Urlaub in Frakrotürnesien oder …

… warum ist die Tourismuswerbung in Deutschland gleichgeschaltet?

von Jürgen Siebert

Wenn du einen arbeits­rei­chen Sommer ohne Urlaub hinter dich gebracht hast, wächst am Ende der Ferien die Reiselust. Bilder ferner Länder fließen durch deinen Kopf auf dem Weg ins Büro. Andere fliegen draußen auf Plakaten vorbei, beim Blick durchs U-Bahn- oder Autofenster: Strände, Badende, Sehenswürdigkeiten, Natur …

Am Schreibtisch versuche ich mich an das Gesehene zu erin­nern. Aber es blieb nix hängen, außer: Aerlingus, Germanwings, FlyBE, Condor, Tuifly … Warum setzen sich die Billigflieger in meinem Gehirn fest, nicht aber die Reiseziele. Was ist ein Airbus gegen Istanbul, eine Boing gegen die Côte d’Azur?

In den darauf­fol­genden Tagen schaue ich mir die Tourismuswerbung etwas genauer an. Da fällt mir auf, dass sie austauschbar ist. Würde man die Reiseziele abde­cken und nur die Bilder und den Text sehen, es fiele schwer zu erkennen, wer mich da in welches Land locken möchte. Typisch ist die hori­zon­tale Zweiteilung der Werbemotive in blauer Himmel plus glück­liche Surfer oder blaues Meer plus verliebtes Pärchen.

Nun bin ich zwar ein Freund unserer guten FF Justlefthand, und fest davon über­zeugt, das sich viele unsrer 1,5 Millionen lizenz­freien Fotos für Tourismuswerbung eignen … aber so wie es in den Beispielen oben zu sehen ist, war das nicht gedacht. Wo ist da Profil? Wo sind die Werte der Urlaubsländer? Vieles in unserer Konsumwelt ist austauschbar, oder um es positiv zu formu­lieren, von glei­cher Qualität: Autos, Waschmittel, Handys … Wenn es Produkte gibt, die wirk­lich unver­wech­selbar ist, dann sind es die nahen und fernen Länder, in die wir gerne Reisen (sollen).

Fazit: Ein Großteil der Tourismus-Werbung austauschbar, was sich bisweilen im Internet fort­setzt: goTurkey. Es gibt auch Ausnahmen: Montenegro​.travel. Die Billigflieger machen es vor, wie man sich im Wettbewerb Gehör verschafft.

So, und jetzt kann ich mich nicht entscheiden, ob ich meinen Urlaub in Germanwings, Aerlingus oder easyJet verbringen soll.


20 Kommentare

  1. Ivo

    Da ich mich nicht zwischen FF Disturbance und FF Hands entscheiden kann, flieg ich nach airlingus​.com. Ich will den Rasenpfeil mal in echt sehen.

  2. Simon Wehr

    Och, ich bleib einfach hier. Rheinhessen wird unter­schätzt! Ist auch noch besser fürs Klima.

  3. Christian

    Ich vermute, dass bei der Tourismuswerbung zu viele Leute mitreden, also kommt der Weichspüler (und die weiche Bildkante). Bloß keine Politik, bloß keine Region bevor­zugen, bloß nicht anecken. Da bleibt nur Sonne, Luft und Meer (und viel­leicht eine Frau, die von einem Surfsegel erfri­schend aufge­spießt wird).

    Kunden, die diese Werbung nicht beach­teten, igno­rierten auch die CMA-Kampagnen :-)

  4. Suzu

    Hm, inter­es­sante Analyse, wird genau so von der Mafo untermauert:
    die Leute wollen im Uraub: Sonne und Strand, Reiseziel egal aber all inclu­sive; und genau das ist auf den Plakaten drauf.
    http://​www​.weg​.de/​p​e​r​f​e​k​t​e​r​-​u​r​l​a​ub/
    Hatte auch einen Sommer mit viel Arbeit und ohne Urlaub. Mein Tipp: zu versu­chen, in jeden Tag ein klein biss­chen Urlaub zu inte­grieren – zum Beispiel mit ab und zu einem Ausflug in den Fontblog…

  5. Ivo

    in jeden Tag ein klein biss­chen Urlaub zu inte­grieren – zum Beispiel mit ab und zu einem Ausflug in den Fontblog…

    Dann will ich aber Strand und Palmen im Fontblog!!! Jürgen, bitte über­nehmen Sie.

  6. robertmichael

    mal ehrlich, wie wollt ihr das anders machen? gerade die südli­chen länder stehen nunmal für ihre blauen meere und goldenen strände. grüne wälder sehen auch immer toll aus und dazu noch ein paar lachende leute, damit es nicht so verloren aussieht.
    städ­te­wer­bung ist da schon etwas einfach, weil man ggf. etwas beson­deres betonen kann, was andere städte nicht haben. so falsch ist das ja auch gar nicht, den ich schätze mal ein groß­teil fährt genau deshlab dorthin. wem inter­es­siert schon die politik des landes?
    ggf. sollte man nicht auf dem bild­ma­te­rial herum­ha­cken, sondern an der gesamt­ge­stal­tung. seiten­aufbau, schriften, logos … austauschbar, lang­weilig. ganz schlimm finde ich immer diese weich­ge­zeich­neten frei­steller, bei dem die bilder inein­ander über­gehen (siehe tune­sien, türkei).
    das goldene horn in kroa­tien ist übri­gens immer über­füllt. das werdet ihr als 08/15 tourist wohl niemals so leer erleben. ;)

  7. thomas | BFA

    jedes land hat etwas indi­vi­du­elles und wenn es eben dicke schwarze schnurr­bärte sind um das mal platt zu sagen. warum eben nicht darauf zurück greifen. strand leute und co. sind wirk­lich austauschbar. auch wie chris­tian anmerkte, es gibt keine foto­ideen im sinne von kompo­si­tion. das ist alles einheits­brei. da könnte man schon eine menge errei­chen. vor allem eine sinn­volle bild­sprache für einen anbieter, das ist ja auch so ein punkt.

  8. Christian

    oder mit Typografie? Da war doch was? :-)

  9. thomas | BFA

    ja das ginge auch, ist aber bestimmt schwerer … obwohl, so ganz ohne bilder, wäre ja mal ein versuch. nur ist danach die marke­ting­ab­tei­lung der reise­un­ter­nehmen neu zu besetzen, weil die damen und herren alle einen kollek­tiven herz­in­farkt bekommen haben.

  10. c.

    Also diese leichten Aehnlichkeiten in der Gestaltung koennen aber auf keinen Fall damit zusam­men­haengen, dass­alle Anzeigen in der glei­chen Agentur entwi­ckelt wurden. Oder?

    http://​off​-the​-record​.de/​2​0​0​8​/​0​8​/​2​3​/​s​p​i​e​s​s​e​r​-​a​l​f​o​n​s​-​b​e​s​t​-​w​e​r​b​u​n​g​-​f​u​e​r​-​a​l​le/

  11. Johanna

    Interessanter Artikel, insbe­son­dere da ich vor wenigen Tagen in der Heftmitte des aktu­ellen Kultur-Spiegels eine Reisewerbung für Peru entdeckt habe, bei der ich am atmo­sphä­ri­schen Foto, jedoch insbe­son­dere an der irri­tie­renden Typografie hängen­ge­blieben bin. Ein Blick auf die ange­ge­bene Webseite http://​www​.peru​.info zeigt, dass die Schrift mit (soweit ich entde­cken konnte) gespie­geltem N, W und V auch dort verwendet wird. Eine ernst­ge­meinte Frage: Weiß jemand, ob sich diese Schrift auf irgend­etwas mir verbor­genes beziehen könnte? Bei mir hat sich da nur ein ziem­lich großes Fragezeichen aufgetan.

  12. Tobi

    Musste dabei gerade an

    Why is six afraid of seven? – Because seven eight nine…

    denken :D

  13. Henning

    Manche Schlüsselreize auf der Bildebene kehren in der Werbung immer wieder, weil sie bewiesen haben, dass sie funk­tio­nieren. Das ist nicht nur in der Tourismuswerbung so. Ich denke auch an die Schokoladensauce, mit der Eiscreme verkauft wird.

    Auch die Farbsprache ist in manchen Branchen kano­nisch (blau=Technologie) und dass in manchen Branchen bestimmte Schrifttypen vorherr­schen, ist auch kein Geheimnis (Optima=Kosmetik).

    Doch wenn man sich unter­scheiden will, muss es ein wenig mehr Differenzierung sein. Denn wenn die Werbung austauschbar ist, inves­tiert der Werbungtreibende seine Werbemillionen ja immer auch ein Stück weit zugunsten seiner Wettbewerber.

    Undifferenzierte Werbung für „Süden-Meer-Sonne“ zieht nur 25% an, das lese ich in der von Suzu (#4) verlinkten, sehr inter­es­santen Befragung – und mögli­cher­weise deckt sich die damit einge­wor­bene All-inclu­sive-Klientel gar nicht mit den Zieldefinitionen des Marketing.

    Insoweit frage ich mich schon, wieso eigent­lich ausge­rechnet in der Tourismuswerbung die Möglichkeiten, sich durch ein konse­quentes Corporate Design zu einem unver­wech­sel­baren Auftritt zu verhelfen, so gar nicht genutzt werden. Es ist ja nicht nur so, dass sich in manchen Saisons die Auftritte unter­schied­li­cher Länder verblüf­fend ähneln, nein, in der nächsten Saison sieht auch alles wieder ganz anders aus – grad so, als wären die Länder abrupt in eine andere Klimazone versetzt worden.

    Wie gut ähnliche Produkte durch voll­kommen unter­schied­liche Marktauftritte beworben und die Marken so diffe­ren­ziert werden können, das könnte sich die Tourismuswerbung beispiels­weise bei den Energieversorgern oder den Telekommunikationsdienstleistern ansehen. Die unter­scheiden sich dann auch in der Schriftwahl, haben teils gar Exklusivschriften, und sie bauen ihre grafi­sche Welt über Jahre konse­quent auf.

  14. HD

    Austauschbarkeit hast du in Werbung doch zuneh­mend, schau dir mal Bierwerbung u.ä. an – me too, wohin das Auge reicht. Die wenigen Marken, deren Marketing etwas Mut hat, fallen dann entspre­chend mit kleinem Aufwand sofort positiv auf.

    Wobei ich die Oktober-Revolution einfach mag, weniger die Umsetzung, wobei in diesem CD auch wenig zu rocken ist, als viel­mehr die Idee (Hallo Maori ;-)).

  15. robertmichael

    ich weiss nicht ob man touris­mus­wer­bung mit ener­gie­bran­chen­wer­bung gleich­setzten kann.

  16. Henning

    Robert, ich habe vorge­schlagen vergleichs­weise das Differenzierungsvermögen der Werbung bei völlig indif­fe­renten Produkten zu betrachten, von Gleichsetzung war gar keine Rede.

    Strom, Benzin, Erdgas, Telefonie sind so gesichtslos als Produkt (= kommt aus der Steckdose, der Zapfsäule, dem Gasanschluss, dem Hörer), dass die Werbung modell­haft zeigt, was sie leisten kann – nämlich ein Produkt mit Identität und Gefühl aufladen.

  17. Axel Porsch

    Tourismus-, Bier- und Energiewerbung/-kommu­ni­ka­tion haben sehr wohl etwas mitein­ander zu tun – es handelt sich schlicht und einfach um Produkte bzw Dienstleistungen.

    Bei Mittelmeer-Urlaubsdestinationen kann man in der Regel von schönem Wetter, von Stränden und einem grossen Angebot von Familien-Hotels ausgehen, wobei gerade bei all-inclu­sive-Paketen die Margen für die Hotels äusserst gering sind. Ein Mehrwert kann für die Länder nur bei konsum­stär­keren und indi­vi­duell buchenden Reisenden erwirt­schaftet werden, die sich zum Beispiel für Wellness, Golf, Yachting, Kultur oder nach­hal­tigen Urlaub interessieren.

    Davon haben Länder, wie z.B die Türkei in reich­hal­tigem Masse zu bieten – nur sollte dies diffe­ren­zierter kommu­ni­ziert werden.

    Einen Ansatz, dies durch eindeu­ti­geres, ziel­grup­pen­ori­en­tiertes Design, Corporate Typo und vor allem Beständigkeit zu lösen, halte ich für den rich­tigen Weg.

  18. Daniel

    GÄÄÄHNN!

    Diese «Streitthemen» verkommen ja zur abso­luten Unterhaltungswüste. Gleichschaltlangeweile?
    Gibt es keine rele­vanten Thema mehr?

  19. Andreas

    Es gibt auch einige die es besser machen. Die liegen zwar nicht so sehr südlich aber es hat trotzdem mit Ferien zu tun:

    – «Alltag raus, Österreich rein»
    Das war eine schöne Kampagne mit teis ausge­zeich­neten Bildern.
    Leider habe ich nur diese Sujet gefunden, aber da gabs eine wunder­bare Serie
    http://info.ifi.hs-bremen.de/~ausland/Bilder/at/panorama.jpg

    – «Tirol»
    Auch die Feriengegend Tirol hat eine klaren, prägnanten Auftritt:
    http://​www​.tirol​.at/​m​e​d​i​a​/​1​1​6​8​9​/​S​n​o​w​b​o​a​r​d​e​r​_​8​0​0​x​6​0​0​.​jpg
    http://​www​.tirol​.at/​m​e​d​i​a​/​1​1​6​8​9​/​L​a​n​g​l​a​u​f​e​n​_​8​0​0​x​6​0​0​.​jpg
    http://www.tirol.at/media/11689/Berliner%20Hütte%20800×600.jpg
    http://www.tirol.at/media/11689/Biker%20800×600.jpg

    – «Südtirol»
    eben­falls ein eigen­stän­diger Auftritt:
    http://​www​.sued​tirol​.info/​S​I​n​f​o​/​E​n​t​r​y​P​a​g​e​/​E​N​_​E​n​t​r​y​P​a​g​e​.​h​tml

    – und doch noch was im Süden: Griechenland.
    Nicht ganz so durch­gängig, aber auch nicht schlecht:
    http://​www​.gnto​.gr/​E​m​e​n​t​o​r​I​m​a​g​e​s​/​I​m​a​g​e​/​c​a​m​p​a​i​g​n​/​2​0​0​8​/​l​a​n​d​s​c​a​p​e​/​j​p​g​/​c​o​u​n​t​r​y​s​i​d​e​.​jpg
    http://​www​.gnto​.gr/​E​m​e​n​t​o​r​I​m​a​g​e​s​/​I​m​a​g​e​/​c​a​m​p​a​i​g​n​/​2​0​0​8​/​l​a​n​d​s​c​a​p​e​/​j​p​g​/​n​a​u​t​i​c​a​l​.​jpg
    http://​www​.gnto​.gr/​E​m​e​n​t​o​r​I​m​a​g​e​s​/​I​m​a​g​e​/​c​a​m​p​a​i​g​n​/​2​0​0​8​/​l​a​n​d​s​c​a​p​e​/​j​p​g​/​d​e​l​p​h​i​.​jpg
    http://​www​.gnto​.gr/​E​m​e​n​t​o​r​I​m​a​g​e​s​/​I​m​a​g​e​/​c​a​m​p​a​i​g​n​/​2​0​0​8​/​l​a​n​d​s​c​a​p​e​/​j​p​g​/​t​o​u​r​i​n​g​.​jpg

  20. rzr

    Wo ist da Profil? Wo sind die Werte der Urlaubsländer? Vieles in unserer Konsumwelt ist austauschbar, oder um es positiv zu formu­lieren, von glei­cher Qualität: Autos, Waschmittel, Handys … Wenn es Produkte gibt, die wirk­lich unver­wech­selbar ist, dann sind es die nahen und fernen Länder, in die wir gerne Reisen (sollen).

    Die Frage ist viel­mehr, inwie­weit unter­scheidet sich eigent­lich ein Pauschalurlaub mit Hotel, Pool und Strand in diesen Ländern vonein­ander? Geht es um Kultur oder um persön­liche Freizeiterlebnisse in den Anzeigen?

    Die Konsumgesellschaft bedingt die Gleichförmigkeit von Waren, die Antwort auf dieses Problem ist der Fetisch.

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