Warum das G1 nicht der iPhone-Killer wird

Vorbemerkung
Zwei Leidenschaften treiben mein beruf­li­ches Tun an: das Interesse für Marketing und für Design. Darum komme ich hier des öfteren auf wegwei­sende Produkte zu spre­chen, die nur indi­rekt mit Schrift und Typografie zu tun haben. Zum Beispiel das iPhone. Wen das stört, der kann diesen Beitrag ohne Erkenntnisverlust oder -gewinn igno­rieren … nur kommen­tieren sollte er ihn nicht.

Viele Köche um einem verdor­benen Brei: erst zur zweiten Fotosession am Ende der gest­rigen G1-Pressekonferenz wurden die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page mit auf die Bühne geholt. In den 30 Minuten davor sonnten sich die Schlipsträger (ohne Schlips) von T-Mobile, Google und HTC im Scheinwerferlicht.

Gestern wurde von T-Mobile USA, Inc. das erste und heiß erwar­tete Google-Handy vorge­stellt. Ein Gerät, das fast alles kann, was das iPhone macht. Und damit zu Recht als schärfster Konkurrent ins Rennen geht. Mir ist noch kein G1 in die Hände gekommen, also kann ich seine Leistungsfähigkeit nicht beurteilen.

Ich habe mir aber das 50-minü­tige Video der Erstvorstellung (Engadget-Live-Blog-Beitrag) ange­sehen (7-min-Kurzfassung). Dieses und seine Wirkung auf mich kann ich durchaus beur­teilen. War das eine ärmliche Vorstellung?! Mit der Leidenschaft eines Kühlschrankverkäufers trugen hoch­ran­gige Manager der betei­ligten Unternehmen T-Mobile, Google und HTC die Vorteile eines Mobilfunkgeräts vor, das immerhin die Kommunikation revo­lu­tio­nieren soll.

Kurz: Die 50 Minuten Pressekonferenz anzu­sehen ist eine Quälerei. Und zwar von der ersten Sekunde an, dem 3-minü­tigen Standbild, unter­legt mit aufmun­ternden Bongotrommeln. Dann folgt eine Art Finanzinvestorenwerbespot, bevor endlich der erste Protagonist die Bühne betritt. In der verstri­chenen Zeit hätte Steve Jobs schon längst die Erfolge des zurück­lie­genden Halbjahres vorgerechnet.

Kann ja sein, dass der ewige Vergleich mit Steve Jobs nervt. Aber wer das iPhone angreifen will, muss sich an Apple messen lassen. Er sollte auch nicht dieselben Fehler begehen wie Apple, zum Beispiel die stan­dar­di­sierte 3,5″-Kopfhörerbuchse vergessen. Das User-Interface scheint den entschei­denden Nachteil aufzu­weisen, mit der Geste des »langen Knopfdrückens« zu spielen, um eine unter­ge­ord­nete Funktion aufzu­rufen. Ich finde: ein geplantes langes Knopfdrücken geht gar nicht.

Die Dramaturgie der Veranstaltung spricht für sich. Als die Journalisten bereits das Büffet stürmen wollten, holte man erst die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page auf die Bühne. Abgesehen davon, dass sie den Namen des Gerätes noch nicht sicher beherrschten sah man ihnen an, wie wenig sie mit dem Fremdkörper in ihrer Hand anfangen konnten. Leidenschaftslos, das Ganze.


25 Kommentare

  1. Roman

    jeder sieht die Sache durch seine Brille.
    den Marketingexperten stößt die Präsentation übel auf, aber die Technik-Nerds freut es, endlich eine Alternative zum iPhone in den Händen zu halten.
    warten wir es ab.

  2. Christian

    oha, da ist ja wirk­lich 3 Minuten Standbild am Anfang. 3 min feinste Typo und nackte Dramaturgie mit leisen Trommeln im Hintergrund. Sieht aus wie eine Simpsons-Imitation eines Marketingvideos aus Shelbyville *kicher*

  3. Kay W. Ratzke

    Arme Präsentation.

  4. HD Schellnack

    Man darf Google nicht unter­schätzen und Android HAT Potential – aber der Start ist in jeder Hinsicht miss­lungen. Ein Gerät, dass weder für Home- noch für Businessuser taugt, ein Promobild mit falscher Uhrzeit, lang­wei­ligste Hardware und ein OS dass aussieht wie Windows vor zehn Jahren – damit ist kein Staat zu machen. Bleibt abzu­warten, ob die Nerdcore-Szene mit Skins, Applikationen und Personalisierung die Android-Platform beleben wird. Ideologisch ist die extrem offene Struktur auf jeden Fall eine Alternative zum herme­ti­schen, oft prohi­bi­tiven System Apple, in dem zwar viel Bullshit einfach nicht passiert – aber eben auch gute Applikationen wie Netshare oder TomTom nicht aufs iphone kommen.

    Idealerweise bringt die HTC-Attacke einer­seits (absolut über­legen Hardware, nur gebremst durch ein mise­ra­bles OS) und Android ande­rer­seits (offene Struktur und Google-Marktmacht) etwas Bewegung in die etwas lahme Entwicklung des iPhones.

    Die Kraft des iPhones ist die bril­lante Vernetzung mit dem OS via mobi­leme – das ist (gemessen an WinMo 6) gera­dezu erschre­ckend gut gelöst, bei allen Startfehlern, die mobi­leme so hatte. Da kommt niemand derzeit heran – und Apple ist gut beraten, mobi­leme mit aller Kraft aggres­sivst auszubauen.

    Dessen unge­achtet ist das G1 ein Non-Produkt. Wer da nicht lieber entweder zum HTC Touch HD greift oder eben zum iPhone – je nach Plattform mit der man sonst arbeitet – ist doch beknackt. Das G1 ist besten­falls was für Leute, die Windows UND Apple hassen und auch ansonsten mit Linux und Co bestens bedient sind.

  5. robertmichael

    OMG, ES HAT TASTEN!
    ich habe die präsen­ta­tion nach 19 minuten ausgemacht.

  6. Simon Wehr

    Man kann ja von Apple auch schlechtes reden. Aber warum machen alle anderen nicht einfach ihre Präsentationen so wie die von Apple. Das sind doch eigent­lich alles ganz einfache Regeln, die bei Jobsnotes perfekt ange­wendet werden. Man muss sie nur kopieren, mehr nicht. Ist das denn wirk­lich SO schwer? Oder macht das „denen“ nur einfach zu viel Arbeit?
    Aber für so mäch­tige Produkteinführungen sollte das ja wohl drin sein!

  7. Sebastian Nagel

    Ist das denn eine Produkteinführung in klas­si­schem Sinne? Oder ist es was ähnli­ches wie kürz­lich die Vorstellung von Google Chrome, also die Einführung eines Konzeptes?

    Langweilig ist es trotzdem :)

  8. Nina

    @Simon: Irgendwie schaffen sie’s einfach nicht. Ist ein biss­chen so, wie wenn Microsoft versucht, einen lustigen Werbespot à la Apple zu machen – entweder nur pein­lich (Seinfeld) oder nur defensiv (I’m a PC too!). Da fragt man sich schon.
    Auf sehr eigen­tüm­liche Weise lustig sind dann die Sachen, die sie ernst meinen. :)

  9. Domink

    Hab mir das Video ange­sehen, zur hälfte …
    und wenn der schli­p­lose Schlipsträger schon sagt dass er das gestern abend die ganze Zeit Pacman gespielt hat lässt es mich schon am G1 zweifeln.

    Ich dachte so ein neues tolles Teil hätte neuere und bessere Fetaures als Pacman.

  10. jamie oliver

    Naja das coole an Google ist doch das alles GRATIS (kostenlos) ist.

    Da das bei Android ja nicht der Fall ist leidet der Coolnessfaktor doch ziem­lich. Google Applikationen kauft man nicht.

  11. Sebastian

    Der Wahnsinn! Es ist wirk­lich zäh! Ein „world­wide Launch“?!?
    Ewig-Standbild (G1 muss booten) und dann: Schlipsmännchen ohne Schlips posieren unge­konnt wie ehema­lige Boygroupmitglieder, die eine Reunion machen wollen, während einer von Ihnen sagt: „I hope you all have Photoshop“. Wofür? Gegen die alters­be­dingten Falten in den Gesichern der Boys? Oder gegen das billig anmu­tende Produktdesign des G1?
    Bemüht versucht das Quartett die Gunst des Publikums zu erlangen: „So what do you think …….. ya?! …looks good….“ LIEBT MICH. Und: I’m a PC! Sergey Brin kommt nicht nur zu spät, er redet vom App Store (Apple – anstatt dem Google Market). Und so fort.
    Ich bin gespannt, wie das Ding in echt wirkt. Bisher find ichs crap! Und an Apple gemessen: ein Flop. Ziemlich sicher.

  12. ole schäfer

    … bei mir funk­tio­nierte gerade der link nicht – viel­leicht sagt das 1:29 min Video auch schon alles: http://www.stern.de/computer-technik/telefon/:G1-Pr%E4sentation-Google/640075.html

    … mich stört grund­sätz­lich jede markt­be­herr­schenden Stellung im Softwarebereich …

  13. Dk

    hat denn außer mir niemand angst vor google und vor einem google-phone erst recht?

  14. Jürgen

    viel­leicht sagt das 1:29 min Video auch schon alles

    Nee, das sagt nur, auf welch erbärm­li­chem Niveau manche Großmedien – in dem Fall der Stern – die PR-Seifenblasen ihrer Werbetreibenden nach­beten. Nicht von unge­fähr: Am Ende des Filmchens folgt der totge­nu­delte Telekom-Werbespot mit dem Tenor Paul Potts. Ist es zu viel verlangt für eine Technik-Redaktion, einen Blick in das Datenblatt zu werfen und die Pressekonferenz mit offenen Augen und Verstand anzuschauen?

  15. Christian

    das ist doch eine Strategie und wir verhalten uns nur wie geplant :-)

  16. andreas

    Ich bin 20 Jahre alt
    und habe immer­noch kein Handy – aus überzeugung.

    Ich sehe scheinbar jeden Fortschritt mit einer Pessimismusfalte in der Stirn.

    Sehe ich das viele Geld was z.B. durch sowas abge­schef­felt wird, dann sehe ich eine von Tag zu Tag wach­send unzu­frie­de­nere Gesellschaft, die sich niemals mit einem Zufrieden gibt und undankbar nach immer mehr Mobilität, Funktionalität und Erreichbarkeit gräbt. Jedes Jahr neue Geräte die das Leben belasten.

    Erbärmliche Medienkonzerne … ein Fortschritt mit zwei verbor­genen Rückschritten.

  17. robertmichael

    @ ole, doch das video läuft. was du siehst ist das g1 stand­bild. ich dachte auch erst wieso es nicht läuft *g*

  18. Nina

    @andreas: Ganz unrecht hast Du ja nicht, aber mit der Einstellung, wenn Du sie so klar formu­lierst, müss­test Du Dich eigent­lich nicht nur der mobilen Telekommunikationsbranche, sondern der gesamten Konsumgesellschaft konse­quent verwei­gern. Tust Du das? Einen Rechner hast Du ja offenbar (SCNR).

  19. Simon Wehr

    @ Nina: Danke für diesen Link, der war mir neu!
    Und ich frage mich langsam, ob Microsoft nicht doch ein ganz cooler Laden ist …
    Ich meine, die sind sich ja nun wirk­lich für garnichts zu schade. Selbstironie bis zum obersten Anschlag (oder? Sowas KANN man doch gar nicht ernst meinen!). Da wiederum könnte sich Apple mal etwas von abschneiden.

  20. Simon Wehr

    @ andreas: Ich lebe auch glück­lich und zufrieden ohne Handy (meis­tens).
    Aber ob ich Deine Einstellung nun teilen kann?
    War nicht am Ende die Erfindung des Feuers schon ein Fehler?

  21. Heinrich

    @ andreas

    ich kann dich ein bischen verstehen aber du kannst neue tech­no­lo­gien nicht verteufeln.
    in indien machen die fischer mehr umsatz, seit dem sie handys benutzen, sie können nämlich kurz vor de küste die nach­frage checken und sich für ein hafen entscheiden, früher mussten sie es einfach riskieren und wurden nicht alles los. für sie ist die technik sehr wichtig wie für viele andere länder mit schwa­chen strukturen.

    übri­gens es ist aus der letzten ausgabe der de-bug mit einem spacial über handys, arme länder und die zukunft.
    http://​www​.de​-bug​.de/​m​a​g​/​5​7​9​7​.​h​tml

    und ja bei google gibt es nichts umsonst, wir zahlen alle schön mit, sie versu­chen zwar einiges zur verein­fa­chen aber sie wollen auch das große geld mit infor­ma­tionen machen, das ist bedenklich.

  22. ole schäfer

    @ Jürgen … das meine ich, auch die Werbung.
    @ robert­mi­chael … heute morgen war der link richtig, aber die Seite zusammengebrochen

  23. Nina

    @ Simon:

    [Microsoft:] Selbstironie bis zum obersten Anschlag (oder? Sowas KANN man doch gar nicht ernst meinen!) 

    Ich befürchte eben doch! Auch wenn es kaum begreif­lich ist. Das sind echt die ganz düsteren Abgründe der Corporate-Kultur. Aber wenn mich jemand vom Gegenteil über­zeugt, wäre ich irgendwie auch ganz erleichtert.

  24. Thilo

    Ich habe eben den Anfang des Videos gesehen und dachte: Was findet der Jürgen daran eigent­lich so schlecht? Die Eingangspräsentation auf der Bühne ist doch mit wunderbar psyche­de­li­scher Musik unter­legt (und zwar mit »When a man loves a woman« in der einzig­artig lang­samen Fassung von Art Garfunkel). Dann habe ich gemerkt, dass im Hintergrund mein iTunes noch lief, die Musik kam von meinem Rechner! Das Video habe ich schnell beendet und weitergearbeitet …

  25. Oli

    Wir waren damals einfach zu verwöhnt von den wirk­lich guten Keynotes von Apple, deren Qualität auch rück­bli­ckend noch begeis­tert… die MacBookAir-Keynote z. B. kann man auch heute noch als Lehrstück einer Spitzenpräsentation ansehen.
    Ich würde gerne das 50–Minuten-Video nochmal sehen (als Negativbeispiel), hat jemand zufällig einen Link zu einer funk­tio­nie­renden Version? Ich erin­nere mich, dass ich damals herz­haft darüber gelacht habe, wie Mr. Google sinn­bild­lich trans­por­tierte, dass das Beste, was man mit dem G1 machen kann, ist, es hoch­zu­werfen und die Zeit zu messen, die es in der Luft war.

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