschäften so gut wie möglich zu sein – solide, fair und anständig. Dann bleibt der Erfolg nicht aus und niemand wird zum Verräter, egal, in welchen ökonomischen Kontexten er oder sie sich bewegt. Jürgen Siebert, Ivo Gabrowitsch und die anderen Protagonisten im Zentrum dieser Debatte werden ihre „Art, die Dinge zu tun – und auch: Geschäfte zu machen“ nicht wesentlich ändern. Warum sollten sie auch. Sie sind doch genau deswegen für Monotype interessant. Mit allem, was dazugehört und was mit und um FontShop herum entstanden ist, der TYPO Berlin, den anderen typografischen Treffpunkten, dem lebhaften Austausch mit Schriftgestaltern und den sogenannten kleinen, unabhängigen Foundries hier in der Stadt und anderswo.
Diese „unverschämte“ Debatte ist der beste Beweis, dass niemand Erik oder Jürgen ihrer Wege ziehen lässt, sondern dass viele sich getroffen, betroffen und hoffentlich auch aufgerufen fühlen, weiterhin am Ball zu bleiben und die Entwicklung von FontShop und FontFont ebenso kritisch wie wohlwollend begleiten. Schulterschluss rules! Im besten Fall führt diese Debatte zu einem in Zukunft noch notwendigeren Schulterschluss aller, die an der erstklassigen Qualität, Vielfalt und Verbreitung von Schriften interessiert sind.
Anders gesagt: Scheiß auf die Romantik. Infragesteller und Korrektoren sind wichtiger denn je.
Rebellentum im luftleeren Raum, so „unabhängig“ man dann auch sein mag, hat noch nie viel gebracht. Arbeit und Austausch und unbeirrter Eigensinn von innen heraus, als „Teil des Systems“, wenn man so will, umso mehr.
F. Ontshopping
@Yanone:
Was hält Schriftgestalter/innen davon ab ihre Sachen selbst online zu verkaufen? Ist das technisch/finanziell so problematisch für kleine Anbieter?
Zur Orientierung finde ich die einzelnen Foundry Webseiten oft besser als die großen Anbieter. Deren Größe ist gleichzeitig ein Manko. Man findet nämlich oft schlechter wonach man sucht.
@ Jürgen & Erik
Die genannten Gründe drehen sich fast alle um Expansion. Mehr Käufer, mehr Konferenzen … Hat der Niedergang der Printbranche Fontshop wirtschaftlich so mitgenommen? Ist die Ausrichtung auf die Zielgruppe Hardwarehersteller/ Digitalwirtschaft daher dringend notwendig?
Alex
Eine Insider-Info als Nachtrag: Monopole neigen dazu ihre Marktmacht auszunutzen, zu Ungunsten anderer. Mit dem 1.1.2016 senkt Monotype seine Provision aller Partnerwebseiten von 15% auf 10%. Das heißt, kleine Schriftwebseiten wie unsere fontseek.com (fast 20 Jahre alt) und free-fonts.com bricht damit ein Drittel der Einnahmen weg. Alternativen zu Monopoltype gib es nicht mehr. Die Vielfalt an Webseiten über Schriften wird sicher noch mehr abnehmen. Aber wozu braucht man eine Vielfalt an Webseiten: fonts.com und dafont.com reichen doch aus. Dazu noch Google und Facebook, mehr braucht man nicht :-(