Retrodesign: das Buch und ein erhellendes Gespräch
Kein Buch beschäftigte mich in den letzten Tagen mehr als Retrodesign Stylelab von Achim Böhmer und Sara Hausmann. »Retrodesign ist Zukunft« lautet ein Zitat, das mich beim Blättern auf der ersten Doppelseite herausfordert. In diesem kurzen Satz steckt das Geheimnis von Retrodesign, was ich allerdings erst nach 300 Seiten begreife. Dazwischen lerne ich, dass ich eine viel zu enge Sichtweise des Begriffs im Kopf hatte. Retrodesign ist mehr, als Nostalgie, Kopiererei oder Rückbesinnung (tatsächlich ist es das genau Gegenteil von alledem, doch dazu später mehr). Retrodesign ist eine eigene, die Stilepochen begleitende Periode. Retrodesign hört nie auf, ist immer da.
Das Buch von Böhmer/Hausmann ist Nachschlagewerk, Geschichtsbuch und Denkanstoß in einem. Es ist vorzüglich recherchiert – natürlich wunderbar gestaltet – und gliedert sich in 3 methodische Teile: Gegenüberstellung, Charakteristik und Zeitimpuls. In allen 3 Teilen werden die folgenden Designstile durchdekliniert: Dekonstruktivismus, Postmoderne, Punk, Pop, Space Age, Organisches Design, Schweizer Schule, Art déco, Konstruktivismus, Dada, Plakatstil, Art Nouveau, Japonismus, Arts & Crafts, Historismus, Klassizismus, Rokoko/Barock, Renaissance.
Durch die Gegenüberstellungen faszinierender Designentwürfe der Retro-Avantgarde mit Designklassikern sowie einem tiefen Einblick in die Charakteristika der Gestaltungsstile, öffneten sich mir die Augen für neue innovative Designentwicklungen. Weil darüber hinaus die entscheidenden Impulse für das Entstehen wichtiger Designströmungen beleuchtet werden, schließen sich in meinem Gehirn Trends und Stränge, die bisher unnötigerweise getrennt voneinander existierten. Dieses Buch versetzte mich in die Lage, Retrodesign als anspruchsvolle Sprache intelligenten Designs zu erkennen. Wenn Designer es lesen, werden sie diese Erkenntnis in ihrer Praxis gezielt einsetzen können.
Als ich das Buch durchgearbeitet hatte, war ich aufgewühlt. Ich musste mit jemandem reden. Zum Glück ermutigte mich die Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs dazu mit den beiden Autoren höchstpersönlich zu reden, was Anfang dieser Woche gelang. So entstand das folgende Interview … gleich nach der Werbung.
Achim Böhme, Sara Hausmann: Retrodesign Stylelab, Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2009, 25,5 x 29 cm, geprägter Kunstledereinband, Buchblock im Tampondruck allseitig bedruckt, 318 Seiten mit über 800 farbigen Abbildungen, 89 € (versandkostenfrei bei FontShop bestellen).
»Typografie ist für das Retrodesign von hoher Bedeutung«
Achim Böhmer, 1964 in Dortmund geboren, studierte an der Essener Folkwang Hochschule Design. Nach seinem Diplom 1996 bei Prof. Vilim Vasata arbeitete er bei Düsseldorfer Designagenturen, bevor er 1998 die Logo Projektagentur in Dortmund gründete, mit Schwerpunkt auf Markenstrategie. 2008 gründete er zusammen mit Sara Hausmann das Designbüro achta. Sara Hausmann, geboren 1984, studiert seit 2005 Kommunikationsdesign an der Folkwang Hochschule in Essen. In der Logo Projektagentur in Dortmund arbeitete sie an Markenkonzeptionen für Kunden wie die Wilo AG und den Deutschen Chorverband. Sie gewann einen Red Dot Design Award für den »Formstrahl«, eine Publikation über Designgeschichte.
Fontblog: Die Begriffe Retro-Stil, Retro-Look oder Retro-Design sind nicht sonderlich präzise zu definieren. Welche Arten des Rückgriffs, welche Motivationen sind Gegenstand ihres Buches?
Hausmann: Die Begriffe sind oft schwammig. Das stimmt. Genau das war für uns eine Motivation, das Buch zu schreiben. Wir glauben, dass vor allem der Begriff Retrodesign viel zu eng gefasst wird, und wollen ihn neu aufladen. Hier würden wir gern eine Diskussion anstoßen, die dazu führen sollte, viel freier mit vorhandenen Designstilen zu agieren. Deshalb ist es auch wichtig, Definitionen zu geben, mit denen wir das Thema einordnen können. So beginnt unser Buch ja auch mit Definitionen der wichtigsten Begriffe im Kontext.
Böhmer: Retrodesign ist für uns die hohe Schule historische Designcharakteristika intelligent und gezielt für neue Entwürfe und Botschaften einzusetzen. Das zeigen die Gegenüberstellungen im Buch recht eindrucksvoll. Retro-Stile sind wie ein Instrumentarium verschiedener festgelegter Melodien. Diese kann man immer wieder abwandeln oder neu kombinieren.
Sehr offensichtlich für uns alle zeigt sich das Phänomen Retro in der anscheinend immer rascheren Reanimation der Moden vergangener Jahrzehnte – in allen erdenklichen Kulturbereichen. Dreht sich das Karussell wirklich schneller, oder ist das lediglich die Sichtweise eines 50-Jährigen, der zum 3. Mal die 70er Jahre erlebt?
Böhmer: Das ist schon sehr gut beobachtet. In unserer ausklappbaren Revival-Grafik wird das auch deutlich. Zwar hat es stilistische Rückgriffe schon immer gegeben, doch seit den 1960er Jahren verdichtet sich die Frequenz der Revivals, der Retrowellen. Heute tauchen extrem viele Retroströmungen parallel auf. Aus unserer Sicht zeigt dies, das bestimmte Philosophien und Botschaften über den gezielten oder auch intuitiven Einsatz entsprechender Stile kommuniziert werden.
Hausmann: Ein Revival ist immer auch eine Neuinterpretation eines Stils durch eine jüngere Generation, so dass auch aus einem Revival eigenständige Lösungen entstehen können.
Der Blick zurück wird gerne auch als Abkehr von der Moderne gedeutet oder als Verlust des Fortschrittsglaubens. Können Sie diese These nach Ihren Recherchen bestätigen?
Böhmer: Nein. Wir sehen das als Vorurteil. Das begegnete uns auch bei der Arbeit an unserem Buch. Insbesondere in Deutschland scheint es oft verpönt zu sein, historische Charakteristika einzusetzen.
Retrodesign scheint da häufig etwas Unanständiges zu sein. Manche Designer glauben also, Neues erfinden zu können, ohne sich von alten Dingen beeinflussen zu lassen. Wir denken, das dies unmöglich ist. Jeder Mensch, also auch jeder Designer ist von der gesamten Gensequenz des Designs aller Generationen beeinflusst. Das Neue kann überhaupt erst im Vergleich mit dem Alten bzw. davon beeinflusst entstehen. Auch die Qualität einer Designentwicklung wird erst im Vergleich deutlich. Schade, wenn wir uns der großen Schätze vergangener Generationen berauben, und nicht sehen, dass es hier darum geht Wissen zu nutzen und Design weiterzuentwickeln.
Hausmann: Das ist ja das Prinzip von Fortschritt.
Böhmer: Natürlich sind technologische Erfindungen nach wie vor ein wichtiger Faktor auch für Entwicklungen im Design, aber der Blick zurück, ist eine ebenso wichtige Komponente, um sinnvolle Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Ein neues effizientes Designsystem kann doch nur entstehen, indem Erfahrungen anderer Designer, anderer Menschen und anderer Zeiten einbezogen werden.
Eine andere These erklärt das Phänomen des stilistischen und konzeptuellen Rückgriffs mit der gegenteiligen Intention: Alte Werte kehren wieder, werden zukunftstauglich und gestatten so das Zitieren alter Stile.
Böhmer: Diese Phänomene können wir heute beobachten. Die Stile interagieren auch. Während auf der einen Seite konservative Werte der 50er Jahre propagiert werden und wir überschwemmt werden mit einer werblichen Kommunikation im lieblich-naiven Stil dieser Zeit, kann es auf der anderen Seite eine direkte Reaktion geben. Es entstehen plötzlich Medien, wie z. B. die neue Zeitschrift NIDO, die durch den Einsatz einer sexy, plakativen Sprache der 60er Jahre bewusst dagegen gesetzt werden.
Hausmann: Das zeigt, dass es eben sehr wichtig ist, sich mit dem Thema Retrodesign intensiv auseinander zu setzen. Auch die Tradition von Firmen und Institutionen kann durch Retrodesign sehr gut kommuniziert werden.
Bereits meine Großmutter pflegte zu sagen: »Alles schon mal da gewesen.« Diese Behauptung wirft zwei Fragen auf: Leben wir in einer permanenten Retrowelle und gibt es vielleicht gar nichts wirklich Neues?
Hausmann: Retrodesign ist Zukunft! Wir sind der Meinung, dass durch die Auseinandersetzung mit historischen Designcharakteristika innovative Designentwicklungen entstehen können. Ein Beispiel ist etwa das Projekt Rokokorelevanz, bei dem Gestalter aus den organischen Formen des Rokoko vollkommen neuartige Strukturen ableiten, die in der Architektur und im Interior Design eingesetzt werden.
Böhmer: Vielleicht können wir das vereinfachen. Es gibt viele Zutaten im Design, die bekannt sind und die uns in abgewandelten Formen immer wieder begegnen. Aber die Rezepturen können immer wieder neu zusammengestellt, neu erfunden werden. In unserem Buch haben wir versucht, dies zu beleuchten, indem wir einen Baum des formalen Gestaltungsspektrums aufgezeichnet haben. Die formalen Kategorien lauten dabei DEKONSTRUKTIV-KONSTRUKTIV-KONSTRUKTIV/ORGANISCH-ORGANISCH. Hierunter konnten wir nun alle Stile einordnen. So wird deutlich, dass Stile wie Dada, Punk und Dekonstruktivismus mit ähnlichen Gestaltungsprinzipien arbeiten. Trotzdem ist es möglich, immer wieder neue Stile zu entwickeln. Somit wird das Wissen über die Stilcharakteristika immer bedeutender. Daher haben wir das Buch als ein stylelab, als ein Labor der Stile konzipiert, in dem die Elemente der Stile wie Farbe, Muster, Schrift, Objekt destilliert wurden.
Wenn immer mehr zitiert wird, wer liefert heute den Stoff, der in 20 Jahren zitiert werden kann?
Böhmer: Heute sind es diejenigen, die ungehemmt mit unterschiedlichen Stilen experimentieren, die wirklich innovative Ansätze entwickeln aus der Kombination verschiedener Stile, Disziplinen und Dimensionen.
Ein Beispiel: Wenn es noch vor einiger Zeit en vogue war die Dreidimensionalität zu simulieren, so ist heute bereits im Trend reale Designobjekte zu schaffen, die wiederum wie computersimuliert aussehen. Spannend wird es aber dann, wenn die Auflösung der Realität eine Tür öffnet, wirklich neue Designlösungen zu finden.
Hausmann: Oft kommen Inspirationen aus der Kunst, wie Olafur Eliassons Vorliebe für kristalline Strukturen und Facetten, die im Design u.a. von Konstantin Grcic, den Bouroullecs und Patricia Urquiola
eingesetzt worden ist. Obwohl auch diese Formensprache nicht vollkommen neu ist, sondern an die Raster von Kaufhausfassaden der 70er Jahre, wie z.B. die Hortenkachel, erinnert, ist die jetzt entstandene Ästhetik so prägnant, dass sie sicherlich in 20 Jahren zitiert wird.
Welches ist – aus gestalterischer Sicht – der Unterschied zwischen Retro, Zitat und Imitation?
Böhmer: Eine Sache des Anspruchs. Jedes Design hat seine Berechtigung. Macht aber nicht immer Spass.
Die Imitation ist eine Bestätigung für das Original. Aber langweilig. Das Zitat stellt eine inhaltliche Verknüpfung dar, bzw. die Reflektion eines fremden Werkes im eigenen. Ein gutes Retrodesign sollte immer eine neue Perspektive eröffnen. Es nutzt die bestehende inhaltliche Aufladung um neue Botschaften zu formen. Also kann bestes Kommunikationsdesign entstehen, wenn man die Charakteristika richtig einsetzt.
Gibt es eigentlich eine deutsche Vokabel für den Stil, den die Amerikaner Vintage nennen?
Hausmann: Meistens wird der Begriff »Vintage« ja für Originalprodukte aus der Vergangenheit benutzt, deren Hochwertigkeit man ausdrücken möchte. Genauso wie antik, nur nicht ganz so alt. Eine deutsche Vokabel kenne ich dafür nicht. Allerdings glaube ich, dass dieser Begriff besonders für die Typografie von Bedeutung ist. Denn man arbeitet ja häufig mit Schriften, die keine Neuinterpretationen, sondern möglichst originalgetreue Kopien historischer Schriften darstellen. Wenn man diese verwendet, schwingt in der Gestaltung immer die Geschichte der Schrift mit, selbst wenn man nicht gezielt ein Retrodesign entwickeln möchte. Es gibt aber auch unterschiedliche Philosophien der Schriftgestaltung. Während etwa P22 Wert auf die historische Exaktheit legen, entwickeln House Industries eher Neutinterpretationen, denen man ansieht, dass sie aus der heutigen Zeit stammen. Wir haben in unserem Buch im Kapitel Retro Review Zitate in stiltypischen Schriften gesetzt, um deutlich zu machen, dass diese Schriften die Ideale einer Zeit vermitteln und eine emotionale Wirkung erzeugen können. Daher kommt auch die hohe Bedeutung der Typografie für das Retrodesign.
60 Kommentare
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Indra
Die Stilepochenwellen haben doch recht: wir sind wieder mitten im Historismus/fin de siecle
Benedikt
Jetzt mal unabhängig vom Inhalt – rein gestalterisch ist das meiner Meinung nach das mit Abstand schlechteste Buch, was je in diesem Verlag erschienen ist.
Indra
@Benedikt: ich brauche mehr Details (w.s. warum und was im Speziellen?)
Jürgen
Ich glaube, Benedikt will stänkern … Das Buch ist ordentlich gestaltet.
Sebastian
Das sind die Kommentare in online Medien, die mich immer stärker davon abbringen mich für die neue Kommunikation zu begeistern. Entweder war es so gemeint oder ich habe es falsch verstanden.
Da ziehe ich eindimensionale Kommunikation von Experten oder die persönliche Ausseinandersetzung unter Menschen wie vor hundert Jahren vor.
Wenn dieses Buch schlecht gestaltet ist, sind die meisten Drucksachen da draußen schlecht gestaltet. Was kann man an einer Sammlung von Druckbeispielen in einem soliden Raster erwarten?
Das ist doch keine Gutenberg-Bibel und die Buchgestalung soll bestimmt nicht die gezeigten Arbeiten „überschreien“.
Mann Mann Mann
Jürgen
Ich könnte solche Kommentar löschen … aber bitte nicht gleich »Zensur« schreien. Ich habe hier bewusst keine Moderation eingeführt, damit flott debattiert werden kann. Konstruktive Geister sollten sich von einem Archloch/Woche nicht davon abhalten lassen, gehaltvoll zu diskutieren.
Benedikt
@Jürgen
Wahnsinnig geistreich. Wenn ich schreibe, dass das Buch meiner Meinung nach (!) schlecht gestaltet ist, dann ist das also „stänkern�??
Dürfen nur positive Meinungen geäußert werden? Wie hättest du es denn am liebsten?
Benedikt
@Sebastian
Hast du das Buch schon mal in der Hand gehabt? Hast du schon die ersten Seiten des Buches gesehen? Den Einband? Die Details?
Jürgen
Ich übernehme gerne die Rolle für Sebastian …
Ich habe das Buch neben mir liegen. Was bitte ist am Einband, was an den ersten Seiten auszusetzen, Benedikt. Jetzt aber Butter bei die Fische!
Jürgen
Stänkern nenne ich, wenn jemand anonym pauschale Behauptungen aufstellt, ohne sie zu begründen.
Sebastian
@ Benedikt
Nein, nur die Fotos gesehen. Aber jetzt kannst du ja mal ausführen was so schlecht an dem Buch ist, mehr wollten die bisherigen Kritiker ja nicht wissen. Mein erster Eindruck von dem Buch war eher positiv bis gleichgültig. Es soll ja wie schon angemerkt kein Designmeilenstein als Selbstzweck darstellen.
Ich behaupte ja auch nicht grundlos, das es das beste Buch ist das je im Verlag erschienen ist. Es würde mich allerdings wirklich interessieren was der Anlass dieser superlativen Kritik ist.
Wenn ich meine Vorlieben äüßern dürfte: Ich hätte gern besonnene, konstruktive Beiträge, die so verstanden werden können wie sie gemeint sind.
Jetzt geht es hoffentlich mal um was interessanteres als diese themenferne Diskussion.
Christian
Unabhängig von der Kritik an der Kritik möchte anmerken, dass es DAS Retrodesign gar nicht gibt. Jeder wird eine echte 70er Jahre Tapete von einer aus den 90ern unterscheiden können, weil die Formen ähnlich, aber nicht gleich sind. Gerade die neue Interpretation der immer gleichen Formen ist doch das reizvolle. Was in den 80ern nicht ging, war in den 30ern der Knaller. Alles Irrationale und Undurchschaubare der Mode kommt da zum Zug und ich kann nur staunend daneben stehen, wie eine Zwiebelform einmal altbacken und dröge daher kommt und das nächste mal als der nächste große Schrei. Danke für den Buchtipp.
Benedikt
@Jürgen
Ich habe keinesfalls eine pauschale Behauptung aufgestellt, sondern lediglich meine Meinung gesagt. Ist das so schwer zu verstehen?
Benedikt
@Sebastian:
Meine Kritik in Kurzforml: Es ist ornamental, verspielt, unelegant in den Details, überladen und typografisch äußerst bescheiden.
Tatsächlich wirkt das Buch auf den Fotos deutlich besser – da erstens der zu pompöse Auftritt (siehe Einband) nicht auffällt, zweitens die schlechtesten Seiten (die ersten Seiten mit den Statements) nicht zu sehen sind und drittens die meiner Meinung nach sehr schlechten Details (zum Beispiel diese kleine Icons auf den Seiten) nicht so auffallen.
Jürgen
Danke Bendikt, so lese ich das schon viel lieber. Jetzt kann auch diskutiert werden.
Ich erkenne nichts Ornamentales in dem Buch (außer das Logo auf dem Titel) und weiß absolut nicht, an welcher Stelle es verspielt ist. Die Icons könnten nicht besser funktionieren, ihre Größe entspricht dem Siebdruck am rechten Buchschnitt. Dass Dir die Auftaktseiten nicht gefallen ist nachvollziehbar – aber was sind schon 5 verspielte Doppelseiten gegen 290 hochinformative Folgeseiten?
Ole
… die Idee ist gut. Um den Inhalt zu beurteilen müsste ich mir das Buch erst durchlesen. Soweit man von den Bildern die Gestaltung beurteilen kann ist diese klassisches Katalogdesign, was die Menge von Beispielen in der Regel gut trägt.
Philipp
@Benedikt
bitte gib doch eine umfassendere aussage was dich stört, dann ist es kritik und macht sinn. was stört dich an den ersten seiten, am einband, den (typograf.) details …
Philipp
ziehe ich zurück. war im verzug.
moma86
das buch ist der hammer. sowohl inhaltlich, wie auch von der gestaltung. wer dieses buch kritisiert hat entweder keine ahnung oder sollte einfach lieber die fresse halten.
schönen abend noch, gruß
till1
moma.. die aussage ist genauso destruktiv wie benedikts erster beitrag.
ich hab hinter dem titel eher eine massenhafte anreihung von bildchen vermutet, wie interessant ist denn der text? lohnt es sich noch, wenn man zum beispiel aus der schweizer grafik schon vorher mehr als einen namen kennt?
Benedikt
Und jetzt noch mal, damit alle beruhigt sind: Es ist nur meine Meinung. Ihr könnt das Buch alle toll finden, ihr könnt es für 89,- Euro kaufen, ihr könnt begeistert sein – aber ich finde es furchtbar und habe kein Problem damit, es zu sagen.
till1
liebe schmidts: ich finde wunderbar, dass ihr immer auf gutem papier drucken lasst – aber manchmal nervt mich dann doch, dass wegen einem dutzend veredlungen der preis so dermaßen hoch ist.
zum beispiel »schriftwechsel«: das buch ist so wunderbar, dass ich niemals auf die idee käme, die einzelnen muster herauszutrennen. und die perforation hat den produktionspreis doch bestimmt beträchtlich erhöht, oder?
Benedikt
@ Jürgen
Ornamental ist das Logo, der Buchschnitt, der gewaltige Einband. Ich verstehe das nicht. Ist das Retrodesign? Hat das etwas mit dem Inhalt zu tun? Was will uns diese merkwürdige Grafik mit der Rums-Typo sagen?
Es gibt genügend Beispiele für ähnliche Bücher, bei denen die Gestaltung viel subtiler und treffender ist – ich möchte mal „Blicktricks�? als Beispiel nennen, wo der Inhalt des Buches treffend und interessant auf dem Cover visualisiert ist.
Retrodesign ist übergestaltet, es ist zuviel – und es wirkt für mich einfach willkürlich und so überhaupt nicht angepasst.
Und im übrigen muss man sich leider auch hier – wie ein Vorredner schon angemerkt hat – fragen, warum der Verlag solche Bücher grundsätzlich so überveredelt? Das ist meiner Meinung nach überflüssig und schade – denn 89,- EUR ist ein heftiger Preis.
Jürgen
Die Edel-Argumente kann ich nachvollziehen. Vielleicht sollte Schmidt die edleren Bücher gleich bei der Premiere in 2 Ausführungen anbieten: Hardcover und Paperback. Wie die Font-Industrie: OpenType Std. und OpenType Pro.
Sebastian Nagel
Ich muss ja auch sagen dass ich das eine oder andere Schmidt-Buch schon nicht-gekauft habe, weil es mir einfach zu teuer war – ob der offensichtlichen und nicht immer ganz nachvollziehbaren Opulenz – auch wenn mich der Inhalt durchaus interessiert hätte.
Die Typo-Bücher kauf ich ja meistens doch nach etwas ringen mit mir selbst. Aber selbst wenn so ein Grafik-Übersichtsbuch wie dieses mit gutem Text und Recherche beträchtlich aufgewertet ist und jedes Taschen-Buch 3x überrundet … 30 Euro: sofort. 60: kommt auf meine Laune an. 89: mit großer Wahrscheinlichkeit vergess ich das Ding, bevor ich mich durchgerungen habe, denn so wichtig ist mir Retro-Design dann auch nicht.
van holland (amica)
Die Diskussion verlagert sich in Richtung Preis/Leistungs-Angebots des Hermann Schmidt Verlags.
Ich bin Student, nur zu gerne würde ich mir das eine oder andere Buch aus dem reichhaltigen Sortiment kaufen; jedoch kann ich es nicht nachvollziehen wie der Preis der Bücher in diesem Verlag zustande kommt.
Zurück zum eigentlichen Thema:
das Buch wird zur Ansicht bestellt, aber nur weil die Rezension von Jürgen Lust auf mehr gemacht hat.
Arnold
Ich besitze einige dieser 90-EUR-Schmidt-Bücher. Bei keinem hatte ich je das Gefühl, zuviel bezahlt zu haben. Der Gegenwert ist adäquat, was also ist »heftig«? Heftig sind für mich 10 EUR für ein aus lauter Sparsamkeit beschissen gesetztes, auf mieses Papier gedrucktes Taschenbuch, bei dem das Lesen zur Qual wird.
Überveredelt? Ich bin froh, dass es noch einen Verlag gibt, der in erster Linie ein schönes Buch machen will und nicht von vornherein dem Rotstift huldigt. Es wäre jammerschade, gäbs diese wunderschönen »überveredelten« Schmidt-Bücher nicht mehr.
till1
zwischen 90 und 10 euro ist ja noch spielraum
ich habe auch diverse der teuren, aber ich find die des inhalts und des layouts wegen wunderbar, nicht weil es mehrere bändchen hat oder prägungen auf dem cover. für 20-30 euro weniger hätten mehrere leute in meinem umfeld schon detailtypografie oder schriftwechsel gekauft.
Peter E.
Beim Schmidt-Verlag fehlt seit längerer Zeit ein Korrektiv. Man müsste sich mal von außen beraten lassen. Wenn ich die Hausmitteilungen so lese, dann liegt der Verdacht nahe, dass das Selbstbild und das Fremdbild arg abweichen. Früher gab es mal einen Hans Peter Willberg. Der hatte Autorität, auf den haben die Schmidts gehört. Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass seit Willbergs Tod kein Schmidt-Buch mehr zum Studentenpreis erschienen ist?
HD Schellnack.
Drei Gedanken, ohne für den Verlag sprechen zu können oder zu wollen – ich habe keinen Einblick in die Zahlen und Praktiken bei Schmidt:
a) ein Verlag braucht kein Korrektiv. Ein Verlag IST. Er macht, was er macht und der Markt entscheidet über Erfolg und Mißerfolg. Ansonsten sollte man vor allem kleinen Verlagen zugestehen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Niemandem gefallen alle Bücher eines Verlages – und das ist auch richtig so. Das Korrektiv ist der Markt.
b) Typographische Bücher, zumal solche die nicht nur zum Schauen sind, sondern auch textlastig sein können und einen gewissen didaktischen Ansatz haben wollen, verkaufen sich nicht gut. Von vornherein. Um an solchen Büchern für kleinste Zielgruppen überhaupt Gewinn zu machen, müssen Sie etwas teurer sein als ein MMPB. Es ist nur sinnvoll, den Preis dann auch durch eine hochwertige Produktion (die Teil des Verlagimages ist) zu rechtfertigen. Aber auch für 29,99 würden sich die meisten Bücher eventuell nicht besser verkaufen, weil die Zielgruppe einfach klein ist. Nicht zuletzt hilft ein liebevoll veredeltes Buch auch beim Spontankauf in einer Buchhandlung. Ist einfach so. Es ist kein reiner Selbstzweck.
c) Und es ist eben doch Selbstzweck, denn wir sollten auch sehen, dass es Autoren, Machern und Verlag vielleicht einfach Spaß macht, bibliophile Objekte zu produzieren, die zu berühren und zu lesen ebenso viel Freude macht wie wahrscheinlich das Austüfteln der oft ja sehr smarten Veredelungen. Spielwiese macht Spaß, und ist ja AN SICH auch eine Inspiration für die Leser. Schmidt bedient einen sehr sehr kleinen Markt, ich glaube nicht, dass das Unternehmen aus dem gleichen reinen Profitstreben arbeitet wie vielleicht Random House – insofern wäre es doch vermessen und auch seltsam masochistisch als Leser, dem Verlag vorschreiben zu wollen, auf jeglichen Spaß verzichten zu wollen, nur um das mehr als gewagte Experiment zu machen, ein Billigheimer zu werden. Schmidt ist nicht billig und fertig. Man sollte einem Verlag auch die Freude einräumen, Lustobjekte zu produzieren und einfach nicht billig sein zu WOLLEN. Daran scheiden sich sicher die Geister, aber im Sinne einer Marktverortung ist eine solche Entscheidung zentral. Edel und hochpreisig oder Discount-Buch. Da Typographie sich für letzteres nicht eignet, ist ersteres einfach eine Überlebensstrategie. Und es macht auch sicher mehr Spaß.
Ein PS:
Wir sind hier wieder bei der Wert-Debatte. Bei der immer gern die Studenten als Schutzschild ins Feld geführt werden, die armen, die sich nichts leisten können. Als ich studiert habe, gab es eine Bibliothek und Geld für wichtige, fachrelevante Bücher MUSSTE da sein – in BWL konnte man ohne Dozentenbuch gewisse Klausuren zwar schreiben, aber nicht bestehen :-D.
Wer nicht bereit ist, 70-100 Euro (also den Satz einer normalen Stunde Arbeit) in ein gutes, schönes Buch, das Inspiration und Information bieten kann, zu investieren, hat Probleme, für die der Verlag an sich doch nun wirklich nichts kann. Wer als Designer SO wenig verdient, sich am Markt so billig gemacht hat, dass er sich Bücher nicht mehr leisten kann und Software vielleicht nur noch per Rapidshare kaufen kann, der ist Teil eines sehr grundlegenden Problems der Branche, aber das ändert man nun sicher nicht, indem man bei den wenigen Leuten, die die Preis/Leistungs-Balance noch im Kopf hat, rummäkelt, dass SIE nun bitte auch billigbilligbillig werden müssen. Anders rum ist wahr: Wer hier am Preis meckert, muss seine eigene Einkommenssituation überdenken, wenn er Profi ist.
Für Studenten gilt, wie immer: Arbeiten, sparen, träumen. Man kann sich sicher nicht 100 Schmidt- und Gestalten-Bücher ins Regal stellen, aber nach und nach im Laufe des Studiums werden es mehr. Ich hab als Student auch monatelang auf Bücher gespart, die ich heute gedankenlos bestelle, und sie waren mir dadurch vielleicht mehr wert als heute.Und: Die Bücher sind ja so gemacht, dass du sie auf Jahre und Jahre verwenden kannst. Sie sind nicht kurzlebig. Hier im Büro greifen Mitarbeiter immer wieder mal zur Detailtypographie. Ein Buchkauf ist (mitunter) eben eine Investition, die sich lange auszahlt. Da sind 100 Euro nicht zuviel für ein Buch, das man vielleicht 10 Jahre oder mehr immer mal wieder lesen kann, oder? Wer aber Geizdebatten führt, ruiniert den Verlag, ruiniert Projekte und Bandbreiten – hier, wie in vielen anderen Fällen auch.
Arnold
@HD Schellnack
Danke! 100% Zustimmung.
Sebastian Nagel
Und Detailtypografie und Lesetypografie sind ihre 100 Euro mehr als wert – es sind grundsolide, schöne und vor allem auch nützliche Bücher – über Jahre hinweg. Solche Bücher bestelle ich gerne, freue mich, und es reut mich *nie* sie gekauft zu haben.
Sie haben allerdings eben genau das nicht: Tampondruck, Prägung, Goldfolie, Klarlack, 4 schöne Bändchen und Schuber. Das haben andere Bücher, meist die, die ich gerne kaufen würde als Inspirationsquelle, als Anregung, zum zwischendurch blättern. Von diesen Büchern brauch ich viele – mit einem Geschäftsbericht- und einem Retrodesign-Buch habe ich da nicht ausgesorgt – die durchzublättern wird langweilig.
Und wenn da jedes dann 89 Euro kostet … Das Geld hat vielleicht der Agenturchef locker – ich als Grafiker hab’s nicht. Vielleicht ist das ja aber auch die Zielgruppe – Bücher für den Agenturgebrauch (ich stell sie mir trotzdem gerne ins Regal).
Ich kaufe des öftern Paperback-Varianten von Phaidon Press. Da kostet das Hardcover 80, das Paperback 35 Euro – und für ein Paperback sind die wirklich schön verarbeitet.
Günstigere Ausgaben später nachreichen, wenn die Edel-Erstausgabe vergriffen ist? Wäre das ein Weg?
Phillip
Als Stundent kann ich mir natürlich eine Reihe von HS-Büchern in der Bibliothek ausleihen, aber wer ernsthaft mit einem Buch arbeiten will, wer Bücher liebt der kauft sie. Zumindest geht es mir so.
Was Detailtypografie angeht habe ich die knapp 100 Euro sehr gerne bezahlt, weil mir der Nutzen mehr Wert ist als das Geld. Detailtypografie ist ein Standardwerk.
Was ist Retrodesign? Ich werd es mir in jedem Fall mal in einer Buchhandlung anschauen, wenn ich darüber stolper, aber ich bezweifel einfach, dass es mir die knapp 100 Schleifen wert sein wird.
Solange HS sich mit ihrer Preispolitik halten können soll mich das aber nicht weiter stören. Ist ja meine Entscheidung, ob ich ein Buch kaufe oder nicht und vielleicht trägt meine Nichtkaufentscheidung ja irgendwann dazu bei, dass sich an der Preispolitik was ändert. Vielleicht auch nicht. Eigentlich egal, solange die Bücher die es mir Wert sind auch bei HS im Sortiment liegen.
Benedikt
@Arnold
Vielleicht haben wir eine grundlegende Auffassung von „schön�? – bzw. ganz sicher haben wir eine andere Auffassung davon, wann und warum etwas veredelt werden sollte.
Für mich macht es keinen Sinn, jedes Buch – unabhängig vom Inhalt – maximal zu veredeln. Nehmen wir doch mal Retrodesign – warum muss es diesen überladenen Einband und Buchschnitt geben? Hat er etwas mit dem Inhalt zu tun? Gibt es irgendeinen Grund?
Ich habe keinen erkennen können – und deshalb ist diese Form der Veredlung für mich pure Dekoration. Und Dekoration kann nicht der Anspruch eines Designers sein.
microboy
Das letzte teure Buch was ich beim Verlag Hermann Schmidt gekauft habe war »U1 – Vom Schutzumschlag zum Marketinginstrument«. Für 89 Euro bekam ich ein schönes und informatives Buch – leider hat es jedoch bei ca. zwanzig Bildern nicht für hochauflösende Daten gereicht bzw. wurde in der Litho geschlampt. Etliche verpixelte Abbildungen in einem Buch zu diesem Preis kann und will ich nicht akzeptieren. Auf eine Anfrage reagierte der Verlag leider auch nur mit einer schlechten Ausrede.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ich keine Bücher mehr dort kaufe. Ich schaue aber sehr viel genauer hin und der schlechte Beigeschmack bleibt bis heute.
till1
@HD: »Das Korrektiv ist der Markt.« Eben deshalb tue ich auch meine Meinung kund – damit HS weiß, was der Markt sagt. Ansonsten stimme ich Sebastian voll zu. Retrodesign müsste inhaltlich so hilfreich/lehrreich sein wie Detailtypo oder einige der Phaidon-Monografien, damit es mir 90 Euro wert ist. Daher auch meine Nachfrage zur inhaltlichen Qualität.
Der Fairness muss man anmerken, dass der Großteil von Schmidts Verlagsprogramm sich zwischen 30 und 60 Euro (und sogar noch darunter) bewegt.
HD Schellnack.
>Eben deshalb tue ich auch meine Meinung kund
Das ist der Irrtum des Internets. Der Markt sind nicht Leute, die auf Foren kommunzieren, sondern die, die kaufen. In allen US-Comicforen wird auf genau die Serien abgekotzt, die an den Kassen gut laufen. Die Fans beschweren sich über Megacrossover, die aber (krisenbereinigt und angesichts der massiven Umsatzeinbrüche) eben trotzdem relativ gut verkaufen. Ich glaube übrigens, der Grad an Verdelung hat wenig mit Preis zu tun – hier geht es mehr um Auflage, Absatzchancen, Autorenbekanntheit, aber nicht darum, ob da was golden funkelt. Es hilft am POS, aber es treibt sicher nicht den Preis explosiv in die Höhe, irgendwo ein bisschen Heißfolie zu verarbeiten – so teuer ist Veredelung nicht mehr.
Es ist eine Balance, eine Mischkalkulation zwischen Absatzchancen, Spaß an der Produktion und vielen anderen Faktoren. Ob ein Buch dann inhaltlich begeistert, muss ja jeder für sich entscheiden. So gibt es Leute, die halten fff für ein Standardwerk zum Thema Annual Reports, andere denken anders – aber die Entscheidung (Gottseidank) trifft jeder Konsument für sich, idealerweise beim Live-vor-Ort-Durchblättern in der Buchhandlung seines Vertrauens. Das ist völlig okay.
Ganz grundsätzlich ist es eine wunderbare Sache, dass wir überhaupt zwei finanziell anscheinend überlebensfähige deutsche Verlage haben, die seit Jahren auf ihre ganz eigene Art den Designmarkt beackern. Ich glaube, viele Leser vergessen angesichts der ja meist sehr professionellproduzierten Medien, dass beide Verlage im Grunde kleine Läden sind, nicht zum BMG gehören oder so. Einen Nachdruck wegen verpixelter Bilder kann man sich da mal nicht eben so leisten, befürchte ich. Ich kann mir nur vage denken, wieviel Arbeit hinter Projekten wie Gestalten und Schmidt (und anderen, noch kleineren Verlagen) für die Macher stecken muss – aber ich denke, es wird beachtlich sein.
Insofern vielleicht die Anregung an die Kritiker, einfach selbst einen kleinen Verlag zu gründen und die Bücher, die man sich schon immer für sich selbst gewünscht hat, herauszugeben – wer weiß, vielleicht wird es ein riesiger Erfolg?
Benedikt
@ HD Schellnack
Was, wenn nicht die Veredlung führt dann zu einem Preis von 89,- EUR?
Phillip
Hat er doch angedeutet: Auflage, Absatzchancen und Autorenbekanntheit.
HD Schellnack.
Du bist doch jetzt echt nicht so naiv zu glauben, dass sich ein Buchpreis deutlich unterscheidet durch die Veredelung? Aus meiner Erfahrung sind das je nach Auflage relativ bescheidene Faktoren, die selbst wenn man sie alle wegließe und das Buch mit DDR-Charme herausbrächte, vielleicht ein paar Euro einsparen würden. KSF müsste dir selbst erklären, wie sich der Preis zusammensetzt, wenn sie dazu Lust hätte, aber aus meiner Erfahrung ist das bei größeren Publikationen nur ein Randfaktor. Man könnte genauso gut argumentieren, ein Restaurant solle auf die schöne Deko verzichten, dann würde das Essen billiger. Das teure ist der Betrieb an sich. Ein Buch ist teuer, weil es den Verlag, ideal auch noch den Autor und die Gestalter, finanziert. Kein Buch der Welt kostet so viel wie die Druckkosten – ebenso wenig wie ein Wein im Restaurant so teuer ist wie im Supermarkt. Da ändert die Tischdecke wenig am Preis, aber es macht den Preis viel erträglicher, wenn der Laden nett eingerichtet ist – oder? Ich jedenfalls habe lieber ein liebevoll gemachtes 90-Euro-Buch als ein bei Flyeralarm gedrucktes für 60 :-D.
Ich verstehe die Debatte gar nicht. Das wir Designer jetzt SELBST auch noch mit der Geiz-ist-Geil-Soße anfangen ist wirklich irgendwie beängstigend. Wir gewöhnen uns anscheinend auch an die Null-Euro-Gesellschaft, wo es ein Skandal ist, wenn ein Produkt seinen Preis hat, anstatt gratis herunterladbar zu sein.
Ich sehe uns bald schon alle bei BMW stehen und den 10-Euro-Fünfer einklagen: Laßt doch den Aschenbecher weg, dann klappt das schon mit dem Preis, liebe Münchener.
Das ist schon ein bisschen vereinfacht gerechnet. Vielleicht hat Henning recht und wir Designer brauchen einen Grundkurs BWL & Jura.
till1
@HD: entschuldige, aber ich kaufe bücher. für 1000-2000 euro im jahr. als student.
und bevor du jetzt den rundumschlag noch ein paar seiten weiter ausführst, möchte ich nochmal meine aussage präzisieren: ich stelle nicht den den _wert_ der bücher an sich in frage, sondern in diesem konkreten fall hindert mich der preis daran, das buch zu kaufen und ich frage mich wie dieser preis zustande kommt.
womöglich hast du recht, aber vielleicht mag karin oder sonst jemand, der mehr erfahrung als ich hat, mal eine konkretere auskunft geben, wieviel veredlung tatsächlich ausmachen können. von manchen büchern hätte ich lieber eine standard-ausführung, denn kann ich mir statt einem opulenten zwei (inhaltlich interessante bücher) leisten.
Christian
zufällig hab ich einen Verlag gegründet und habe meine Plakate mal durchkalkuliert. Mein Verlag ist um ein paar Nummern kleiner als HSM, daher habe ich weniger Personal-, Marketin-, und Werbekosten, aber ich gehe davon aus, dass die Kalkulation für dieses Buch nicht Hurra-Porsche ist.
Wenn Designer für doofe Nüsse arbeiten, regen sich alle auf, wenn sie aber kalkulieren können und ein Buch nicht für 20 € anbieten, das 90 € wert ist, genau so. Was denn nun?
Christian
Ach so: die Kosten für den Druck machen keine 10% bei der Kalkulation aus. Der Rest geht für Honorare und geistige Arbeit drauf.
Philipp
…wir Designer brauchen einen Grundkurs BWL & Jura…
Den gibt es eben auch schon im Studium integriert. Zumindest war das bei mir so. Ich sehe das kritisch. Geisteswissenschaften und Sprache sind m.E. nach bereichendere Ergänzungen für ein Designstudium. Es fehlt vielmehr eine echte Vertiefung von Gestaltungsdisziplinen und ein höherer wissenschaftlicher Anspruch, eben um der »Medienfloristik« (Danke für diese Formulierung Hr. Krause, hat bei mir »Wohlstandsdekoration« abgelöst) entgegen zu wirken.
Auf Grund dieses Mangels an vertiefender Gestaltungsdiziplin und intellektfördernder Wissenschaft dekorieren doch viele derart egomanisch in der Gegend umher (und das drückt sich z.B. auch in scheinbar willkürlichen & überzogenen Veredelungen aus), sind aber nicht in der Lage klare Formen und Strukturen zu finden, vom handwerklichen Anspruch Mal völlig abgesehn.
Ein »POS« bleibt hoffentlich noch lange eine andere Sprache als »Durchschuss«. Eine Konzentration auf das kreative und geistige Wesen von Design ist m.E. nach zielführender als das Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge.
HD Schellnack.
>Eine Konzentration auf das kreative und geistige Wesen von Design ist
> m.E. nach zielführender als das Wissen um wirtschaftliche >Zusammenhänge
Statements, mit allem Respekt, bei denen mir echt die Tränen kommen.
thomas junold
was für eine merkwürdige diskussion. kauft das buch, wenn es euch was bringt und ihr es euch leisten könnt oder lasst es bleiben, spart und geht in die bibliotheken. man kann in nrw zum beispiel bücher über das komplette bundesland ausleihen. einfach mal das bibliothekspersonal fragen!
ich denke, das die mainzer wirklich gute bücher machen und ich sehr zufrieden mit diesen »geilen dicken schinken für 89 €«. sie helfen, sehen gut aus und btw. sie fallen nicht nach dem fünften aufschlagen auseinander, wie die »printed in china« bücher eines gewissen kölner verlags, der sich zwar bemüht preiswerte bücher zu machen, aber eigentlich die samthandschuhe mitliefern sollte um diese auch sicher als gebrauchsgegenstände zu benutzen zu können.
phillip: grafikdesign oder korrekter visuelle kommunikation ist ein fachhochschulstudium da gehts um die vorbereitung auf die praxis und kein elfenbeinturmvorbereitungskurs. da hast du sicher was falsch verstanden oder das falsche studiert. nichts gegen eine solide theorie, die muss dabei sein, aber die kunden brauchen antworten und lösungen und keine weiteren fragen auf die niemand eine antwort weiss. wir sind nunmal »dienstleister gehobenen anspruchs«.
das ist aber eine völlig andere diskussion …
Philipp
Lieber Tomas, da hast du wohl was falsch verstanden. Da hast du mich wohl falsch verstanden. Praxisnähe und kundenortientierte Lösungen schliessen einen größeren geistigen Horizont doch nicht aus. Im Gegenteil. Dieser trägt z.B. dazu bei, die Probleme und Interessen des Kunden in einem weiteren Horizont zu sehen. Es geht nicht nur um eine solide Theorie sondern vor allem auch um ein sauberes Handwerk. Ich bin sehr froh über meine damalige Studienwahl. Deine Schlüsse sind mir unverständlich. Belassen wir es dabei.
@HD. Jetzt muß ich aber auch weinen.
thomas junold
guter diskursgrundsatz philipp, weiter so!
Philipp
Das ist doch deshalb nicht mein Grundsatz lieber Thomas. Aber der Rahmen hier ist doch der falsche für eine persönliche Auseinandersetzung mit Dir und auch das Ausgangsthema ein deutlich anderes.
Kai
Auch nichts zum Thema »Retrodesign« …
Ich hatte bei einem Vortrag die Möglichkeit Frau Schmidt-Friedrichs auf die Preise bei HS anzusprechen. Es ist in der Tat so, dass ein Paperback im Vergleich zur Edelvariante fast nichts im Preis ausmacht.
Auf meinen Vorschlag zumindest so wichtige Bücher wie Detail-/Lesetypografie im Paperback zu drucken und diese für Studenten vergünstigt anzubieten, machte sie klar, dass für solch einen Fall der Verlag die Sicherheit bräuchte, dass mindestens doppelt so viele Exemplare verkauft werden.
(Da ein Student nicht die aktuellste Version braucht und dafür aufs Geld schaut, denke ich schon, dass irgendwann eine Auflage, die doppelt so groß ist, verkauft wäre) Allerdings ist klar, dass das nicht bei jedem Buch möglich ist; naja und all zu wirtschaftlich Gedacht ist es leider auch nicht :-)
Sebastian
Was mir hier immer wider auffällt ist dass ich mich hier gern von Argument zu Argument zu einem bestimmten Teil überzeugen lasse und zustimme oder ablehne.
Gibt es denn überhaupt eine Wahrheit?
Ich denke, das zum Beispiel Designstudenten sowohl wirtschaftliches Denken als auch wissenschaftlichen Tiefgang und intellektuellen Anspruch mitnehmen sollten. Das sollte sich nicht ausschliesen. Die eine oder andere Werbeagentur könnte etwas mehr soziale Verantwortung zeigen, das eine oder andere Designbüro viellleicht etwas näher am Kunden/Markt arbeiten.
Bei den Büchern ist das doch genauso mit der „Wahrheit“, je nach persönlichem Wertempfinden und Geschmack.
Von Surprise Me gibt es zum Beispiel auch mitllerweile eine erschwingliche Papeback-Variante für ca. 30 Euro.
Aber im Prinzip stimmt es schon, dass sich der Markt da selber regulieren wird. Gerade angesichts der aktuellen Situation der Printmedien. Vielleicht wird die nächste Generation gern mit ebooks und Kimble etc. arbeiten, lesen und lernen. Dann muss man auch sehen wie man den Wert des Inhalts von Büchern den Lesern nahe legt. Da hat die Musikindustrie ja auch gerade enorme Probleme.
Da ist es mir lieber wenn über Haptik Relevanz und Mehrwert erzeugt wird als dass es in Zukunft bestimmte Fachmedien einfach nicht mehr gibt, weil man es nicht wirtschaftlich verlegen kann.
Jürgen Grabowski
Wisst ihr warum ich das Web 2.0, Blogs etc nicht so mag wie manch einer hier?!
Ich hab nicht so viel Zeit und Nerven diese „szeneinternen“ Olli Geissen Daily Talks durchzulesen. Oben fang ich noch interessiert an und blogge (ah ha, daher der Begriff? ;-) )
in der Hälfte ab. Hier wird sich echt die Seele aus dem Leib getippt. Wobei ich mir vorstellen kann, das der ein oder andere hier bestimmt echt interessante Meinungen hat.
Nur leider geht sie in der Bleiwüste unter.
till1
kai: danke für deinen beitrag, das hat meine vermutung widerlegt und meine frage beantwortet..
HD Schellnack.
>Ich denke, das zum Beispiel Designstudenten sowohl wirtschaftliches
>Denken als auch wissenschaftlichen Tiefgang und intellektuellen
>Anspruch mitnehmen sollten. Das sollte sich nicht ausschliesen.
So würde ich das auch sehen. Zu wissen, was ein M/4 ist, schließt nicht aus, zu verstehen, wie eine Kalkulation auf Kundenseite läuft. Designer, die im Elfenbeinturm leben, sind aus meiner Sicht eine schlimme Sache. Die Neugier und das permanente Entdecken ist das Tolle an unserem Beruf. Das Lernen und Finden.
HD Schellnack.
@Jürgen G.: Da das wahrscheinlich an mich geht, als Captain Wortschwall…
Du musst das ja nicht lesen. Ich finde Blogs – gemessen an dem, was ich an Printsachen unter der Woche lese – extrem fix lesbar. Dieser Trend zu: «Was mehr als 20 Zeichen hat, les ich nicht» ist irgendwie eher so ein Ding wie Leute, die stolz drauf sind, keinen Videorecorder (oh, retro!!!) bedienen zu können, oder? Oder velleicht weißt man auch nur auf die wahnsinnig wahnsinnig knappe Zeit/persönliche Wichtigkeit hin, keine Ahnung. Aber warum dann überhaupt was lesen?
Karin Schmidt-Friderichs
Wie kalkuliert man Bücher? Darum scheint es hier mehr zu gehen als um die Fragen rund um das Phänomen Retrodesign, das Sara Hausmann und Achim Böhmer
– anhand super spannender und für Gestaltung auch über den Retrotrend hinaus sensibilisierender Gegenüberstellungen (für die wir ziemlich saftige Abdruckrechtskosten haben),
– anhand präziser und kondensierter Charakterisierungen der Stile
– und mit stylelab, meinem persönlichen Lieblingskapitel in dem sie die „Zutaten“ für die Stile analysieren zusammengestellt haben.
(für alles zusammen sollen die Beiden unserer Meinung nach auch ein faires Honorar bekomen)
Wir versuchen, Bücher zu machen, die nützlich und schön sind. Schönheit ohne Nutzen lehnen wir ab, Nutzen ohne Schönheit im Sinne von Herstellungsqualität gibt es sehr überzeugend Online.
Wir versuchen, dem Inhalt entsprechend eine Ausstattung und einen Preis zu finden. So entstanden im Gespräch mit Hans Peter Willberg – und anfangs war er dagegen – Erste Hilfe und Wegweiser neben der Lesetypo. So entstehen die Jennybändchen (um die 10,- Euro), die Kalligrafie-Titel von Gottfried Pott (unter 20,- Euro), das Typoquiz etc. Einsteigertitel zu Einsteigerpreisen.
Dann gibt es Titel, von denen wir annnehmen, dass die verkaufbare Auflage nicht hoch sein wird, die wir aber dennoch machen wollen, weil wir das Thema wichtig finden. Wenn wir dann meinen, das Thema solle ausführlich analysiert und präsentiert und mit vielen Abbildungen illustriert werden, dann ergibt sich aus Absatzerwartung und Umfang/Abbildungen ein Preisraum, in dem wir uns bewegen, wenn das Ganze kostendeckend sein soll. Darin definieren wir den Ladenpreis. Dann gehen wir bis an die Grenzen den Machbaren und kaufmännisch Verantwortbaren (sprich manchmal ohne jeden Verlagsgewinn, oft mit Margen, über die die Branche milde lächelt), um herstellerisch faszinierende Bücher zu machen. Nie ist ein Preis wegen Herstellungsraffinessen erhöht worden. Das wäre l’art pour l’art.
Im Fall von Retrodesign gibt es ja den sehr viel günstigeren Formstrahl, den Sara Hausmann und Achim Böhmer zuerst uns vorgestellt hatten. Wir aber wollten dem Thema weiter auf den Grund gehen, ein fundierteres Buch zum Thema haben und wir sind extrem dankbar, dass die Beiden sich derart ins Zeug gelegt haben. Gemeinsam haben wir in langen Diskussionen überlegt, ob wir den Umfang reduzieren, einige uns wichtige, aber teure Abbildungen weglassen oder ob wir diesen Ladenpreis wagen. (genau wie wir das mit HPW, Friedrich Forssman und allen anderen gemeinsam besprochen haben und besprechen werden). Beide Bücher sind lieferbar und ich denke, das ist gut. Dann kann der Kunde – also Ihr – sehen, wie tief Ihr einsteigen wollt.
Immer offen für Feedback und sehr gespannt darauf, wie Ihr das Phänomen Retrodesign seht…
Karin Schmidt-Friderichs
till1
danke für den ausführlichen beitrag und antwort meiner frage! ich werde bei gelegenheit reinschauen und berichten.
Jens
Das Buch ist wirklich keine Augenweide!
Benedikt, ich bin da ganz deiner Meinung!
Jens
Überzeugt mich aber durch das Inhaltliche!
Frank Patitz
Interessante Debatte.
Ich würde mir das Buch gern einmal durchblättern.