Schriften sind Schauspieler des geschriebenen Wortes
Nicht immer fällt es Experten leicht, ihr Tun einem Laien zu erläutern. Kann sein, dass es Handwerkern eher gelingt als Dienstleistern, doch ganz sicher ist das Feld Design für Außenstehende ein unsagbar abstrakter Kosmos, vor allem die Sparte Kommunikationsdesign und Typografie.
Manchmal helfen Analogien aus vertrauten Branchen weiter. Die aktuelle Imagekampagne Was uns antreibt der Volks- und Raiffeisenbanken (VR) regt mich zur Brücke an, Schriften als Schauspieler zu betrachten. Während die menschlichen Darsteller das gesprochene Wort auf die Bühne (oder ins Hörbuch) bringen, inszenieren Schriften das geschriebene Wort.
Es gibt männliche und weibliche Schauspieler. Schriften haben kein Geschlecht, aber eine Ausstrahlung, der man durchaus das Etikett männlich oder weiblich anheften möchte (vgl.: »Die neue FF Yoga: eine Schrift für Mädchen?«). Manche Schriften verkleiden sich, andere wollen allen gefallen und geben sich gerne geschlechtslos (vgl.: »Helvetica … die Schrift ohne Eigenschaften.«).
Spricht eine Schrift laut, ist sie groß gesetzt. Flüstert sie, können wir den Text kaum lesen, so klein ist er gedruckt. Die einen sind stark geschminkt, die anderen verrückt angezogen. Es gibt sexy Schriften, unauffällige, extrovertierte, falsch besetzte und eingebildete Schriften. Zum Glück brauchen sich die Leser (Zuschauer) keine Gedanken um die Besetzung oder die Qualität eines Schriftschauspiels zu machen: Wenn es gefällt, geben sie Applaus und empfehlen die Aufführung weiter.
Um so bedauerlicher ist es – und da unterscheiden sich die Designer und ihre Auftraggeber ein wenig von den Regisseuren und Theatermachern –, dass viele »Experten« die Rolle der Schrift nicht kennen oder schlicht missachten. Ihnen ist es egal, welcher Schauspieler die mit Mühe und Sorgfalt geschriebenen Worte in Szene setzt. Man heuert den nächstbesten Darsteller an, egal ob er sich für die Rolle eignet oder seine Ausstrahlung dem Stil des Hauses entspricht.
Viel zu oft passt in der kommerziellen Typografie nicht zusammen was zusammen geschnürt wird. Manche Provinzbühne gibt sich mehr Mühe bei der Besetzung einer Komödie als ein Großunternehmen bei der Wahl seiner Haus- oder Kampagnensschrift. Konsequenz: Die Zuschauer schauen weg, bzw. blenden misslungene typografische Inszenierungen einfach aus. Diese Abkehr lässt sich leider viel schwerer messen als ein unausgelastetes Theater.
Die Imagekampagne der Volks- und Raiffeisenbanken wurde von der Berliner Agentur Heimat im Mai 2009 auf die Schienen gesetzt (kreative Leitung: Matthias von Bechtolsheim und Guido Heffels). Inzwischen existieren über 80 Bild/Schrift-Motive, wobei sich die Zahl stets ändert, weil die regionalen Banken – das sind 1200 eigenständige Institute – selbst eigene Motive nach dem Layoutrahmen der Agentur mixen. Um typografische Beliebigkeit zu vermeiden, sehen die CD-Richtlinien für eigenproduzierte Motive als Fallback die hauseigene Frutiger VR vor.
Die inzwischen mehrfach preisgekrönte Kampagne (Horizont, New Business, ADC) ist ein verständliches Beispiel dafür, wie Schrift schauspielt. Selbstverständlich darf sie nicht als Empfehlung missverstanden werden, eine Serie von Anzeigenmotiven mit 3 Dutzend verschiedener Schriften aufzusetzen. Es ist Teil des Konzepts der VR-Kampagne, diesen Weg zu beschreiten … kopieren zwecklos!
In dem ein oder anderem Fall hätte ich mir eine weniger naheliegende dafür aber raffiniertere Schriftwahl gewünscht (nicht immer Veronica Ferres oder Heino Ferch), auch auf die Anführungszeichen hätte ich verzichtet … doch das sind Peanuts, um mal im Bankenjargon zu bleiben. Die Kampagne hat hohe Qualität.
13 Kommentare
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Tee
Die hässlichen Grafiken rund um das Motiv machen alles wieder kaputt.
Oliver Adam
Jürgen tritt in die Fußstapfen von Erik Spiekermann, der Schriften mit Klängen und Instrumenten vergleicht: »Man stelle sich vor, Beethovens Neute auf einem Banjo gespielt« (Ursache & Wirkung). Nur gefällt mir Jürgens Analogie besser: liebenswerter Artikel :-) .
sela karun
@Tee: tatsächlich, die Layoutbühne für die Tanztypen ist schäbig (um in J.S. liebenswerter Sprachwelt zu bleiben). Kaum zu glauben, dass die ›execution‹ einer Agentur der Kreation so ins Tanzbein fahren kann.
Stefan Kalscheid
Da geht jede/jeder Genderbeauftragte an die Decke. Ich weiß von mindestens einem Studienanwärter der sich die fast sichere Aufnahme an einer Hochschule für Design mit einer vergleichbaren Antwort auf eine entsprechende (Fang)frage der Genderbeauftragten zunichte gemacht hat.
Gender Bender
Da kann der/die/das BewerberIn aber froh sein. Wer will an so einer Hochschule schon studieren?
Johannes Henseler
sehr schön.
und Ellen Lupton („thinking with type“) schreibt:
„Typography is what language looks like“
christoph
also wenn das mit der genderbeauftragten so stimmt wäre das extrem peinlich für die hochschule. das menschen bestimmte formensprachen als spezifisch männlich oder weiblich wahrnehmen ist ja eine nicht zu leugnende tatsache. das das klischees sind, kann man dabei ja reflektieren. aber man arbeitet klischees ja wohl kaum durch denkverbote und gesinnungsprüfungen entgegen.
erik spiekermann
“Typography is what language looks like“
Das war meine eigene Übersetzung meines Spruches „Schrift ist sichtbare Sprache“, den ich für Berthold Schriftproben in den 80ern geschrieben hatte. Ein anderer Satz war „Sprache wird durch Schrift erst schön“. Ellen hat das absichtlich und mit meinem Wohlwollen zitiert.
Detlef D. Seiner
Manche Buchstaben sind sexy, manche haben zu viel gegessen etcpp. und wenn ich mir anschaue wie Fontdesigner Teile der Buchstaben beschreiben… reinste Typornographik. Daß das bloß nicht Alice Schwarzer mitbekommt! ;-)))
HD Schellnack.
Haut mich tot – ich verstehe den Gag, ich mag die Sache auch, wenn es NUR Bild und Typo ist (zumindest teilweise, das Heimat-Ding ist super, klar), aber das gesamte Design im CD finde ich bleiern. Und der Typo=Type-Gag ist manchmal auch… ach, keine Ahnung, so naheliegend. Jedem Charakter seine eigene Schrift zuordnen, die flippigen Typo kriegen die wilde Schrift, der Mathenerd kriegt die passende Schrift. Ein ganz kleines bisserl Drittsemester FH Dülmenhorst ist das schon.
Auf der anderen Seite ist das für eine Bank ein schöner Ansatz – wir sind so bunt wie unsere Kunden und die SIND bunt – und ich mag die Photos größtenteils sehr, die Schriftsache hätte ich ehrlich gesagt fast nicht mehr gebraucht, mags entsprechend immer dann, wenn die Schrift das Bildmotiv nicht mit einem Baseballschläger in die Ecke treibt und dort blutig totprügelt, sondern die Sache harmonisch bleibt.
Es gibt exzellente Beispiele und die Idee das dynamisch auf die einzelnen Banken herunterzubrechen ist logistisch und inhaltlich toll.
Die Sache mit Gender/Gleichstellungsbeauftragten kann ich aus einem total anderen universitären Kontext grob bestätigen, in diesem Falle anhand einer Publikation (ewig her), wo wir mit Bildern aus den 60ern operierten, wo die Rollenverteilung noch etwas anders war als heute, das kann man auch schlecht wegmanipulieren… und was uns leider die Gleichstellungsbeauftragten ans Telefon brachte, die empört die gesamte Veranstaltung boykottierten, was ich persönlich tatsächlich sehr schade fand, weil ich das Thema per se sehr wichtig finde. Es gibt aber in allen Dingen im Leben eben die Gaußsche Normalverteilung, auch bei an sich guten politischen Anstrengungen, und irgendwann kippt es halt ;-)
Estara
Drive-by comment: Nun bin ich mit der neuen deutschen Rechtschreibung eh auf dem Kriegsfuß, aber soweit ich weiß wird nach langen Vokalen immer noch das SZ und nicht das Doppel-s geschrieben.
Gross rauskommen => Groß rauskommen? Und das von einer professionellen Werbeagentur?? Meine Rechtschreibkorrektur von Firefox zeigt mir jetzt schon, dass Doppel-s falsch ist.
Vielleicht hatte der verwendete Font ja kein SZ. ^^
„gross“ bedeutet auf Englisch unter anderem „eklig“. Tja.
batteur
Estara: Es gibt zwar seit letztem Jahr ein Versal-ß, aber das ist noch nicht sonderlich weit verbreitet. Und da im kritisierten Fall alles in Versalien gesetzt ist, kann da durchaus Doppel-S stehen. Ist ja nicht so wie bei „Fussball WM“, wo das alle so schreiben sollten.
Ivo
Wenn man es richtig machen will, muss da ein doppeltes S stehen. Versal-Eszett hin oder her, das wird wohl auch noch ein paar Jahre noch so bleiben.