Schlechter lesbar = besseres Lernen?

Der Österreichischer Rundfunk (ORF) berichtet auf seiner News-Site von einer Studie an der psycho­lo­gi­schen Fakultät der Universität Princeton, nach der wissen­schaft­liche Texte in einer mühsam zu lesenden Schrift um 14 Prozent erfolg­rei­cher aufge­nommen würden als mit einer gut lesbaren.

Lukas Zimmer, vom ORF erläu­tert: »Für ihre Tests verfassten die Psychologen fiktive Biologietexte über Außerirdische. Damit sollte ausge­schlossen werden, dass die Resultate durch Vorwissen der Versuchspersonen verfälscht werden. Eine Gruppe bekam die Texte in der Schriftart Arial, eine andere in den oft geschmähten Schriften Comic Sans und Bodoni. Die Tests … ergaben regel­mäßig, dass die Gruppe mit den schlechter lesbaren Texten sich mehr gemerkt hatte, sogar wenn Schriften wie Haettenschweiler, Monotype Corsiva und Comic Sans Italicised zum Einsatz kamen.«

Der Leiter der Untersuchung, Prof. Daniel Oppenheimer, erklärt das Ergebnis mit der gestei­gerten Mobilisierung des Geistes: »Wer sich beim Zuhören oder Lesen anstrengen muss, denkt inten­siver, was sich auf allen Ebenen auswirkt.« Sein briti­scher Kollege Dylan Wiliam zwei­felt nicht an den Ergebnis der Studie, zieht jedoch einen anderen Schluss: »Wir brau­chen keine schlechte Druckqualität, sondern bewuss­teres Lesen«.

Ich zweifle an der Fähigkeit der Psychologen, eine gute lesbare von einer schlecht lesbaren Schrift zu unter­scheiden. Im Sinne der Zeichenerkennung ist Comic Sans eine gute lesbare Schrift, vergli­chen mit Arial, was man in der Abbildung oben am ersten Wort gut beob­achten kann. Im übrigen erin­nert das kurz geschlos­sene Oppenheimer-Resüme an die Trainingsmethode Magath (die eben­falls ein Märchen ist): Medizinball-Drill ergibt zwar kräf­tige Sportler, aber noch lange keine gute Fußballmannschaft.

Abb: Fontblog; Schriften, von oben nach unten: Arial, Haettenschweiler, Monotype Corsiva und Comic Sans Italicised


21 Kommentare

  1. Jürgen Weltin

    Wenn man genau liest [ http://​www​.bbc​.co​.uk/​n​e​w​s​/​w​o​r​l​d​-​1​1​5​7​3​666 ] rela­ti­vieren die Forscher ihre Studie selber. (Die Studenten waren für den Test extra moti­viert und strengten sich daher viel­leicht mehr an als unter anderen Umständen.)

  2. HatrickP

    Wenn man einen (kompli­zierten) Fließtext nur mit Mühe lesen kann, hört man doch schneller auf mit dem Weiterlesen oder man über­fliegt Abschnitte… Täusche ich mich?

  3. felix

    am besten merkt man sich einen text immer noch dann, wenn er gut und verständ­lich geschrieben ist. eine gut lesbare schrift unter­stützt in so einem fall den lern­erfolg, da die infor­ma­tion ange­nehm aufge­nommen wird. das ist doch wohl logisch. einem schüler einen schlecht lesbaren text vorzu­legen, damit er ihn sich gefäl­ligst besser merkt, ist doch irgendwie absurd.

  4. Simon Wehr

    Nunja, das Argument, mit einer »anstren­genden« Schrift die Konzentration zu erhöhen klingt erst einmal über­zeu­gend. Aber auf Dauer glaube ich nicht, dass leichter lesbare Typografie (was auch immer das ist) den Lernerfolg behin­dern kann. Und wie Felix schreibt: Verständlich zu schreiben zählt sicher­lich mehr als jede Schriftwahl.

  5. user001

    … also würde man auch besser lernen bei lauten umge­bungs­ge­räu­schen, ablen­kung, kopf­schmerzen, … ? da muss man sich ja auch mehr konzentrieren!

  6. thomas junold

    wie war das: gute typo­grafie sollte idea­ler­weise unsichtbar sein?
    abge­sehen davon, wer lesen­werte texte, abge­sehen vom web, in solchen schriften wie getestet setzt gehört eigent­lich verklassenkloppt!

    ich denke nicht, dass diese studie rele­vanz hat.

  7. Daniel

    Wenn das Ergebnis tatsäch­lich stimmen würde, würden sich alle Schöpfer von klein­ge­druckten und groß geschrie­benen AGBs ja selbst in’s Fleisch schneiden. Aus meinen eigenen Erfahrungen mit diesen, würde ich eher sagen, dass schlecht lesbare Texte die Motivation senken und einen das Ganze eher „über­fliegen“ lassen.

  8. Florian

    die bodoni ist eine oft geschmähte schrift?

    also ich bin immer noch der meinung ein sauber gesetzter text in einer gut lesbaren schrift, auch gerne eine schöne grotesk, es muss ja nicht immer eine antiqua sein, ist immer noch die beste unter­stüt­zung beim lernen und lesen.

  9. Plamen Tanovski

    Tja, bei den Geistes- und Sozialswisseschaftler!nnen ist Lesbarkeit immer rezi­prok berück­sich­tigt worden: je unle­ser­li­cher, desto mehr geistes- und soz.wissenschaftlicher. Mit der fetten Times auf über­weißem Papier haben sie es damals sogar geschafft, das Flimmern ihrer falsch einge­stellten Röhrenmonitore auf Papier zu simu­lieren. Dass diese Studie nicht aus Deutschland, sondern aus den USA, dem Land der tradi­tio­nell hoch­wer­tigen Universitäts- und STM-Typografie kommt, hat mich echt überrascht.

    Aber es ist auch etwas wahr an der Aussage. Garamond und Co. verleiten, IMHO, zum schnellen Lesen und sind daher für wissen­schaft­liche Texte mit kompri­miertem Wissen in den Sätzen weniger geeignet. Der geniale Slimbach hat das bestimmt erkannt und Minion diese mono­tone Strenge verpasst um die uner­träg­liche Leichtigkeit des Garamonds wegzunehmen.

  10. ganzunten

    Vielleicht geht es ja gar nicht um Lesbarkeit sondern Komplexität und Abwechslung. Die Comic Sans ist zwar gut lesbar, aber sie ist auch in gewisser Weise komplex, da die Formen eher orga­nisch oder zufällig sind. Was sie ja auch unäs­the­tisch erscheinen lässt.

    Ganz ähnlich regen doch auch komplexe visu­elle Reize wie ein Spaziergang durch die Natur oder komplexe klas­si­sche Musik die Aufnahmefähigkeit an.

    Also: Ab in den Wald mit Chopin und eine Dissertation in Comic Sans lesen! ;)

  11. Andreas

    ich schließe mich ganz­unten an. Wenn ich eine Seite habe wo die Schrift super­klein ist, sterbe ich schnell ab. Wenn ich aber durch viel Platz oft zur „Abwechslung“ (Seitenumblättern) ange­regt werde kann geht viel mehr rein.

  12. Ole Schäfer

    … die Lesbarkeit hängt selbst­ver­ständ­lich nicht nur von der Schrift ab. Schriftgröße, Zeilenabstand und Zeilenlänge sind ebenso wichtig. Wenn ich dann noch einen Text lese, dessen Inhalt mit bekanntem Wissen nicht zu verknüpfen ist, merkt man sich den Inhalt selbst­ver­ständ­lich besser. Fazit: Man kann alles testen, ob es wissen­schaft­lich ist und aussa­ge­kräftig wird hängt von den Parametern ab.

  13. Klaus

    Lesen hat ja viel mit Gewohnheit zu tun. Es ist eher unge­wöhn­lich Texte in Comic Sans zu lesen und dem entspre­chend nehme ich auch den Text anders auf. Würden plötz­lich alle nur noch die Comic Sans verwenden würde dieses Satzbild zur Gewohnheit werden und der Effekt wäre weg, weil es ganz normal wäre.

  14. Loisl

    Hier wird doch komplett vernach­läs­sigt, dass die Studenten den kompletten Text lesen mussten. In der realen Welt da draußen, hat jeder Leser die Wahl. Ich bin mir sicher, dass sich weniger dazu entscheiden würden einen Text zu lesen, wenn der Kopf danach vor lauter Konzentration raucht.

  15. Marco

    Verblüffend aber ich kann mir den Text wirk­lich in einer „unan­ge­nehmen“ Leseschrift besser merken.

  16. David

    @Louis: Außer du bist als Student gezwungen, irgendein wissen­schaft­li­ches Buch zu lesen, von dem es kein zweites gibt. Das Problem ist nur, dass es anstrengt. Auf Dauer ist das wohl keinem zumutbar.

    @Klaus: Dafür gibt es ein klares Beispiel aus der Typogeschichte: Die Frakturschrift. Damals hat man gesagt, dass sie sehr gut lesbar sei. Denn alle haben sich daran gewöhnt bzw. sind damit aufgewachsen.

  17. Lars

    Hmmm … ich könnte mir vorstellen, dass es sich hierbei auch um einen ähnli­chen Effekt handelt wie bei der »Joy Of Use« Idee bei User-Interfaces. Ich denke, es hat den Leuten mehr Spaß gemacht die ausge­fal­le­neren Schriften zu lesen. Dadurch war das Gehirn mehr stimu­liert. Vielleicht ist die Frage eher ob der Text für die Leute inter­es­sant aussah oder nicht (auch wenn sie ihn lesen mussten). Allerdings habe ich keine Ahnung ob es mehr Spaß macht einen Text in Comic Sans zu lesen oder in Arial ;-)

  18. anderer tom

    @David

    Daran habe ich auch als erstes gedacht. Soll die psycho­lo­gi­sche Fakultät in Princeton doch ihre Veröffentlichungen mal probe­weise in einer Fraktur setzen. Mal sehen, ob die Texte dadurch leichter zu erfassen und verständ­li­cher werden.

  19. Jan

    Ich denke das wird etwas damit zu tun haben das mein bei einer schlechten Typo einfach länger am Wort hängt und ihn sich dadurch besser merken kann was aber nicht unbe­dingt heißt das man den Text versteht der da nieder­ge­schrieben ist. Warum sollte ich mich abmühen bei einer schlechten Typo wenn ich flotter den Inhalt serviert bekommen kann wie bei einer guten Typo.

    -> Loisl trifft es hier ganz gut, mann musste den Text lesen.

  20. Tobias

    Ich finde diese Studie ganz inter­es­sant. Sie sagt ja nichts über gute oder schlechte Schrift. Wer das darin sucht – ist das nicht stressig? Ist doch ganz ange­nehm zu wissen das es eine Grenze gibt zwischen gut lesbar und zu gut lesbar. – was dann doch wieder schlecht lesbar ist;)

  21. erik spiekermann

    Und ich dachte immer, dass Arial eine der am schlech­testen zu lesenden Schriften sei. Nun ist sie plötz­lich zum Maßstab geworden? Leider verglei­chen die Wissenschaftler immer Dreck mit Schmutz. Vielleicht sollten sie mal einen von uns fragen und über­haupt erstmal einen optimal aufbe­rei­teten Text herstellen und dann erst testen. Aber ohne die Kenntnis aller Parameter, wie Ole sie erwähnt, kann ich keines der Ergebnisse ernst nehmen.

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