Nichtlesen 22: 180°-Grünwäsche
Wir erinnern uns: Journalismus-Azubis lernen das kleine ABC der unvoreingenommenen Berichterstattung anhand lehrreicher Anekdoten wie dieser fiktiven, aber aufschlussreichen Geschichte:
Der Papst besucht Brasilien. Bei der Ankunft fragt ein Journalist, ob er denn auch Kinderbordelle besuchen würde. Daraufhin entgegnet der Papst entrüstet: »Wo gibt es denn hier Kinderbordelle?« Am nächsten Tag lautet die Titel-Schlagzeile in einer Tageszeitung: »Papst: Wo gibt es denn hier Kinderbordelle? – Noch bei der Ankunft am Flughafen zeigte sich der Papst interessiert an Kinderbordellen …«
Offensichtlich haben auch die PR-Verantwortlichen der deutschen Kernkraft-Lobby ihr Journalismus-Latein in diesem Stil gelernt. Das zeigt die 2007 veröffentlichte Kampagne vom »InformationsKreis Kernenergie«. Mit verblüffender Logik wird hier der klimaschützende Aspekt der Atomkraft präzise herausgearbeitet und auf den Punkt gebracht (»CO2-Ausstoß: Null«) – bis heute ein unerreichter Meilenstein der Greenwashing-Technologie.
Die Motive der Klimaschützer-Kamapgne finden sich noch heute im Internet (Beispiel Abbildung oben), aber nicht mehr auf den einschlägigen Seiten der Atom-Lobby. Man darf annehmen, dass die Kampagne seit den Ereignissen in Japan und im Zuge des Atom-Moratoriums bei den Verantwortlichen etwas an Relevanz eingebußt haben dürfte.
Nicht so bei der Werbeagentur Auweier Unhold & Partner. Das Agentur-Team ist kürzlich bei Recherchen über die Klimaschützer-Kampagne gestolpert und Agentur-Chef Grabowski war auf Anhieb begeistert von der Idee, die Atom-Logik für eigene Zwecke zu nutzen – und zwar in Form einer Kampagne für die Automobil-Industrie.
Wir konnten Herrn Grabowski heute morgen am Flughafen erreichen und dieses spontane Interview mit ihm führen:
Nichtlesen-Redaktion: Herr Grabowski, wie ist es denn gelaufen in Brüssel?
Herr Grabowski: Großartig. Wir haben eben beim Verband der Automobilindustrie initiativ präsentiert und ich kann ohne zu übertreiben sagen: nahezu glatter Durchmarsch!
Das heißt, Ihre Kampagne wird umgesetzt?
Ziemlich sicher. Wir haben heute zwar erst beim Sicherheitsdienst und am Empfang vom VDA-Hauptsitz in der Rue de Commerce präsentiert, aber die waren sehr begeistert. Als man uns freundlich zum Ausgang geleitete, hat uns das Security-Team fest zugesagt, unsere Pappen mit den Kampagnen-Motiven an den Facility-Management-Vorstand weiterzuleiten. Man hat uns sogar in Aussicht gestellt, dass unser Papier-Material recycelt wird … so umweltfreundlich ticken die da! Unsere Kampagne kann also nur auf fruchtbaren Boden fallen. Das hat uns auch eine führende Fachkraft von der Abteilung Litter & Disposal Affairs bestätigt.
Glückwunsch!
Danke, danke! Wir sind alle schon ganz aus dem Häuschen hier und … Moment, bitte … man will mich sprechen … Was!? Ich soll bitte mitkommen? Wie, Tickets gefälscht? Quatsch: Nix gefälscht, das ist ein Re-Design vom Ticket-Layout, und zwar ein ganz notwendiges … Sorry, ich muss Schluss machen, dringender Meeting-Termin mit dem Flughafen-Management, wahrscheinlich wegen neuer Kampagne oder so … Tschüssi.
Herr Grabowski, vielen Dank für das Gespräch.
Genießen Sie hier exklusiv eine Vorschau auf die mit größter Wahrscheinlichkeit bald bundesweit geschaltete Kampagne von Auweier Unhold & Partner für den Verband der Automobilindustrie – und lassen Sie sich überraschen, wie viel Gutes Sie mit Ihrem eigenen Auto, falls vorhanden, für unser Klima tun!
Wie uns das Agentur-Team weiterhin mitteilte, setzt man bei Auweier Unhold & Partner im nächsten Schritt das Thema erneuerbare Energie auf die Agenda. Dazu Herrn Grabowskis Arbeitshypothese: »Nichts gegen erneuerbare Energie. Aber was in Deutschland wirklich fehlt, sind erneuerbare Energieversorger.«
Abbildungen: (1) InformationsKreis Kernenergie, (2) © Corbis RF via ZOOM (Montage Fontblog), (3) Corbis RF via ZOOM (Montage Fontblog), (4) Corbis RF via ZOOM (Montage Fontblog)
8 Kommentare
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matthias
herrlich!!!
Joshua K.
Wunderbar. Wo kann ich die Plakate bestellen?!
Interessierter Laie
Die Kampagne der Atomindustrie ist gut, weil sie die Frage nach einem wichtigen Ziel – Vermeidung von CO2-Emissionen zur Rettung der Welt – stellt und die Antwort parat hat: AKWs emittieren nunmal kein CO2. Umgekehrt ist die Persiflage nicht gut, weil sie Klimaschutz und Umweltschutz verwechselt: Pkw emittieren eben doch – anders als AKW – das klimaschädliche CO2. Insofern sind sie die schlechteren Klimaschützer. Dass Pkw keine Atomunfälle hervorrufen können, ist klar, aber darum geht es nicht.
johannes
Interessierter Laie,
es wäre angenehm, wenn Du Dich erst informierst, bevor Du die unwahren Behauptungen der Atomindustrie weiterverbreitest: Es gibt bislang keine Art der Stromerzeugung, die so viel Energie verbraucht wie die Kernenergie und dementsprechend auch Unmengen Kohlendioxid erzeugt. Die von Dir repetierte Behauptung bezieht sich allein auf den Kraftwerksstandort, es muss allerdings der gesamte Aufwand von Brennstoffgewinnung und -aufbereitung über Kraftwerksbetrieb bis hin zur Behandlung der Abfälle und zum Rückbau der Anlage betrachtet werden.
Konkurrenz in Sachen Ineffektivität erhält die Kernenergie momentan durch die CCS-Technologie, die bis zu 70% der im Kohlekraftwerk erzeugten Strommenge zu ihrem eigenen Betrieb erfordert.
Christian
@johannes:
Das Argument, Kerntechnik verursache im Verhältnis zum Stromoutput den größten Kohlendioxid-Ausstoß, ist mir neu. Wo ist das denn nachzulesen?
PS
wo bekomme ich denn die „Poster“ als pdf her – wäre eine schicke Deko…
Jürgen Siebert
@ PS: Die Poster gibt’s direkt von der Agentur Auweier Unhold & Partner; Kontakt: siehe Gelbe Seiten.
Christian
Da es bisher niemand für nötig hält die Argumentation von Johannes (#4) sachlich richtig zu stellen, hier ein Link zur CO2-Bilanz verschiedener Energieträger.