Robothon (4): Schönere Buchstaben mit weniger Arbeit

Eine Gastreportage von Benjamin Hickethier

Robofab Model

Langjährige Fontblog-Leser erin­nern sich viel­leicht: Die Überschrift lehnt sich an das Motto von Andreas Trogischs Layout-o-mat an. Die Formel fasst am bestens zusammen, worum sich die Robothon ’09 Konferenz drehte. Im Originalton heißt das: ›Making simple things fast and complex things possible‹ (aus der Beschreibung von Erik van Bloklands Superpolator).

Es waren 2 + 1* Tag(e) Familien-/Klassentreffen für die sozial Interessierten und ein Must für alle die – profes­sio­nell oder studie­rend – mit Fontproduktion zu tun haben. Auf dem schmalen Pfad zwischen ›nerdy after­taste‹ (Kommentar auf Unzipped) und atem­be­rau­bendem Technikeinsatz für ein besseres Leben, war die Robothon (*insbe­son­dere die Kombination mit den Events zur Verleihung des Gerrit-Noordzij-Preises und Ausstellungseröffnung der GNp-Austellung von Tobias Frere-Jones) eine Einladung, offen für alle Schriftgestalter und Freunde der Schriftgestaltung, sich auf den neusten Stand oder womög­lich sogar den Stand der Technik ›von morgen‹ zu bringen … moti­vie­rend und inspi­rie­rend für alle Typoaffinen. ›The epicentre of the type design world‹, wie Yves Peters, der auch ange­reist war, schon im Vorfeld via Fontfeed ankün­digte (Leseempfehlung, auch als Einführung in die Terminologie und Hintergründe).

Die Teilnehmerzahl der letzten robo­thon (2006) wurde verdop­pelt. Zuletzt wurde sogar noch die Warteliste inte­griert, so dass unge­fähr 120 Teilnehmer, bei einem geschätzten Anteil von 20 Prozent Teilnehmerinnen, das Auditorium der Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten (KABK) in Den Haag gut füllten.

Die Organisatoren, LettError, Tal Leming (tall​eming​.com), Paul van der Laan (type​-inva​ders​.com) und die Studierenden des type]media-Postgraduate-Kurses (new​.type​media​.org) der KABK mit Jan Willem Stas leis­teten Großartiges. Die Robothon und die Gerrit-Noordzij-Veranstaltungen waren ein großer Erfolg. Alle Präsentationen und Vorträge sollen in Kürze als Podcasts verfügbar sein – haben wir etwas Geduld, es gibt viel nachzubereiten.

Robofab Model

›Getting started‹

Erik van Blokland erläu­terte die Basics, wie UFOs aufge­baut sind (unified​font​ob​ject​.org) und die Grundlagen der Robofab-Umgebung, wobei er betonte: ›You don’t need to program to use UFO‹, und: auch Robofab kann man als Nicht-Programmierer benutzen. Punkt 2: »Robofab is a Hammer« (Hilfreiche Einführung bietet diese für die Konferenz zusam­men­ge­stellte Step-by-step-Dokumentation).

Schnell wurden auch höhere Anforderungen gestellt. Nach Adobe’s Miguel Sousa, der das Adobe Font Developer Kit vorstellte (AFDKO 2.5) – vergleichbar mit dem FontShop-International-Tool FontQA (Fontblog berich­tete) (wie mir Viktor Nübel versi­cherte, sei das FSI-tool benut­zer­freund­li­cher) – setzte Tal Leming fort mit Sessions über seine fantas­ti­schen Werkzeuge (tools​.type​supply​.com). Anschaulich formu­lierte er noch einmal die Vorteile des Scriptens: »I hate Kerning more than you do«, also arbei­tete er rund 7 Jahre an der MetricsMachine, die einen profes­sio­nellen work­flow schafft für hand­ge­machtes, hoch­qua­li­ta­tives und opti­miertes Kerning [»Watching some­body kerning may be more attrac­tive than watching some­body coding« – Tal]. Seine Software Prepolator hilft, Glyphen für das Interpolieren zu verglei­chen und vorzu­be­reiten, und zwar einfach, mit einer simplen Benutzeroberfläche, und vor allem: schnell!

Das WYSIWYG-Sliden in einigen Vorträgen, vor allem Eriks Superpolator und Tal Lemings Prepolator [Erik: »These two tools are really good friends«], kam all jenen Teilnehmern entgegen, denen die Python-Konversationen in den Scripting- und Coding-Sessions zu wenig typo­gra­fi­sche Reize boten. Großen Anklang fanden hier auch Georg Seiferts (schrift​ge​stal​tung​.de) Font-Editor Glyphs und die diversen vorge­stellten FontLab-Plugins bzw. -Tools, z. B. Yanones (yanone​.de) Autopsy mit hübschen Statistiken und prak­ti­schen Benutzeroberflächen, die UFO-Software des Ex-type]media-Studenten Fredrik Berlaen (type​my​type​.com) oder die Remix-Tools des Ex-Reading-Studenten Tim Ahrens (remix​-tools​.com), der auch auf der TYPO 2009 spre­chen wird (hier kann man jede Woche ein TYPO-Ticket gewinnen).

Viele vorge­stellte und vorge­führte Tools bedienen sich im Ansatz oder in der Bedienung Multiple-Master-ähnli­cher Technologien. Anders als im ursprüng­li­chen Multiple-Master-Format ist die Justierung der Parameter der Buchstabenmodifikation nicht in der Hand der Enduser, sondern des Schriftgestalters, die damit auch die Kontrolle über die Konsistenz der Form der einzelnen inter­po­lierten Glyphen behalten.

GNp Ausstellung

Ein Blick auf das Schaffen des Gerrit-Noordzij-Preisträger 2006, Tobias Frere-Jones, bot die hierfür aufge­baute Ausstellung (Foto: Frank Grießhammer)

Preise und Ausstellung

Ein Bezug zu Interpolation und Multiple-Master fand sich auch in der an die Robothon ’09 anschlie­ßenden Verleihung des Gerrit-Noordzij-Preises (GNp), vor dem Hintergrund von Gerrit Noordzijs Lehre und Theorien, der als Lehrer die Begeisterung unter seinen Studenten Erik und Petr van Blokland, Just van Rossum u. a. entfacht hatte, sich intensiv nicht nur mit dem Erbe und den Erfahrungen der Schriftgeschichte, sondern auch mit der Entwicklung, die die Technik nimmt, ausein­an­der­zu­setzen. Und obwohl Gerrit Noordzij, der trotz Erkrankung selbst das Wort ergriff, seine Debatten und Uneinigkeiten mit dem dies­jäh­rigen Preisträger Wim Crouwel bekräf­tigte – Raster contra Schriftschreiben bzw. im Originalwortlaut ›grid should control the design vs. rather the other way round‹ – zollten beide einander großen Respekt. Tobias Frere-Jones als Preisträger 2006 hielt die Laudatio auf Wim Crouwel und führte inter­es­sante Gedanken über Crouwels Vorwegnahme/Avantgardefunktion/Technikbegeisterung aus, nicht nur dass Crouwel sich mit Pixeln beschäf­tigte, lange bevor diese im Allgemeinbewusstsein ange­kommen waren, sondern er berech­nete bereits Inter- und Superpolation mittels Algorithmen und Formeln. ›Living with compu­ters gives funny ideas‹, mit diesem passenden Zitat von Wim Crouwel schloss Tobias Frere-Jones.

Als Preis (der Gerrit-Noordzij-Preis wird vom jeweils vorigen Preisträger geschaffen, und ist undo­tiert) hatte Tobias für Wim Crouwel eine Schnittübersicht der Gotham auf Metall (Email) anfer­tigen lassen – die Schrift dorthin zurück­ge­bracht wo sie herkommt (Schild-Lettering). Frere-Jones Gedanken zum Preis auf dieser Seite.

Crouwel selbst bedankte sich und stellte bescheiden klar, dass er ja eigent­lich selten ins Type-design, so gut wie nie in den Entwurf ganzer Alphabete, invol­viert war. Die meisten seiner Schriften sind Entwürfe für Plakate, von denen einige nach­träg­lich, in den letzten Jahren, vervoll­stän­digt digi­ta­li­siert wurden. Vielmehr empfindet Wim Crouwel nach eigener Aussage ›einen gewissen Neid für Schriftentwerfer, die ihr Leben ganz den abstrakten Formen, den Buchstaben, widmen können‹.

Petr van BloklandVon der Society of Typographic Aficionados bekam Gerrit Noordzij den SOTA Award (der, mit Verlaub, aussieht wie ein gläserner Fußballpokal), garniert mit einem Vortrag von Chris Vermaas, Gerrit Noordzij-Schüler und Freund von Tobias Frere-Jones. Unter der Devise ›Type, Beer and Cigarettes‹ wurde anschlie­ßend die Ausstellung von Tobias Frere-Jones feier­lich eröffnet, und leitete in den (noch) gesel­li­geren Teil des Abends über. Davon gab es natür­lich, wie es sich bei so einer Konferenz gehört, nicht zu knapp – außer dem GNp-/Robothon-Diner die bereits erwähnte Party am Donnerstag in Delft; allein das Gebäude ist ein Erlebnis: es drückt, laut Petr, das Gleichgewicht aus ›zwischen Zusammenhang und Unterschiedlichkeit, als Fundament für die Vision des Büros‹. Dem hollän­di­schen Grachtenhaus ist ein funk­tio­naler Neubau ange­setzt (siehe Foto), mit einer Brücke verbunden, und Arbeits- und Wohnraum zugleich für Petr und Claudia Mens und ihr Büro (petr​.com).

Petr van Bloklands Designtheorien (›Designing the design process‹) und Unterricht an der KABK wären einen eigenen Fontblog-Beitrag wert. Er hat auf der TYPO 2006 Play mit seinem ›Design Game‹ großes Interesse geweckt. Für HD Schellnack war Petr van Blokland »die Entdeckung der Typo«, was er auf einem meter­langen Blogbeitrag genau­es­tens darstellte.

Am Samstag fand noch ein GNp-Seminar statt, ergän­zend zur rRobothon, für ein brei­teres Publikum, doch trotz begrenzter Teilnehmerzahl war das Auditorium ebenso voll wie zur Verleihung des Noordzij-Preises (zu der sich natür­lich die größten Namen des hollän­di­schen Designs die Ehre gaben). Ein inter­es­santer Faden wob sich durch die Vorträge, der gleich­zeitig die Klammer um GNp und robo­thon bildete – das Bauen auf histo­ri­schen Vorbildern, die Auswertung der Erfahrung aus Traditionen und Prozessen, und vor allem ihre Zugänglich- und Nutzbarmachung für heute. Paul Barnes stellte ›modern typography‹-Projekte vor, Revivals–Wiederbelebungen moderner klas­si­scher Schriften, aus denen er z. B. die ›Marian‹ und die ›Brunel‹ entwi­ckelte. Rich Roat präsen­tierte ein kleines House-Showreel mit Betonung auf der pädago­gi­schen Note, wenn man ›on the shoulders of giants‹ steht, muss man den Typografie-histo­ri­schen ›giants‹ auch credits geben.

Tobias Frere-Jones erklärte Research und Arbeit an der ›Archer‹, und zum Schluß erzählte Piet Schreuders seine liebens­werte Geschichte der ›The Baeu Hunks‹ (den Vortrag, den er auch schon auf der TYPO 2006 hielt), von CD-Covern und vor allem Backcovern und Linernotes, zur verges­senen und verloren geglaubten Musik der ›Laurel-&-Hardy‹-Filme. Die verblie­benen Saxophon-Reste der ›Beau Hunks‹, einer nieder­län­di­schen Kapelle, die sich zur Neueinspielung der Laurel-&-Hardy-Musik zusam­men­ge­funden hatte, spielten zum großen Finale auf.

Benjamin Hickethier


11 Kommentare

  1. thomas junold

    danke benjamin.

    ich hab mir nur den live-mitschnitt von tim ahrens ange­sehen, aber der hat einge­schlagen. mensch, wenn ich mir über­lege, wie ich alle caps etc. von hand zeichne, was gut als übung ist, aber ein horror, wenn man die zeit und den aufwand bedenkt.

    ich finde es ein wenig schade, das fontlab da so etwas träge zu sein scheint, was diese dinge angeht. oder MUSS sowas eigent­lich immer von dritten geschaffen werden, die eine unzu­frie­den­heit mit einem produkt spüren? und fontlab hat de defintiv nachholbedarf!

    auf jeden fall ist das ein wunder­barer ansatz um den anfor­de­rungen von OT und multi-sprach­lich­keit gerecht zu werden.

    dafür kann man allen fleis­sigen denkern, codern und type-technik-wahn­sin­nigen nur danken, danken und noch­mals danken!

  2. Liz

    Erstaunlich, dass ein Beitrag wie dieser fast unge­merkt davon kommt (an der Zahl der Kommentaren gemessen) während z.B. die Diskussion um Claus Kleber wächst und wächst…
    Danke Benjamin, super Zusammenfassung, ich konnte die Show nicht verfolgen und bin jetzt noch trau­riger darüber ;)

    @Thomas: Yuri Yarmola (Chefentwickler von FontLab oder so) sammelt in seinem Blog Vorschläge für FontLab 6 (Sommer 2009?) und FontLab Next. Leider nur auf Russisch, aber Englisch wird er auch verstehen. Ich wäre dafür, dass man die Technik des MetricsMachine von Tal übernimmt ;)

  3. Indra

    »unge­merkt« oder ungeschoren?
    Es ist einfach ein rundum schöner Beitrag über eine rundum schöne Veranstaltung. Man muss ja nicht immer über alles streiten.

  4. Jürgen

    @ Liz: Das hat natür­lich mit der Qualität und dem Thema zu tun. Der Claus-Kleber-Artikel war ein verun­glückter Unterhaltungsbeitrag, aus dem ich meine Lehre gezogen habe. So was soll es natür­lich auch weiterhin geben (in geglückter Form), es lockt aber Trolle an, die das, was hier oben geschrieben steht gar nicht verstehen.

  5. thomas junold

    liz: good news. adam twar­doch habe ich ja auch als offenen und sympa­thi­schen gesprächs­partner kennen gelernt, auch wenn er einen stumpf nebst quiet­sche­ent­chen auf dem kopf hatte. *hihi*

    »fontlab next« wäre suuuuper. auch mit metrics­ma­chine. es macht einfach keinen sinn, sowas als »third« anzu­bieten, ich hoffe man wird sich einig!

  6. Adam Twardoch

    Liz, Thomas,

    auf Englisch kann man die Vorschläge gerne auf dem FontLab-Forum bringen:
    http://​forum​.fontlab​.com/​f​o​n​t​l​a​b​-​s​t​u​d​i​o​-​w​i​s​h​-​l​i​s​t​-​b​7​.0/

    Sie werden von Yuri sowie anderen Team-Mitgliedern von FontLab (meiner Wenigkeit inklu­sive) gelesen.

    Leider musste ich wegen Krankheit meine Reise nach Den Haag absagen, schade schade…

    Viele Grüße,
    Adam

  7. Riddler

    Mal was ganz anderes…
    Weiß jemand woher ich Buchstaben bekomme?
    Also aus Holz, Metall, Plastik, Neonröhren…
    Zum Aufstellen und Wohnung verschönern…

  8. Jürgen

    Ich weiß das … mail mir mal Deine E-Mail-Adresse: jsiebert_ät_fontshop.de

  9. Yanone

    ich möchte kurz rich­tig­stellen, dass das adobe font deve­lo­p­ment kit keines­wegs nur ein werk­zeug zum schrif­ten­testen ist. viel­mehr ist es das werk­zeug der wahl direkt von den eltern der open­type-spezi­fi­ka­tionen, wenn es um die erzeu­gung kompli­zierter und vor allem fehler­freier open­type fonts geht. es beherrscht das gene­rieren von open­type fonts besser und mit größerem funk­ti­ons­um­fang als fontlab das tut.

    es waren drei tolle tage in den haag und ich freue mich schon auf das nächste mal in der stadt und an der hoch­schule bei den gast­ge­bern der konferenz.

  10. Benjamin Hickethier

    Danke, Yanone, für den Hinweis. Der Vergleich mit FontQA ist wohl irre­füh­rend gewesen. Gefährliches Halbwissen (oder noch nicht einmal das). Diese Reportage mangelt leider an vielem, viele wich­tige Programmpunkte werden nicht einmal erwähnt und es geht kaum inhalt­lich in die Tiefe. Ergänzungen sind sehr will­kommen, und wir freuen uns alle auf die Podcasts!

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