Warum die arte-Werbung ein Rohrkrepierer ist
(Gerrit van Aaken gewidmet, dessen Urteil ich sehr schätze; Abbildung links: Peter Thede, rechts: ich)
Die arte-Werbung kennt jeder, doch ich behaupte mal, die Botschaft dahinter haben nur die wenigsten empfangen. Dabei ist sie verblüffend einfach: Wir sollen arte auf Position 8 unserer Fernbedienung speichern … acht=arte. Ich weiß nicht, warum die verantwortliche Agentur keinen Weg gefunden hat, diesen simplen und einprägsamen Appell leichtverständlich mitzuteilen. Ob auch hier wieder zu viele Leute mitgeredet haben?
Dass die Anzeige nicht funktioniert, hat auch mit Typografie zu tun. Und mit dem doppeldeutigen Claim »ICH HABE ARTE UMGELEGT«, den manche Empfänger mit Sex, andere mit »12 Uhr Mittags« in Verbindung bringen … aber garantiert nicht mit der Botschaft: Bitte programmiere mal deine Fernbedienung um! Eine Ich-Botschaft ist schon gar nicht mit dem Portrait in Einklang zu bringen, das keinen Zapper zeigt, sondern ein arte-Programm-Thema darstellt.
Die Typografie. Es gibt zwei Textblöcke: das Kleingedruckte und der ins Foto integrierte Claim. Dieser ist auf einer Industrie-Beschriftungstafel angebracht, wie man sie in den Hotels der 70er Jahre angetroffen hat und in den Jahrzehnten danach in Büros oder Behörden (Update: Tatsächlich sollen die Tafeln von Steckbrief-Portraits imitiert werden). Ich glaube, dass fotografierte Claims keine Claims sind, sondern Bestandteil eines Fotos. So auch hier. Da wird den aufwendig in Szene gesetzten (teuer!) Arte-Identifikationsfiguren eine Selbstbezichtigung um den Hals gehängt, die auch unmittelbar ins Leere läuft. Was habe ich als Betrachter hier zu tun? Was ist meine Rolle? Multiple Botschaften. Man blättert weiter. Das Kleingedruckte … liest sowieso keiner.
Kein Witz … erst gestern, nach vier Jahren, habe ich mich erstmals dazu gezwungen, eine arte-Anzeige (im Süddeutschen Magazin) zu verstehen, wozu ich sie von oben bis unten durchgearbeitet habe. Die Kopflastigkeit dieser Kampagne, die seit 4 Jahren in Top-Medien geschaltet werden (für einen 7-stelligen Betrag, wie stern shortnews 2003 berichtete; Update: im SPIEGEL von morgen steht die rechte Anzeige auf Seite 9), spottet jeder Beschreibung.
20 Kommentare
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<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
flxb
Also sonderlich toll find ich die Kampagne auch nicht….aber ich verstehe den Claim mit seiner Typo anders:
Ich denke es soll dieses Polizei-Schild nachahmen das man aus dem Fernsehen kennt, das Gefangene beim Fototermin festhalten oder umgehängt bekommen. Und das damit man die Brücke zum vermeindlichen Verbrechen des »ARTE umlegens« schlagen kann. Das holpert und stolpert an jeder Ecke, mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht verstehe warum ein Sender bei jedem auf der Welt auf der gleichen Taste liegen soll… Nichts gegen ARTE… Ich mag den Sender….aber die Kampagne ist mehr als mäßig
Oliver Skawronek
Arte ist doch noch einer der wenigen Sender, den man fast rund um die Uhr noch anschauen kann. Dazu trägt, neben den erstklassigen Inhalt, das wunderschöne Senderdesign bei. Und die Arte-Zuschauer halte ich doch für so intelligent, dass diese die Botschaft dahinter verstehen. Besser, als dieser RTLII-Trash ist es alle male.
Nicolas
Eine Werbebotschaft soll ja nicht nur ankommen, sondern möglichst auch noch funktionieren, werden sich die Verantwortlichen gedacht haben. Und damit gerade so eine funktioniert, reicht es eben nicht sie »einfach« zu kommunizieren, werden die sich weiter gedacht haben. Das geht nur, indem man den Leser/Betrachter irgendwie zu fassen bekommt und mit ihm »redet«, in Form eines Textes. Aber wie bringt man ihn denn nun dazu, den Text zu lesen? Durch eine provokative Aussage, die dazu anregt, sich mit dem Rest – also dem Text – zu beschäftigen. Fertig ist die Anzeige ;-)
Jürgen
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich liebe arte: das Programm, Design, die Zeitschrift und den Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Der Sender ist der einzige Grund, warum ich Fernsehgebühr bezahle. Umso mehr schmerzt es mich, dass er so miserabel um neue Zuschauer wirbt.
MiSc
Also, auf 8 liegt bei mir Okto.
http://www.okto.tv
Matthias
Also ich habe die Botschaft damals sofort verstanden!
TM 3 (jetzt 9Live) hatte vor echtlichen Jahren übrigens schonmal eine ähnliche Kampagne (die wollten auf 3 gelegt werden).
Den Sinn eines solchen Umlegeappels bezweifle ich aber auch – insbesondere für Arte. Deren Zielgruppe lässt sich nicht Zappend durch den Fernsehmüll treiben sondern schaltet gezielt ein.
Yanone
Eine Anmerkungs zu Gerrit van Aakens Äußerung zu den 100 Besten Schriften: Ich ziehe den umgekehrten Schluss. Von Anfang an habe ich die Broschüre und deren Ankündigungen als klar definierte Werbung für FontShop gesehen und auch so konsumiert, und nichts anderes. Aber das Heft ist so aufwendig gestaltet, gut recherchiert, sympathisch geschrieben und informativ, dass ich mich gerne drauf einlasse. Ich habe mich heute morgen sehr gefreut, das Heft zur Frühstückslektüre im Briefkasten gehabt zu haben. Es wird wohl viele Jahre in meinem Bücherregal stehen.
Alexander Hahn
Danke für diesen tollen Artikel! – Ich sehe die Werbung auch als zu »langsam« an, auch für die brutale Intelligenz der Arte-Fans ist es einfach nicht schnell genug zu erfassen, ob man es nun mit nem Knasti oder nem Mensch mit nem Ich-Statement zu tun hat. ;-)
Und dann noch den Schluß draus zu ziehen, das man seine Fernbdienung umprogrammieren sollte, funktioniert sicher bei den wenigsten. Das »Arte – Auf Acht« sieht jeder 2te als »Schmuckelement« an, und es bekommt zu wenig »typografische« Beachtung, um als Kernaussage verstanden zu werden. – Oder?
robertmichael
diese idee hatten ja schon viele sender. „tele 5 auf die 5“, „pro 7 auf die 7“
und ich muss sagen den slogan „ich habe arte umgelegt“ finde ich nicht sooo doof. kurz – reißerischer aufmacher – ich habe sofort verstanden was die von mir wollen. ich kenn den herrn arte nicht, warum sollte ich ihn umlegen? es kann nur der sendeplatz gemeint sein – alles andere wäre quatsch.
die idee typo als bild zu verwenden ist auch nicht neu (siehe edeka) finde ich aber auch nicht weiter schlimm. mehr oder weniger plakativ und gut verständlich. das kleingedruckte fällt bei mir ebenfalls durch. der zusammenhang zw. peter thede und dem themenabend erschließt sich einem auch nur dann wenn man das kleingedruckte ließt. das „motiv“ könnte hier mehr ansprechen.
aber arte will uns ja nur eines damit sagen „setzt arte weiter vor auf euer senderliste“ verdient hat es der sender allemal. ich machs trotzdem nicht – einfach als gewohnheit. :-D
johannes
›arte auf acht‹ ist lustig. In meiner Gegend umschreibt man schief oder unordentlich getragene Kleidungsstücke mit ›auf halb acht hängen‹.
Sebastian
Danke für’s Erklären. Ich bin schon sicher an 20 dieser Werbungen vorbeigelaufen und habe mir nie die erforderlichen 30 Sekunden genommen, um sie zu verstehen.
Jetzt verstehe ich sie, und finde sie doof. Nach dem Motto »Wir haben nicht genug Anreize, um gesehen zu werden, wenn wir auf Kanal 12 liegen. Deshalb mach’s Dir bitte leichter, lieber Zuschauer.«
Nicht sehr selbstbewusst.
holger
schön das arte so subtil wirbt. alles was lauter wäre würde dem sender nicht gerecht. die kampagne wirkt sicher nicht bei der breiten masse, aber die die sie erreichen soll erreicht sie um so besser.
…mal drüber nachdenken :)
Jürgen
Ich empfinde den arte-Ansatz »Unsere Zielgruppe wird es schon verstehen« genauso arrogant wie den vieler privater Sender, die grundsätzlich davon ausgehen: »Unsere Zuschauer sind blöd.« Arte hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, seine potentiellen ›Kunden‹ ernst zu nehmen und (verständlich) um jeden einzelnen zu kämpfen. Andernfalls gehört dem Sender die GEZ-Gebühr entzogen!
holger
also ich fühle mich eher angesprochen, wenn eine kampagne ein gewisses niveau hat. und genau das ist es ja was arte von den anderen sendern unterscheidet.
erstens inhaltlich: arte ist ein kultursender für die intellektuelle mittelschicht (wenn ich das mal so vorsichtig formulieren darf).
zweitens ist arte unangepaßt. und ein bißchen schräg.
und so ist auch die kampagne. sie trifft den nagel auf den kopf.
arte nimmt seine zielgruppe so ernst, dass sie ihre kampagne exakt auf sie zuschneidet. genau so funktioniert werbung. arte will doch anders informieren, andere blickwinkel zeigen. warum dann nicht auch mit etwas mehr augenzwinkern und intellekt werben?
ich versteh euch nicht, wo ist in dieser gesellschaft der raum fürs anderssein? wollt ihr alles uniformieren? wo bleibt die vielfalt?
und PS: etwas weniger verbissenheit würde diesem blog sehr gut tun.
Heinrich
ich kann jürgen verstehen, arte und alle anderen die von GEZ finanziert werden solllten eine verantwortung tragen und eine art »aufklärung« betreiben, vielleicht werden sich ein paar rtl junkies gedanken darüber machen und umdenken.
es muss nicht laut werden und es sollte auch auf gewissem niveau bleiben, wenn man aber keine neuen zuschauer gewinnen möchte muss man auch keine kampagne für sehr viel geld durchführen.
Sebastian
Ich finde nicht, dass die Werbung „intellektuell“ ist oder „ein gewisses Niveau“ hat. Wenn dem so wäre, dann würde man sich freuen, wenn man sie (dann endlich) verstanden hat.
Überhaupt, wie man bei einem Appell zur Umprogrammierung des Fernsehers auf Intellekt kommen kann…
Und an holger: Es macht aber so Spaß mit der Verbissenheit – einfach nicht zu ernst nehmen ;-)
Thomas
Mir hat die Kampagne von Anfang an gefallen, ich weiß nur nicht, warum ich arte umlegen sollte, bei mir liegt es seit Anbeginn auf Speicherplatz vier.
Paul
Weiß denn jemand, von welcher Agentur diese Kampagne eigentlich ist?
Mick
Ohne die Erklärung hier im Blog was die Werbung aussagen soll hätte ich sie schlicht nicht verstanden. Ich konnte das umlegen weder mit den Bildern, noch den Titeln in Einklang bringen. Ich gucke mir das an und bin verwirrt. Wohl nur was für Insider und nicht die Masse ;-)