Nichtlesen 23: Neues Berliner Szenewasser – aus Chile
Berlin, Mai 2011. Auweier Unhold & Partner entwickeln neue Produktlinie und werden mit Preisen ausgezeichnet.
Die prosperierende Werbeagentur Auweier Unhold & Partner wirbt nicht nur für bekannte Marken, sie entwickelt und vertreibt inzwischen auch eigene Produkte. Kürzlich hat sich das Agentur-Team den Markt für Mineralwasser vorgenommen. Eine interne Analyse kam zu dem Fazit: Es gibt einfach zu wenige Mineralwasser-Sorten im Handel.
In Deutschland zum Beispiel hat der Konsument die magere Auswahl aus nur 3478 Wassermarken. Erschwerend kommt hinzu, dass das leider überwiegend qualitativ hochwertige deutsche Leitungswasser den Flaschen-Wässerchen verstärkt das Wasser abgräbt. Immer mehr Verbraucher trinken allein aus Umweltschutzgründen das Wasser aus dem Hahn, anstatt sich für die eigens aus aller Welt per LKWs und Schiffen importierte flüssige Ware zu begeistern.
Der Konsum von Leitungswasser mag ökologisch wünschenswert sein, schmälert aber den Absatz im Handel. An diesem Problem setzt die neue Produkt-Linie der Agentur an. Die Strategie ist simpel: Auweier Unhold & Partner bündeln die Vorteile beider Wasser-Gattungen in einem Produkt und bringen Leitungswasser in Flaschen abgefüllt in den Getränkehandel. Das heißt: Was bei den Leuten zuhause aus dem Hahn kommt, kann man jetzt auch in Supermarkt kaufen.
Bei der Ausgestaltung der neuen Produktlinie ging das Agentur-Team dann sozusagen zurück zur Quelle, um sich gegenüber dem Wettbewerb abzusetzen. Bekanntlich reichern die meisten Hersteller ihre Wasser mit künstlichen Eigenschaften wie »macht fit … ist gesund … voll mein Lifestyle« etc. an. Nicht so bei Auweier Unhold & Partner.
Der Produkt-Kern von Wasser liegt letztlich in seiner Wasserheit, analysierte man in der Agentur. Sprich: Die »Nassness« von Wasser ist der Core-Benefit des Produkts. Konsequent leitete das Kreativteam auch die Namensgebung für die neue Kreation ab. Die Marke heißt »Wasser« und wird in den drei gleich schmeckenden Geschmacksrichtungen »Wasser nass«, »Wasser flüssig« und »Wasser überflüssig« angeboten.
Als Rohstoff für die drei neuen »Wasser« fungiert reines Berliner Leitungswasser. Um die Produktlinie zielsicher im Szene-Segment zu etablieren, werden an Zusätzen noch künstliche Aromastoffe (Hipness-Flavour, ohne Geschmack) und künstliche Farbstoffe ohne Farbe beigefügt – fertig ist der Trend-Drink der Saison! »Wasser nass«, »flüssig« und »überflüssig« sind bereits vertrieblich pilotiert in einigen Berliner Szene-Locations erhältlich; zum Beispiel in Süd-Neukölln in der »Unfass-Bar« und in Spandau bei »Orthopädie-Technik Wippermann«.
Denk mal drüber nach!
Das entscheidende Merkmal von »Wasser« wäre damit aber noch gar nicht genannt. Denn das Produkt ist nicht nur ein Szenedrink, sondern auch ein vorbildliches Modell für umweltfreundlichen und nachhaltigen Konsum. Das erreicht man über einen außergewöhnlichen Produktions-Prozess: Das Berliner »Wasser« wird nämlich nicht in Berlin abgefüllt. Stattdessen werden die leeren Flaschen und Leitungswasser in Containern separat per Schiff nach Chile transportiert, wo ein Partner die Abfüllung übernimmt, woraufhin die gefüllten Flaschen zurück nach Deutschland verschifft werden. Warum das?
Ganz einfach: Mit dem »Berliner Leitungswasser aus chilenischer Abfüllung« machen Auweier Unhold & Partner auf den gegenwärtigen Irrsinn des globalen Transports von Gütern aufmerksam, die auch regional vorrätig sind. Dank der Abfüllung in Chile weist »Wasser« eine katastrophale Öko-Bilanz auf. Für den anscheinend sinnlosen Transport um die halbe Welt und zurück werden für jede einzelne Flasche »Wasser« im Schnitt 14,8 Liter des besonders umweltschädlichen Schiffstreibsstoffs Schweröl verbraucht. Entsprechend horrend ist auch der Ausstoß an Schadstoffen wie CO2 und anderen. Diese erschreckenden Werte sind auch auf der Beschriftung von »Wasser« festgehalten.
Fazit: Der Konsum jeder einzelnen Flasche »Wasser« ist ein ökologischer Wahnsinn. Dieser Wahnsinn dient aber im zweiten Schritt der Umwelt. Denn »Wasser« enthält durch seine besondere Produktion den von Auweier Unhold & Partner kreierten »Denk mal drüber nach«-Effekt. Jede Flasche »Wasser« macht somit auf den weltweiten, höchst umweltschädlichen und großenteils überflüssigen Güter-Transport aufmerksam.
Für den »Denk mal drüber nach«-Effekt wurde das gerade erst in der Pilot-Phase eingeführte »Wasser« bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet (z. B. Red Dot und Berliner Umweltpreis) – als ein innovativer Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit durch Sensibilisierung der Verbraucher für Umwelt-Aspekte in der Getränkeherstellung.
Agentur-Chef Grabowski hat derweil schon mal einen ersten Kassensturz gemacht, denn das Projekt soll schließlich auch kommerziell erfolgreich sein. Hier seine Zwischenbilanz: »Wenn ich mal zusammenrechne, wie viel Geld wir mit »Wasser« im Verhältnis zum Marktpotential noch nicht verdient haben … das müssen ja Milliarden sein!«
Abbildungen Flaschen: A German „Normbrunnenflasche“ for mineral water etc., designed by Günter Kupetz / Creative Commons Version 3.0; Montage: Fontblog
17 Kommentare
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Enno
Übrigens gibt es abgefülltes Leitungswasser bereits im Handel unter dem Namen „Bonaqa“, ist aber längst nicht so konsequent durchkonzeptioniert.
Litteratur
Ich wäre vorsichtig mit solchen Ideen…Wenn Veolia das mitkriegt, werden die das vielleicht noch umsetzen. Dann kann man die gesamte Berliner Wasserinfrastruktur einsparen und das Leitungswasser nur noch in Flaschen verkaufen. :)
Grabowski
@ Enno Ja, man nennt sie auch „Leitungsheimer“. Aber die machen wir nass!
anderer tom
Dürft ihr das überhaupt??
Ich dachte das Berliner Wasser wäre schon an einen privaten Investor verkauft worden, der jetzt weltweite, unbegrenzte Nutzungsrechte dafür verlangen kann.
CB
Ist Instant-Wasser nicht die beste Lösung? Da hat man viel weniger Transportkosten und nur wenig Verpackung. Habe ich seit Jahren im Haus und auch die Katzen mögen es.
amadea
Berechne deinen Wasser-Fußabdruck:
http://www.waterfootprint.org/?page=files/home
Yanone
@CB Und das muss man dann zuhause wieder mit Leitungswasser verdünnt anrühren, oder was? Konsequent.
Gerd Wippich
«Leitungsheimer» ist auch gut, kannte ich noch nicht. Hier eher bekannt unter dem Namen «Hahnenburger»…
Theo
Sieht gut aus, ist purer Schwachsinn. Hoffentlich tritt der gewünschte Effekt ein.
Sven Gelhaus
… und wahrscheinlich verkauft es sich sogar. Ich bin davon überzeugt, dass (leider) nicht jeder bis zum Satz »Denk mal drüber nach!« kommen wird. Man sollte ein Experiment starten – und in Berlin damit beginnen.
Tolle Idee!
andi kissel
sorry, herr bukowski, mit dieser idee sind sie einige jahre zu spät dran.
coca cola hat einen ähnlichen trick bereits 2004 in england ausprobiert: »dasani«
Link
bukowski
@ andi kissel
Auch eine schöne Geschichte, kannte ich noch nicht. Aber so ein PR-Desaster kann uns nicht passieren. Wir schreiben ja explizit auf den Flaschen, dass es sich um Leitungswasser handelt. Und die Besonderheit von „Wasser“ liegt ja in der Abfüllung in Chile. Damit sind wir nicht zu spät, sondern ganz vorne dran!
bukowski
@ CB
„Instant-Wasser“, gute Idee. Das heißt: Wasser in Pulverform, das man mit Wasser aufgießt, um Wasser zu erhalten. Dafür müsste man nur noch ein eigenes Gerät entwickeln, vergleichbar den Kaffee-Pad-Maschinen.
CB
@ Bukowski:
gute Idee, vielleicht einen Soda-Streamer für stilles Wasser! Mann, ich renn zum Patentamt.
Mary
Vermutlich einmal zu oft um die Ecke gedacht. – Abgesehen von Diskussionen innerhalb der Designszene wird es wohl keinen Effekt haben …
Nichtleser
Gar keine Angaben zu den verwendeten Schriften im Abbildungsverzeichnis?
stylo parker
This is really useful information. Will do it in the future. Yeah, the system
is as corrupt as the politician…lol :D Cool, thanks for the information on this matter.
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