»Tundra hat dem ›stern‹ mehr Profil gegeben.«

Fontblog im Gespräch mit dem Schriftentwerfer Ludwig Übele

Mit seinem Büro LudwigType gehört der junge Berliner Typedesigner Ludwig Übele zu den Shooting-Stars der deut­schen Foundry-Szene. Fontblog sprach mit ihm über das Handwerk der Schriftgestaltung, die Rolle seiner FF Tundra beim Redesign des  Magazins Stern und neue Projekte.

Fontblog: Wenn sich ein großes deut­sches Magazin neu erfindet und visuell auffrischt, schauen wir Typografen zuerst auf die verwen­deten Schriften. Der Stern hat sich für FF Tundra als Textschrift entschieden, was auch erfah­rene Schriftenfans über­rascht hat, denn Tundra hatte im Editorial-Design noch keinen großen Auftritt. Waren Sie auch überrascht?

Ludwig Übele: Ein biss­chen schon. Ich wusste ja längere Zeit nichts davon, denn die Schrift wird ja nicht direkt bei mir lizen­ziert. Dass Tundra irgend­wann in einem Magazin zur Andwendung kommt, über­rascht mich weniger. Ich habe sie ja in erster Linie für Fließtext entworfen. Sie ist ziem­lich schmal und hat eine eini­ger­maßen große x-Höhe. Faktoren, die bei Zeitschriften und Zeitungen mit ihren schmalen Textspalten eine wich­tige Rolle spielen.

Interessanterweise habe ich beim Entwerfen einer neuen Schrift meis­tens jene Art der Textgestaltung im Kopf, die im Editorial Design so typisch ist: Layouts, die mit verschie­denen Ebenen arbeiten und schmalen Textspalten. Dies bedeutet, dass eine Schrift relativ kompakt sein muss. Sie soll ja in kurzen Wortfolgen genauso gut funk­tio­nieren wie in langen Texten. Sie darf jedoch nicht zu kompakt sein, sonst fehlt ihr die Offenheit der Formen, die für die Leserlichkeit von Fließtext enorm wichtig ist. Bei der FF Tundra lag mein Augenmerk aller­dings eindeutig auf fort­lau­fenden Text.

F: Haben Sie in der Zwischenzeit mehr darüber erfahren, welche Kriterien den Ausschlag für Tundra beim Stern ergaben?

Ü: Ich hab’ heraus­ge­funden, dass die Stern-Grafik sehr viele unter­schied­liche Schriften für den Fließtext getestet hat. Das Magazin wird ja im Tiefdruck produ­ziert, was für Fotos zwar von Vorteil ist, für Text aber bedeutet, dass die Buchstaben geras­tert werden und dadurch stark ausfransen. Deshalb sieht so ein gedruckter Text ziem­lich unscharf aus. Die Anforderungen an eine Schrift im Tiefdruck sind also viel stärker als im vergleichs­weise scharfen Offsetdruck. Meine Tundra hat bei den Tests wohl am besten abgeschnitten.

F: Kleine Änderungen an Buchstaben haben oft eine große Wirkung im Druckbild. Welches sind die wich­tigsten Merkmale ihrer Tundra, die sie im Tiefdruck so gut aussehen lassen?

Ü: Es sind die stabilen, eindeu­tigen Formen. Die Serifen sind kräftig, die Endungen (a, c, e, t) eben­falls. Der Strichstärkenkontrast ist eher moderat, es gibt also keine feinen Linien. Die Rundungen sind verhält­nis­mäßig eckig. Dadurch vergrö­ßert sich der Innenraum der Zeichen und die Schrift erscheint größer als sie tatsäch­lich ist. Die einzelnen Formen sind sehr offen gehalten, was gene­rell der Lesbarkeit dien­lich ist. Die Buchstaben verbinden sich so besser, die Zeilenwirkung erhöht sich. Das Auge wird beim Lesen von einer Silbe zur nächsten geführt. Im Tiefdruck scheinen diese Eigenschaften der Leserlichkeit zugute zu kommen.

F: Die Wahl des Stern für ihre Schrift könnte, bei aller Lesbarkeit, auch ein Schritt in Richtung ›Stärkung des visu­ellen Profils‹ sein. Die Tundra ist noch relativ jung und unentdeckt.

Ü: Das gesamte Redesign des Stern zielt darauf ab, dem Heft mehr Profil zu geben. Dazu kann eine junge, unver­brauchte Schrift sicher­lich ihren Beitrag leisten. Insbesondere wenn sie konse­quent einge­setzt wird. Auf der Webseite des Stern werden momentan noch die Allerweltsschriften Arial und Georgia verwendet. Aber ich nehme an dass auch der Webauftritt demnächst über­ar­beitet wird.

F: Wollen wir hoffen, dass dieser Schritt bald folgt. Die FontFonts genießen ein hohes Ansehen, was ihre Bildschirmqualität angeht.

Ü: Ich war echt über­rascht, als ich die Webfonts der Tundra zum ersten Mal am Bildschirm sah. Den Kollegen bei FontFont ist es gelungen, das gleich­mä­ßige und klare Druckbild der Schrift auch auf den Bildschirm zu über­tragen. Sicherlich begüns­tigen die offenen, klaren Buchstabenformen die gute Bildschirmdarstellung. Letztlich ausschlag­ge­bend ist aller­dings die tech­ni­sche Umsetzung. Soviel ich weiß war FontFont die erste Foundry, die im Februar 2010 mit einem großen Bestand an Web-Fonts im Woff-Standard herauskam.

Es freut mich natür­lich, dass Tundra auch am Bildschirm funk­tio­niert und im Web bereits fleißig einge­setzt wird, zum Beispiel bei Quote BinPeek & Cloppenburg oder auf der Site des Webdesigners Jonathan Krause. Ich hatte das beim Entwurfsprozess ja nicht explizit beabsichtigt.

F: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich viele Marken und Medien so schwer tun, den flexi­blen Kanal Internet optisch aufzu­fri­schen … was viel schneller und preis­werter durch­zu­führen und umzu­setzen wäre, als ein Redesign auf Papier?

Ü: Vielleicht wird der Netzauftritt immer noch als notwen­diges Übel anstatt als ein eigen­stän­diges Medium gesehen. Aus der Sicht tradi­ti­ons­rei­cher Unternehmen ist es ein junges Medium. Die meisten Webseiten imitieren im Großen und Ganzen auch nur Gedrucktes. Viele Apps funk­tio­nieren in dieser Hinsicht wesent­lich besser. Auch weil die Hersteller aufgrund der Größe zur Beschränkung und damit zur Bündelung gezwungen werden.

F: Sie erwähnten eben, dass sie beim Entwerfen der Tundra noch nicht an einen Einsatz auf Websites gedacht hätten. Was wäre anders geworden, wenn doch?

Ü: Womöglich gar nicht soviel. Da die FF Tundra raum­fül­lende Rundungen und keine engen Bögen hat, passt sie sich sehr gut einem ortho­go­nalen Pixelraster an. Wahrscheinlich hätte ich sie fürs Web etwas breiter gemacht, zumin­dest für kleine Textgrößen. Für bestimmte Probleme müsste man viel­leicht andere Lösungen finden. So nutzt FF Tundra zum Beispiel das OpenType Feature Kontextbedingte Variante, um ein schmales f bei proble­ma­ti­schen nach­fol­genden Zeichen zu setzen (z.B. fü, fè etc.). Das geht im Web natür­lich nicht.

F: Gibt es tatsäch­lich eine funda­mental andere Herangehensweise, wenn man eine Schrift für den Druck auf Papier oder für den Einsatz am Bildschirm gestaltet?

Ü: Ja und Nein. Ich glaube nicht daran, dass Schriften für unter­schied­liche Anwendungen unter­schied­lich aussehen müssen. Eine lesbare Schrift ist meist überall lesbar, egal ob in einem Buch oder auf einem Verkehrsschild … Verkehrsschilder in Garamond, das wär doch mal was! Lesbarkeit ist zu einem großen Teil Gewohnheit. 

Zugegeben, es mag gewisse formale Faktoren geben. Möchte man schmale Textspalten setzen, nimmt man natür­lich keine breit­lau­fende Schrift. Was jedoch eine entschei­dende Rolle spielt ist die Qualität der Umsetzung, sprich die Art der Wiedergabe und die Höhe der Auflösung. Schrift auf einem Retina Display ist gleich­mä­ßiger und detail­ge­treuer als auf einem Laserdrucker. Sind die recht­eckigen Pixel aller­dings noch sichtbar, wie bei den meisten Bildschirmen, muss natür­lich darauf reagiert werden.

F: Woran arbeiten Sie gerade?

Ü: Ich habe eigent­lich immer mehrere Schriften gleich­zeitig in der Mache. Neben der Helsinki, die ich zur Zeit über­ar­beite und erwei­tere, sind noch zwei weitere Serifenlose in Arbeit. Die eine hat sehr eckige Kurven, die andere relativ schmale Buchstabenformen. Eine ziem­lich spitze Antiqua ist auch schon recht weit entwi­ckelt. Mal sehen welche zuerst fertig wird.

Ich habe mir ange­wöhnt, Schriften immer wieder eine Weile liegen zu lassen, und in der Zwischenzeit an einem anderen Entwurf zu arbeiten. So bekomme ich immer wieder etwas Abstand. Das hilft die Schrift besser zu beur­teilen, vor allem wenn man sehr mit den Details beschäf­tigt ist.

F: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Übele.

Ludwig Übele studierte an der Königlichen Akademie in Den Haag, wo er 2007 seinen Abschluß machte. Seine Schriften wurden bereits mehr­fach ausge­zeichnet, unter anderem bei den Wettbewerben TDC² ( 2008 und 2010), MyFonts Top 10 (2008), Granshan (2009) und ATypI Letter.2 (2011). Neben der Arbeit für sein eigenes Label ist Übele auch für die Wiederveröffentlichung der ange­se­henen GST-Schrift-Bibliothek von Georg Salden verant­wort­lich (TypeManufactur).


3 Kommentare

  1. Florian

    Interessantes Interview!
    Zum schmalen ›f‹ als kontext­be­dingte Variante: Karsten Luecke empfiehlt ein umge­kehrtes Vorgehen: Die schmale – sichere – Form sollte der Standard sein und durch die weiter ausla­dende Form ersetzt werden, so es der Kontext erlaubt.

  2. Tim Ahrens

    Noch mal zum Thema kontext­be­dingte Varianten (Contextual Alternates): Das geht inzwi­schen ganz gut im Web, ist quasi das einzige schon relativ gut unter­stützte OpenType-Feature.

    Hier gibt es einen Überblick zur Browser-Unterstützung: http://​caniuse​.com/​f​o​n​t​-​f​e​a​t​ure. Wobei das dunkel-gelb-grün bedeutet, dass Safari die Contextual Alternates, Kerning und Ligaturen kann, Mobile Safari die Contextual Alternates und Kerning.

    Hier kann man das übri­gens sehr elegant direkt mit dem entspre­chenden Browser testen.

  3. Henning Skibbe

    Da ich beim Stern-Relaunch als Typograph die Schriftauswahl und -tests durch­ge­führt und begleitet habe, darf ich Ludwigs Bemerkungen zum Tiefdruck viel­leicht noch etwas ergänzen. Um Layouts (also auch Schriften) per Tiefdruck aufs Papier zu bekommen, durch­laufen diese nicht nur einen, sondern gleich mehrere Verfremdungsschritte:
    Die Schriften werden als Vektoren in ein PDF gespei­chert und an die Druckerei geschickt. Dort werden sie durchs RIP geschickt und in Pixel umge­wan­delt. Danach wird die gepi­xelte Datei mit einem Diamantstichel in einen Druckzylinder graviert (siehe Bild).

    Diese Gravur „über­setzt“ die Pixel in Rauten – je nach Farbauftrag sind die größer oder kleiner. Und zu guter letzt wird die Farbe von diesen eingra­vierten Rauten aufs Papier gebracht und formt dann ein Muster aus Klecksen, das mit etwas Glück noch als Schrift zu erkennen ist. Durch die Rauten entstehen auch die gepunk­teten Kanten wie oben in der Abbildung zu sehen. Ein faszi­nie­render Prozess, vor allem wenn man die Größe der Zylinder (Torpedogröße) als auch der Maschinen zu sehen bekommt.

    Allerdings sind all diese Schritte eine große Belastung für eine Schrift. Die Tundra hat da neben einigen wenigen anderen am besten durch­ge­halten. Nun ja, gut sieht sie ausserdem aus.

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